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In eigener Sache: Mein neues Filmbuch

Einigen Lesern ist bestimmt aufgefallen, daß ich in der rechten Spalte meines Blogs seit längerer Zeit das Cover meines neuen Buchs präsen...

Mittwoch, 5. Februar 2020

OSCAR-Vorschau 2020 – Die Hauptkategorien

Am Sonntag steht die 92. Verleihung der Academy Awards in Los Angeles ins Haus (die erneut live bei Pro 7 übertragen wird), wie jedes Jahr wage ich kurz vorher eine ausführliche Analyse und Prognose für alle Kategorien. Als Basis für meine Einschätzung der Favoritenlage dienen dabei neben meiner eigenen jahrelangen Erfahrung vor allem die bisherigen Preisverleihungen der aktuellen Awards Season seit Ende November 2019 sowie amerikanische OSCAR-Blogs wie Gurus o' Gold, Goldderby.com und Indiewire. Letztes Jahr habe ich mit nur 14 von 24 richtig vorhergesagten Kategorien ziemlich versagt, 2018 lief es dafür mit 19 Siegertips richtig gut - in den Jahren davor waren es 14, 16, 15 und 18; ich kann demnach zwar nicht die Lottozahlen prognostizieren, tippe aber keineswegs einfach so ins Blaue ...

Bester Film: 
- Jojo Rabbit
- 1917

Davon habe ich gesehen und kann daher selbst beurteilen: Alle außer "Jojo Rabbit" (habe ich nicht mehr rechtzeitig geschafft; meine Kritik zu "1917" kommt nächste Woche).
Favoriten: "1917" vor "Parasite" und "Once Upon a Time in ... Hollywood". Die bedeutendste Kategorie scheint zwar nicht mehr so offen zu sein wie noch vor ein paar Wochen, da seitdem "1917" die meisten wichtigen Preise für sich entscheiden konnte; trotzdem sehe ich mit "Le Mans 66" nur einen chancenlosen Film. Meine Einschätzung der Siegwahrscheinlichkeiten der übrigen acht Nominees:
2%: "Little Women". Tolle Kritiken, gute Einspielergebnisse, aber wenige Preise im Verlauf der Awards Season. Eigentlich chancenlos, wäre er nicht der einzige weiblich dominierte Film im Wettbewerb, der eventuell von den erneuten Diskussionen über zu wenige weibliche und nicht-weiße Nominierte in den Hauptkategorien profitieren könnte. Es ist aber sehr unwahrscheinlich, daß es zum "Bester Film"-Gewinn reicht.
3%: "Marriage Story". Auch hier gab es überragende Kritiken, das Scheidungsdrama ist jedoch vermutlich etwas zu unspektakulär für den ganz großen Preis; zudem dürfte es immer noch Academy-Mitglieder geben, die nicht für eine nicht regulär im Kino gezeigte Netflix-Produktion stimmen.
5%: "Joker". Ein niemals erwarteter Megahit, der offensichtlich einen gesellschaftlichen Nerv getroffen hat, aber auch polarisiert und im Schnitt die schwächsten Kritiken der neun Nominees vorzuweisen hat. Als Sieger nicht ausgeschlossen, aber ebenfalls sehr unwahrscheinlich.
7%: "Jojo Rabbit". Nach "Joker" der am wenigsten gut besprochene Film, der allerdings bei Festival- und Arthouse-Besuchern überragend ankommt und auch in der Branche viel Rückhalt genießt, wie einige überraschende Ehrungen während des OSCAR-Rennens beweisen.
10%: "The Irishman": Martin Scorseses dreieinhalbstündiges Mafiaepos war lange Topfavorit, ging aber seit den Golden Globes bei fast allen Preisverleihungen leer aus und ist deshalb in der Rangliste deutlich nach hinten gerutscht. Trotzdem ist ein Sieg nicht ausgeschlossen, er wäre inzwischen aber eine Überraschung.
16%: "Parasite": Der südkoreanische Welthit hat sich heimlich, still und leise zum Mitfavoriten gemausert und wird von vielen Experten sogar als einziger verbliebener Konkurrent von "1917" betrachtet. In der Tat gab es zuletzt gerade bei den Gildenpreisen einige erstaunliche Siege für "Parasite", doch fällt es mir schwer zu glauben, daß er tatsächlich gewinnen kann - zumal es in den letzten Jahren meiner Ansicht nach wesentlich würdigere nicht-englischsprachige Filme gab, die einen solchen Triumph eher verdient gehabt hätten.
17%: "Once Upon a Time in ... Hollywood": Quentin Tarantinos detailverliebte Hommage an das Hollywood der späten 1960er Jahre hat in der Awards Season sehr gut abgeschnitten, wenn er auch nur selten als "Bester Film" geehrt wurde. Daß es Tarantinos angeblich vorletzter Film ist und er noch nie in der Königskategorie (oder als Regisseur) triumphierte, könnte dafür sorgen, daß die Academy-Mitglieder ihn für seine große Karriere belohnen wollen - schließlich weiß niemand, ob sein letzter Film OSCAR-würdig ausfällt ...
40%: "1917": Sam Mendes' kunstvolles Erster Weltkriegs-Drama ist quasi das Gegenstück zu "The Irishman": Der Beginn der Awards Season verlief sehr schleppend (auch weil "1917" erst spät fertig wurde), spätestens seit den Golden Globes hat der Film jedoch fast alle wichtigen Ehrungen gewonnen (zuletzt gab es bei den britischen BAFTAs sieben Preise) und sich somit zum Topfavoriten aufgeschwungen.

Gewinnen sollte: "1917" (vor "Marriage Story" und "Once Upon a Time ...").
Gewinnen wird: "1917".

Regie:
- Martin Scorsese, "The Irishman"
- Todd Phillips, "Joker"
- Sam Mendes, "1917"
- Quentin Tarantino, "Once Upon a Time in ... Hollywood"
- Bong Joon-ho, "Parasite"

Gesehen: Alle.
Favoriten: Sam Mendes, Bong Joon-ho und Quentin Tarantino. Phillips sollte chancenlos sein, Scorsese hat nach dem Verlauf der OSCAR-Saison nur noch Außenseiterchancen. Tarantino könnte wie beim "Besten Film" davon profitieren, daß er die Kategorie noch nie gewonnen hat, doch wahrscheinlich wird sich der Sieger zwischen dem Briten Mendes und dem Südkoreaner Bong entscheiden, wobei die meisten Mendes vorne sehen. Nachvollziehbarerweise gewinnt bei den Regisseuren häufig der gleiche Film wie in der Königskategorie, in den letzten Jahren gab es allerdings einige Ausnahmen von der Regel (2019 gewann beispielsweise "Green Book" als "Bester Film" und Alfonso Cuarón für die Regie bei "Roma") ...

Gewinnen sollte: Sam Mendes.
Gewinnen wird: Sam Mendes für "1917".

Hauptdarsteller:
- Antonio Banderas, "Leid und Herrlichkeit"
- Leonardo DiCaprio, "Once Upon a Time in ... Hollywood"
- Adam Driver, "Marriage Story"
- Joaquin Phoenix, "Joker"
- Jonathan Pryce, "Die zwei Päpste"

Gesehen: Alle.
Favorit: Joaquin Phoenix. Pryce und DiCaprio brauchen eher keine Dankesreden zu schreiben, Banderas wird von manchen als (verdienter) Geheimtip gehandelt. Doch der einzige ernsthafte Konkurrent für Phoenix dürfte Adam Driver sein, der in "Marriage Story" wirklich eine grandiose Leistung abliefert und viele Sympathien in der Branche genießt. Das gilt aber auch für Phoenix, der in "Joker" ähnlich stark spielt wie Driver und sogar über seinen Schatten sprang und trotz seiner bekannten Öffentlichkeitsabneigung die gesamte Awards Season mitmachte - und mit einigen klugen und kritischen Dankesreden beeindruckte.

Gewinnen sollte: Adam Driver.
Gewinnen wird: Joaquin Phoenix für "Joker".

Hauptdarstellerin:
- Cynthia Erivo, "Harriet"
- Scarlett Johansson, "Marriage Story"
- Saoirse Ronan, "Little Women"
- Charlize Theron, "Bombshell - Das Ende des Schweigens"
- Renée Zellweger, "Judy"

Gesehen: Nur Johansson und Ronan.
Favoritin: Renée Zellweger. Zellweger gewann für ihr Comeback nach mehrjähriger weitgehender Hollywood-Abstinenz so gut wie jeden Kritiker- und Branchenpreis in der Saison - es ist schwer vorstellbar, daß sie ausgerechnet bei den OSCARs verliert. Theron und Johansson haben kleine Außenseiterchancen, aber das wird normalerweise nicht klappen.

Gewinnen sollte: Kann ich nicht beurteilen, aber Ronan und Johansson wären beide verdiente Siegerinnen.
Gewinnen wird: Renée Zellweger für "Judy".

Nebendarsteller:
- Tom Hanks, "Der wunderbare Mr. Rogers"
- Anthony Hopkins, "Die zwei Päpste"
- Al Pacino, "The Irishman"
- Joe Pesci, "The Irishman"
- Brad Pitt, "Once Upon a Time in ... Hollywood"

Gesehen: Alle außer Hanks.
Favorit: Brad Pitt. Ähnliches Bild wie bei den Hauptdarstellerinnen: Pitt gewann nahezu jede Ehrung und um die letzten Zweifel auszuräumen, hat er sich mit seinem ganzen Charisma in die Awards Season geworfen und sehr charmant und selbstironisch Werbung für sich gemacht. Selbst wenn er in "Once Upon a Time ..." nicht so herausragend spielen würde, hätte er wegen seiner Beliebtheit gute Chancen. Der einzige, der ihm womöglich die Suppe versalzen könnte, dürfte Joe Pesci sein, der eigens für "The Irishman" aus dem Ruhestand zurückkehrte und in ungewohnter Rolle beeindruckte.

Gewinnen sollte: Brad Pitt.
Gewinnen wird: Brad Pitt für "Once Upon a Time in ... Hollywood".

Nebendarstellerin:
- Kathy Bates, "Der Fall Richard Jewell"
- Laura Dern, "Marriage Story"
- Scarlett Johansson, "Jojo Rabbit"
- Florence Pugh, "Little Women"
- Margot Robbie, "Bombshell - Das Ende des Schweigens"

Gesehen: Nur Dern und Pugh.
Favoritin: Laura Dern. Ich muß zugeben, daß ich Derns Leistung in "Marriage Story" gar nicht so überragend fand, aber auch sie hat wie Phoenix, Zellweger und Pitt in ihren Kategorien fast jeden Preis gewonnen, den es in dieser OSCAR-Season zu gewinnen gab - außerdem wäre es ihr in der Tat überfälliger erster Academy Award. Als einzige reelle Konkurrentin wird Johansson gehandelt, wobei ich Florence Pugh nicht ganz ausschließen möchte.

Gewinnen sollte: Kann ich nicht beurteilen, aber ich fand Pugh besser als Dern.
Gewinnen wird: Laura Dern für "Marriage Story".

Animationsfilm:
- Drachenzähmen leicht gemacht 3: Die geheime Welt
- Ich habe meinen Körper verloren
- Klaus
- Mister Link - Ein fellig verrücktes Abenteuer
- A Toy Story: Alles hört auf kein Kommando

Gesehen: "Ich habe meinen Körper verloren" und "Klaus".
Favoriten: "Toy Story 4", "Mister Link" und "Klaus". Die Kategorie ist erstaunlich offen, denn lange galt Pixars hochgelobter und extrem erfolgreicher "Toy Story 4" als sicherer Gewinner. Das hat sich allerdings seit den Golden Globes geändert, bei denen überraschend Laikas an den Kinokassen gefloppter Stop Motion-Film "Mister Link" triumphierte. Wieder anders sieht es seit den Annie Awards für Animationsfilme aus, die völlig unerwartet von der spanischen Netflix-Produktion "Klaus" dominiert wurden. Meiner Meinung nach wird sich am Ende aber doch "Toy Story 4" vor "Klaus" und "Mister Link" durchsetzen.

Gewinnen sollte: Kann ich nicht beurteilen, da ich nur die beiden Netflix-Filme gesehen habe; ich fand jedoch "Ich habe meinen Körper verloren" deutlich besser als "Klaus". Da ich kein großer Fan von CGI-Animation bin, würde mich ein Sieg von "Mister Link" oder dem (wie auch "Klaus") gezeichneten "Ich habe meinen Körper verloren" grundsätzlich mehr freuen als bei den beiden Hollywood-Blockbustern.
Gewinnen wird: "A Toy Story: Alles hört auf kein Kommando".

Internationaler Film:
- "Corpus Christi", Polen
- "Land des Honigs", Nordmazedonien
- "Die Wütenden - Les Misérables", Frankreich
- "Leid und Herrlichkeit", Spanien
- "Parasite", Südkorea

Gesehen: "Leid und Herrlichkeit" und "Parasite".
Favorit: "Parasite". Da "Parasite" sogar als Mitfavorit in den Hauptkategorien gehandelt wird, sollte er die Auslandskategorie eigentlich locker gewinnen - und das wird vermutlich auch so kommen. Die Konkurrenz ist aber stark und vor allem Pedro Almodóvars "Leid und Herrlichkeit" hat ebenfalls viel Lob eingeheimst. Ein Sieg wäre daher keine Sensation, allerdings eine große Überraschung.

Gewinnen sollte: Kann ich nicht beurteilen, doch "Leid und Herrlichkeit" wäre ein sehr guter Sieger, "Parasite" halte ich dagegen für überschätzt.
Gewinnen wird: "Parasite" für Südkorea.

Dokumentarfilm:
- American Factory
- The Cave
- Am Rande der Demokratie
- Für Sama
- Land des Honigs

Gesehen: Keinen.
Favoriten: "American Factory". Der Film über von den Chinesen übernommene US-Fabriken ist nach der völlig überraschenden Nicht-Nominierung von "Apollo 11" der klare Favorit. Ins Gehege kommen könnten ihm der syrisch-britische "Für Sama" oder der nordmazedonische "Land des Honigs" (der auch als Internationaler Film nominiert ist). Generell gibt es bei den Dokus gerne Überraschungssieger.

Gewinnen sollte: Kann ich nicht beurteilen.
Gewinnen wird: "American Factory".

Originaldrehbuch:
- Noah Baumbach, "Marriage Story"
- Sam Mendes und Krysty Wilson-Cairns, "1917"
- Quentin Tarantino, "Once Upon a Time in ... Hollywood"
- Bong Joon-ho und Jin Won-han, "Parasite"

Gesehen: Alle.
Favoriten: "Parasite" und "Once Upon a Time in ... Hollywood". Bei den Drehbuch-Kategorien gibt es zwei Eigenheiten zu beachten: Erstens gibt es hier gerne Überraschungen (gerade bei den Originaldrehbüchern) und zweitens werden häufig mehrfach nominierte Filme, die bei den anderen Kategorien leer ausgehen, für ihr Drehbuch mit einer Art "Trostpreis" bedacht. Das könnte hier sowohl auf "Marriage Story" als auch auf "Parasite" zutreffen. Aussichtslos ist die Sache wohl nur für "1917", und da "Knives Out" ansonsten bei den Nominierungen ignoriert wurde, wird er wahrscheinlich nicht prämiert werden. "Marriage Story" wäre ein sehr verdienter Sieger, aber in der Awards Season hat sich das Ganze in den letzten Wochen in erster Linie zu einem Duell zwischen Tarantino und Bong (und Jin) entwickelt - wobei "Parasite" die Nase leicht vorn zu haben scheint. Es könnte natürlich gut sein, daß Bong und Jin den Drehbuch-Preis gewinnen und Tarantino dafür als Regisseur und/oder für den Besten Film geehrt wird. Aber auch daß Tarantino oder Bong drei Preise holt, ist nicht ausgeschlossen. Eine spannende Kategorie!

Gewinnen sollte: "Marriage Story".
Gewinnen werden: Bong Joon-ho und Jin Won-han für "Parasite".

Adaptiertes Drehbuch:
- Steven Zaillian, "The Irishman"
- Taika Waititi, "Jojo Rabbit"
- Todd Phillips und Scott Silver, "Joker"
- Greta Gerwig, "Little Women"
- Anthony McCarten, "Die zwei Päpste"

Gesehen: Alle außer "Jojo Rabbit".
Favoriten: "Jojo Rabbit" und "Little Women". Zu Beginn der Awards Season war "The Irishman" der Favorit, doch im gleichen Maße, wie Scorseses Film insgesamt an Schwung verlor, gilt das auch für Autor Zaillian. Wie bei den Originaldrehbüchern sieht alles nach einem packenden Zweikampf aus, bei dem lange "Little Women" favorisiert schien; doch zuletzt konnte sich zwei Mal Taika Waititi für "Jojo Rabbit" durchsetzen (bei den WGA Awards und bei den BAFTAs). Bei beiden Filmen kann es gut sein, daß es ihr einziger OSCAR des Abends wäre.

Gewinnen sollte: Von den vier Filmen, die ich gesehen habe: "The Irishman".
Gewinnen wird: Greta Gerwig für "Little Women".


Das war also meine Vorschau auf und Prognose für die elf wichtigsten Kategorien der Academy Awards. In Teil 2 widme ich mich den verbliebenen 13 Nebenkategorien.

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