Regie: Peter Farrelly, Drehbuch: Nick Vallelonga, Brian
Currie und Peter Farrelly, Musik: Kris Bowers
Darsteller: Viggo Mortensen, Mahershala Ali, Linda
Cardellini, Dimiter D. Marinov, Mike Hatton, Sebastian Maniscalco, P.J. Byrne,
Joe Cortese, Don Stark, Iqbal Theba, Dane Rhodes, Ninja N. Devoe, Brian Currie,
Nick Vallelonga
FSK: 6, Dauer: 131 Minuten.
Der hemdsärmelige Italo-Amerikaner Tony Vallelonga (Viggo
Mortensen, "Der Herr der Ringe") ist zu Beginn der 1960er Jahre ein
bestens vernetzter Türsteher bei einem noblen Club in New York, der allerdings bis Weihnachten
für zwei Monate wegen Renovierung schließen muß. Da Tony, der seit seiner
Kindheit – wegen seines großen Mundwerks und der Fähigkeit, andere von Dingen
zu überzeugen, die sie eigentlich gar nicht wollen – nur "Tony Lip"
genannt wird, in der Zwischenzeit Geld braucht, um seine Frau Dolores (Linda
Cardellini, "Nur ein kleiner Gefallen") und die Kinder zu
versorgen, nimmt er eher widerwillig einen Job als Fahrer an: Er soll acht Wochen lang den populären und wohlhabenden Jazz-Pianisten Dr. Don
Shirley (Mahershala Ali, "Moonlight") auf einer Tour durch die
US-Südstaaten fahren. Mehr oder weniger inoffiziell soll er aber auch aufpassen,
daß Don nichts geschieht, denn da der Afroamerikaner ist, ist eine Reise durch
die noch immer stark von der Rassentrennung und schwer zu besiegenden Vorurteilen
geprägten Regionen Amerikas alles andere als ungefährlich. Der ungebildete Tony
hat zunächst selbst so seine Probleme mit dem eitel, herablassend und
distanziert erscheinenden Musik-Akademiker, doch nach und nach nähern sich die
beiden Männer einander an und lernen sogar gegenseitig voneinander …
Kritik:
Noch vor ein paar Jahren schien es eigentlich unvorstellbar,
daß der Komödienspezialist Peter Farrelly – gemeinsam mit seinem Bruder Bobby
Farrelly Schöpfer von Werken wie "Dumm und dümmer", "Verrückt nach
Mary" oder "Die Stooges" – irgendwann für einen OSCAR nominiert
werden würde, geschweige denn gar die Königskategorie "Bester Film" gewinnen würde. Doch kaum er dreht er zum ersten Mal alleine einen Spielfilm,
schon gelingt ihm dieses Kunststück (ob Bobby wohl noch mit ihm spricht?).
Dabei entfernt er sich gar nicht so weit von seinem bisherigen Schaffen: Auch
der von einer wahren Geschichte inspirierte "Green Book – Eine besondere
Freundschaft" ist ein humorvoller Film, trotz der ernsten
Grundthematik gar echtes Wohlfühlkino – allerdings weniger überdreht und
albern als Farrellys frühere Filme. Und genau das ist wohl der Schlüssel zum
Erfolg von "Green Book", auch wenn der zumindest in den USA von
einigen Kontroversen begleitet wurde. Vor allem die Behauptung der Erben von
Dr. Shirley – er selbst ist wie Tony Vallelonga 2013 verstorben –, die sich
fast ausschließlich auf die von seinem Sohn Nick adaptierten Erinnerungen von
"Tony Lip" stützende Geschichte sei stark in Tonys Sinne geschönt und
in Wirklichkeit wären beide Männer niemals enge Freunde gewesen, warf einen
Schatten auf die vielen Preise und Nominierungen, die "Green
Book" einheimsen konnte. Dies Hintergrundrauschen ist für das
Kinopublikum aber von nachrangiger Bedeutung, das schließlich in erster Linie gut
unterhalten werden will. Und gute Unterhaltung bietet "Green Book"
– dessen Titel auf eine Art Südstaaten-Reiseführer speziell für Afroamerikaner verweist mit Etablissements, die sie gefahrlos besuchen können – vor allem dank der beiden famosen Hauptdarsteller
zweifellos, wenngleich es schon einige inhaltliche Kritikpunkte gibt.
Sowohl Viggo Mortensen – der für die Rolle 20 Kilo zunahm
– als auch Mahershala Ali wurden völlig verdient für einen OSCAR nominiert
(insgesamt gab es fünf Nominierungen, darunter als "Bester Film"), wobei
man allerdings nicht zwangsläufig verstehen muß, warum Mortensen als
Hauptdarsteller und Ali als Nebendarsteller geführt wird. Gut, die Geschichte
wird primär aus Tonys Perspektive erzählt, aber da in
den meisten Szenen beide agieren, sind sie eigentlich gleichwertige
Hauptdarsteller. Ist aber auch egal, jedenfalls ist die sich langsam und
nicht ohne Hindernisse entwickelnde Freundschaft zwischen den beiden
sehr unterschiedlichen Männern aus denkbar verschiedenen Gesellschaftsschichten das
Herz von "Green Book". Allzu originell ist das natürlich nicht,
Geschichten ungewöhnlicher Freundschaften hat (nicht nur) Hollywood bekanntlich
schon immer gerne erzählt. Aber das liegt eben auch daran, daß sie so wunderbar
funktionieren, wenn sie gut umgesetzt sind. Auf "Green Book" trifft
das zu, durch das Setting in den von Rassismus und Vorurteilen durchzogenen
Südstaaten der frühen 1960er Jahre hat der Film zudem sogar eine Art
Alleinstellungsmerkmal zu bieten (auch wenn er natürlich nicht der einzige in
dem Setting ist, auch der offensichtlichste Vergleich "Miss Daisy und ihr
Chauffeur" spielte teils in dieser Zeit). Gänzlich unproblematisch ist dieses
Setting allerdings nicht, denn dadurch, daß sich der Film vorrangig auf die
Freundschaft zwischen Don und Tony konzentriert, wird die Rassismus-Thematik
zwangsläufig ein wenig in den Hintergrund gerückt. Das ist eine legitime
Vorgehensweise, schließlich gibt es schon zahlreiche Filme, die den Rassismus
in dramatischer Form behandeln. Da ist eine etwas leichtere Verarbeitung des
Themas – wie sie auch Spike Lee in seiner jedoch weit weniger versöhnlich endenden Satire
"BlacKkKlansman" wählte, einem direkten OSCAR-Konkurrenten von
"Green Book" – eine gute Möglichkeit, auch Zuschauer zu erreichen,
die ansonsten eher einen Bogen darum machen würden. Gleichzeitig ist es ein höchst anspruchsvoller Balanceakt, den Rassismus einerseits nicht im
Bemühen, das Publikum nicht zu verschrecken, zu verharmlosen; ihn aber
andererseits nicht zu sehr zu dramatisieren und damit das Bemühen zu
unterlaufen, den Zuschauern einen Wohlfühlfilm mit humanistischer Botschaft zu
kredenzen.
Inwiefern dieser Balanceakt Peter Farrelly und seinen beiden
Co-Autoren gelungen ist, darüber sind sich die Kritiker nicht vollkommen einig.
Einige kritisieren eine generell zu oberflächlich-gefällige Behandlung der
Thematik, manche sehen sogar eine gefährliche Botschaft, die eine gewisse Mitschuld des recht eitlen und eher weltabgewandten Don an dem
Rassismus, den er erfährt, impliziert (dieser Argumentation kann ich wohlgemerkt nicht folgen). Und ehrlich gesagt habe ich selbst im Kino überlegt, ob "Green Book" in die berühmt-berüchtigte
Kategorie der "White Saviour"-Filme eingeordnet werden muß, in denen
ein weißer, zumeist männlicher und amerikanischer Held Angehörigen anderer
Kulturen rettend zur Seite springen muß (z.B. "Last Samurai" oder
"Königreich der Himmel", wiewohl beide trotzdem richtig gute Filme
sind). Auf den ersten Blick kann man auf diesen Gedanken sehr wohl kommen, da
es wirkt, als würde Don wesentlich mehr von Tony lernen als umgekehrt –
zumal Tony Don auch mal handfest aus brenzligen Situationen heraushauen muß. Doch bei näherer
Betrachtung ist es Farrelly sehr wohl gelungen, die angesprochene Balance zu halten.
Tonys Hilfe wirkt zwar auf den ersten Blick "wichtiger", aber das liegt
größtenteils daran, daß das, was er umgekehrt von Don lernt, subtiler gehalten
ist. Und das wiederum liegt natürlich in den Charakteren begründet, denn der
offenherzige Tony sagt Don direkt seine Meinung und liest ihm mitunter die
Leviten, während man beim eloquenten und zurückhaltenden Pianisten eher
zwischen den Zeilen lesen muß – nur wenn Tony ihn zu sehr provoziert, wird auch
Don deutlich. Außerdem ist es nunmal schlicht und ergreifend Teil von Tonys Job, auf Don aufzupassen, daher kann man es dem Pianisten schlecht ankreiden, daß er sich nicht selbst ausreichend gegen körperliche Angriffe verteidigen kann. Insgesamt mag es sein, daß Tony vielleicht tatsächlich einen
Hauch besser abschneidet, was aber dadurch gerechtfertigt werden kann, daß der
Film nunmal auf Tonys Memoiren basiert und deshalb primär seine Sichtweise
einnimmt. Auch ist er grundsätzlich die herzlichere und offenere
Persönlichkeit, während der zurückhaltende Don sich schwer damit tut, sich
anderen gegenüber zu öffnen. Angesichts der so unterschiedlichen Charaktere ist
es übrigens schwer zu sagen, welcher der beiden Hauptdarsteller besser spielt.
Eigentlich hat Viggo Mortensen die dankbarere, etwas leichtere Rolle, da er
angesichts Tonys unkomplizierter Offenherzigkeit viel Gelegenheit hat, aus sich
herauszugehen – wenn man allerdings weiß, wie zurückhaltend und auffallend
reflektiert Mortensen im "normalen Leben" auftritt (also eher so wie
Don im Film), dann muß Tony für den Dänen nochmal eine ganz besondere
Herausforderung gewesen sein; vielleicht auch eine ganz besonders reizvolle
Herausforderung. Auf der anderen Seite hat es Ali als sich stets bewußt
zurücknehmender Don ein wenig schwerer, schauspielerisch zu glänzen, doch er
verkörpert den Pianisten so charismatisch, daß er die Aufgabe problemlos
meistert – und wie subtil und verhalten, aber zugleich eindringlich er Dons
lange versteckt gehaltene tiefe Verletzlichkeit spielt, ist schlicht
atemberaubend. Tendentiell würde ich also Alis Leistung noch etwas höher
einschätzen als Mortensens, der dafür Pluspunkte bekommt, weil er so
komplett gegen seine echte Persönlichkeit spielt. Ist letztlich auch egal, da
beide für sich genommen exzellent aufspielen und nicht zuletzt dank gut geschriebener
Dialoge zusammen wunderbar harmonieren. Bei den Academy Awards gewann Ali bei den Nebendarstellern, Mortensen ging bei den Hauptdarstellern leer aus. Und apropos Dialoge: Naturgemäß spielen die erheblichen sprachlichen Unterschiede zwischen dem frei Schnauze redenden
Tony und dem sich stets sehr gewählt ausdrückenden Don ebenfalls eine Rolle – mangels direkter
Vergleichsmöglichkeit kann ich nicht beurteilen, wie paßgenau das die
deutsche Synchronfassung aus dem Original übertragen konnte, es wirkt auf mich
aber jedenfalls ziemlich authentisch.
Wenig überraschend leiden unter der Konzentration
auf das zentrale Duo die Nebenfiguren. Vor allem die Rassisten
bleiben weitestgehend stereotyp und wirken eher wie Symbole für alles Schlechte
dieser Ära. Das ist angesichts des Fokus auf die Freundschaft zwischen Don und
Tony in Ordnung, man hätte es aber sicher etwas ambitionierter angehen
können. Das private Umfeld der beiden Protagonisten spielt ebenso nur eine kleine
Rolle, was insofern bedauerlich ist, als man durch bedeutendere Nebenrollen auch Don und Tony mehr charakterliche Tiefe hätte verleihen können. Bei
Tony funktioniert das zumindest einigermaßen, weil seine große italienische
Familie am Anfang und am Ende ein paar gute Szenen hat und Linda Cardellini als
Tonys Ehefrau Dolores – der Tony auf der Reise viele Briefe schreibt, wobei ihm
Don hilfreich zur Seite steht – ungemein sympathisch agiert. Bei Don hingegen
lernen wir nur seinen treuen Bediensteten Amit (Iqbal Theba, TV-Serie "Glee") kennen und
erfahren aus seinen Erzählungen das Nötigste über seine Familie. Diese
Auslassung ist jedoch Teil der Geschichte, denn Dons persönliche und kulturelle Entwurzelung hat maßgeblich zu seiner Persönlichkeitsentwicklung mit
dem dicken mentalen Schutzschild, der ihn so distanziert wirken läßt,
beigetragen. Die (in einem eigenen Auto) mitreisenden weiteren Mitglieder
des "Don Shirley Trio", George (Mike Hatton) und Oleg (Dimiter D.
Marinov, "Act of Valor"), hätte man aber gerne enger einbinden können. "Green
Book" offenbart also sehr wohl noch Steigerungspotential, doch wie gesagt:
Alles in allem hat Peter Farrellys Film für mein Empfinden eine gute Balance
gefunden. Um ihn richtig genießen zu können, muß man sich jedoch damit abfinden
können, daß Farrelly eben ganz bewußt kein Rassismus-Drama schaffen wollte,
sondern einen Film, der diese ernste und weiterhin allzu aktuelle Thematik
leichtfüßig und durch die Entwicklung der Protagonisten sogar
inspirierend und hoffnungsvoll behandelt.
Fazit: Peter Farrellys "Green Book – Eine besondere
Freundschaft" ist eine gut ausbalancierte Feelgood-Tragikomödie, die die Rassismus-Thematik mitunter etwas zu oberflächlich abhandelt und ein paar
diskussionswürdige Entscheidungen trifft, aber speziell aufgrund des
wunderbaren Hauptdarsteller-Duos ausgesprochen gut unterhält.
Wertung: 8 Punkte.
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