Regie und Drehbuch: Alfonso Cuarón
Darsteller: Yalitza Aparicio, Marina de Tavira, Diego
Cortina Autrey, Carlos Peralta, Marco Graf, Daniela Demesa, Fernando Grediaga, Verónica
García, Nancy García García, Jorge Antonio Guerrero, José Manuel Guerrero Mendoza,
Andy Cortés, Latin Lover, Zarela Lizbeth Chinolla Arellano
FSK: 12, Dauer: 135 Minuten.
Kritik:
Als vielfältig interessierter Cineast gibt es kein Genre,
das ich rundheraus ablehne. Natürlich mag ich manche mehr und manche eher weniger, aber in erster Linie zählen für mich immer filmische Qualität und
Unterhaltungswert. Wie so oft gibt es jedoch auch hier eine Ausnahme:
Milieustudien ohne echte Handlung. Es ist nicht so, daß ich die boykottieren
würde, aber ich wage ich mich nur an hochgelobte und/oder OSCAR-nominierte
Vertreter und muß mich selbst bei denen ein wenig überwinden. Alfonso
Cuarón ("Gravity") hat mit "Roma" eine Milieustudie ohne echte
Handlung gedreht, weshalb ich anfänglich insgeheim sogar froh war, daß die
Netflix-Produktion hierzulande nicht regulär in die Kinos kam. Nach den zehn
OSCAR-Nominierungen nahm sie mein Stammkino allerdings doch ins Programm auf
und so hatte ich keine Ausrede mehr. Im Nachhinein betrachtet haben sich meine
Erwartungen recht genau erfüllt: Ich erkenne neidlos an, daß der
zweistündige Schwarzweißfilm, der im spanischen respektive mixtekischen Originalton
mit Untertiteln gezeigt wird, handwerklich hervorragend gemacht ist und er seine
betont persönliche, von den Kindheitserinnerungen Cuaróns
geprägte Story mit viel Gefühl und Einfühlungsvermögen sowie zwei starken
Hauptdarstellerinnen erzählt. Jedoch kann ich nicht verhehlen, daß ich
mich zwischenzeitlich mangels Handlungsfortschritten ziemlich gelangweilt habe.
Mein Empfinden ist also zwiespältig – es ist eben einfach nicht mein Genre.
Anfangs ist "Roma" durchaus interessant, weil es
den Zuschauer unmittelbar in eine ihm (im Normalfall) fremde Welt
und Zeit entführt. Die Figuren und ihre Beziehungen zueinander
werden geschickt vorgestellt, wobei zunächst vor allem Cleo und die
Antonio-Kinder im Mittelpunkt stehen. Es ist nicht viel, was auf der Leinwand
passiert: Cleo putzt das Haus, sie wäscht die Wäsche und sie kümmert sich liebevoll um
die Kinder; in ihrer Freizeit trifft sie sich mit dem angehenden Kampfsportler
Fermín, sie gehen ins Kino oder einfach spazieren und irgendwann haben sie Sex.
Durch dessen neun Monate später erwartete Konsequenz kommt ein wenig
Dramatik in die Geschichte, denn Cleo ist arm und wird durch Fermíns Flucht tief getroffen – ab diesem Zeitpunkt rückt Hausherrin Sofía stärker in
den Fokus, da sie sich trotz ihrer eigenen Probleme Cleos annimmt. Die sich
daraufhin entwickelnden zarten freundschaftlichen Bande zwischen Hausherrin und Dienstmädchen – wiewohl stets eindeutig bleibt, wer Herrin und wer Dienerin ist –
sind glaubwürdig und gefühlvoll geschildert und brauchen nicht viele Worte. Das
allerdings hat den Nachteil, daß wir nie wirklich viel über die handelnden
Figuren erfahren. Wir können einiges aus ihrem Verhalten ableiten und die
Protagonistinnen sind von Alfonso Cuarón so überzeugend geschrieben und in Szene gesetzt und von ihren
Darstellerinnen auch so gut gespielt, daß das ziemlich gut funktioniert. Trotzdem
würde ich nicht sagen, daß wir Cleo und Sofía wirklich gut kennenlernen; als
Zuschauer bleibt man ein bloßer Betrachter einer sehr gut gemachten, aber reichlich
unspektakulären Milieustudie, die in der Darstellung des Kontrastes
zwischen den fast ausschließlich wohlhabenden Weißen und den ebenso fast
ausschließlich armen und die Weißen bedienenden Ureinwohnern auch nie richtig in die
Tiefe geht, sondern sie eher am Rande betrachtet.
Speziell ein Ausflug der Antonios samt Cleo über Weihnachten
und Silvester in das Landhaus einer befreundeten reichen Familie hat mich mit der
(immerhin teils im Ansatz humorvollen) Zurschaustellung der
Oberflächlichkeit der Wohlhabenden ziemlich kalt gelassen und, ja, sogar
gelangweilt, wenngleich es in dieser Phase des Films sehr wohl starke
Szenen gibt (etwa beim überschaubaren Waldbrand). Im letzten Drittel nimmt
"Roma" zum Glück endlich etwas Tempo auf, was auch daran
liegt, daß die Studentenunruhen in die Handlung hineinspielen. Tragik
und leicht skurriler Humor – die wohl beste Szene: Ein populärer Guru namens
Profesor Zovek (Ex-Profi-Wrestler "Latin Lover") unterrichtet den von
Cleo auf der Suche nach Fermín beobachteten Kampfsportnachwuchs – spielen klug ineinander, was für die vorherige Zähheit einigermaßen entschädigt. Daß
beide Hauptdarstellerinnen trotz ihrer mangelnden Bekanntheit außerhalb der mexikanischen Heimat – für Cleo-Darstellerin Yalitza Aparicio ist es wie für andere Akteure im Film sogar das
Schauspieldebüt – für einen OSCAR nominiert wurden, sagt bereits genügend
darüber aus, wie authentisch und glaubwürdig sie ihre Rollen verkörpern. Die
größte Stärke von "Roma" ist aber die kunstvolle
gestalterische Umsetzung. Cuarón, der auch die Kameraführung übernahm, hat die
überwiegend unspektakuläre Geschichte in dermaßen klar strukturierte und
(speziell bei den Naturaufnahmen) wunderschöne Aufnahmen umgesetzt, daß es
einfach eine Wucht ist – daß der Film in Schwarzweiß gedreht ist und auf viele
lange, genau einstudierte Einstellungen setzt, unterstreicht die
Kunstfertigkeit sogar noch.
Eindrucksvoll ist außerdem die Tongestaltung: Mein Stammkino verlangt für Filme, die in Dolby Atmos gezeigt werden, seit jeher einen Euro Aufpreis, den ich meist zähneknirschend zahle, da sich der tatsächliche Unterschied zum "normalen" Dolby Surround oft in engen Grenzen hält (sofern man ihn als Zuschauer überhaupt mitbekommt). Während actionreiche Blockbuster häufig zumindest ansatzweise die Möglichkeiten des raffinierten Tonsystems, das die Richtung der Klänge exakt steuern kann, ausnutzen, schien es mir bei kleineren Produktionen bislang einigermaßen überflüssig. Doch "Roma" beweist, wie falsch ich mit dieser Annahme lag: Die Klangkulisse ist so präzise gestaltet, daß man sich mitten im Mexiko der frühen 1970er Jahre wähnt, im Haushalt der Antonios, auf dem Land oder während der Unruhen in den Straßen von Mexiko-Stadt. Besonders effektiv ist der Einsatz von Dolby Atmos in den Szenen, die selbst in einem Kino spielen (die Protagonisten schauen sich den französischen Komödienklassiker "Drei Bruchpiloten in Paris" mit Louis de Funès an und später den SciFi-Film "Verschollen im Weltraum" mit Gregory Peck) – obwohl außer mir nur noch eine andere Person im Kinosaal war, mußte ich mich mehrfach zusammenreißen, mich nicht umzudrehen und nachzuschauen, wer da in den Reihen hinter mir raschelt oder leise redet … Zugegeben: Ich weiß nicht, ob "Roma" durch diese meisterhafte Einbeziehung auch nur minimal besser wird. Aber es besteht kein Zweifel daran, daß diese Demonstration der Möglichkeiten, die Filmemacher haben, wenn sie sich voll auf dieses Soundsystem einlassen, ungemein beeindruckend ist. Es mag ein wenig bezeichnend sein, daß es bei einem zehnfach OSCAR-nominierten Kritikerliebling (am Ende gab es die Preise für Cuaróns Regie und Kamera sowie für den besten fremdsprachigen Film) die Klangkulisse ist, die mich am stärksten zum Schwärmen bringt, aber die hat mich tatsächlich deutlich mehr begeistert als der Inhalt des Films. Hierzu wiederhole ich mich: Ich anerkenne Cuaróns handwerkliche Meisterschaft (und die des starken Schauspielensembles), aber unterm Strich ist und bleibt es einfach nicht mein Genre.
Eindrucksvoll ist außerdem die Tongestaltung: Mein Stammkino verlangt für Filme, die in Dolby Atmos gezeigt werden, seit jeher einen Euro Aufpreis, den ich meist zähneknirschend zahle, da sich der tatsächliche Unterschied zum "normalen" Dolby Surround oft in engen Grenzen hält (sofern man ihn als Zuschauer überhaupt mitbekommt). Während actionreiche Blockbuster häufig zumindest ansatzweise die Möglichkeiten des raffinierten Tonsystems, das die Richtung der Klänge exakt steuern kann, ausnutzen, schien es mir bei kleineren Produktionen bislang einigermaßen überflüssig. Doch "Roma" beweist, wie falsch ich mit dieser Annahme lag: Die Klangkulisse ist so präzise gestaltet, daß man sich mitten im Mexiko der frühen 1970er Jahre wähnt, im Haushalt der Antonios, auf dem Land oder während der Unruhen in den Straßen von Mexiko-Stadt. Besonders effektiv ist der Einsatz von Dolby Atmos in den Szenen, die selbst in einem Kino spielen (die Protagonisten schauen sich den französischen Komödienklassiker "Drei Bruchpiloten in Paris" mit Louis de Funès an und später den SciFi-Film "Verschollen im Weltraum" mit Gregory Peck) – obwohl außer mir nur noch eine andere Person im Kinosaal war, mußte ich mich mehrfach zusammenreißen, mich nicht umzudrehen und nachzuschauen, wer da in den Reihen hinter mir raschelt oder leise redet … Zugegeben: Ich weiß nicht, ob "Roma" durch diese meisterhafte Einbeziehung auch nur minimal besser wird. Aber es besteht kein Zweifel daran, daß diese Demonstration der Möglichkeiten, die Filmemacher haben, wenn sie sich voll auf dieses Soundsystem einlassen, ungemein beeindruckend ist. Es mag ein wenig bezeichnend sein, daß es bei einem zehnfach OSCAR-nominierten Kritikerliebling (am Ende gab es die Preise für Cuaróns Regie und Kamera sowie für den besten fremdsprachigen Film) die Klangkulisse ist, die mich am stärksten zum Schwärmen bringt, aber die hat mich tatsächlich deutlich mehr begeistert als der Inhalt des Films. Hierzu wiederhole ich mich: Ich anerkenne Cuaróns handwerkliche Meisterschaft (und die des starken Schauspielensembles), aber unterm Strich ist und bleibt es einfach nicht mein Genre.
Fazit: Alfonso Cuaróns Schwarzweiß-Film
"Roma" ist eine genau und einfühlsam beobachtete Milieustudie, die
mit ihrer handwerklichen Kunstfertigkeit begeistert, inhaltlich jedoch recht
karg bleibt – klassisches Kunstkino.
Wertung: 7 Punkte.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen