Regie: Todd Phillps, Drehbuch: Scott Silver und Todd
Phillips, Musik: Hildur Guðnadóttir
Darsteller: Joaquin Phoenix, Robert De Niro, Frances Conroy,
Zazie Beetz, Brett Cullen, Shea Whigham, Bill Camp, Sondra James, Glenn
Fleshler, Leigh Gill, Marc Maron, Dante Pereira-Olson, Rocco Luna, Douglas
Hodge, Carrie Louise Putrello, Brian Tyree Henry, Justin Theroux
FSK: 16, Dauer: 122 Minuten.
Zu Beginn der 1980er Jahre steht es um die Großstadt Gotham
City ziemlich dreckig – und das nicht nur, weil die Müllabfuhr streikt. Dieser Streik in Verbindung mit der großen sozialen Ungleichheit schürt jedoch die
schlechte Stimmung unter den Stadtbewohnern und befördert sinnlos aggresives
Verhalten. Kein guter Zeitpunkt, um als Miet-Clown auf
Sonderangebote in einem Laden hinzuweisen. Das muß Arthur Fleck (Joaquin
Phoenix, "A Beautiful Day") auf schmerzhafte Weise erfahren, als
einige Jugendliche ihm sein Schild klauen und ihn verprügeln – wofür sein Chef auch
noch ihm die Schuld gibt. Eigentlich ist Arthur ein schüchterner Mann
mittleren Alters, der mit seiner kränklichen Mutter Penny (Frances Conroy,
TV-Serie "American Horror Story") zusammenlebt und aus neurologischen
Gründen unter einem primär unter Streß und bei Nervosität auftretenden
unkontrollierbaren Lachen leidet, welches absolut nicht seinem Gemütszustand
entspricht. Trotzdem ist es Arthurs Traum, Stand-Up-Comedian zu werden und
irgendwann einmal einen Auftritt in der Late-Night-Show seines Idols Murray
Franklin (Robert De Niro, "The Irishman") zu ergattern. Doch als er
hinter ein dunkles Geheimnis seiner Mutter kommt, das mit dem reichen, arrogant
wirkenden Bürgermeister-Kandidaten Thomas Wayne (Brett Cullen, "Ghost
Rider") in Verbindung steht, hängt Arthurs geistige Gesundheit endgültig an
einem seidenen Faden …
Kritik:
Ich habe lange gewartet, bis ich mir "Joker" doch
noch im Kino angeschaut habe. Sehr lange. So lange, bis er fast schon
wieder von den Leinwänden verschwunden wäre. Der Grund dafür waren nicht die
kontroversen Debatten, die die ungewöhnliche, originelle
Superschurken-Origin-Story von (ausgerechnet!) "Hangover"-Regisseur
Todd Phillips vor allem in den USA ausgelöst hat. Daß ein Film, der ziemlich empathisch erzählt, wie ein von der Gesellschaft ausgegrenzter
Verlierer-Typ zu einem soziopathischen Massenmörder (und ikonischen
Batman-Antagonisten) wird, in einem Land für Diskussionen sorgt, in dem es mehr
Schußwaffen als Einwohner gibt, in dem es im Schnitt mehr als eine
Massenschießerei pro Tag gibt und in dem Schußwaffen von ungefähr der Hälfte der
Bevölkerung gehuldigt wird, als wären sie das Goldene Kalb, finde ich sehr
verständlich – zumal nicht in Vergessenheit geriet, daß 2012 ein als
Clown (wohlgemerkt nicht als Joker, wie immer noch oft fälschlicherweise
behauptet wird!) verkleideter Irrer in einer Kino-Vorstellung von Christopher
Nolans "The Dark Knight Rises" in der Stadt Aurora Amok lief und
zwölf Menschen ermordete. Keine Frage, es ist nachvollziehbar, daß angesichts
dessen manche Amerikaner in Bezug auf "Joker" ein flaues Gefühl im
Magen bekommen – außerhalb der USA mit ihrem Schußwaffen-Fetisch ist das jedoch
kaum ein Thema und hat daher auch mich nicht abgeschreckt. Nein, der Grund für
mein Zögern waren die Trailer, die einen Fokus auf die zum Scheitern
verurteilten Stand-Up-Comedy-Versuche der Hauptfigur legten und mich daher einen Film voller peinlicher und deprimierender Fremdschäm-Sequenzen befürchten
ließ. Wie sich herausstellte, war die Befürchtung letztlich unbegründet und
mir hat "Joker" ein paar Schwächen zum Trotz sehr gut gefallen.
Besagte Fremdschäm-Momente gibt es in "Joker"
wohlgemerkt durchaus, Phillips ist jedoch – erstaunlicherweise, wenn man an die
"Hangover"-Filme zurückdenkt – clever genug, sie nicht bis zum
Äußersten auszuspielen, sondern nur gerade so weit, daß man als Zuschauer eine
gewisse unangenehme Unruhe verspürt und das womöglich noch Kommende fürchtet. Genau die richtige Vorgehensweise für einen Film über den notorisch
undurchschaubaren, erratischen Joker. Selbstredend hilft es, daß Phillips für
die Rolle einen Weltklasse-Schauspieler gewinnen konnte – nach Jack Nicholson
(in Tim Burtons "Batman") und dem OSCAR-prämierten Heath Ledger (in
"The Dark Knight") ist Joaquin Phoenix der dritte derartige
Hollywood-Hochkaräter, der sich der Rolle annimmt, und wenig überraschend
liefert er eine Vorstellung ab, die man nur brillant nennen kann. Es ist ein äußerst schmaler Grat, den zukünftigen Joker Arthur Fleck so
darzustellen, daß man einerseits mit ihm mitfühlen, sogar
sympathisieren kann, andererseits aber nicht in Versuchung gerät, die
zunehmend psychopathischen, brutalen Taten gutzuheißen. "Joker" bekommt das in den allermeisten Momenten gut hin, was einerseits
Joaquin Phoenix' Darstellungskunst zu verdanken ist, der selbst Arthurs liebenswürdigste
Szenen (wenn er sich um seine Mutter kümmert) so ausspielt, daß sie sich stets
einen Hauch unangenehm anfühlen – ganz zu schweigen von Arthurs krankhaftem, irren Lachen in den unpassendsten Momenten. Andererseits
leistet aber auch das Drehbuch von Scott Silver ("8 Mile") und Todd
Phillips gute Arbeit, wenngleich zugegebenermaßen nicht jede Szene und jeder
Dialog mit Arthur sehr subtil gestaltet ist. Phoenix wurde für seine Leistung schließlich mit seinem ersten OSCAR belohnt.
Eine offensichtliche Inspirationsquelle für
"Joker" sind die Filme des "New Hollywood" in den 1970er
und frühen 1980er Jahren, wobei die Parallelen zu zwei Filmen von
Martin Scorsese (der ursprünglich sogar als "Joker"-Produzent im
Gespräch war) ganz besonders ins Auge fallen: "Taxi Driver" von 1976 und "The
King of Comedy" aus dem Jahr 1982, beide mit Robert De Niro in der Hauptrolle. In "Taxi Driver" wie
auch in "Joker" geht es um einen von der Gesellschaft mißachteten,
zutiefst einsamen Außenseiter, der immer stärker in einen wahnhaften Zustand
abdriftet und es alleine mit jener Welt aufnehmen will, die ihn letzten Endes
gestaltet hat – der Unterschied ist, daß sich De Niros Travis Bickle in
"Taxi Driver" mit Gangstern anlegt, während sich Arthur Flecks Wut
ganz konkret gegen die Menschen richtet, von denen er sich schlecht behandelt
fühlt. Und das sind in diesem wenig einladenden fiktiven Gotham City mit seiner von
einem wochenlangen Müllstreik zunehmend gereizten Bevölkerung sehr viele. Wie
sehr das dem durch sein krankhaftes Lachen im sozialen Umgang sowieso stark
gehandicappten Arthur mental zusetzt, erahnt man schon durch den Kontrast
zwischen der von ihm geliebten heilen Unterhaltungswelt mit alten Fred
Astaire- und Charlie Chaplin-Filmen sowie eleganten Frank Sinatra-Songs und der
authentisch gestalteten schmutzigen, deprimierenden Realität, in der er
ignoriert, beschimpft, von vermeintlichen Freunden im Stich gelassen und sogar
sinnlos beraubt und verprügelt wird. Arthurs kränkliche, von ihrem früheren
Arbeitgeber Thomas Wayne (Brett Cullen, der witzigerweise in "The
Dark Knight Rises" eine kleine Rolle als Kongreßabgeordneter innehatte)
besessene Mutter Penny ist auch nicht unbedingt hilfreich für den Geisteszustand
ihres Sohnes – einzig die freundliche Nachbarin Sophie (Zazie Beetz,
"Deadpool 2") scheint Arthur etwas Hoffnung zu geben. Trotzdem ist
Arthurs Reise in den Abgrund unaufhaltbar und dabei von der mit Golden Globe und OSCAR prämierten Musik der isländischen Komponistin Hildur Guðnadóttir
("Sicario 2") angemessen verstörend untermalt (ich glaube übrigens, eine kurze Anspielung auf Hans Zimmers simples, jedoch geniales "Joker"-Leitmotiv in "The Dark Knight" erkannt zu haben). Die erste richtige Eskalation läßt erstaunlich lange auf sich warten, ist dann aber ebenso heftig wie glaubwürdig
umgesetzt und setzt den Kurs für ein drastisches und dramatisches Finale, das
man so schnell nicht vergessen wird.
Wenn ein Film sich so stark auf seine Hauptfigur konzentriert
wie "Joker", dann gibt es eine Kehrseite der Medaille: Die
Nebenfiguren werden fast unweigerlich vernachlässigt. Da Arthur Flack eine so
spannende und so exzellent, leidenschaftlich und ambivalent dargestellte Person
ist, läßt sich das verschmerzen, trotzdem wäre bei den Nebencharakteren
definitiv mehr drin gewesen. Nur Arthurs Mutter Penny lernen wir ansatzweise
kennen, während Nachbarin Sophie und der von Arthur bewunderte und als Folge eines
nur einmaligen kurzen Treffens beinahe als Vaterersatz betrachtete Late-Night-Show-Moderator Murray Franklin letztlich nicht viel mehr als – von Zazie Beetz
respektive Robert De Niro fraglos charismatisch verkörperte –
Stichwortgeber für Arthurs Entwicklung sind. Spannend ist die
Integration des stinkreichen Unternehmers und Philanthropen Thomas Wayne (mitsamt kurzer Auftritte seines Sohnes Bruce und
von Butler Alfred) in die phasenweise an "The Dark Knight Rises" erinnernde sozialkritische Handlung, der zwar keine große, aber doch eine ziemlich
entscheidende Rolle spielt. Unter Comicfans wird die überraschend enge
Verbindung zwischen dem Noch-nicht-Joker und den Waynes relativ zwiespältig
betrachtet, was letztlich für den gesamten Film gilt. Ein Grund dafür ist, daß
diese Origin-Geschichte schon angesichts des gewaltigen kommerziellen Erfolges
das Potential hat, fortan allgemein als "echter" Ursprung des Joker
zu gelten. Problematisch ist das nicht nur, weil es sich um eine komplett
eigenständige Geschichte ohne Vorlage in den Comics handelt, sondern vor allem
deshalb, weil es in den DC-Comics zu einer Art Running Gag geworden ist,
daß der Joker immer wieder neue Versionen seines Werdegangs erzählt und man
nicht weiß, welche davon der Wahrheit entspricht (wenn überhaupt). Für
Zuschauer, die (so wie ich) wenig Berührung mit Superhelden-Comics haben, ist das
natürlich ziemlich irrelevant, ich wollte es jedoch nicht unerwähnt lassen.
Bleibt noch die Frage, wie es weitergeht mit diesem Joker, mit Joaquin Phoenix
und Todd Phillips. Ursprünglich war "Joker" als
einmaliger Standlone-Film ohne Verbindung zum DC Extended Universe angekündigt
(in dem es ja bereits den in "Suicide Squad" von Jared Leto
gespielten Joker gibt, wenngleich der nicht allzu gut ankam und es fraglich ist, ob er noch einmal auftauchen wird), doch nach dem niemals
erwarteten Milliarden-Dollar-Erfolg – der global selbst Filme wie "Batman v Superman" oder "Justice League" in den Schatten stellte –,
sind Warner und DC selbstredend stark an einer Einbindung interessiert. Von
Phoenix und Phillips gab es bezüglich ihrer Rückkehr-Bereitschaft
recht widersprüchliche Aussagen, doch zum Zeitpunkt dieser Rezension scheint zumindest
Phillips zu einer weiteren Zusammenarbeit mit DC (wenn auch nicht zwangsläufig
über den Joker) bereit. Natürlich wäre es spannend, Phoenix' Joker auf
den neuen, von Robert Pattinson dargestellten Batman treffen zu lassen –
allerdings wäre es schwierig, das glaubwürdig hinzubekommen, da Pattinsons
erster Batman-Einsatz in der Gegenwart spielen soll und der Joker somit rund 40
Jahre älter als in "Joker" sein müßte. Eine Alternative wäre eine
Art "Joker-Universum" in der Prä-Batman-Ära (die TV-Serie
"Gotham" hat ja vortrefflich gezeigt, wie viel Potential ein
solches Setting hat) mit einer direkten "Joker"-Fortsetzung und
eventuell Spin-Offs zu anderen (späteren) Batman-Gegenspielern. Wie auch immer: Es
scheint – glücklicherweise! – schwer vorstellbar, daß wir Joaquin Phoenix nicht
noch einmal als Joker sehen werden.
Fazit: "Joker" ist die intensive, erstaunlich spät
eskalierende Charakterstudie eines späteren Superschurken, die dank grimmiger
"New Hollywood"-Atmosphäre und eines herausragenden Joaquin Phoenix
(trotz einer im Kern simplen Story sowie recht oberflächlicher Nebenfiguren) exzellent funktioniert.
Wertung: 8,5 Punkte.
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