Regie: James Kent, Drehbuch: Joe Shrapnel, Anna Waterhouse, Rhidian Brook, Musik: Martin Phipps
Darsteller: Keira Knightley, Jason Clarke, Alexander
Skarsgård, Flora Thiemann, Kate Phillips, Jannik Schümann, Martin Compston,
Alexander Scheer, Fionn O'Shea, Rosa Enskat, Anna Katharina Schimrigk, Jack
Laskey, Tom Bell, Abigail Rice, Ivan Shvedoff, Pip Torrens
FSK: 12, Dauer: 109 Minuten.
Ende 1945, fünf Monate nach der deutschen Kapitulation:
Rachael Morgan (Keira Knightley, "Colette") kommt aus Großbritannien
im zerbombten Hamburg an, wo ihr Gatte Colonel Lewis Morgan (Jason Clarke,
"Der große Gatsby") in leitender Position den Wiederaufbau der Stadt
und auch die Entnazifizierung verantwortet. Wohnen werden sie in einer schicken
Villa, deren Eigentümer Stefan Lubert (Alexander Skarsgård,
"Melancholia") enteignet wurde. Angesichts der Größe des Hauses
bietet Lewis Stefan und seiner Teenager-Tochter Freda (Flora Thiemann,
"Tigermilch") an, zu bleiben und das Dachgeschoß zu bewohnen. Während
Stefan das gerne annimmt und sich Lewis generell für ein harmonisches
Miteinander von Deutschen und Briten einsetzt, sind weder Rachael noch Freda
glücklich mit der neuen Wohngemeinschaft. Rachael hält noch immer alle
Deutsche für Feinde, was man ihr schwerlich verdenken kann, da ihr Sohn Opfer eines deutschen Luftangriffs wurde. Und Freda ist wütend, weil auch
ihre Mutter im Krieg starb und jetzt ihr und ihrem Vater einfach das Haus
weggenommen wird. Doch während Lewis wegen seiner wichtigen Tätigkeit häufig
unterwegs ist und Freda in den Bann des wenige Jahre älteren fanatischen
Hitler-Anhängers Bertie (Jannik Schümann, "Jugend ohne Gott") zu
geraten droht, nähern sich die einsame Rachael und Stefan einander immer
stärker an …
Kritik:
Bekanntlich herrscht kein Mangel an Kriegsfilmen jeglicher Form und Farbe (Anti-Kriegsfilme, Action-Kriegsfilme, Propagandafilme,
Kriegsromanzen, Kriegsdramen) – im Vergleich dazu ist die Anzahl der Filme, die
sich der unmittelbaren Nachkriegszeit widmen, sehr gering. Das ist schade, da
die Nachkriegszeit – speziell auf den Zweiten Weltkrieg bezogen – zwar sicherlich
weniger spektakulär ist als die Kriegsgeschehnisse selbst, aber doch jede Menge
Potential für das Erzählen interessanter, spannender oder bewegender
Geschichten bietet. Als Beleg dafür dienen vorwiegend Filme, die selbst kurz
nach dem Kriegsende entstanden, beispielsweise die deutschen
"Trümmerfilme" wie "Die Mörder sind unter uns", viele Klassiker des italienischen Neorealismus wie "Rom, offene Stadt",
"Fahraddiebe" oder "Deutschland im Jahre
Null", das US-amerikanische Hochglanzdrama "Die besten Jahre unseres
Lebens", der japanische "Engel der Verlorenen" oder der
britische Kultfilm "Der dritte Mann" – alle kamen vor 1950 in die
Kinos. Danach entstanden Nachkriegsfilme wesentlich seltener, brachten jedoch
weiterhin gelegentlich Meisterwerke wie "Das Urteil von Nürnberg",
"Hiroshima, mon amour" oder zuletzt den OSCAR-Nominee
"Cold War" aus Polen hervor. In diese illustre Schar reiht sich die elegante
britische Nachkriegs-Romanze "Niemandsland – The Aftermath" leider
nicht ein – sie muß sich eher in der "ganz nett"-Gruppe einsortieren,
zu der Werke wie "The Good German", "Der Vorleser" oder
"Es war einmal in Deutschland …" zählen.
Das ist bedauerlich, denn die Voraussetzungen für einen
richtig guten Film waren eigentlich gegeben mit einer erfolgreichen, eine
komplexe Geschichte erzählenden Romanvorlage (deren Autor Rhidian Brook an der Drehbuch-Adaption mitgewirkt hat), einer guten Besetzung um die wie
für Historienfilme geschaffene Keira Knightley und einem Regisseur, der nach
vielen Jahren im TV-Bereich 2014 mit dem historischen romantischen Drama
"Testament of Youth" ein sehr vielversprechendes Kinodebüt im gleichen
Genre gab. Und zweifellos ist "Niemandsland" eine gediegene Romanze,
die edel aussieht und durchgehend stark gespielt ist. Das Problem liegt
in einem Drehbuch, das zu viele Handlungsstränge in 100 Minuten quetschen
möchte und es dabei versäumt, auch nur bei einem davon (oder den Figuren) wirklich in
die Tiefe zu gehen. Dabei macht Kent eigentlich in der ersten Filmhälfte einen ordentlichen
bis guten Job mit der Etablierung besagter Storyfäden. Das zerbombte Hamburg wird glaubwürdig gezeigt mit all den Problemen, die
unmittelbar aus dem Krieg resultieren (Mangelernährung, Mangel an intaktem
Wohnraum, es werden immer noch Leichen aus den Trümmern ausgegraben), wie auch
jenen, die Folge der britischen Besatzung sind. Während Lewis auffällig
empathisch ist, Menschen helfen will und auf die Versöhnung der bis vor
kurzem so verfeindeten Völker setzt, herrschen sowohl auf britischer als auch
deutscher Seite noch die gegenseitigen Ressentiments vor. Das ist kaum
verwunderlich, schließlich sind auf deutscher Seite größtenteils Zivilisten
betroffen, die nicht direkt an Kampfhandlungen beteiligt waren, aber
trotzdem im Mittelpunkt des alliierten Bombardements mit zehntausenden Toten standen. Auf
der anderen Seite ist es natürlich auch für die britischen Soldaten eine
komplizierte Aufgabe, vom verlustreichen Auf-Leben-oder-Tod-Kampfmodus auf eine
eher neutrale Aufseherfunktion über den bisherigen Feind umzuschalten, zumal
es noch Anschläge von unverbesserlichen Fanatikern gibt. Das Publikum
beobachtet die Zwistigkeiten aus den Augen von Neuankömmling Rachael, die von den offiziellen Broschüren weiß, in denen eindringlich
vor "Verbrüderung" mit den Deutschen gewarnt wird – kein Wunder, daß
sie von Lewis' Idee, die Luberts im Haus wohnen zu lassen, wenig begeistert
ist.
Unglücklicherweise baut "Niemandsland" diese mühsam etablierte
Ausgangssituation, aus der man doch jede Menge moralische oder philosophische Facetten hätte herausarbeiten können, im Handlungsverlauf kaum aus. Speziell in der zweiten Hälfte
rückt die Nachkriegsthematik immer stärker in den Hintergrund zugunsten der
zentralen, ziemlich generischen und von der etwas zuckrigen Musik von
Martin Phipps ("Die Frau in Gold") untermalten Dreiecksbeziehung. Die
ist zwar von Clarke, Skarsgård und vor allem der gewohnt leidenschaftlich aufspielenden Knightley überzeugend interpretiert,
entwickelt sich jedoch etwas zu schnell und zu drastisch, um völlig glaubwürdig rüberzukommen – zumal es speziell zwischen Knightley und Skarsgård
nicht wirklich erotisch aufgeladen knistert (eine Sexszene mit offensichtlichem Körperdouble für Knightley ist dabei auch nicht hilfreich).
Überhaupt entwickeln sich für eine Dreiecksgeschichte dieser Art erstaunlich wenige Emotionen, was keineswegs nur der inhärenten Zurückhaltung
der Figuren geschuldet ist. So ist es kein Wunder, daß sich die mit Abstand
bewegendste, anrührendste und wahrhaftigste Szene ganz ohne männliche
Beteiligung zwischen Rachael – einer Mutter, die ihr Kind verloren hat – und
Freda – dem Kind, das die Mutter verloren hat – abspielt. Abgesehen von diesem
wirklich stark gespielten Moment kommt man den handelnden Figuren kaum einmal
nahe. Das liegt in erster Linie daran, daß sie im Grunde genommen nur durch das
charakterisiert werden, was sie verloren haben. Davon abgesehen erfahren wir so
gut wie nichts über sie: Ja, Rachael spielt Klavier, Stefan ist Architekt
(wohl ohne Nazi-Hintergrund) und Lewis sorgt sich aufrichtig um die Bevölkerung von Hamburg, für die er sogar seine eigene Frau vernachlässigt (wobei
es dafür noch einen anderen Grund gibt, der erst am Ende enthüllt wird,
aber relativ leicht zu erraten ist). Das reicht einfach nicht aus, um
wirklich eine Verbindung zum Publikum aufzubauen; trotz aller involvierter
Tragik fühlt man lediglich bedingt mit, zumal auch die Dialoge eher
an der Oberfläche bleiben. Hätte man mehr Zeit auf die Figurenzeichnung
verwendet und dafür vielleicht einen oder zwei Nebenhandlungsstränge
weggelassen (der um Freda und Bertie beispielsweise kommt arg plakativ und
klischeehaft daher), wäre das Resultat wahrscheinlich besser ausgefallen. Wobei man
sagen muß: Eine solche Dreiecksgeschichte funktioniert so oder ähnlich
letztlich an jedem Ort und zu jeder Zeit, dafür hätte man nicht ein so
außergewöhnliches und im Kino selten thematisiertes Setting verschwenden müssen. Auch wenn der Film vor allem dank seiner Schauspieler trotzdem ordentlich unterhält.
Fazit: "Niemandsland – The Aftermath" ist
eine elegante, aber zu oberflächliche und inhaltlich etwas überladene
Edelromanze, die ihr spannendes Nachkriegssetting nach verheißungsvollem Auftakt vergeudeut
und in erster Linie schauspielerisch überzeugt.
Wertung: 6,5 Punkte.
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