Regie: Wash Westmoreland, Drehbuch: Richard Glatzer, Rebecca
D. Lenkiewicz und Wash Westmoreland, Musik: Thomas Adès
Darsteller:
Keira Knightley, Dominic West, Denise Gough, Fiona Shaw, Robert Pugh, Johnny K. Palmer, Al
Weaver, Ray Panthaki, Dickie Beau, Eleanor Tomlinson, Julian
Wadham, Aiysha Hart, Rebecca Root
FSK: 6, Dauer: 112 Minuten.
Im Paris der späten 1890er Jahre ist der Enddreißiger Henry Gauthier-Villars (Dominic West, "Centurion") unter dem Künstlernamen Willy eine stadtbekannte Persönlichkeit. Als Autor
und Musikkritiker ist der ebenso charismatische wie großspurige Tausendsassa recht einflußreich, auch wenn in Wirklichkeit wenig tatsächlich seiner
Feder entstammt, was unter seinem Namen veröffentlicht wird. Vielmehr führt er,
wie er selbst es privat ausdrückt, einen Literaturbetrieb, der jedoch
dummerweise nicht genügend Geld einbringt, um die Gehälter seiner Ghostwriter
sowie seinen ausschweifenden Lebensstil zu finanzieren. Da trifft es sich gut,
daß Willys 14 Jahre jüngere, auf dem Land aufgewachsene Gattin Gabrielle
Colette (Keira Knightley, "The Imitation Game") sich als sehr talentierte Schriftstellerin erweist, deren vergleichsweise pikante
ländliche Jugenderinnerungen Willy unter seinem Namen veröffentlicht und die
sich in Windeseile zum Bestseller und Stadtgespräch entwickeln. Colette
allerdings ist auf Dauer nicht damit zufrieden, daß ihr Gatte die Lorbeeren
einheimst, zudem hat sie wenig Interesse daran, Fortsetzungen ihrer "Claudine"-Geschichten
zu schreiben, sondern will lieber das tun, was ihr gefällt …
Kritik:
Keira Knightley und historische Rollen: wahrlich
eine fruchtbare Liebesbeziehung – zumindest, wenn man "historisch" im
Sinne von "einer früheren Epoche angehörend" (wie es im Duden heißt)
definiert, denn sie hat mehr literarische oder komplett neu erfundene
historische Rollen gespielt als daß sie reale Personen der Geschichte
verkörpert hätte. Definitiv beherrscht sie aber beides außerordentlich gut, wie
sie u.a. in "Stolz und Vorurteil", "Die Herzogin", "Abbitte",
"Eine dunkle Begierde", "Anna Karenina" und sogar der
"Fluch der Karibik"-Reihe bewiesen hat. So ist es alles andere als
überraschend, daß Keira Knightley in Wash Westmorelands ("Still Alice")
so elegantem wie schwungvollen Künstler-Biopic einmal mehr eine Glanzleistung abliefert, indem sie die Entwicklung eines unerfahrenen, jedoch
ehrgeizigen jungen Mädchens vom Lande zu einer der berühmtesten
Schriftstellerinnen und Varietékünstlerinnen Frankreichs ebenso
leidenschaftlich wie glaubwürdig auf die Leinwand bannt. Westmoreland ist klug
genug, seinen dramaturgisch eher konservativ gehaltenen Film ganz auf seinen Star auszurichten, der auch manche kleinere Drehbuch-Mängel mit
Verve überspielt.
Fühlt man sich in den ersten Minuten noch an Jane Austen erinnert mit
dem ländlichen Setting und der Anbahnung einer Hochzeit, ändert sich der
Tonfall doch rasch. Mit besagter Hochzeit wechseln wir nämlich nach Paris und
in der französischen Hauptstadt der Bohéme flirrt es zu dieser Zeit geradezu
vor künstlerischer Energie, gemischt mit einem guten Anteil Dekadenz. Für
Colette ist das elitäre, von den einschmeichelnden Melodien des Filmmusik-Debütanten Thomas Adès (sowie klassischen Stücken – darunter einige Walzer – von zeitgenössischen französischen Komponisten wie Debussy, Satie oder Bizet) schön untermalte Großstadtleben, in das ihr Mann sie einführt,
ungewohnt, aber aufregend, einschüchternd und teilweise sogar
abschreckend, aber gleichzeitig inspirierend. Beim Versuch, sich einzugewöhnen,
ist ihr Willy allerdings keine richtig große Hilfe, denn ähnlich wie das
Publikum bemerkt auch Colette recht schnell, daß Willys vermeintliche Grandeur
und sein pompöses Auftreten in Wirklichkeit vor allem von seiner bemerkenswerten
Mittelmäßigkeit ablenken sollen. Und die Schau, die Willy – die Art
Persönlichkeit, die man gerne "überlebensgroß" betitelt – vor
der Pariser Prominenz abzieht, ist in der Tat so eindrucksvoll, daß er damit durchkommt,
ohne entlarvt zu werden oder anderweitig auf die Nase zu fallen. Anders sieht
das natürlich in seinem engsten Umfeld aus: Die beiden Ghostwriter Veber (Ray
Panthaki, "28 Days Later") und Schwob (Al Weaver, "Marie Antoinette") werden nur unregelmäßig bezahlt, da der
aufbrausende und selbstgerechte Willy fast sein ganzes Geld verspielt oder
verhurt, und verstehen sich besser mit der freundlichen Colette;
ähnlich sieht es später bei Willys Sekretär Paul Héon (Johnny K. Palmer) aus.
So bleiben Colette die Defizite ihres Gatten selbstredend nicht verborgen, was
für ihren Lebensweg aber ironischerweise sehr hilfreich ist. Ohne Willys
chronische Geldnot hätte sie vielleicht nie gewagt, selbst ein Buch zu
schreiben – für eine Frau dieser Ära immer noch ein sehr gewagtes Vorhaben
ohne große Erfolgsaussichten –, ebenso hätte sie ohne Willys stete Fremdgeherei womöglich nie ihre eigene Sexualität hinterfragt und deshalb auch
nicht herausgefunden, daß sie sich zu Frauen wie der sich betont maskulin gerierenden Adligen Missy (Denise Gough, "Juliet, Naked") hingezogen fühlt.
Zugegeben, überragend innovativ wird Colettes Wandlung hin zu
einer Vorreiterin der weiblichen Selbstbestimmtheit nicht dargestellt und
erklärt, aber Wash Westmorelands recht konservative Herangehensweise an sein
Biopic sorgt als Folge der schwungvollen und temperamentvollen Inszenierung im
Verbund mit zwei großartigen Hauptdarstellern zweifellos dafür, daß man sich gut unterhalten fühlt. Denn, das soll nicht verschwiegen werden, auch der verläßliche Dominic West zeigt als Willy eine starke Vorstellung – zwar
lädt seine Rolle nicht zu einer hochgradig subtilen Schauspielkunst ein,
doch gerade im von flotten Dialogduellen geförderten Spiel mit Keira
Knightley beweist er, daß er seiner jüngeren, aber in Sachen anspruchsvolle
Hauptrollen ungleich erfahreneren Kollegin durchaus gewachsen ist. Dabei mag
das durchgehend hoch gehaltene Erzähltempo ein wenig zu offensichtlich dazu dienen,
den mittelmäßig ausgeprägten Tiefgang in der Figurenzeichnung zu
übertünchen, aber das funktioniert dennoch ziemlich gut und ist deshalb absolut
legitim. Schon eher bedauerlich ist es, daß – ein typisches Problem
chronologisch erzählter Biopics – die Handlung mitunter etwas anekdotenhaft
wirkt, was bei der amüsanten, jedoch inhaltlich wenig ergiebigen Episode rund um
die sowohl von Willy als auch Colette begehrte schöne Amerikanerin Georgie
(Eleanor Tomlinson, TV-Serie "Poldark") besonders offenbar wird.
Zudem wirkt die Abhandlung von Colettes wichtigen Lebensstationen in der
zweiten Filmhälfte zunehmend ein wenig gehetzt, worunter vor allem die Nebenfiguren leiden und was angesichts ihres
ereignisreichen Lebens sehr bedauerlich ist. Sowieso endet der Film für ein
Biopic relativ früh in Colettes Leben, wiewohl der konkrete Zeitpunkt fraglos
gut und aussagekräftig gewählt ist. Trotzdem: Im Grunde genommen könnte man sich hier gut eine Fortsetzung vorstellen – und ich würde sie mir sicher ansehen ...
Fazit: "Colette" ist ein nicht übermäßig in
die Tiefe gehendes, aber jederzeit unterhaltsames und beschwingtes
Künstler-Biopic mit einer wieder einmal in einer historischen Rolle grandios
aufspielenden Keira Knightley.
Wertung: 8 Punkte.
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