Regie: Anna Boden und Ryan Fleck, Drehbuch: Anna Boden, Ryan
Fleck, Geneva Robertson-Dworet, Musik: Pinar Toprak
Darsteller: Brie Larson, Samuel L. Jackson, Jude Law, Ben
Mendelsohn, Lashana Lynch, Clark Gregg, Annette Bening, Djimon Hounsou, Gemma
Chan, Rune Temte, Algenis Perez Soto, Lee Pace, Chuku Modu, Mckenna Grace, Colin
Ford, Kenneth Mitchell, Matthew Maher, Vik Sahay, Duane Henry, James Morrison,
Chris Evans, Scarlett Johansson, Don Cheadle, Mark Ruffalo, Stan Lee
Der intergalaktische Krieg zwischen den heroischen Kree
und den formwandelnden Skrull ist im vollen Gang. Die
"Starforce", eine tödliche Elitetruppe der Kree, wird auf die gefährliche
Mission gesandt, einen aufgeflogenen Undercover-Agenten und seine unter Lebensgefahr in jahrelanger Arbeit gesammelten Informationen über die Skrull zu retten.
Commander Yon-Rogg (Jude Law, "Phantastische Tierwesen 2") führt sein
sechsköpfiges Team an, doch sie geraten bald in einen Hinterhalt und die Kriegerin
Vers wird von einer Gruppe Skrull entführt. Deren Anführer Talos (Ben
Mendelsohn, "Die dunkelste Stunde") will von Vers Informationen über
einen revolutionären Überlichtantrieb haben – zu ihrer eigenen Überraschung
weiß Vers tatsächlich etwas darüber. Denn es stellt sich heraus, daß sie, die
vor sechs Jahren ohne Gedächtnis aufgefunden wurde, in Wirklichkeit die
menschliche Versuchspilotin Carol Danvers (Brie Larson, "Raum") ist,
deren Mentorin die undercover auf der Erde für die U.S. Air Force tätige Kree-Wissenschaftlerin Dr.
Wendy Lawson (Annette Bening, "Ruby Sparks") war. Bei einem folgenreichen Zwischenfall erlitt Carol nicht
nur ihre Amnesie, sondern verschmolz gewissermaßen mit Dr. Lawsons
Kree-Technologie, was ihr übermenschliche Fähigkeiten verlieh. Als Vers / Carol
auf der Suche nach ihrer wahren Identität die Erde des Jahres 1995 aufsucht, trifft sie schnell auf den
S.H.I.E.L.D.-Agenten Nick Fury (Samuel L. Jackson, "The Hateful 8") …
Kritik:
Leider mußte ich in obiger Inhaltsbeschreibung den
Handlungsverlauf ein wenig spoilern, da ich sonst in meiner Rezension nur über
das erste Filmdrittel schreiben könnte – wer jedoch die Berichterstattung über
diesen ersten Solofilm einer Superheldin im Marvel Cinematic Universe ansatzweise verfolgt hat, den wird wenig davon überraschen; zudem kann ich
versichern, daß die Story im Verlauf der zwei Stunden noch einige Wendungen einschlägt. Jedenfalls wurde es höchste Zeit für mehr
Frauenpower im MCU, auch wenn es ein wenig unfair erscheinen mag, daß nun die in der Post-Credits-Szene von "Avengers: Infinity War" vom S.H.I.E.L.D.-Direktor Nick Fury zu Hilfe gerufene Newcomerin
Captain Marvel (diese Bezeichnung wird übrigens im gesamten Film kein einziges
Mal verwendet) die Ehre des ersten Soloabenteuers erfährt, nicht die
altgediente, von Scarlett Johansson verkörperte Black Widow (die aber das zweite erhalten soll) – vielleicht war das den Verantwortlichen einfach zu naheliegend. Mit Captain Marvel wird somit rechtzeitig
vor dem Finale von Phase 3 des MCU in "Avengers: Endgame" eine
äußerst mächtige, vorwiegend außerhalb der Erde tätige Superheldin eingeführt,
gespielt auch noch von einer waschechten OSCAR-Gewinnerin. Und Brie Larson
macht ihre Sache in der munter die Genres wechselnden 1990er
Jahre-Origin-Story erwartungsgemäß gut, vor DC-Konkurrentin Gal Gadot als
Wonder Woman braucht sie sich keinesfalls zu verstecken. Dabei muß sie durchaus
mit Anfangsschwierigkeiten kämpfen, die aber nicht ihrer Leistung, sondern
dem zu Beginn arg holprigen Skript geschuldet sind, welches das bisherige
Independent-Regie-Duo (und Ehepaar) Anna Boden und Ryan Fleck ("Half Nelson")
gemeinsam mit Geneva Robertson-Dworet ("Tomb Raider") verfaßte und
das erst ab der Ankunft auf der Erde zu größerer Form aufläuft.
Erste Solofilme von MCU-Superhelden tun sich meistens etwas
schwer, schließlich ist es auf Dauer nicht so einfach, die Einführung eines neuen
Heroen und seiner Kräfte unterhaltsam und spannend zu gestalten und im
Idealfall auch noch mit einer originellen Handlung zu verweben. Zwar gab es
Ausnahmen ("Iron Man", "Doctor Strange"), aber
"Captain Marvel" zählt trotz eines recht ungewöhnlichen, nicht strikt chronologischen
Erzählansatzes und einer unübersehbaren Steigerung im Handlungsverlauf nicht
ganz dazu. Das liegt vor allem an dem sehr plötzlichen und zugleich unerwartet
zähen Beginn, denn wir werden ohne größere Erklärungen mitten in
einen epischen intergalaktischen Konflikt voller Namen, die höchstens eingefleischten Marvel-Fans
ein Begriff sein werden, hineingeworfen. Es fühlt sich beinahe so an, als würde man eine
Kinovorstellung besuchen, die bereits seit einer Stunde läuft: Man kommt sich
ziemlich verloren vor, versucht verzweifelt herauszufinden, welches Gesicht zu
welchem Namen gehört, was die genau tun und vor allem, worum zum Teufel es
eigentlich geht! Nein, einfach macht es "Captain Marvel" einem am Anfang
nicht, dabei ist das Team um den charismatischen Yon-Rogg, Vers, Scharfschützin Minn-Erva (Gemma Chan, "Jack Ryan")
und den aus "Guardians of the Galaxy" bekannten Korath (Djimon Hounsou) im Grunde
genommen sehr interessant und man könnte sich vorstellen, sie einen ganzen
Film lang bei ihren Weltraum-Abenteuern zu begleiten. Doch infolge des
Zeitmangels lernen wir sie kaum kennen, da schnell die erwähnte
Rettungsmission mitsamt recht unübersichtlich choreographierter Kampfszenen anläuft und die Kämpfer nach Vers' Gefangennahme durch die Skrull kaum
noch eine Rolle spielen.
Ironischerweise ist das aber insgesamt eine gute Nachricht,
denn sobald Vers auf der Erde ankommt und nach und nach wieder zu Carol wird,
macht "Captain Marvel" viel mehr Spaß und wirkt deutlich runder als bis dahin.
Das hätte ich im Vorfeld auch nicht gedacht, denn eigentlich liebe ich
Weltraum-Filme jeglicher Couleur und war beispielsweise bei
"Thor" sehr enttäuscht, als sich die Story auf die Erde
verlagerte. "Captain Marvel" ist gewissermaßen das Gegenstück zu
"Thor", denn wo Kenneth Branaghs Film nach starkem Beginn dann auf der
Erde ziemlich gewöhnlich wurde, legt "Captain Marvel" ab diesem
Zeitpunkt erst so richtig los. Verantwortlich dafür ist neben reichlich Humor
(natürlich gibt es auch ein paar typische Gags, die mit Vers' Unkenntnis der
Erde zusammenhängen) vor allem die sehr gelungene Buddy-Komponente mit Nick
Fury, denn der spätere S.H.I.E.L.D.-Boß begleitet Carol fast durchgehend. Da
Samuel L. Jackson nicht mehr wirklich wie ein Mittvierziger
aussieht, wurde sein Erscheinungsbild digital verjüngt. Das hatte Marvel
bereits in früheren Filmen erfolgreich getestet (Michael
Douglas in "Ant-Man"), hier wird das Verfahren aber erstmals
durchgehend bei einer Hauptfigur angewandt – und es funktioniert einwandfrei.
Nach der ersten Verblüffung, daß Jackson plötzlich wieder so aussieht wie in
"Pulp Fiction" (1994), gewöhnt man sich in Windeseile daran und nimmt
es schon bald kaum noch wahr (zumindest ging es mir so); wirklich erstaunlich
und vielleicht auch ein wenig erschreckend. Für den Film aber
natürlich gut, denn daß solche Technikspielereien einen schnell
unfreiwillig aus dem Geschehen herausreißen können, wenn sie nicht perfekt sind, bewiesen ja schon etliche
Filme, kürzlich etwa der computergenerierte Gouverneur Tarkin in "Rogue One" (wobei es etliche Zuschauer gab, denen das überhaupt nicht
auffiel). Jackson und Larson – die bereits in "Kong: Skull Island" zusammenspielten – harmonieren als Fury und Carol jedenfalls hervorragend miteinander und machen den vergleichsweise actionarmen zweite Akt zum Höhepunkt des Films, zumal eine heftige, wenngleich
für genaue Beobachter nicht komplett unvorhersehbare Wendung für reichlich
Spannung und Dramatik sorgt. Im Finale geht es qualitativ wieder etwas bergab,
da es das für Superheldenfilme so typische Actiongewitter gibt, welches aber nun mehr als solide in Szene gesetzt und dabei vor allem dank der von Fury
unterwegs aufgelesenen, sehr eigenwilligen Katze Goose ziemlich amüsant ist.
Besagte Wendung täuscht etwas darüber hinweg, daß die Story an sich nichts Besonderes ist und etliche Figuren ziemlich verschenkt
wirken. Das trifft vor allem auf die drei MCU-Rückkehrer neben Nick Fury zu, denn
weder die "Guardians of the Galaxy"-Alumni Ronan (Lee Pace) und Korath
noch der junge S.H.I.E.L.D.-Agent Phil Coulson (Clark Gregg wurde wie Jackson
digital verjüngt, was aber deutlich weniger auffällt, da Gregg sich in diesen
gut 20 Jahren gar nicht so sehr verändert hat) haben wirklich viel zu tun, es
sind letztlich nur bessere Cameos, die sie absolvieren. Das trifft ebenso auf
Annette Bening zu, ist aber bei einer solchen Mentorenrolle legitim. Schade ist
dagegen, daß selbst Jude Law als Yon-Rogg nach dem ersten Filmdrittel nur noch
sporadisch auftaucht. Es wäre keine Überraschung gewesen, hätte sich Jude Law als
Scenestealer des Films entpuppt (schließlich war er das oft in seiner
Karriere), doch diese Rolle übernimmt in "Captain Marvel" (neben
der Katze Goose) Ben Mendelsohn. Der zuletzt in Hollywood-Blockbustern auf
Bösewichter abonnierte Australier ("Ready Player One", "Rogue One") beweist einmal mehr – diesmal sogar in aufwendigem, reptilienhaften
Alien-Makeup –, daß er mit seinem süffisanten Charisma jede noch so
eindimensionale Figur zu einem Erlebnis machen kann. Wobei das auf den Skrull-Anführer
Talos erfreulicherweise gar nicht zutrifft, der entpuppt sich nämlich nach und
nach als überraschend dreidimensionale Person, die Carol und Fury locker auf
Augenhöhe begegnet und mit einigen herrlich trocken vorgetragenen Onelinern
glänzt. Bemerkenswert und durchaus erfreulich: Trotz der weiblichen Hauptfigur gibt
es keine romantischen Aspekte der Story, stattdessen spielt Carols Freundschaft zu Maria (Lashana Lynch, "Brotherhood"), einer weiteren Pilotin, eine größere Rolle. Das 1990er Jahre-Setting ist hingegen abseits
eines hörenswerten, alternative-lastigen Soundtracks (Nirvana, Garbage, No Doubt) und
einiger auf die veraltete Technik abzielender Gags weitestgehend
verschenkt.
Wer sich übrigens über den ungewöhnlich niedrigen IMDb-Wert von "Captain
Marvel" (während ich dies schreibe: 6,0) wundert: Der ist nicht zum ersten
Mal in ihrer Männlichkeit gekränkten Internet-Trollen zu verdanken, die nach
einigen unverblümten Äußerungen der offensiv für die Gleichberechtigung von Frauen in ihrer
Branche eintretenden Brie Larson nicht nur (natürlich fruchtlos) zum Boykott des Films
aufgerufen haben, sondern auch sämtliche Bewertungsseiten im Internet zu
Tausenden schon vor dem Kinostart mit Niedrigstbewertungen geflutet haben. Bis
der IMDb-Algorithmus die herausrechnet (wie auch etliche Höchstwertungen, die
quasi als ausgleichender Konter vergeben wurden), dürfte es einige Wochen bis
Monate dauern. Im Film selbst gibt es übrigens durchaus eine gewisse
feministische Komponente, die zwar nicht allzu subtil, aber inhaltlich nachvollziehbar
und keineswegs zu aufdringlich in die Handlung eingebaut ist. Mehr ist gar nicht nötig, da die Persönlichkeit von Captain Marvel für sich spricht und
sie auch dank einiger gekonnt epischer Einstellungen locker zu einer jener
Identifikationsfiguren für junge Mädchen taugt, von denen es für die Jungs bereits
so viele gibt. Die Musik zu "Captain Marvel" stammt übrigens
ebenfalls erstmals im MCU von einer Frau, der Score der türkischen
Komponistin Pinar Toprak (TV-Serie "Krypton") fügt sich in
das musikalische Gesamtgefüge des MCU nahtlos ein – wobei man sagen muß, daß die Musik
im MCU seit jeher keine solch dominante Rolle spielt wie häufig beim
großen Rivalen DC (etwa in der "Dark Knight"-Trilogie), sondern eher
begleitend eingesetzt wird. Und zu guter Letzt: Wie bei jedem MCU-Film gibt es zusätzliche Szenen,
in diesem Fall sind es deren zwei: Nach dem ersten Teil des Abspanns wird erwartungsgemäß
direkt zu "Avengers: Endgame" übergeleitet, die zweite Szene ganz am
Ende ist nur ein netter Gag.
Fazit: "Captain Marvel" führt eine enorm mächtige, mit außerirdischen Kräften ausgestattete Superheldin in das
Marvel Cinematic Universe ein, die nach ungewohnt zähem Auftakt beweist, daß sie eine echte Bereicherung für die Avengers sein kann.
Wertung: Knapp 8 Punkte (6 für das erste Drittel, 9
fürs zweite und 8 fürs dritte).
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