Originaltitel: Darkest Hour
Regie: Joe Wright, Drehbuch: Anthony McCarten, Musik: Dario
Marianelli
Darsteller: Gary Oldman, Kristin Scott Thomas, Lily James,
Ben Mendelsohn, Ronald Pickup, Stephen Dillane, Nicholas Jones, Samuel West,
David Schofield, David Bamber, Pip Torrens, Richard Glover, Hannah Steele, Faye
Marsay, David Strathairn (Stimme)
FSK: 6, Dauer: 126 Minuten.
Mai 1940: Während Hitlers Armeen immer größere Teile
Kontinentaleuropas erobern, sieht sich in Großbritannien der konservative
Premierminister Neville Chamberlain (Ronald Pickup, "The Happy Prince") zum Rücktritt gezwungen.
Angesichts des drohenden Krieges mit Deutschland soll eine Allparteienregierung eingesetzt
werden, die Labour-Opposition ist dazu jedoch nicht unter der Führung
Chamberlains bereit, dessen beschwichtigende Politik
gegenüber Hitler für die mangelnde Kriegsbereitschaft des
Königreichs verantwortlich gemacht wird. Während sich Chamberlains Parteifreunde
den ehrgeizigen Außenminister Viscount Halifax (Stephen Dillane, "The Hours") als neuen
Premierminister wünschen, ist dem wie auch Chamberlain klar, daß die Opposition
nur einen Konversativen an der Spitze der Regierung dulden wird: Winston
Churchill (Gary Oldman, "Dame, König, As, Spion"). Der frühere Schatzkanzler ist in der Partei unbeliebt und
als Kriegstreiber verschrieen, doch weil er der einzige hochrangige Politiker
ist, der seit Jahren lautstark vor der Gefahr, die vom Hitler-Regime ausgehe, gewarnt
hatte, wird nur er von der Labour-Partei akzeptiert. Widerwillig überträgt
König George VI. (Ben Mendelsohn, "Rogue One") dem ruppigen,
ungehobelten und nicht selten vulgären Churchill das Amt – doch während
Churchill damit konfrontiert ist, wie er über 300.000 in Dünkirchen gestrandete alliierte Soldaten auf die britischen Inseln holen kann, arbeiten im Hintergrund
seine "Parteifreunde" bereits
an seinem schnellen Sturz …
Kritik:
Es gibt bereits eine Reihe von Filmen, Dokus und TV-Serien über den
legendären britischen Kriegs-Premierminister Winston Churchill, ohne den im Zweiten Weltkrieg Nazi-Deutschland womöglich nicht hätte gestoppt werden können (zumindest
nicht innerhalb Europas) – doch daß Joe Wrights ("Stolz und Vorurteil")
Biopic "Die dunkelste Stunde" im gleichen Jahr in die
Kinos kam wie Christopher Nolans "Dunkirk", ist ein sehr glücklicher
Zufall. Denn obwohl beide Projekte komplett unabhängig voneinander entstanden,
wirken sie wie Komplementäre, die für sich genommen bereits gute bis
herausragende Kinokunst bieten, aber erst im Zusammenspiel ein faszinierendes, einigermaßen vollständiges Bild der scheinbar aussichtslosen Situation im
Frühsommer 1940 in Frankreich und Großbritannien ergeben. Denn während Nolans
Film sich vorrangig den direkt am Kriegsgeschehen Beteiligten widmet – den
Soldaten, einigen Offizieren, aber auch zivilen Helfern –, stehen bei Joe Wright
die politischen Hintergründe im Fokus. Was Churchill in "Die dunkelste
Stunde" anordnet, wirkt sich ganz unmittelbar auf Nolans bewußt
austauschbare, da symbolisch eingesetzte Protagonisten aus und ohne seine
Entscheidungen würde "Dunkirk" einen ganz anderen, viel negativeren
Verlauf nehmen. Stilistisch unterscheiden sich beide Filme allerdings deutlich:
Wo Nolans "Dunkirk" in seiner selbstbewußten, durchaus
polarisierenden Unterordnung von Handlung und Figuren unter die authentische
Darstellung des Kriegsalltags Mut zur Innovation zeigt, geriert sich Anthony
McCartens ("Die Entdeckung der Unendlichkeit") Drehbuch doch
weitgehend konventionell, auch wenn Regisseur Wright das mit einigen Tricks ganz gut überspielt – und erst recht mit Gary Oldmans
fulminanter Darstellung des Vollblut-Politikers.
Wer nicht weiß, daß es der schlanke, elegante Oldman ist, der den stark übergewichtigen, ruppigen und
aufbrausenden Churchill verkörpert, der wird ihn kaum erkennen –
verantwortlich dafür zeichnet zuallererst die außergewöhnliche Arbeit
der japanischen Maskenbildner-Legende Kazuhiro Tsuji ("Hellboy",
"Der seltsame Fall des Benjamin Button", "Looper"), den
Oldman selbst dazu überredete, aus seinem seit 2012 andauernden Ruhestand
zurückzukehren; dafür belohnt wurde Tsuji mit seinem ersten OSCAR bei der dritten Nominierung. Doch das Äußere ist selbstredend nur ein Teil dessen, was
Churchill ausmacht, und keineswegs der wichtigste. Entscheidender ist
naturgemäß Gary Oldmans Darstellungskunst, der die ikonische Figur der
Zeitgeschichte mit viel Herz und vollem Körpereinsatz spielt und dafür völlig verdient seinen ersten Academy Award gewann. Dabei gelingt ihm
das Kunststück, Churchill gleichermaßen unverschämt und ordinär wie
humorvoll, charismatisch und sogar liebenswert zu portraitieren. Das ist umso
wichtiger, als Churchill in "Die dunkelste Stunde" so stark im
Mittelpunkt steht, daß alle Nebenfiguren – die auch dazu dienen,
den Protagonisten zu definieren – blaß bleiben. Kristin Scott Thomas
("Lachsfischen im Jemen") kann als Churchills Ehefrau Clemmie – die
ihren Gatten auch einmal zurechtweist, wenn es nötig ist, letztlich aber immer
treu an seiner Seite steht – noch am ehesten eigenes Profil entwickeln,
ansatzweise gelingt das auch Lily James ("Cinderella") in der im
Vergleich zur Realität etwas aufgewerteten Rolle von Elizabeth Layton, der auf
den ersten Blick wenig beneidenswerten neuen Sekretärin des für seine sehr schroffe
Art berüchtigten Premierministers.
Schlechter steht es um Winston Churchills Haupt-Gegenspieler Chamberlain
und Halifax, die als wenig ehrenvolle Intriganten
rüberkommen. Das unterstreicht nebenbei die Ironie dessen, daß wir hier mit
jemandem mitfiebern, der auch heute noch in einer ähnlichen Situation als
ein Kriegstreiber wahrgenommen würde, während wir hoffen, daß diejenigen, die Kriegshandlungen vermeiden wollen, scheitern. Der einzige Grund dafür
ist klar: Wir wissen heute, daß Churchill Recht hatte! Ob er nun wirklich der
einzige britische Politiker von Rang war, der fast von Beginn an Hitler
durchschaute, oder ob er bei jedem anderen Aggressor ebenso drastisch agiert
hätte, werden wir nie erfahren – aber eigentlich ist das auch egal, denn die
Geschichte steht nunmal zweifellos auf seiner Seite. Dennoch oder vielleicht
gerade deshalb finde ich es bedauerlich, daß Drehbuch-Autor McCarten sich einige künstlerische Freiheiten genommen hat respektive ziemlich viel
spekuliert. Gerade Chamberlain und Halifax werden allzu offensichtlich aus rein
dramaturgischen Gründen zu Antagonisten gemacht, was ihrer historischen Rolle –
nach allem, was man weiß – wohl nicht gerecht wird. Klar, ein Film, in dem
Churchill ohne größere interne Gegenwehr redet und plant und diskutiert und
sonst nicht viel passiert, wäre vermutlich etwas dröge; dennoch ist das ein
Kunstgriff, den ich nicht wirklich gutheißen kann und der sich auch in
einem leichten Punktabzug niederschlägt. Dies gilt umso mehr, als gerade die
letzte halbe Stunde schon etwas sehr in Pathos und Heldenverehrung übergeht. Zwar
befinde ich mich bei der Beurteilung ein wenig in einem Zwiespalt, da einige erfundene Szenen gut funktionieren – allen voran Churchills Fahrt in
der U-Bahn, in der er sich mit "Volkes Stimme" unterhält; ebenso der
wachsende Respekt zwischen Churchill und dem König –, aber ein gewisses
Grummeln im Magen bleibt bei mir definitiv.
Hinzu kommt, daß manche Nebenhandlungsstränge ziemlich
alibihaft wirken, wenn wir zum Beispiel einen kurzen Ausflug zu den
eingekesselten britischen Soldaten in Calais machen. Auch hier gilt: Das
entfaltet durchaus eine nicht zu verachtende
emotionale Wirkung, letztlich erscheint es aber halbherzig und eigentlich
verzichtbar. Unter dem Strich dient fast alles, was wir in den wenigen Szenen ohne
Churchill zu Gesicht bekommen, dem Bemühen, von der dem Biopic inhärenten
Monotonie abzulenken. Und das gilt sogar für etliche Szenen mit Churchill, bei
denen Wright einige seiner bewährten inszenatorischen Stilmittel einsetzt, von
der höchst atmosphärischen Ausleuchtung vieler Szenen (das britische Parlament
sah vermutlich noch nie so stimmungsvoll aus!) über die eleganten Kamerafahrten
bis hin zu einer gewissen ironischen Brechung des Gezeigten, die durch Dario
Marianellis ("Anna Karenina") verspielte, pianolastige Musik (die ebenso für einen OSCAR nominiert wurde) gekonnt akzentuiert wird. Letzten Endes ist jedoch sowieso alles, was Wright und McCarten aufbieten, um ihren
Film als mehr als jenes konventionelle, kammerspielartige Biopic zu
präsentieren, das es im Kern eindeutig ist, nur die Bühne für Gary Oldmans
großartige Schauspielkunst – deshalb wiegen die von mir angeführten
Kritikpunkte auch weniger schwer als man meinen würde, denn Oldman füllt seine
Rolle so meisterhaft und energiegeladen aus, daß man ihm einfach sehr
gerne zusieht.
Fazit: "Die dunkelste Stunde" ist ein
unterhaltsam, lebhaft und erstaunlich humorvoll in Szene gesetztes politisches
Kammerspiel, das mit seinem großartigen Hauptdarsteller Gary Oldman auftrumpft,
aber inhaltlich ziemlich konventionell bleibt und in den Details recht sorglos mit der
historischen Realität umgeht.
Wertung: Gut 7 Punkte.
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