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In eigener Sache: Mein neues Filmbuch

Einigen Lesern ist bestimmt aufgefallen, daß ich in der rechten Spalte meines Blogs seit längerer Zeit das Cover meines neuen Buchs präsen...

Mittwoch, 21. Februar 2018

DIE DUNKELSTE STUNDE (2017)

Originaltitel: Darkest Hour
Regie: Joe Wright, Drehbuch: Anthony McCarten, Musik: Dario Marianelli
Darsteller: Gary Oldman, Kristin Scott Thomas, Lily James, Ben Mendelsohn, Ronald Pickup, Stephen Dillane, Nicholas Jones, Samuel West, David Schofield, David Bamber, Pip Torrens, Richard Glover, Hannah Steele, Faye Marsay, David Strathairn (Stimme)
Die dunkelste Stunde
(2017) on IMDb Rotten Tomatoes: 84% (7,3); weltweites Einspielergebnis: $150,8 Mio.
FSK: 6, Dauer: 126 Minuten.

Mai 1940: Während Hitlers Armeen immer größere Teile Kontinentaleuropas erobern, sieht sich in Großbritannien der konservative Premierminister Neville Chamberlain (Ronald Pickup, "The Happy Prince") zum Rücktritt gezwungen. Angesichts des drohenden Krieges mit Deutschland soll eine Allparteienregierung eingesetzt werden, die Labour-Opposition ist dazu jedoch nicht unter der Führung Chamberlains bereit, dessen beschwichtigende Politik gegenüber Hitler für die mangelnde Kriegsbereitschaft des Königreichs verantwortlich gemacht wird. Während sich Chamberlains Parteifreunde den ehrgeizigen Außenminister Viscount Halifax (Stephen Dillane, "The Hours") als neuen Premierminister wünschen, ist dem wie auch Chamberlain klar, daß die Opposition nur einen Konversativen an der Spitze der Regierung dulden wird: Winston Churchill (Gary Oldman, "Dame, König, As, Spion"). Der frühere Schatzkanzler ist in der Partei unbeliebt und als Kriegstreiber verschrieen, doch weil er der einzige hochrangige Politiker ist, der seit Jahren lautstark vor der Gefahr, die vom Hitler-Regime ausgehe, gewarnt hatte, wird nur er von der Labour-Partei akzeptiert. Widerwillig überträgt König George VI. (Ben Mendelsohn, "Rogue One") dem ruppigen, ungehobelten und nicht selten vulgären Churchill das Amt – doch während Churchill damit konfrontiert ist, wie er über 300.000 in Dünkirchen gestrandete alliierte Soldaten auf die britischen Inseln holen kann, arbeiten im Hintergrund seine "Parteifreunde" bereits an seinem schnellen Sturz …

Kritik:
Es gibt bereits eine Reihe von Filmen, Dokus und TV-Serien über den legendären britischen Kriegs-Premierminister Winston Churchill, ohne den im Zweiten Weltkrieg Nazi-Deutschland womöglich nicht hätte gestoppt werden können (zumindest nicht innerhalb Europas) – doch daß Joe Wrights ("Stolz und Vorurteil") Biopic "Die dunkelste Stunde" im gleichen Jahr in die Kinos kam wie Christopher Nolans "Dunkirk", ist ein sehr glücklicher Zufall. Denn obwohl beide Projekte komplett unabhängig voneinander entstanden, wirken sie wie Komplementäre, die für sich genommen bereits gute bis herausragende Kinokunst bieten, aber erst im Zusammenspiel ein faszinierendes, einigermaßen vollständiges Bild der scheinbar aussichtslosen Situation im Frühsommer 1940 in Frankreich und Großbritannien ergeben. Denn während Nolans Film sich vorrangig den direkt am Kriegsgeschehen Beteiligten widmet – den Soldaten, einigen Offizieren, aber auch zivilen Helfern –, stehen bei Joe Wright die politischen Hintergründe im Fokus. Was Churchill in "Die dunkelste Stunde" anordnet, wirkt sich ganz unmittelbar auf Nolans bewußt austauschbare, da symbolisch eingesetzte Protagonisten aus und ohne seine Entscheidungen würde "Dunkirk" einen ganz anderen, viel negativeren Verlauf nehmen. Stilistisch unterscheiden sich beide Filme allerdings deutlich: Wo Nolans "Dunkirk" in seiner selbstbewußten, durchaus polarisierenden Unterordnung von Handlung und Figuren unter die authentische Darstellung des Kriegsalltags Mut zur Innovation zeigt, geriert sich Anthony McCartens ("Die Entdeckung der Unendlichkeit") Drehbuch doch weitgehend konventionell, auch wenn Regisseur Wright das mit einigen Tricks ganz gut überspielt – und erst recht mit Gary Oldmans fulminanter Darstellung des Vollblut-Politikers.

Wer nicht weiß, daß es der schlanke, elegante Oldman ist, der den stark übergewichtigen, ruppigen und aufbrausenden Churchill verkörpert, der wird ihn kaum erkennen – verantwortlich dafür zeichnet zuallererst die außergewöhnliche Arbeit der japanischen Maskenbildner-Legende Kazuhiro Tsuji ("Hellboy", "Der seltsame Fall des Benjamin Button", "Looper"), den Oldman selbst dazu überredete, aus seinem seit 2012 andauernden Ruhestand zurückzukehren; dafür belohnt wurde Tsuji mit seinem ersten OSCAR bei der dritten Nominierung. Doch das Äußere ist selbstredend nur ein Teil dessen, was Churchill ausmacht, und keineswegs der wichtigste. Entscheidender ist naturgemäß Gary Oldmans Darstellungskunst, der die ikonische Figur der Zeitgeschichte mit viel Herz und vollem Körpereinsatz spielt und dafür völlig verdient seinen ersten Academy Award gewann. Dabei gelingt ihm das Kunststück, Churchill gleichermaßen unverschämt und ordinär wie humorvoll, charismatisch und sogar liebenswert zu portraitieren. Das ist umso wichtiger, als Churchill in "Die dunkelste Stunde" so stark im Mittelpunkt steht, daß alle Nebenfiguren – die auch dazu dienen, den Protagonisten zu definieren – blaß bleiben. Kristin Scott Thomas ("Lachsfischen im Jemen") kann als Churchills Ehefrau Clemmie – die ihren Gatten auch einmal zurechtweist, wenn es nötig ist, letztlich aber immer treu an seiner Seite steht – noch am ehesten eigenes Profil entwickeln, ansatzweise gelingt das auch Lily James ("Cinderella") in der im Vergleich zur Realität etwas aufgewerteten Rolle von Elizabeth Layton, der auf den ersten Blick wenig beneidenswerten neuen Sekretärin des für seine sehr schroffe Art berüchtigten Premierministers.

Schlechter steht es um Winston Churchills Haupt-Gegenspieler Chamberlain und Halifax, die als wenig ehrenvolle Intriganten rüberkommen. Das unterstreicht nebenbei die Ironie dessen, daß wir hier mit jemandem mitfiebern, der auch heute noch in einer ähnlichen Situation als ein Kriegstreiber wahrgenommen würde, während wir hoffen, daß diejenigen, die Kriegshandlungen vermeiden wollen, scheitern. Der einzige Grund dafür ist klar: Wir wissen heute, daß Churchill Recht hatte! Ob er nun wirklich der einzige britische Politiker von Rang war, der fast von Beginn an Hitler durchschaute, oder ob er bei jedem anderen Aggressor ebenso drastisch agiert hätte, werden wir nie erfahren – aber eigentlich ist das auch egal, denn die Geschichte steht nunmal zweifellos auf seiner Seite. Dennoch oder vielleicht gerade deshalb finde ich es bedauerlich, daß Drehbuch-Autor McCarten sich einige künstlerische Freiheiten genommen hat respektive ziemlich viel spekuliert. Gerade Chamberlain und Halifax werden allzu offensichtlich aus rein dramaturgischen Gründen zu Antagonisten gemacht, was ihrer historischen Rolle – nach allem, was man weiß – wohl nicht gerecht wird. Klar, ein Film, in dem Churchill ohne größere interne Gegenwehr redet und plant und diskutiert und sonst nicht viel passiert, wäre vermutlich etwas dröge; dennoch ist das ein Kunstgriff, den ich nicht wirklich gutheißen kann und der sich auch in einem leichten Punktabzug niederschlägt. Dies gilt umso mehr, als gerade die letzte halbe Stunde schon etwas sehr in Pathos und Heldenverehrung übergeht. Zwar befinde ich mich bei der Beurteilung ein wenig in einem Zwiespalt, da einige erfundene Szenen gut funktionieren – allen voran Churchills Fahrt in der U-Bahn, in der er sich mit "Volkes Stimme" unterhält; ebenso der wachsende Respekt zwischen Churchill und dem König –, aber ein gewisses Grummeln im Magen bleibt bei mir definitiv.

Hinzu kommt, daß manche Nebenhandlungsstränge ziemlich alibihaft wirken, wenn wir zum Beispiel einen kurzen Ausflug zu den eingekesselten britischen Soldaten in Calais machen. Auch hier gilt: Das entfaltet durchaus eine nicht zu verachtende emotionale Wirkung, letztlich erscheint es aber halbherzig und eigentlich verzichtbar. Unter dem Strich dient fast alles, was wir in den wenigen Szenen ohne Churchill zu Gesicht bekommen, dem Bemühen, von der dem Biopic inhärenten Monotonie abzulenken. Und das gilt sogar für etliche Szenen mit Churchill, bei denen Wright einige seiner bewährten inszenatorischen Stilmittel einsetzt, von der höchst atmosphärischen Ausleuchtung vieler Szenen (das britische Parlament sah vermutlich noch nie so stimmungsvoll aus!) über die eleganten Kamerafahrten bis hin zu einer gewissen ironischen Brechung des Gezeigten, die durch Dario Marianellis ("Anna Karenina") verspielte, pianolastige Musik (die ebenso für einen OSCAR nominiert wurde) gekonnt akzentuiert wird. Letzten Endes ist jedoch sowieso alles, was Wright und McCarten aufbieten, um ihren Film als mehr als jenes konventionelle, kammerspielartige Biopic zu präsentieren, das es im Kern eindeutig ist, nur die Bühne für Gary Oldmans großartige Schauspielkunst – deshalb wiegen die von mir angeführten Kritikpunkte auch weniger schwer als man meinen würde, denn Oldman füllt seine Rolle so meisterhaft und energiegeladen aus, daß man ihm einfach sehr gerne zusieht.

Fazit: "Die dunkelste Stunde" ist ein unterhaltsam, lebhaft und erstaunlich humorvoll in Szene gesetztes politisches Kammerspiel, das mit seinem großartigen Hauptdarsteller Gary Oldman auftrumpft, aber inhaltlich ziemlich konventionell bleibt und in den Details recht sorglos mit der historischen Realität umgeht.

Wertung: Gut 7 Punkte.


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