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In eigener Sache: Mein neues Filmbuch

Einigen Lesern ist bestimmt aufgefallen, daß ich in der rechten Spalte meines Blogs seit längerer Zeit das Cover meines neuen Buchs präsen...

Dienstag, 12. Juni 2018

Klassiker-Rezension: ADIEU, BULLE (1975)

Originaltitel: Adieu poulet, DDR-Titel: Ungleiches Duell, US-Titel: The French Detective
Regie: Pierre Granier-Deferre, Drehbuch: Francis Veber, Musik: Philippe Sarde
Darsteller: Lino Ventura, Patrick Dewaere, Victor Lanoux, Claude Brosset, Claude Rich, Pierre Tornade, Julien Guiomar, Françoise Brion
Adieu Bulle
(1975) on IMDb Rotten Tomatoes: -; Zuschauerzahl in Frankreich: 1,95 Millionen
FSK: 16, Dauer: 87 Minuten.
Im korruptionsgeplagten nordfranzösischen Rouen wird der aufrechte Kommissar Verjeat (Lino Ventura, "Der Kommissar und sein Lockvogel") mit dem Fall eines erschlagenen jugendlichen Wahlkampf-Plakatierers betraut, der von Schergen des konkurrierenden, ehrgeizigen Politikers Lardatte (Victor Lanoux, "Ein Elefant irrt sich gewaltig") etwas zu heftig aufgemischt wurde – zudem wurde ein Polizist aus Verjeats Truppe, der als erster am Ort des Geschehens ankam, schwer verletzt. Natürlich will Lardatte nichts damit zu tun gehabt haben, doch Verjeat glaubt ihm kein Wort und ist entschlossen, ihm seine Beteiligung (oder zumindest stillschweigende Billigung) nachzuweisen. Als Verjeat sogar eine Geiselnahme in Lardattes Büro raffiniert dazu nutzt, den Politiker unter Druck zu setzen, bekommt er schnell die Konsequenzen zu spüren: Er wird befördert und ab der nächsten Woche nach Montpellier versetzt, also den Mächtigen in Rouen bequem aus dem Weg geschafft. Dies läßt Verjeat und seinem aufbrausenden jungen Kollegen Lefèvre (Patrick Dewaere, "Série noir") nicht viel Zeit, um den Fall abzuschließen …

Kritik:
Heutzutage dürften zumindest außerhalb Frankreichs selbst Filmfans nicht mehr viel mit dem Namen Patrick Dewaere anfangen können – dabei galt der fleißige frühere Kinderdarsteller ab seinem Durchbruch 1974 an der Seite von Gérard Depardieu in Bertrand Bliers kontroverser erotischer Gesellschaftssatire "Die Ausgebufften" als ein kommender Superstar. Daß daraus nichts wurde, hat zwei Gründe (die womöglicherweise zusammenhängen): einen folgenreichen Skandal und seinen frühen Tod. Der Skandal war, daß Patrick Dewaere 1980 einen Journalisten körperlich angriff, der über sein Privatleben berichtete – alles andere als nett selbstverständlich, aber die Konsequenz mutet aus heutiger Sicht doch einigermaßen überzogen an: Die gesamte französische Presse berichtete fortan nicht mehr über Dewaere – und wenn es einmal gar nicht anders ging, dann wurden nur seine Initialen genannt! Ob dieses Mobbing (anders kann man es unabhängig von der Vorgeschichte kaum nennen) zu Dewaeres Selbstmord zwei Jahre später (mit 35) beitrug, bleibt Spekulation, zumal es durchaus andere mögliche Ursachen (inklusive Drogenkonsums) gab – aber hilfreich war es sicher nicht. So oder so war es tragisch, einen so talentierten und charismatischen Schauspieler wie Patrick Dewaere dermaßen früh zu verlieren. Eine seiner schönsten Rollen spielte er an der Seite von Frankreichs Kinolegende Lino Ventura in Pierre Granier-Deferres ("Die Katze") unkonventionellem Kriminalfilm "Adieu, Bulle", der lose auf einem Roman von Raf Vallet basiert.

Der später selbst zum sehr erfolgreichen Regisseur avancierte Drehbuch-Autor Francis Veber ("Ein Käfig voller Narren", "Der Hornochse und sein Zugpferd") erzählt an sich eine ziemlich klassische Geschichte von aufrechten Polizisten, die sich durch einen Sumpf der Korruption wühlen müssen. Jedoch gibt es einige Elemente, die Granier-Deferres Werk von den meisten Genrekollegen (dieser Zeit) abheben. Da wäre beispielsweise die Tatsache, daß "Adieu, Bulle" phasenweise wie ein Buddy Cop-Film wirkt, obwohl die zumindest im Kino erst in den 1980er Jahren mit Werken wie "Nur 48 Stunden" oder "Lethal Weapon" richtig durchstarteten. Doch Verjeat und Lefèvre erfüllen die Anforderungen dieses Krimi-Subgenres ziemlich genau – Lino Ventura spielt mit seiner gewohnten grimmigen Souveränität den unbestechlichen, aber auch ziemlich sturen erfahrenen Kommissar, während Patrick Dewaere den eher etwas zwielichtigen, aufstrebenden Jung-Polizisten voller Energie und Lässigkeit interpretiert. Nicht umsonst meint Verjeat, sein unerfahrener Kollege wolle zugleich Gangster und Bulle sein. So unterschiedlich die beiden Figuren – wie auch ihre Darsteller – sein mögen, es macht einen Heidenspaß, dem merkwürdigen Duo bei seinen Ermittlungen zuzuschauen.

Die sind streng genommen nicht übermäßig aufregend, sondern bewegen sich weitestgehend in bekannten Krimibahnen, was auch daran liegen mag, daß die Laufzeit mit 85 Minuten nicht viel Raum läßt, um mehr als die "Basics" des Genres abzudecken – auch wenn das Ausmaß an Korruption, das hier geschildert wird und Verjeats Zynismus mehr als rechtfertigt, durchaus bemerkenswert ist. Als ein kleines Ärgernis erweist sich die Entscheidung, das Publikum bei Verjeats Versuch, die korrupten Mächtigen auszumanövrieren, außen vor zu lassen. Sein Plan ist zwar ziemlich raffiniert, angesichts der Umstände für das Publikum jedoch sehr leicht zu durchschauen – grundsätzlich wäre das kein Problem, würde der Film Verjeats Vorgehen nicht wie ein Geheimnis mit vermeintlich überraschender Auflösung behandeln. Da wäre es sinnvoller gewesen, die Zuschauer von Beginn an ins Vertrauen zu ziehen und am Plan gewissermaßen teilhaben zu lassen. Für Auflockerung sorgen derweil gelegentliche Anflüge von Humor, die sich überwiegend auf Lefèvres Eskapaden fokussieren – den größten Lacher verbucht allerdings Lino Ventura für sich, als sein sowieso schon mies gelaunter Kommissar Verjeat in einer politisch nicht ganz korrekten und streng genommen ziemlich albernen, aber trotzdem herrlichen Szene mit einer Gruppe Hare Krishna aneinandergerät. Im Storyverlauf scheinen diese humoristischen Einsprengsel dramaturgisch eigentlich unbedeutend, immerhin ist die erzählte Krimigeschichte ziemlich ernst. Umso überraschender kommt es, als sich schließlich herausstellt, daß sie sehr wohl ihren Sinn und Zweck haben und auf raffinierte Art eine brillante, hochgradig konsequente Endsequenz einleiten, die auszuspielen man sich auch erst einmal trauen muß! Zugegeben, nicht jeder wird das Ende mögen, aber ich bin aus dem Lachen kaum noch rausgekommen …

Fazit: "Adieu, Bulle" ist ein auf den ersten Blick recht gewöhnlicher, in Wirklichkeit erfrischend unkonventioneller Politkrimi mit zwei exzellenten Hauptdarstellern, leicht subversivem Humor und einer fabelhaften Endsequenz.

Wertung: 8 Punkte (plus 0,5 für das geniale Ende).


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