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In eigener Sache: Mein neues Filmbuch

Einigen Lesern ist bestimmt aufgefallen, daß ich in der rechten Spalte meines Blogs seit längerer Zeit das Cover meines neuen Buchs präsen...

Donnerstag, 22. Oktober 2020

CODE AVA – TRAINED TO KILL (2020)

Originaltitel: Ava
Regie: Tate Taylor, Drehbuch: Matthew Newton, Musik: Bear McCreary
Darsteller: Jessica Chastain, Colin Farrell, John Malkovich, Geena Davis, Jess Weixler, Joan Chen, Common, Diana Silvers, Ioan Gruffudd, Efka Kvaraciejus, Christopher J. Domig
Ava (2020) on IMDb Rotten Tomatoes: 16% (4,3); weltweites Einspielergebnis: $3,3 Mio.
FSK: 16, Dauer: 97 Minuten.

Ava Faulkner (Jessica Chastain, "Molly's Game") ist eine Auftragskillerin – allerdings eine mit einer Eigenheit, die ihre Auftraggeber überhaupt nicht zu schätzen wissen, denn bevor sie ihre Zielpersonen tötet, spricht Ava mit ihnen und fragt sie, warum jemand sie tot sehen will. Simon (Colin Farrell, "The Gentlemen"), leitender Direktor der Killer-Organisation, hält sie deshalb für ein unberechenbares Risiko, zumal Ava früher drogen- und alkoholabhängig war und vor zwei Jahren bereits einen Nervenzusammenbruch erlitt. Avas wie auch Simons Ausbilder und Mentor Duke (John Malkovich, "Der fremde Sohn") hält zwar die schützende Hand über Ava, dennoch ordnet Simon hinter Dukes Rücken Avas Eliminierung an. Die hat sich derweil nach einem mißglückten Auftrag – an dessen Scheitern sie keine Schuld traf – eine Auszeit genommen und besucht ihre Familie in Boston, die sie acht Jahre zuvor im Streit verlassen hatte. In der alten Heimat sieht sie nicht nur ihre kranke Mutter Bobbi (Geena Davis, "Thelma & Louise") und ihre jüngere Schwester Judy (Jess Weixler, "Es – Kapitel 2") wieder, sondern auch ihren Ex-Verlobten Michael (Common, "The Tale"), der nun mit Judy liiert ist …

Kritik:
Seit dem von Kapitel zu Kapitel anwachsenden Erfolg von "John Wick" mit Keanu Reeves als einzelgängerischem Action-Antiheld unternimmt Hollywood viele Anstrengungen, ein weibliches Pendant zum schweigsamen Ex-Auftragskiller aufzubauen – wobei der wie "John Wick" im Jahr 2014 veröffentlichte Überraschungs-Hit "Lucy" mit Scarlett Johansson dabei ebenso eine Rolle gespielt haben dürfte. Die Anstrengungen sind jedenfalls wenig verwunderlich, immerhin würde man mit einer populären Actionheldin verstärkt das ansonsten nicht allzu actionaffine weibliche Publikum ansprechen und könnte gleichzeitig die (statistisch belegbaren) Vorwürfe eines klaren Übergewichts männlicher Hauptdarsteller ein wenig entkräften. Das Problem dabei ist nur, daß die bisherigen Anstrengungen sehr begrenzt von Erfolg gekrönt waren. Genau genommen kann man eigentlich sogar nur "Atomic Blonde" mit Charlize Theron wirklich positiv herausstellen, der bei Kritikern und Publikum recht gut ankam und ein ordentlicher kommerzieller Erfolg war, weshalb eine Fortsetzung (die allerdings von Netflix produziert wird und deshalb voraussichtlich nicht regulär in die Kinos kommen wird) geplant ist. Andere namhafte Stars hatten weit weniger Glück: Weder Salma Hayek ("Everly", 2014) noch Jennifer Garner ("Peppermint", 2018) oder Taraji P. Henson ("Proud Mary", 2018) gelang es, die erhofften Franchises zu starten, vielmehr fielen ihre Versuche bei der Kritik durch und wurden vom Publikum weitestgehend igorniert, in Deutschland und vielen anderen Ländern schafften sie es gar nicht erst ins Kino. Einigermaßen überraschend reiht sich nun mit der zweifach OSCAR-nominierten Jessica Chastain ein echter schauspielerischer Hochkaräter mit Tate Taylors "Code Ava – Trained to Kill" in die unschöne Mißerfolgsliste ein.

Einigermaßen überraschend deshalb, weil man von einem Film mit Chastain, Colin Farrell und John Malkovich, inszeniert von "The Help"-Regisseur Tate Taylor, wohl niemals erwarten würde, er könne Schwierigkeiten haben, einen Kinostart zu erhalten. Angesichts der Veröffentlichung im Jahr 2020 könnte man den Heimkinostart in den meisten Staaten (inklusive der USA) auf die Folgen der Corona-Pandemie schieben – allerdings wurde "Code Ava" bereits 2018 gedreht und alleine die Tatsache, daß er bis Anfang 2020 nicht das Licht der Öffentlichkeit erblickte, zeigt, daß die Studioverantwortlichen offenbar wenig Vertrauen in ihr Produkt hatten. Die Skepsis ist nicht unberechtigt, vielleicht aber doch übertrieben – denn "Code Ava" trägt zwar schwer an Matthew Newtons überambitioniertem, unausgewogenen und von vielen Glaubwürdigkeits- und Logikmängeln betroffenen Drehbuch (der Australier sollte eigentlich auch Regie führen, verlor den Posten jedoch wegen Vorwürfen häuslicher Gewalt), ist aber trotzdem durchaus kurzweilig geraten und profitiert dabei von seiner starken Besetzung. Größter Schwachpunkt von "Code Ava" ist in der Tat die Ambition: Newton und Ersatz-Regisseur Taylor wollten offensichtlich nicht einfach nur einen geradlinigen Actionkracher abliefern, sondern ein Actiondrama mit Tiefgang, vergleichbar vielleicht mit Anton Corbijns "The American" mit George Clooney.

Dafür steht Avas komplizierte Familien- und Beziehungsgeschichte, die im irreführenden und zu viel über die Haupthandlung verratenden Trailer nicht grundlos fast komplett verschwiegen wird. Zwar ist der Ansatz zweifellos lobenswert, Ava etwas charakterliche Tiefe zu verleihen und es ist schon so, daß wir in eineinhalb Stunden wahrscheinlich mehr über die Person Ava Faulkner erfahren als beispielsweise in drei kompletten Filmen über John Wick. Dummerweise ist jedoch der Nutzen fürs Publikum, der sich daraus gibt, geringer als der Schaden für das Erzähltempo und den Unterhaltsamkeitsgrad. Avas Hintergrundgeschichte umfaßt zwar ein paar interessante Elemente und die beteiligten Schauspieler wie Geena Davis oder Common machen ihre Sache gut, allerdings können auch sie wenig daran ändern, daß Newton ein Beziehungsgeflecht wie in einer südamerikanischen Telenovela konstruiert hat: melodramatisch, übertrieben und nur wenig glaubwürdig. Zum Glück funktioniert der Auftragskiller-Teil von "Code Ava" weit besser, obwohl er ebenso mit einigen Fehlern zu kämpfen hat (und da ist die auf dem Kopf stehende deutsche Flagge auf der Uniform eines deutschen Soldaten noch das geringste Problem). Natürlich ist die Geschichte des Killers, der ins Visier seiner eigenen Auftraggeber gerät, alles andere als originell, auch wenn der Killer hier eine Killerin ist. Aber die Prämisse ist gewissermaßen ein dramaturgischer Evergreen, weil sie einfach funktioniert und brachiale Action ebenso ermöglicht wie beinahe altgriechisch anmutende Tragik (in diesem Fall unterstrichen dadurch, daß Dukes Lieblingszitat aus dem antiken Griechenland stammt).

In "Code Ava" sorgen diese erzählerischen und logischen Mängel für Ernüchterung, aber wenn man drei motivierte Weltstars in den Hauptrollen hat, kann man sich das auch leisten (obwohl es logischerweise besser wäre, täte man es nicht). Jessica Chastain, die auch als Produzentin beteiligt ist, gibt eine exzellente Actionheldin ab und abseits ihrer kämpferischen Fähigkeiten vermittelt sie als erfahrene Charakterdarstellerin auch die labile Psyche ihrer traumatisierten Figur sehr authentisch. Für John Malkovich ist die Rolle als väterlicher Mentor selbstredend ein Klacks, er wirkt in der Zuneigung zu Ava sympathisch, doch auch seine Gefährlichkeit scheint immer wieder durch, außerdem ist er trotz seines fortgeschrittenen Alters in eine der besten Kampfsequenzen involiert. Colin Farrell war derweil schon immer ein guter Filmschurke und das ist er auch hier, wobei er Simon nicht als wütenden Psychopathen anlegt, sondern eher als kühl berechnenden, emotionslosen Buchhalter des Todes – eine interessante Variation eines im Kern arg konventionellen Antagonisten. Problematisch ist, wie erwähnt, daß der zu große Fokus auf Avas Familien- und Beziehungsprobleme die Action immer wieder in den Hintergrund rücken läßt. Ein Action-Feuerwerk wie in anderen Genrevertretern darf man also nicht erwarten und die Kämpfe, die präsentiert werden, begeistern nur phasenweise. Zwei Action-Highlights gibt es jedoch vor dem Finale dank Avas Mission in einem saudischen Hotel, in dem sie einen deutschen General töten soll sowie mit dem angesprochenen Kampf mit Duke – die übrigen Auseinandersetzungen sind zur treibenden, aber unspektakulären Musik von Bear McCreary ("10 Cloverfield Lane") solide, aber auch ein wenig beliebig in Szene gesetzt – kein Vergleich zu den innovativen Kämpfen in den "John Wick"-Filmen, speziell in Teil 3. Immerhin gerät der Eins-zu-Eins-Showdown befriedigend, wiewohl er inhaltlich wenig Sinn ergibt. Das Ende deutet sogar an, in welche Richtung sich eine Fortsetzung entwickeln könnte, aber die dürfte es trotz eines guten Heimkino-Starts in den USA kaum geben – was ich sogar bedauere, denn trotz aller Schwächen ist "Code Ava" in seinen guten Phasen unterhaltsam und Jessica Chastain beweist, daß sie ein Action-Franchise problemlos schultern könnte.

Fazit: "Code Ava – Trained to Kill" ist ein sehr mittelmäßiger Actionfilm mit zu großem, eher schlecht als recht funktionierenden Dramaanteil und erheblichen Glaubwürdigkeitsmängeln, der dank einiger sehenswerter Kampfsequenzen und einer tollen Besetzung Genrefans trotzdem ordentlich unterhält.

Wertung: Eigentlich 6 Punkte, aber Genrefans dürfen einen Punkt aufschlagen.
 
"Code Ava" erscheint am 22. Oktober 2020 von EuroVideo Medien auf DVD und Blu-ray, das Bonusmaterial umfaßt neben dem Trailer ein nicht untertiteltes viertelstündiges "Behind the Scenes"-Featurette mit überschaubarem Informationsgehalt. Ein Rezensionsexemplar wurde mir freundlicherweise vom Entertainment Kombinat zur Verfügung gestellt.

 

Screenshots: © EuroVideo Medien

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