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In eigener Sache: Mein neues Filmbuch

Einigen Lesern ist bestimmt aufgefallen, daß ich in der rechten Spalte meines Blogs seit längerer Zeit das Cover meines neuen Buchs präsen...

Freitag, 7. Dezember 2012

ANNA KARENINA (2012)

Regie: Joe Wright, Drehbuch: Tom Stoppard, Musik: Dario Marianelli
Darsteller: Keira Knightley, Aaron Tayler-Johnson, Jude Law, Domhnall Gleeson, Matthew Macfadyen, Alicia Vikander, Kelly Macdonald, Olivia Williams, Ruth Wilson, Emily Watson, Holliday Grainger, Michelle Dockery, Susanne Lothar, Pip Torrens, Shirley Henderson, Steve Evets, Oskar McNamara, Luke Newberry, David Wilmot, Tannishtha Chatterjee, Bill Skarsgård, Cara Delevingne
 Anna Karenina
(2012) on IMDb Rotten Tomatoes: 63% (6,5); weltweites Einspielergebnis: $68,9 Mio.
FSK: 12, Dauer: 130 Minuten.

Im zaristischen Rußland des ausgehenden 19. Jahrhunderts hat sich die adlige Anna Karenina (Keira Knightley) in St. Petersburg mit ihrem Mann, dem einflußreichen Politiker Alexej (Jude Law), und dem gemeinsamen Sohn ein zufriedenes Leben eingerichtet. Als sie ins konservative Moskau reist, um bei einer Ehekrise zwischen ihrem Bruder, dem notorischen Frauenhelden Fürst Oblonskij (Matthew Macfadyen, "Die drei Musketiere"), und seiner Gattin Darja (Kelly Macdonald, "No Country for Old Men") zu vermitteln, lernt sie zufällig den jungen Offizier Graf Wronskij (Aaron Taylor-Johnson) kennen. Beide sind sofort voneinander fasziniert und beim abendlichen Ball sorgen sie vor der versammelten höheren Gesellschaft mit einem feurigen Tanz für Aufsehen. Annas Ehemann nimmt das relativ gelassen hin, warnt sie jedoch, daß er weitere Eskapaden dieser Art nicht werde hinnehmen können, da diese unweigerlich seiner politischen Karriere schaden würden ...

Kritik:
Leo Tolstois neben "Krieg und Frieden" berühmtester Roman wurde schon so oft verfilmt – am berühmtesten dürfte bis heute die Version mit Greta Garbo und Basil Rathbone aus dem Jahr 1935 sein (die allerdings aufgrund der damaligen Zensurvorschriften in den USA deutliche Abweichungen zum Buch aufweist) –, daß eine weitere Adaption zumindest in positiver Hinsicht eigentlich nur auf zweierlei Art und Weise noch für Aufsehen sorgen kann. Entweder, indem sie einen ganz neuen Ansatz wagt (auf die Gefahr hin, Tolstoi-Puristen zu verärgern), oder im Gegenteil mit einer besonders werktreuen Umsetzung der Vorlage. Der genreerfahrene britische Regisseur Joe Wright ("Stolz und Vorurteil", "Abbitte") dachte sich offenbar: Warum nicht beides zugleich? Sein Film hält sich ziemlich eng an Tolstois Geschichte, präsentiert diese jedoch in einem gewollt künstlichen Ambiente, indem große Teile der Handlung in einem großen Theatersaal stattfinden. Die Nähe zur Bühne wird zusätzlich dadurch unterstrichen, daß das Publikum gelegentlich sogar zu Gesicht bekommt, wie die Kulissen für eine neue Szene rasch ins Bild geschoben werden! Somit dient das Theater im Wortsinn als Bühne für glamouröse BälleOpernaufführungen und sogar ein Pferderennen – gleichzeitig versinnbildlicht es die bereits dem Untergang geweihte russische Adelsgesellschaft, deren Mitglieder durch Gruppenzwang in ein Korsett voller starrer Konventionen gepreßt werden, deren Mißachtung gleichsam zur Verbannung führt.

Auch aufgrund der wiederholten Kulissenwechsel ist Wrights "Anna Karenina" vor allem in den phantastischen ersten 30 Minuten ständig in Bewegung. Die von dem renommierten belgischen Tänzer und Choreographen Sidi Larbi Cherkaoui haargenau durchgeplanten und von sämtlichen Darstellern in minutiöser Kleinstarbeit einstudierten Tanzszenen zur sehr präsenten Musik von OSCAR-Gewinner Dario Marianelli ("Abbitte", "Jane Eyre") sind schlichtweg grandios und korrespondieren mit dem multiplen Liebesreigen der Handlung. Regisseur Wright und sein Team toben sich hier nach Herzenslust aus, bringen immer wieder kleine, originelle Details unter und gestalten in einer ganz eigenen Bildsprache perfekt harmonierende Szenenabfolgen. In dieser frühen Phase des gut zweistündigen Werks fühlt man sich unweigerlich an Baz Luhrmanns "Moulin Rouge" (einer meiner absoluten Lieblingsfilme) ohne die Gesangseinlagen erinnert.

Leider zieht Wright seinen Stil jedoch nicht konsequent bis zum Ende durch, stattdessen wird seine Inszenierung mit fortlaufender Dauer konservativer bis hin zu einem fast "normalen" Kostümfilm mit nur noch gelegentlichen stilistischen Ausbrüchen. Das ist grundsätzlich kein großes Problem, schließlich ist die Handlung erwiesenermaßen stark und letztlich auch zeitlos genug, um selbst eine völlig unspektakuläre Inszenierung zu tragen. Allerdings kann man sich des Gefühls nicht erwehren, daß Wright jenes Versprechen, das er in der begeisternden ersten halben Stunde macht, nicht gänzlich einlöst. Dafür entschädigen allerdings die prachtvolle Austattung, die OSCAR-reifen Kostüme und die starke Darstellerriege.

Wie eigentlich immer in Rollen im historischen Umfeld zeigt Keira Knightley ("Die Herzogin") in der Titelrolle eine herausragende Leistung. Ihre Anna Karenina ist zwar weniger würdevoll und distanziert als in Greta Garbos Interpretation, dafür verleiht Knightley der tragischen Heldin einen brennende Leidenschaft, die ihre rein gefühlsgesteuerten Entscheidungen einigermaßen nachvollziehbar macht. Denn Anna ist natürlich eine alles andere als einfache Protagonistin, die nur bedingt zur Identifikationsfigur für das Publikum taugt. Selbst die größten Romantiker werden ihre letztlich von purem Egoismus geleiteten Handlungen kaum bedenkenlos gutheißen können. Schließlich droht ihre zügellos ausgelebte Leidenschaft nicht nur ihr eigenes Leben zu zerstören, sondern auch das etlicher ihr nahestehender Personen. Wright, Drehbuch-Autor Tom Stoppard ("Shakespeare in Love") und Knightley beschönigen nichts, wenn sie zeigen, wie die zunehmend manische Anna einerseits selbstverschuldet an ihrer Weigerung zerbricht, ihre Gefühle zugunsten der Vernunft zu zügeln, andererseits aber ebenso an der bigotten, in Oberflächlichkeiten erstarrten russischen Adelsgesellschaft, die die Regelbrecherin Anna ihre geballte Verachtung gnadenlos spüren läßt.

Der erst 22-jährige Brite Aaron Taylor-Johnson ("Kick-Ass", "Savages") verkörpert den Grafen Wronskij recht sympathisch als feschen Galan. Seine Anziehungskraft auf das weibliche Geschlecht im Allgemeinen und auf Anna Karenina im Speziellen ist durchaus nachvollziehbar, wenngleich er doch noch sehr jugendlich wirkt. Beeindruckend agiert Jude Law ("Hugo Cabret") – der noch vor wenigen Jahren wohl eher als Wronskij besetzt worden wäre – als distanzierter Alexej Karenin, hinter dessen nach außen zur Schau getragener Gefühlsarmut sich eine durch Annas Verhalten zutiefst verletzte Seele verbirgt. Für den nötigen Schuß Humor sorgt Matthew Macfadyen als Annas älterer Bruder Stiwa, während die glücklichere Romanze zwischen dem idealistischen Gutsbesitzer Konstantin Ljewin (Domhnall Gleeson, "Harry Potter und die Heiligtümer des Todes") und der schönen Fürstentochter Kitty (Alicia Vikander, "Die Königin und der Leibarzt") ein Gegengewicht zur zentralen tragischen Liebesgeschichte bildet. Auch die weiteren Adelsrollen sind namhaft besetzt, beispielsweise ist als Kittys Mutter die im Juli 2012 verstorbene deutsche Schauspielerin Susanne Lothar ("Das weiße Band") in einer ihrer letzten Rollen zu sehen.

Fazit: Joe Wrights bildgewaltige und verschwenderisch ausgestattete Neuverfilmung von Leo Tolstois "Anna Karenina" ist vor allem zu Beginn ein rauschendes Fest für die Sinne, eine buchstäblich theatralische Umsetzung des Klassikers mit einer tollen Keira Knightley in der Titelrolle. Die zelebrierte Künstlichkeit der Szenerie und die melodramatische Story werden so manchen Zuschauer wohl eher verschrecken (vor allem bei Unkenntnis der literarischen Vorlage oder zumindest früherer Adaptionen), doch für Cineasten ist diese faszinierende Version der altbekannten Geschichte ein wahrer Genuß.

Wertung: 8,5 Punkte.


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