Regie: Joe
Wright, Drehbuch: Tom Stoppard, Musik: Dario Marianelli
Darsteller:
Keira Knightley, Aaron Tayler-Johnson, Jude Law, Domhnall Gleeson, Matthew Macfadyen, Alicia
Vikander, Kelly Macdonald, Olivia Williams, Ruth Wilson,
Emily Watson, Holliday Grainger, Michelle Dockery, Susanne Lothar, Pip Torrens,
Shirley Henderson, Steve Evets, Oskar McNamara, Luke Newberry, David Wilmot,
Tannishtha Chatterjee, Bill Skarsgård, Cara Delevingne

Im zaristischen Rußland des ausgehenden 19. Jahrhunderts hat
sich die adlige Anna Karenina (Keira Knightley) in St. Petersburg mit ihrem
Mann, dem einflußreichen Politiker Alexej (Jude Law), und dem gemeinsamen Sohn
ein zufriedenes Leben eingerichtet. Als sie ins konservative Moskau reist, um bei einer
Ehekrise zwischen ihrem Bruder, dem notorischen Frauenhelden Fürst Oblonskij
(Matthew Macfadyen, "Die drei Musketiere"), und seiner Gattin Darja (Kelly Macdonald, "No Country for Old Men") zu vermitteln,
lernt sie zufällig den jungen Offizier Graf Wronskij (Aaron Taylor-Johnson)
kennen. Beide sind sofort voneinander fasziniert und beim abendlichen Ball
sorgen sie vor der versammelten höheren Gesellschaft mit einem feurigen Tanz
für Aufsehen. Annas Ehemann nimmt das relativ gelassen hin, warnt sie jedoch,
daß er weitere Eskapaden dieser Art nicht werde hinnehmen können, da diese
unweigerlich seiner politischen Karriere schaden würden ...
Kritik:
Leo Tolstois neben "Krieg und Frieden" berühmtester
Roman wurde schon so oft verfilmt – am berühmtesten dürfte bis heute die
Version mit Greta Garbo und Basil Rathbone aus dem Jahr 1935 sein (die allerdings aufgrund der damaligen Zensurvorschriften in den USA deutliche Abweichungen zum Buch aufweist) –, daß eine
weitere Adaption zumindest in positiver Hinsicht eigentlich nur auf zweierlei Art und Weise noch für Aufsehen
sorgen kann. Entweder, indem sie einen ganz neuen Ansatz wagt (auf die Gefahr
hin, Tolstoi-Puristen zu verärgern), oder im Gegenteil mit einer besonders
werktreuen Umsetzung der Vorlage. Der genreerfahrene
britische Regisseur Joe Wright ("Stolz und Vorurteil",
"Abbitte") dachte sich offenbar: Warum nicht beides zugleich? Sein Film hält sich ziemlich eng an Tolstois Geschichte,
präsentiert diese jedoch in einem gewollt künstlichen Ambiente, indem große Teile
der Handlung in einem großen Theatersaal stattfinden. Die Nähe zur Bühne
wird zusätzlich dadurch unterstrichen, daß das Publikum gelegentlich sogar zu Gesicht
bekommt, wie die Kulissen für eine neue Szene rasch ins Bild geschoben werden! Somit dient das Theater im Wortsinn als Bühne für glamouröse Bälle, Opernaufführungen und sogar ein Pferderennen – gleichzeitig versinnbildlicht es die bereits dem Untergang
geweihte russische Adelsgesellschaft, deren Mitglieder durch Gruppenzwang in
ein Korsett voller starrer Konventionen gepreßt werden, deren Mißachtung gleichsam zur Verbannung
führt.
Auch aufgrund der wiederholten Kulissenwechsel ist Wrights "Anna Karenina" vor allem in den phantastischen ersten 30 Minuten ständig in Bewegung.
Die von dem renommierten belgischen Tänzer und Choreographen Sidi Larbi
Cherkaoui haargenau durchgeplanten und von sämtlichen Darstellern in minutiöser
Kleinstarbeit einstudierten Tanzszenen zur sehr präsenten Musik von OSCAR-Gewinner
Dario Marianelli ("Abbitte", "Jane Eyre") sind schlichtweg grandios und korrespondieren mit dem
multiplen Liebesreigen der Handlung. Regisseur Wright und sein Team toben sich
hier nach Herzenslust aus, bringen immer wieder kleine, originelle Details
unter und gestalten in einer ganz eigenen Bildsprache perfekt harmonierende Szenenabfolgen. In dieser frühen
Phase des gut zweistündigen Werks fühlt man sich unweigerlich an Baz Luhrmanns
"Moulin Rouge" (einer meiner absoluten Lieblingsfilme) ohne die
Gesangseinlagen erinnert.
Leider zieht Wright seinen Stil jedoch nicht konsequent bis zum Ende durch,
stattdessen wird seine Inszenierung mit fortlaufender Dauer konservativer bis
hin zu einem fast "normalen" Kostümfilm mit nur noch gelegentlichen
stilistischen Ausbrüchen. Das ist grundsätzlich kein großes Problem,
schließlich ist die Handlung erwiesenermaßen stark und letztlich auch zeitlos
genug, um selbst eine völlig unspektakuläre Inszenierung zu tragen. Allerdings kann man sich des Gefühls nicht erwehren, daß Wright jenes Versprechen, das er
in der begeisternden ersten halben Stunde macht, nicht gänzlich
einlöst. Dafür entschädigen allerdings die prachtvolle Austattung, die OSCAR-reifen
Kostüme und die starke Darstellerriege.
Wie eigentlich immer in Rollen im historischen Umfeld zeigt
Keira Knightley ("Die Herzogin") in der Titelrolle eine herausragende Leistung. Ihre Anna
Karenina ist zwar weniger würdevoll und distanziert als in Greta Garbos
Interpretation, dafür verleiht Knightley der tragischen Heldin einen brennende
Leidenschaft, die ihre rein gefühlsgesteuerten Entscheidungen einigermaßen
nachvollziehbar macht. Denn Anna ist natürlich eine alles andere als einfache Protagonistin, die nur bedingt zur Identifikationsfigur für das Publikum taugt.
Selbst die größten Romantiker werden ihre letztlich von purem Egoismus geleiteten
Handlungen kaum bedenkenlos gutheißen können. Schließlich droht ihre zügellos ausgelebte
Leidenschaft nicht nur ihr eigenes Leben zu zerstören, sondern auch das
etlicher ihr nahestehender Personen. Wright, Drehbuch-Autor Tom Stoppard
("Shakespeare in Love") und Knightley beschönigen nichts, wenn
sie zeigen, wie die zunehmend manische Anna einerseits selbstverschuldet an
ihrer Weigerung zerbricht, ihre Gefühle zugunsten der Vernunft zu zügeln,
andererseits aber ebenso an der bigotten, in Oberflächlichkeiten
erstarrten russischen Adelsgesellschaft, die die Regelbrecherin Anna ihre
geballte Verachtung gnadenlos spüren läßt.
Der erst 22-jährige Brite Aaron Taylor-Johnson ("Kick-Ass", "Savages") verkörpert den
Grafen Wronskij recht sympathisch als feschen Galan. Seine
Anziehungskraft auf das weibliche Geschlecht im Allgemeinen und auf Anna Karenina im Speziellen ist durchaus nachvollziehbar, wenngleich er doch noch sehr jugendlich
wirkt. Beeindruckend agiert Jude Law ("Hugo Cabret") – der noch vor wenigen Jahren wohl eher
als Wronskij besetzt worden wäre – als distanzierter Alexej Karenin, hinter
dessen nach außen zur Schau getragener Gefühlsarmut sich eine durch Annas
Verhalten zutiefst verletzte Seele verbirgt. Für den nötigen Schuß Humor sorgt
Matthew Macfadyen als Annas älterer Bruder Stiwa, während die
glücklichere Romanze zwischen dem idealistischen Gutsbesitzer Konstantin Ljewin
(Domhnall Gleeson, "Harry Potter und die Heiligtümer des Todes") und der schönen Fürstentochter Kitty (Alicia Vikander, "Die Königin und der Leibarzt") ein
Gegengewicht zur zentralen tragischen Liebesgeschichte bildet. Auch die
weiteren Adelsrollen sind namhaft besetzt, beispielsweise ist als Kittys Mutter
die im Juli 2012 verstorbene deutsche Schauspielerin Susanne Lothar ("Das weiße Band") in einer ihrer letzten Rollen zu
sehen.
Fazit: Joe Wrights bildgewaltige und verschwenderisch ausgestattete Neuverfilmung von Leo Tolstois
"Anna Karenina" ist vor allem zu Beginn ein rauschendes Fest für die
Sinne, eine buchstäblich theatralische Umsetzung des Klassikers mit einer tollen Keira Knightley in der Titelrolle. Die
zelebrierte Künstlichkeit der Szenerie und die melodramatische Story werden so manchen
Zuschauer wohl eher verschrecken (vor allem bei Unkenntnis der literarischen
Vorlage oder zumindest früherer Adaptionen), doch für Cineasten ist diese faszinierende
Version der altbekannten Geschichte ein wahrer Genuß.
Wertung: 8,5 Punkte.
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