Wie jedes Jahr beginnt die Awards Season (nach ein paar Indiepreisen, die für das OSCAR-Rennen eher von nachrangiger Bedeutung sind) auch 2018 so richtig mit der Bekanntgabe der Gewinner der vom altehrwürdigen National Board of Review vergebenen NBR Awards in der letzten November-Woche. Als erster großer Kritikerpreis haben die NBR Awards die Macht, Außenseiter (zumindest vorübergehend) in die Favoritenposition zu hieven und vermeintlichen Favoriten einen herben Dämpfer zu verpassen. Auch 2018 gibt es einige Überraschungen. Hier sind die wichtigsten Gewinner:
Bester Film: Green Book
Regie: Bradley Cooper, "A Star Is Born"
Schauspieler: Viggo Mortensen, "Green Book"
Schauspielerin: Lady Gaga, "A Star Is Born"
Nebendarsteller: Sam Elliott, "A Star Is Born"
Nebendarstellerin: Regina King, "If Beale Street Could Talk"
Original-Drehbuch: Paul Schrader, "First Reformed"
Adaptiertes Drehbuch: Barry Jenkins, "If Beale Street Could Talk"
Animationsfilm: Die Unglaublichen 2
Nicht-englischsprachiger Film: "Cold War", Polen
Dokumentarfilm: RBG
Es war schon einmal schwieriger, die großen Gewinner einer Preisverleihung zu identifizieren: "Green Book" und "A Star Is Born" teilen die wichtigsten Kategorien unter sich auf, die Indies "If Beale Street Could Talk" (von "Moonlight"-Schöpfer Barry Jenkins) und "First Reformed" (von "Taxi Driver"-Autor Paul Schrader) holen sich die verbleibenden Auszeichnungen abseits der Spezialkategorien. Bei "A Star Is Born" ist das keine ganz große Überraschung, immerhin galt Bradley Coopers Regiedebüt seit seiner Premiere als heißer OSCAR-Kandidat und das speziell in den Darstellerkategorien. Daß Lady Gaga und Sam Elliott im Januar mit OSCAR-Nennungen bedacht werden, ist jedenfalls ein realistisches Szenario, dessen Wahrscheinlichkeit durch die NBR Awards noch weiter erhöht wird. Daß Cooper zudem als bester Regisseur ausgezeichnet wird, ist schon etwas überraschender - wobei man bedenken muß, daß angesichts des frühen Termins noch nicht alle OSCAR-relevanten Filme der Jury präsentiert wurden. Trotzdem: Für Cooper ist das ein wichtiger Schub!
Auch Viggo Mortensen als bester Hauptdarsteller ist keine Sensation (wenngleich schon etwas überraschend), doch daß "Green Book" - die Tragikomödie erzählt die wahre Geschichte eines erfolgreichen schwarzen Musikers (der ebenfalls mit robusten OSCAR-Chancen ausgestattete Mahershala Ali), der zu Beginn der 1960er Jahre mit seinem weißen Fahrer (Mortensen) eine Tournee durch die noch stark vom Rassismus geprägten US-Südstaaten unternimmt - den Hauptpreis abstauben würde, damit war dagegen weniger zu rechnen. Klar, die Kritiken sind gut und es ist trotz der Rassismus-Thematik ein mutmachender Wohlfühlfilm, aber angesichts der starken Konkurrenz hätte man eher andere Filme mit dieser Trophäe erwartet, z.B. "Roma" oder "A Star Is Born", vielleicht auch "The Favourite", "BlacKkKlansman" oder sogar "Mary Poppins' Rückkehr". Sehr erwartet ausgefallen sind hingegen die Sieger in den letzten drei von mir aufgeführten Kategorien: Es würde wohl keinen überraschen, wenn "Die Unglaublichen 2", "Cold War" und "RBG" (über die amtierende Supreme Court-Richterin und Frauenrechtsikone Ruth Bader Ginsburg) am Ende auch den OSCAR gewinnen.
Zusätzlich zu den Siegern in den einzelnen Kategorien veröffentlicht das NBR traditionell auch eine (nur alphabetisch sortierte) Liste der 10 (weiteren) besten Filme des Jahres - ein guter Wegweister für die bis zu zehn Filme umfassende "Best Picture"-Kategorie bei den Academy Awards. Genannt werden 2018:
- The Ballad of Buster Scruggs
- Can You Ever Forgive Me?
- Eighth Grade
- First Reformed
- If Beale Street Could Talk
- Mary Poppins' Rückkehr
- Roma
- A Star Is Born
Auch hier gibt es keine ganz große Überraschung, wenngleich ich bezüglich der OSCAR-Chancen des Netflix-Westerns "The Ballad of Buster Scruggs" skeptisch bin - klar, die Coen-Brüder wurden schon oft nominiert (und ausgezeichnet), aber ob die Academy-Mitglieder ihre Netflix-Skepsis ausgerechnet für einen Episodenfilm vergessen, darf man getrost bezweifeln - vielleicht reicht es ja für die bei den Coens fast schon obligatorische Drehbuch-Nominierung. Ebenfalls eine Netflix-Produktion ist Alfonso Cuaróns "Roma", doch das intime Schwarzweiß-Drama hat dermaßen überragende Kritiken erhalten, daß es trotzdem viele OSCAR-Nennungen erhalten sollte und sogar eine Chance auf den Hauptpreis hat. Bei den Indie-Vertretern "Can You Ever Forgive Me?" (mit Melissa McCarthy in einer überschwänglich gelobten dramatischen Rolle), "Eighth Grade", "First Reformed" und "If Beale Street Could Talk" sind mit Sicherheit ebenfalls diverse Nominierungen zu erwarten (v.a. bei den Schauspielern und Drehbüchern), den ganz großen Wurf traue ich aktuell aber keinem zu. Ähnlich sieht es bei den Mainstream-Vertretern "Black Panther" und "A Quiet Place" aus, die zwar sehr beliebt sind und sich mit großer Wahrscheinlichkeit ein paar Nominierungen speziell in den technischen Kategorien ("A Quiet Place" etwa in den Ton-Kategorien) krallen werden, am Ende aber vermutlich doch wieder nicht als "Bester Film" nominiert werden. Bleiben noch "A Star Is Born", der - wie erwähnt - gute Aussichten hat, sowie der nach den ersten Pressescreenings vor ein oder zwei Wochen unerwartet zu einem ernsthaften Anwärter aufgestiegene "Mary Poppins' Rückkehr", von dem manche glauben, er wäre genau der richtige, märchenhaft-optimistische Filme für eine politisch dunkle Zeit. Aber einen klaren OSCAR-Favoriten gibt es jedenfalls noch nicht.
Zu den Filmen, die sich Sorgen machen müssen, nicht mal Teil der Top 10 zu sein, zählen: "Aufbruch zum Mond", "The Favourite", "A Beautiful Day" (immerhin in den Indie-Top 10), "BlacKkKlansman", "Widows" und "Vice" (von dem ich allerdings nicht ganz sicher bin, ob er den Stimmberechtigten rechtzeitig gezeigt wurde). Und der deutsche OSCAR-Beitrag "Werk ohne Autor" wird sich auch nicht freuen, nicht in den Auslands-Top 5 vertreten zu sein ...
Alle Gewinner kann man auf der NBR-Homepage nachlesen.
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