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In eigener Sache: Mein neues Filmbuch

Einigen Lesern ist bestimmt aufgefallen, daß ich in der rechten Spalte meines Blogs seit längerer Zeit das Cover meines neuen Buchs präsen...

Donnerstag, 22. November 2018

AUFBRUCH ZUM MOND (2018)

Originaltitel: First Man
Regie: Damien Chazelle, Drehbuch: Josh Singer, Musik: Justin Hurwitz
Darsteller: Ryan Gosling, Claire Foy, Jason Clarke, Kyle Chandler, Corey Stoll, Ciarán Hinds, Patrick Fugit, Lukas Haas, Christopher Abbott, Olivia Hamilton, Pablo Schreiber, Brian d'Arcy James, Shea Whigham, J. D. Evermore, John David Whalen, Ben Owen, Ethan Embry, Cory Michael Smith, Kris Swanberg
Aufbruch zum Mond (2018) on IMDb Rotten Tomatoes: 87% (8,1); weltweites Einspielergebnis: $105,7 Mio.
FSK: 12, Dauer: 142 Minuten.

USA, Anfang der 1960er Jahre: Nach dem Tod seiner kleinen Tochter braucht der Testpilot Neil Armstrong (Ryan Gosling, "Blade Runner 2049") dringend einen Tapetenwechsel. Also bewirbt er sich beim Astronautenprogramm der NASA, die im die Schlagzeilen während des Kalten Krieges bestimmenden Wettlauf zum Mond mit der Sowjetunion ziemlich in Rückstand geraten ist. Er bekommt den Job und zieht in die Nähe von Houston, wo auch die Familien der übrigen Astronauten wohnen, zu denen Ed White (Jason Clarke, "Planet der Affen: Revolution") und der schnöselige Edwin "Buzz" Aldrin (Corey Stoll, "Ant-Man") gehören. Während Neil und seine neuen Kollegen unter Führung von Deke Slayton (Kyle Chandler, "Carol") das Mondprogramm weiterentwickeln und unter Lebensgefahr halbsbrecherische Testflüge absolvieren, muß Janet Armstrong (Claire Foy, "Der letzte Tempelritter") wie die anderen Ehefrauen mit der ständigen Ungewißheit leben und mit der Furcht, daß ihr Mann eines Tages nicht wieder von der Arbeit zurückkommt …

Kritik:
Die Karriere des immer noch erst 33 Jahre alten US-Filmemachers Damien Chazelle ist bislang ziemlich makellos. Gut, sein Debüt aus dem Jahr 2009, das romantische Indie-Musical "Guy and Madeline on a Park Bench", sorgte nicht für viel Aufmerksamkeit (und erschien meines Wissens bis heute nicht in Deutschland), auch seine ersten Arbeiten als Drehbuch-Co-Autor ("Der letzte Exorzismus: The Next Chapter" und der immerhin schon recht gelungene "Grand Piano") fielen wenig spektakulär aus. Doch ab 2014 ging es rund mit dem dreifach OSCAR-prämierten Musikdrama "Whiplash" (basierend auf seinem eigenen Kurzfilm aus dem Jahr zuvor), dem mit sechs Goldjungs ausgezeichneten romantischen Jazz-Musical "La La Land" und zwischendurch dem Drehbuch zum sehr gelungenen Psychothriller "10 Cloverfield Lane". Auch sein auf der autorisierten Biographie von James R. Hansen basierendes Neil Armstrong-Biopic "Aufbruch zum Mond" wurde seit der weitgehend umjubelten Premiere beim Filmfestival von Venedig als OSCAR-Kandidat gehandelt, am Ende reichte es zu vier Nominierungen in den technischen Kategorien und einem Sieg (visuelle Effekte). Gleichzeitig gibt es jedoch durchaus Kritiker, die sich eher enttäuscht zeigen von einer zwar technisch sehr überzerugenden, aber doch recht konventionell und irgendwie unvollständig erzählten Geschichte – und denen muß ich zustimmen.

Natürlich sind Biopics ein Genre mit relativ eng gestreckten Grenzen, da sie nunmal mehr oder weniger eng dem Lebensweg des realen Vorbildes folgen müssen – und wenn dessen Story so bekannt ist und so oft erzählt wurde wie die von Neil Armstrong, dem ersten Menschen auf dem Mond, macht das die Aufgabe nicht einfacher. Chazelle versucht das zu bewältigen, indem er seinen Schwerpunkt ganz klar auf die Perspektive der Astronauten und speziell auf die von Neil Armstrong setzt. Der technische Unterbau der Raumfahrt spielt lediglich eine Nebenrolle, die politischen und gesellschaftlichen Umwälzungen und Konflikte jener Zeit werden nur am Rande angeschnitten und auch der Umgang der Ehefrauen mit dem gefährlichen Job ihrer Gatten gerät im Laufe der über zwei Stunden zunehmend in den Hintergrund. Wie gut diese Konzentration auf die todesmutigen Männer in den engen, aus heutiger Sicht unfaßbar primitiven Raketen und Raumkapseln funktioniert, das ist die Frage. Für die Mehrheit der Kritiker und ebenso für viele Zuschauer funktioniert sie gut, für mich wird der Film auf Dauer etwas zu monoton. Da mögen die immersiven Flugszenen, in denen die Handkamera ganz nah bei den Astronauten bleibt und die Musik häufig zugunsten der realistischen Klangkulisse schweigt und auf diese Weise dem Publikum zumindest eine Ahnung der realen Gefährlichkeit und Klaustrophobie vermittelt wird, handwerklich noch so phantastisch und beklemmend umgesetzt sein, irgendwann erschöpfen sie sich einfach ein bißchen. Das gilt umso mehr, als man letztlich wenig Neues erfährt, wenn man frühere Filme zur Thematik wie "Der Stoff, aus dem die Helden sind", "Apollo 13" oder auch – was die Astronauten-Perspektive betrifft – "Gravity" kennt.

Im Grunde genommen limitieren Damien Chazelle und Drehbuch-Autor Josh Singer ("Spotlight") den Film auf die psychologische und in geringerem Umfang auf die mechanische Komponente. Das tun sie zweifellos überzeugend, speziell der von Ryan Gosling erwartet intensiv verkörperte Eigenbrötler Armstrong ist psychologisch glaubwürdig gezeichnet – wohingegen "Buzz" Aldrin erstaunlich eindimensional als arroganter Arsch gezeigt wird. Aber wenn man eine Geschichte mit so universellen Auswirkungen erzählt, finde ich es jedenfalls sehr bedauerlich, daß man einen Großteil davon stark vernachlässigt oder ganz ausblendet. Die politische Umstrittenheit des von vielen Rückschlägen begleiteten Raumfahrtprogramms etwa wird nur angekratzt, eine wirkliche Antwort auf die Frage nach dem "Warum" wird nicht gegeben – oder zumindest nur indirekt in Form von Neils Ausführungen zu Beginn während seines Bewerbungsgesprächs bei der NASA. Ebenso werden die Proteste in der Bevölkerung weitgehend ausgespart – lediglich eine gelungene Montage mit dem Protestsong "Whitey on the Moon" geht kurz darauf ein –, selbst die Hintergründe bei der Entwicklung des Programms spielen abseits dessen, worauf die Astronauten direkten Einfluß haben, keine Rolle. Vieles davon trifft auch auf Theodore Melfis "Hidden Figures" aus dem Jahr 2016 zu, aber der hatte mit der Story der afroamerikanischen Mathematikerinnen wenigstens einen Aspekt herausgepickt, der weitestgehend unbekannt und absolut erzählenswert war.

Auffällig sind neben den enggesteckten thematischen Grenzen aber auch einige Auslassungen wichtiger Momente, die zumindest teilweise wenig Sinn ergeben. In den USA sorgte vor allem das Fehlen jenes Moments, in dem Armstrong die amerikanische Flagge in den Mondboden pflanzt, für Aufregung primär in der politisch rechten Ecke – doch diese Entscheidung kann ich nachvollziehen, da Chazelle und Singer, wie erwähnt, im gesamten Film auf eine Politisierung der Geschichte verzichten und sie vorwiegend auf eine monumentale, pionierartige gemeinsame Kraftanstrengung ebenso ambitionierter wie idealistischer Männer (Frauen spielen abseits der unterstützenden Gattinnen kaum eine Rolle) verengen. Deutlich weniger nachvollziehbar ist, warum beispielsweise auf jede Reaktion von Janet Armstrong oder den gemeinsamen Kindern auf die Mondlandung verzichtet wird, nachdem man zuvor noch so auffällig darum bemüht war, ihren Einfluß und ihre Wichtigkeit für Neils Tätigkeit zu betonen. Gut, daß man den ikonischen Moment der Mondlandung nicht durch kurze Zwischenschnitte unterbrechen wollte, kann man verstehen, zumal kein Zweifel daran besteht, daß diese hervorragend umgesetzte und von der bis dahin eher unauffälligen, nun angemessen triumphalen Musik von Justin Hurwitz untermalte Sequenz den Höhepunkt von "Aufbruch zum Mond" darstellt. Doch daß man nicht einmal im Anschluß zeigt, wie sie diesen Moment miterlebt haben, muß man nicht verstehen. Das gilt ebenso für das komplette Verschweigen der Schwierigkeiten, die Armstrong und Aldrin damit hatten, mit der Mondlandefähre "Eagle" wieder abzuheben (wer die Story nicht kennt: ein für den Start entscheidender Schalter war abgebrochen und zwang Aldrin zur Improvisation mit einem Filzstift …). Obwohl ich also viel zu kritisieren habe, räume ich doch gerne ein, daß es immer ein wenig heikel ist, einem Film etwas vorzuwerfen, das dieser nicht zeigt oder ist. Und Chazelle und Singer haben sich nunmal dazu entschieden, viele spannende Aspekte der ersten bemannten Mondlandung an den Rand zu rücken und stattdessen primär das Psychogramm eines ehrgeizigen, aber ein Stück weit von seinen persönlichen Traumata getriebenen Mannes zu zeichnen. Und das gelingt ihnen ziemlich gut.

Fazit: Damien Chazelles technisch höchst eindrucksvoller "Aufbruch zum Mond" ist ein intimes Charakterportrait des von Ryan Gosling überzeugend verkörperten ersten Menschen auf dem Mond, das allerdings viele interessante Aspekte der Geschichte (bewußt) vernachlässigt.

Wertung: 6,5 Punkte (wer kein Problem mit dem engen Fokus hat, darf für sich gerne einen Punkt aufschlagen).


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