Regie und Drehbuch: Florian Henckel von Donnersmarck, Musik: Max Richter
Darsteller: Tom Schilling, Paula Beer, Sebastian Koch, Ina Weisse, Oliver Masucci, Cai Cohrs, Saskia Rosendahl, Jeanette Hain, Jörg Schüttauf, Hanno Koffler, Hinnerk Schönemann, Frank Pätzold, David Schütter, Jewgeni Sidichin, Johanna Gastdorf, Florian Bartholomäi, Hans-Uwe Bauer, Jonas Dassler, Rainer Bock, Ulrike C. Tscharre, Lars Eidinger, Ben Becker
FSK: 12, Dauer: 189 Minuten.
Dresden, 1937: Der künstlerisch begabte, fünf Jahre alte Kurt Barnert (Cai Cohrs), dessen Familie kürzlich aus der Stadt ins Umland ziehen mußte, weil der Vater (Jörg Schüttauf, "Der Staat gegen Fritz Bauer") wegen seiner Weigerung, der NSDAP beizutreten, seine Anstellung als Lehrer verlor, besucht mit seiner gerade erwachsenen Tante Elisabeth (Saskia Rosendahl, "Lore") eine Ausstellung, in der die Nazis "Entartete Kunst" anprangern. Die auffällig schöne Elisabeth ist nicht nur enge Bezugsperson für Kurt, sondern ein wahrer Freigeist – nebenbei aber auch ein wenig manisch. Da das bei den von der Rassenlehre besessenen Nazis nicht gut ankommt, wird sie kurzerhand in eine Anstalt eingewiesen und in der Frauenklinik Dresden unter der Leitung von Prof. Seeband (Sebastian Koch, "Bridge of Spies") zwangssterilisiert. Kurt sieht Elisabeth niemals wieder, dennoch prägt sie sein gesamtes Leben, auch mit ihrem eindringlichen Rat, niemals wegzusehen. Nach dem Krieg schafft es Kurt (Tom Schilling, "Oh Boy") in der DDR an die Kunstschule, wo sein Talent schnell entdeckt und gefördert wird. Auch privat läuft es rund, als er die Modestudentin Ellie (Paula Beer, "Frantz") kennenlernt und sich beide ineinander verlieben. Ellies Vater ist davon allerdings nicht begeistert – es ist Professor Seeband, dessen Nazi-Vergangenheit aufgrund eines für ihn glücklichen Zufalls verborgen blieb. Es dauert nicht lange, bis sich Kurt danach sehnt, die DDR – wo als einzige Kunstrichtung der "Sozialistische Realismus" gestattet ist – mit Ellie gen Westen zu verlassen …
Kritik:
Florian Henckel von Donnersmarck nimmt sich seine Zeit. Das kann man nicht anders sagen. Nach einigen Kurzfilmen feierte er 2005 sein Debüt mit dem meisterhaften Stasidrama "Das Leben der Anderen", das ihm neben zahllosen weiteren Auszeichnungen prompt den Auslands-OSCAR einbrachte – sowie den Ruf nach Hollywood. Dort ging es allerdings selbst Henckel von Donnersmarck zu langsam voran mit der Entwicklung eines eigenen Projektes, weshalb er sich letztlich mit der Auftragsarbeit "The Tourist" im Jahr 2010 begnügte. Das Remake eines (auch schon eher mittelmäßigen) französischen Thrillers war zwar ein ordentlicher Kassenerfolg und wurde immerhin für drei Golden Globes nominiert, fiel bei der Kritik aber durch und sollte (zumindest fürs erste) sein einziger Hollywood-Film bleiben. Ganze acht Jahre später folgt sein zweiter deutscher Kinofilm. Und was für ein ambitioniertes Projekt das ist: ein gut dreistündiges Künstlerportrait, das in epischer Breite von den jungen Jahren eines nach dem Vorbild von Gerhard Richter modellierten Malers erzählt und im Zuge dessen annähernd drei Jahrzehnte deutscher Zeitgeschichte abbildet. "Werk ohne Autor" erreicht zwar nicht ganz die Klasse von "Das Leben der Anderen", da die weniger stringente Story selten die ganz große emotionale Wucht seines Erstlings erreicht; es ist aber ein faszinierendes, kluges und großartig gespieltes Arthouse-Erlebnis, das sich keinesfalls vor internationalen cineastischen Künstlerportraits wie "Vincent van Gogh – Ein Leben in Leidenschaft", "Das Mädchen mit dem Perlenohrring", "Frida" oder "Mr. Turner" verstecken muß, ihnen in mancherlei Hinsicht sogar etwas voraus hat. Henckel von Donnersmarck wurde dafür mit seiner zweiten Auslandsfilm-OSCAR-Nominierung belohnt, zudem gab es eine Nominierung für US-Kameramann Caleb Deschanel ("Die Passion Christi").
Einleitend sollte ich erwähnen, daß ich mich zwar durchaus für die bildende Kunst erwärmen kann, allerdings weit davon entfernt bin, ein Kunstkenner zu sein; diese Rezension ist also eher aus der Sicht eines interessierten Kunstlaien geschrieben, der zwar benennen kann, was ihm gefällt und was nicht (mein Lieblingsmaler ist beispielsweise der britische Romantiker William Turner), aber nicht unbedingt die genauen Gründe dafür. Ebenso kann man davon ausgehen, daß mir, obwohl ich einige Kunst-Anspielungen im Film erkannt habe, etliche doch verborgen blieben. Aus dieser Laienperspektive ist mein Eindruck jedenfalls, daß es Florian Henckel von Donnersmarck in "Werk ohne Autor" und besonders in dessen letztem Drittel vielleicht besser als jedem anderen Film gelingt, das künstlerische Schaffen und die künstlerische Inspiration zu verbildlichen – was sicher auch damit zusammenhängt, daß er sich sehr viel Zeit dafür nimmt. Obwohl "Werk ohne Autor" klar in drei auch tonal sehr unterschiedliche Teile gegliedert ist, die trotz etlicher durchgehender Elemente beinahe wie drei eigenständige Filme wirken – Zweiter Weltkrieg, DDR-Leben, Kunstakademie in Düsseldorf – und viele, teilweise sehr ernste Themen anschneidet, steht die Kunst doch die meiste Zeit über im Mittelpunkt und wirkt ansonsten zumindest stets im Hintergrund mit. Im ersten, während der Nazizeit spielenden und besonders tragischen Akt wird gezeigt, wie der kleine Kurt dank seiner kunstbegeisterten Tante Elisabeth mit der Materie vertraut gemacht wird und trotz der Schrecken des Krieges inklusive der kurz, aber deshalb nicht weniger eindringlich abgehandelten Bombardierung Dresdens wichtige Dinge lernt, die ihn Zeit seines Lebens begleiten, gar leiten sollen. Allen voran gilt das für Elisabeths wiederholte Aufforderung, niemals wegzusehen. Kurze Randnotiz: Dieser kurze, bereits sehr früh geäußerte Satz steht Pate für den internationalen Titel des Films – "Never Look Away" –, wohingegen der deutsche Titel "Werk ohne Autor" sich auf ein Zitat kurz vor Schluß bezieht; inhaltlich passend sind beide, der englische Titel dürfte aber etwas eingängiger sein. Letztlich erzählt der erste Akt von "Werk ohne Autor" nichts wirklich Neues über die Nazizeit, wiewohl eine Szene erstmals in dieser Deutlichkeit in einer deutschen Produktion zu sehen ist und deshalb ab der Premiere für Diskussionen sorgte. Insgesamt funktioniert der Auftakt meines Erachtens jedoch gut bis sehr gut und legt vor allem einen glaubwürdigen Grundstein für Kurts künstlerische Karriere.
Der zweite Akt erzählt vom erwachsenen Kurt, der es auf die Kunstakademie Dresden schafft und somit seinen Traum vom Malen endgültig ausleben kann. Wenn da nicht die Ablehnung jeglicher Kunst abseits des Sozialistischen Realismus durch die Obrigkeit in der DDR wäre (eine interessante Parallele zur Nazizeit übrigens, wo ja auch nur eine ganz bestimmte Art von Malerei akzeptiert wurde). Auf diese Weise künstlerisch stark eingeengt, lernt Kurt zumindest von Grund auf das Handwerk und hat die Gelegenheit, sich stetig zu verbessern und innerhalb der DDR bereits einen Namen zu machen. Den ersten Erfolgen zum Trotz rückt die Kunst in diesem Mittelteil jedoch vorübergehend etwas in den Hintergrund, während Kurts Beziehung zu Ellie und ihren Eltern dominiert. Das ist fraglos wichtig für die charakterliche Entwicklung Kurts, gleichzeitig aber für meinen Geschmack doch etwas zu ausführlich präsentiert und deshalb die schwächste Phase des Films. Dafür können die Schauspieler hier besonders glänzen, was für Tom Schillings energetischen Maler ebenso gilt wie für Sebastian Koch, der mit Prof. Seeband ein Monster im Schafspelz bemerkenswert nuanciert interpretiert. Eigentlich ist diese Figur arg offensichtlich als böse charakterisiert; doch Sebastian Koch gelingt es mit seiner Routine und seinem großen, oft bewiesenen schauspielerischen Können, diesen verabscheuungswürdigen, tyrannischen und eiskalt berechnenden Kriegsverbrecher, der letztlich ein armseliger Wicht ist, so lebensecht und glaubwürdig zu verkörpern, daß man die weitgehende Eindimensionalität der Figur beinahe vergißt. Einer der am häufigsten geäußerten Kritikpunkte nach der Premiere von "Werk ohne Autor" beim Festival von Venedig waren seine weiblichen Figuren. Und ja, da ist etwas dran. Ellie ist im Film vorrangig als Kurts Partnerin vertreten und kaum als eigenständige Person – den Bechdel-Test besteht "Werk ohne Autor" ziemlich sicher nicht. Trotzdem sollte man würdigen, daß Henckel von Donnersmarck hier nunmal ausdrücklich einen Film über einen männlichen, am realen Vorbild Gerhard Richter – dessen Werke bei Auktionen weltweit seit Jahren die höchsten Preise eines lebenden Künstlers erzielen – orientierten Künstler gedreht hat. Da ist es einigermaßen normal (und nicht anders als bei internationalen Genrevertretern), daß die Frauen in seinem Leben fast nur in direktem Bezug zu ihm gezeigt werden. Dennoch sind sie nicht so schwach oder überflüssig, wie es bei manchen Rezensenten klingt. Paula Beer, zweifelsohne eine der größten deutschen Nachwuchshoffnungen, spielt diese Ellie nicht einfach nur als Anhängsel, sondern als selbständige Frau, die starken Einfluß auf das Wirken ihres Mannes ausübt. Und ohne seine Tante Elisabeth wäre Kurt womöglich nie ein Künstler geworden. Die Frauenrollen spielen also ohne Frage nur die zweite Geige, sie sind deshalb aber keineswegs unwichtig; ganz im Gegenteil.
Erst im finalen, meiner Meinung nach stärksten Akt konzentriert sich "Werk ohne Autor" voll und ganz auf die Kunst an sich (ohne dabei die vorherigen Handlungsstränge zu vergessen, wenngleich deren Auflösung teils ungewöhnlich zurückhaltend und relativ offen ausfällt). Nach der Flucht in den Westen kurz vor dem Mauerbau schreibt sich Kurt an der Kunstakademie Düsseldorf ein, wo die künstlerische Avantgarde im Vordergrund steht und alle danach streben, etwas ganz Neues zu schaffen, während die bloße Malerei als veraltet angesehen wird. Kurt versucht, sich an seine neuen Kollegen anzupassen, doch es dauert, bis er schließlich – mit der Hilfe seines sehr offensichtlich an Joseph Beuys angelehnten, von Oliver Masucci ("Er ist wieder da") angemessen exzentrisch, aber mit großer Warmherzigkeit verkörperten Professors – seinen Weg findet. Und das ist von Henckel von Donnersmarck dermaßen leidenschaftlich und leichtfüßig zugleich geschildert, daß man selbst als künstlerisch nur mittelmäßig begabter Zuschauer Kurts Suche nach dem einen, entscheidenden Funken der Inspiration voll und ganz nachvollziehen kann. Generell ist der Tonfall von "Werk ohne Autor" in der Düsseldorfer Phase am leichtesten. Während der erste Teil wie ein ziemlich klassisches Kriegsdrama inszeniert ist, passend unterlegt mit der schwermütigen Musik von Max Richter ("Feinde – Hostiles"), kommt die DDR-Phase als intimes, abgründiges, aber auch etwas sprödes Melodram daher – um schließlich in Düsseldorf zum beschwingten, von zeitgenössischen Songs von Françoise Hardy und anderen begleiteten Künsterfilm zu avancieren. Die Darstellung der Künstlerszene mag ein wenig idealisiert sein – Neid und Rivalität spielen hier kaum eine Rolle, stattdessen herrscht enge Kameradschaft vor –, macht aber auch dank des zuvor nur dosiert eingesetzten trockenen Humors viel Spaß. Man könnte es sogar inspirierend nennen. Nur überinterpretieren – wie es manche Rezensenten meiner Meinung nach getan haben – sollte man Kurts Kunst nicht. Ich sehe jedenfalls nicht, daß Florian Henckel von Donnersmarck mit "Werk ohne Autor" irgendeinen allgemeingültigen Anspruch über die Definition guter Kunst anmeldet oder etwas in der Art. Er zeigt einfach nur in bemerkenswerter Ausführlichkeit die Entwicklung eines genialen jungen Künstlers, die durch seine von der deutschen Geschichte geprägten Erlebnisse und (vor allem die traumatischen) Erfahrungen geprägt ist. Manch einem Zuschauer mag das zu wenig echte Handlung sein, auch die eher unspektakuläre Auflösung dramatischster Storystränge wird nicht Jedem munden. Trotzdem ist "Werk ohne Autor" insgesamt ein so guter und klug durchdachter Film, daß man nicht Nostradamus heißen muß, um zu propheizen, daß er in wenigen Jahrzehnten als Klassiker des deutschen Kinos gelten wird.
Fazit: "Werk ohne Autor" ist ein episches dreistündiges Künstler-Biopic gehüllt in knapp drei Dekaden deutsche Zeitgeschichte – ungemein ambitioniert, klug, sogar inspirierend, dabei aber inhaltlich eher unspektakulär und mitunter etwas zu gemächlich erzählt.
Wertung: Knapp 8,5 Punkte.
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