Gerade mal drei Tage nach seinem britischen Kollegen Nicolas Roeg ("Wenn die Gondeln Trauer tragen") starb auch der italienische Meisterregisseur und OSCAR-Gewinner Bernardo Bertolucci, der am 26. November 2018 in Rom einer langen Krankheit erlag.
Wie einige Filmemacher aus der Ära des legendären italienischen Neorealismus war Bernardo Bertolucci bekennender Marxist - zwar kann nur sein bewußt im Stil Pier Paolo Pasolinis (der die zugrundeliegende Erzählung schrieb) gehaltenes Regiedebüt "La Commare Secca" (1962) selbst dem Neorelismus zugeordnet werden, dennoch sollte Bertoluccis politische Haltung sein vordergründig meist von schwelgerischer Schönheit geprägtes, inhaltlich aber ambivalentes und (zumindest zu seinen besten Zeiten) komplexes Werk stets prägen. Nach einer Reihe kleinerer Produktionen wie "Vor der Revolution" (1964) erregte Bertolucci 1970 mit seinem originellen politischen Drama "Der große Irrtum" erstmals eine größere internationale Aufmerksamkeit. Die (wie fast alle seine Filme) auch von ihm geschriebene Verfilmung eines Romans von Alberto Moravia erzählt lakonisch und nonlinear die Story des von Jean-Louis Trintignant verkörperten Beamten Marcello, der sich in seinem steten Bestreben, zu gefallen, dazu manipulieren läßt, 1938 der faschistischen Geheimpolizei beizutreten und einen Mordanschlag auf seinen im Exil in Paris antifaschistisch engagierten früheren Professor auszuführen. "Der große Irrtum" - laut IMDb-Nutzerbewertungen Bertoluccis bester Film - erwies sich als großer Erfolg, der Bertolucci seine erste OSCAR-Nominierung einbrachte (für sein Drehbuch) und ihm viele Türen öffnete.
Ein paar davon schlossen sich allerdings bereits zwei Jahre später wieder, denn Bertoluccis kammerspielartiges Erotikdrama "Der letzte Tango von Paris" trägt bis heute das (kommerziell durchaus einträgliche) Etikett "Skandalfilm" - was mit Kontroversen darüber zusammenhängt, daß Bertolucci und sein Hauptdarsteller Marlon Brando die damals erst 19-jährige Newcomerin Maria Schneider im Voraus nicht in alle Details der expliziten Sexszenen eingeweiht hatten, was natürlich grundsätzlich ein mindestens fragwürdiges Vorgehen ist und in der #MeToo-Ära rückblickend besonders kritisch unter die Lupe genommen wird (ebenso wie das damalige - erneut: kommerziell lohnende - demonstrative Nicht-Dementieren der Gerüchte über realen Sex zwischen Schneider und Brando). Das ändert aber nichts am künstlerischen Wert des intimen, toll gespielten Dramas, das Bertolucci die erste OSCAR-Nominierung für die Regie einbrachte und ein großer finanzieller Erfolg war, womit er die Kontroversen gut verkraften konnte. Dennoch dauerte es vier Jahre, bis er einen neuen Film auf die Leinwände brachte - das lag aber daran, daß es sich um ein Projekt von monumentaler Größe handelte: In "1900" erzählt Bertolucci in über fünf Stunden (im TV wird der Film in der Regel als vierteilige Miniserie ausgestrahlt, im Kino lief er bei uns in zwei Teilen, in Ländern wie den USA in einer deutlich geschnittenen drei- bis vierstündigen Fassung) zur Musik von Ennio Morricone in epischer Breite mit internationaler Starbesetzung (Robert De Niro, Donald Sutherland, Gérard Depardieu, Burt Lancaster, Stefania Sandrelli, Dominique Sanda) ein halbes Jahrhundert italienischer Geschichte aus der geteilten Perspektive eines wohlhabenden Gutsbesitzersohnes (De Niro) und eines Landarbeitersohnes (Depardieu), die die erste Häfte des 20. Jahrhunderts sehr unterschiedlich erleben. "1900" ist nicht perfekt, wirkt in seiner Kapitalismuskritik mitunter plump und hat (wenig überraschend) ein paar Längen; trotzdem ist es eindrucksvoll, wie Bertolucci die Vergangenheit zum Leben erweckt und den Weg Italiens in den Faschismus nachvollzieht - gewissermaßen ein früher Vorläufer von Michael Hanekes inhaltlich allerdings deutlich reduzierterem "Das weiße Band". Wie bei "Der letzte Tango von Paris" gab es übrigens auch bei "1900" gab es Ärger wegen für die damalige Zeit ungewöhnlich expliziter Sexszenen ...
Da der aufwendig produzierte "1900" den kommerziellen Erfolg seines vorigen Films bei weitem nicht wiederholen konnte (angesichts der Länge nicht ganz überraschend), mußte Bertolucci für weitere Filme um eine angemessene Finanzierung kämpfen, manche Projekte scheiterten auch und seine nächsten beiden, vergleichsweise günstig produzierten Filme "La Luna" (1979, ein an der Struktur einer Verdi-Oper ausgerichtetes inzestuöses Mutter-Sohn-Drama) und "Die Tragödie eines lächerlichen Mannes" (1982, ein tragikomisches politisches Drama) konnten weder Publikum noch Kritik nachhaltig beeindrucken. Neue Inspiration fand Bernardo Bertolucci erst, als er Italien verließ und andere Kulturen erkundete - was er in "Der letzte Kaiser" (1987), "Der Himmel über der Wüste" (1990) und "Little Buddha" (1993) verarbeitete. Während das in Nordafrika spielende Abenteuerdrama "Der Himmel über der Wüste" mit John Malkovich und Debra Winger sowie der für Bertolucci ungewöhnlich geradlinige und spirituelle "Little Buddha" mit Keanu Reeves zwar in einigen Ländern gut liefen, insgesamt aber eher enttäuschten, sollte sich "Der letzte Kaiser" als Bertoluccis größter Triumph erweisen. Unfaßbare neun OSCARs - und damit alle, für die es nominiert war - gewann dieses Biopic über den letzten chinesischen Kaiser, der als Zweijähriger gekrönt und als Fünfjähriger zur Abdankung gezwungen wurde und später als einfacher Bürger ins Exil mußte, darunter die für den besten Film und für die beste Regie (nur vier Filme konnten bis 2018 mehr als Goldjungen einheimsen). Diese aufregende und tragische Geschichte war wie gemalt für Bertolucci, der das persönliche Drama des letzten Kaisers (als Erwachsener gespielt von John Lone, als sein schottischer Mentor agiert Peter O'Toole) in prächtige Bilder und Kulissen mit monumentalen Massenszenen einbettet und dafür sogar als erster Filmemacher die Genehmigung erhielt, in der "Verbotenen Stadt" zu drehen.
An diesen Triumph konnte Bernardo Bertolucci nicht mehr ansatzweise anknüpfen. Nach seiner "exotischen Trilogie" kehrte er in die Heimat zurück, drehte aber nur noch vier Filme, die zwar immer noch gut anzusehen waren, aber inhaltlich eher anspruchslos gerieten und insgesamt kaum über das Etikett "ganz nett" hinauskamen. Immerhin verhalf er 1996 mit dem erotisch aufgeladenen (aber im Vergleich zu seinen Frühwerken deutlich züchtigeren) Toskana-Romanze "Gefühl und Verführung" mit Ralph Fiennes, Jeremy Irons und Rachel Weisz der 19-jährigen Hauptdarstellerin Liv Tyler zu ihrem Durchbruch als Schauspielerin. Und die größte Leistung seines Spätwerks ist es ohne Zweifel, der Welt die fabelhafte Eva Green vorzustellen, die 2003 in ihrem Leinwanddebüt in dem während der Pariser Studentenunruhen von 1968 spielenden, einmal mehr höchst zeigefreudigen romantischen Drama über eine heißblütige Ménage à trois zwischen zwei französischen Geschwistern (Green und Louis Garrel) und einem US-Studenten (Michael Pitt) die Hauptrolle spielt. Anschließend zog sich Bertolucci eher zwangsweise wegen eines hartnäckigen Rückenleidens aus der Branche zurück, brachte mit der Romanverfilmung "Ich und du" 2012 aber einen letzten Film in die Kinos - die kammerspielartige Charakterstudie (sein erster auf Italienisch gedrehter Film seit "Die Tragödie eines lächerlichen Mannes") lockte jedoch trotz wohlwollender Kritiken nur noch wenige Zuschauer an.
Nach längerer Krebserkrankung starb der insgesamt für vier Academy Awards nominierte und mit zweien ausgezeichnete Bernardo Bertolucci am 26. November 2018 im Alter von 77 Jahren. R.I.P.
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