Am vergangenen Wochenende hat die Welt des Kinos zwei große europäische Filmemacher verloren: Der britische Kameramann und Regisseur Nicolas Roeg starb am 23. November 2018 im Alter von 90 Jahren in seiner Geburtsstadt London und der italienische OSCAR-Gewinner Bernardo Bertolucci am 26. November 2018 mit 77 Jahren als Folge einer langen Krankheit in Rom. Eigentlich wollte ich sie zusammen mit einem Doppel-Nachruf würdigen, doch mein Text wurde natürlich wieder mal länger als geplant, weshalb ich zwei einzelne Posts daraus mache, beginnend mit Roeg:
Nicolas Roeg wagte erst spät den Sprung zum Regisseur, zu Beginn seiner Karriere verdiente er sich hinter der Kamera die Sporen, wobei er unter anderem zweiter Kameramann bei David Leans Abenteuer-Epos "Lawrence von Arabien" aus dem Jahr 1965 war - bei dessen "Doktor Schiwago"-Verfilmung gab ihm Lean drei Jahre später sogar den Job als hauptverantwortlicher Kameramann, feuerte ihn jedoch während der laufenden Produktion wegen der schon damals berühmten "künstlerischen Differenzen". Roegs Karriere schadete das allerdings nicht, in den 1960er Jahren war er als Kameramann an etlichen bis heute sehenswerten Filmen beteiligt, darunter: Roger Cormans Poe-Adaption "Satanas - Das Schloß der blutigen Bestie" (1964) mit Vincent Price, Michael Winners Liebesdrama "The System" (1964) mit Oliver Reed, Richard Lesters parodistisches Musical "Toll trieben es die alten Römer" (1966) mit Zero Mostel und Buster Keaton, François Truffauts Ray Bradbury-Verfilmung "Fahrenheit 451" (1966) mit Oskar Werner und Julie Christie, John Schlesingers Liebesdrama "Die Herrin von Thornhill" (1967) mit Julie Christie, Terence Stamp und Alan Bates (nach dem Roman "Am grünen Rand der Welt" von Thomas Hardy) sowie Richard Lesters Beziehungsdrama "Petulia" (1968) mit Julie Christie und George C. Scott. Erst mit 40 realisierte Nicolas Roeg seinen ersten Film als Regisseur (gemeinsam mit Donald Cammell) und verhalf damit Rolling Stones-Legende Mick Jagger zu seinem Schauspieldebüt: Das gesellschaftskritische Krimidrama "Performance" erschien aber erst zwei Jahre nach den Dreharbeiten und damit 1970, da der Inhalt für die damalige Zeit recht brisant war (Drogenkonsum, viel Sex und Gewalt, angedeutete Bisexualität). Die Rezeption bei der Kritik war bei der Veröffentlichung verhalten, das British Film Institute wählte "Performance" 1999 allerdings auf Platz 48 der besten britischen Filme aller Zeiten.
Seinen unkonventionellen, inhaltlich und chronologisch bewußt inkohärenten und puzzleartigen und damit weit vom linearen Mainstream entfernten Stil verfeinerte Nicolas Roeg ein Jahr später mit dem australischen Survival-Drama "Walkabout", bei dem er erstmals alleine die Leitung innehatte. Nicht wenigen Zuschauern und Kritikern gilt die (kommerziell gefloppte) Geschichte zweier jugendlicher Geschwister (das Mädchen wird von der damals erst 18-jährigen britischen Kinolegende Jenny Agutter in einer ihrer ersten großen Rollen verkörpert), die im australischen Outback stranden und sich mit der Hilfe eines jungen Aborigines auf den beschwerlichen Weg zurück in die Zivilisation machen, als Roegs Meisterwerk. Sein bekanntester - und laut British Film Institute mit Platz 8 auf oben genannter Liste auch bester - Film folgte allerdings zwei Jahre später mit "Wenn die Gondeln Trauer tragen". Auch dieses ungemein atmosphärische psychologische Trauerdrama mit Horrorelementen (eine offensichtliche Inspiration für Darren Aronofskys "mother!") nach einer Erzählung von Daphne du Maurier, in dem Donald Sutherland und Julie Christie als trauernde Eltern nach dem Unfalltod ihrer Tochter nach Halt suchen, in Venedig (wo Sutherlands Figur eine Kirche restauriert) aber mit merkwürdigen, möglicherweise übernatürlichen Geschehnissen konfrontiert werden, ist ein typisches Roeg-Verwirrspiel mit vielen Zeit- und Handlungssprüngen - offen für Interpretationen und frühestens (wenn überhaupt) nach der letzten Einstellung zu verstehen. Nach diesem Karriere-Höhepunkt sank Roegs Stern allerdings relativ schnell wieder. Zwar schuf er mit dem philosophischen Science Fiction-Film "Der Mann, der vom Himmel fiel" (1976) mit David Bowie, dem provokativen Liebesdrama "Black Out" (1980) mit Art Garfunkel und Theresa Russell, dem cleveren tragikomischen Kammerspiel "Insignificance" (1985) mit Theresa Russell und Tony Curtis (übrigens einer der ersten Filme, bei dem Hans Zimmer am Soundtrack beteiligt war) und der auf einem Kinderbuch von Roald Dahl basierenden überdrehten Komödie "Hexen hexen" (1990) mit Anjelica Huston noch einige gute Filme, der ganz große Erfolg stellte sich jedoch weder an den Kinokassen noch bei den Kritikern ein. Ab Mitte der 1990er Jahre zog sich Nicolas Roeg weitgehend aus der Branche zurück, sein letztes Hurra war 2007 der Mysteryfilm "Puffball" mit Miranda Richardson, in dem Donald Sutherland eine Nebenrolle spielte.
R.I.P.
Embed from Getty Images
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen