Regie: Alejandro González Iñárritu, Drehbuch: Mark L. Smith
und Alejandro González Iñárritu, Musik: Ryûichi Sakamoto und Alva Noto
Darsteller:
Leonardo DiCaprio, Tom Hardy, Will Poulter, Domhnall Gleeson, Forrest Goodluck,
Arthur Redcloud, Duane Howard, Melaw Nakehk'o, Lukas Haas, Kristoffer Joner,
Grace Dove, Paul Anderson
FSK: 16, Dauer: 157 Minuten.
Im Jahr 1823 durchstreift eine Expedition unter Führung von
Captain Andrew Henry (Domhnall Gleeson, "Star Wars Episode VII")
Indianergebiet östlich der Rocky Mountains, um Tiere zu erlegen und ihr Fleisch
und vor allem ihre kostbaren Pelze zurück in die Zivilisation zu bringen. Bei
einem überraschenden Angriff der Ree wird der Großteil der Männer getötet,
nur etwa ein Dutzend kann sich auf einem Boot vorerst retten. Da der Fluß von
den Ree beherrscht wird, drängt der ortskundige Trapper Hugh Glass (Leonardo DiCaprio,
"Inception") darauf, auf einer unerschlossenen Route über die Berge zu Fuß
den nächstgelegenen Armee-Stützpunkt Fort Kiowa zu erreichen. Das paßt vor
allem John Fitzgerald (Tom Hardy, "The Dark Knight Rises")
überhaupt nicht, da man so die Pelze mehr schlecht als recht versteckt
zurücklassen muß und somit die Gefahr besteht, daß das Ergebnis eines halben Jahres
harter Arbeit verloren ist. Als Glass einen Bärenangriff schwer
verletzt überlebt und Captain Henry den scheinbar im Sterben liegenden Mann
schweren Herzens zurücklassen muß, meldet sich (gegen gute Bezahlung) neben
zwei weiteren Männern ausgerechnet Fitzgerald, um bei Glass zu bleiben, bis er
tot ist. Doch der will einfach nicht sterben, weshalb ihn Fitzgerald
schließlich ohne Ausrüstung und Waffen seinem Schicksal überläßt …
Kritik:
Das ist er also: Der Film, der Leonardo DiCaprio in seinem sechsten
Anlauf (darunter einer als Co-Produzent von "The Wolf of Wall Street")
und im Alter von 41 Jahren endlich den überfälligen ersten OSCAR bescherte. Und
auch der Film, der nach "Birdman" Alejandro González Iñárritu zum
erst dritten Regisseur mit zwei aufeinanderfolgenden Regie-OSCARs
machte (nach John Ford und Joseph L. Mankiewicz). Das war dann aber auch schon
fast die gesamte Ausbeute bei den Academy Awards 2016, da sich der als
Topfavorit mit 12 Nominierungen angetretene "The Revenant" ansonsten
nur noch die Kamera-Ehrung sichern konnte und in den technischen Kategorien meist "Mad Max: Fury Road" unterlag. Und ehrlich gesagt
sind selbst die Preise für DiCaprio und Iñárritu durchaus diskussionswürdig, da
beide zwar gewohnt starke Leistungen darbieten, aber nicht die besten ihrer Karriere. Keine Frage, "The Revenant" ist ein guter Film, ein
echtes Kinoereignis zudem, das seine Stärken auf einer großen Leinwand und mit
einem hochmodernen Tonsystem besonders eindrucksvoll ausspielt – doch letztlich
ist vor allem die Handlung, aber auch die Figurenzeichnung etwas zu spartanisch
geraten und muß sich dem epischen Überlebenskampf von Hugh Glass in der schneebedeckten Wildnis klar
unterordnen. Dieser Hugh Glass existierte übrigens tatsächlich und seine
Geschichte ist so etwas wie eine amerikanische Legende, die dementsprechend
nicht zum ersten Mal verfilmt wird. Ebenso wie 1971 Richard C. Sarafians
"Ein Mann in der Wildnis" mit Richard Harris nimmt
sich allerdings auch "The Revenant" viele erzählerische Freiheiten,
die dramaturgisch durchaus Sinn ergeben und, was die Darstellung der Indianer betrifft, auch
der politischen Korrektheit dienen (was nicht als Kritik gemeint ist).
Was "The Revenant" in erster Linie zu einem
Ereignis macht, ist gar nicht mal DiCaprios Spiel, sondern
der Einbezug der Natur als weiterer Hauptdarsteller. Das umfaßt
die westerntypischen, hier aber von Kameramann Emmanuel Lubezki mit (abgesehen
von einer Szene) ausschließlich natürlichem Licht besonders stimmungsvoll eingefangenen
Landschaftsaufnahmen aus Kanada, den USA und Argentinien ebenso wie Flora und vor
allem Fauna. DiCaprios brutaler Kampf als Hugh Glass mit einer (komplett, aber
unmerklich computergenerierten) riesigen Grizzly-Bärin ist bereits jetzt
legendär, aber auch im weiteren Filmverlauf spielen Tiere eine große Rolle, die
Glass zwar teilweise bedrohen, ohne die er aber gleichzeitig niemals überleben
könnte. So ist es bezeichnend, daß Iñárritu deutlich betont, daß die
Grizzly-Bärin lediglich ihre zwei Jungtiere verteidigen will und keineswegs
grundlos auf den Trapper losgeht (was der echten Geschichte von Hugh Glass
entspricht). Allgemein erinnert die große Rolle, die die Natur in "The
Revenant" spielt und die respektvoll-bewundernde Art ihrer Inszenierung
stark an die Filme von Terrence Malick – was sicherlich auch daran liegt, daß
Emmanuel Lubezki bei Malick-Werken wie "The New World" oder "The Tree of Life" ebenfalls hinter der Kamera stand. Wie Malicks
Filme nutzt "The Revenant" die musikalische Begleitung, um die
archaische Wucht der majestätischen Naturaufnahmen zu unterstreichen und
dadurch mitunter sogar echte poetische Kinomagie zu entfalten. Anders als Malick
setzt Iñárritu allerdings nicht auf klassische Musik, sondern hat den
japanischen Komponisten Ryûichi Sakamoto ("Der letzte Kaiser") im
Zusammenspiel mit dem deutschen Elektronik-Musiker Alva Noto (alias Carsten
Nicolai) ungewöhnliche, großartige Melodien kreieren lassen, die das
Geschehen auf der Leinwand meist in getragenem Tempo perfekt akzentuieren, in
den eher seltenen Actionsequenzen aber sehr wuchtig
daherkommen (speziell im von Trommelklängen dominierten Finale). Gleichzeitig
nimmt sich die Musik immer wieder vornehm zurück, um speziell in Glass' Handlungsstrang
die auch akustisch umwerfende Schönheit der Natur hervorzuheben, was in einem
Kino, das mit Dolby Atmos ausgerüstet ist, perfekt zur Geltung kommt – ebenso wie
Glass' meist wortloser, jedoch keineswegs lautloser Überlebenskampf.
Dazu passend ist beispielsweise der anfängliche Indianerangriff
auf die Pelzjäger beinahe wie ein Tanz choreographiert. Es gibt kaum merkbare
Schnitte, die Kamera folgt wunderbar flüssig immer wieder anderen Personen, bis diese ein wenig rühmliches Ende finden und der nächste Mann an der Reihe ist. Wer nach diesem
knapp viertelstündigen Auftakt übrigens befürchtet, "The Revenant" würde die
alte Western-Schwarzweißmalerei mit den Klischees von tapferen Siedlern und Pionieren sowie blutrünstigen Wilden wiederaufleben lassen, der kann beruhigt werden. Im
Gegensatz zu den Protagonisten erfährt das Publikum nämlich wenig später den
wahren Grund für die Aggressivität der Indianer (vom Stamm der Arikara oder
kurz Ree), und der ist sehr nachvollziehbar: Die Tochter des Häuptlings wurde
von Weißen entführt und die Ree wollen sie um jeden Preis zurückholen. Daß sie
sich auf der falschen Spur befinden, ist für die Pelzjäger schlicht Pech …
Jedenfalls werden die Indianer durch die für jeden verständliche Motivation von bloßen Stereotypen zu "echten Menschen" gemacht, ohne sie zu verharmlosen; gleichzeitig wird auf diese
Weise, aber auch in einigen Dialogen relativ subtil daran erinnert, daß
historisch betrachtet eben nicht die Indianer die Bösen in der amerikanischen
Geschichte sind. Natürlich ist insgesamt schon ziemlich auffällig, daß das
Drehbuch zu "The Revenant" um politische Korrektheit bemüht ist (mit
den Pawnee spielt auch noch ein friedlicher Stamm eine Rolle, damit nicht mal die
leisesten Zweifel daran aufkommen können, welches Unrecht den amerikanischen Ureinwohnern angetan
wurde), aber das wird nie zu aufdringlich und ist in der Sache
selbstverständlich mehr als gerechtfertigt, zumal Parallelen zur noch heute
vorhandenen Diskriminierung von Minderheiten offensichtlich
sind.
Im Zentrum steht jedoch natürlich der
Überlebenskampf von Hugh Glass, der sehr eindringlich geschildert wird und
immer wieder mit Bildern aufwartet, die man so schnell nicht vergißt. DiCaprio
spielt Glass' Martyrium so überzeugend wie man das erwarten durfte, klar ist
aber auch: Schauspielerisch ist das bei weitem nicht seine größte
Herausforderung. Es geht hier nicht so sehr um nuanciertes Mienenspiel, erst recht nicht um
pointiert vorgetragene Dialoge. Hugh Glass leidet und ringt um das Überleben
und dank der äußerst unwirtlichen Bedingungen bei den Dreharbeiten in der
freien Natur ist das bei aller Intensität, die DiCaprio in die Rolle einbringt,
teilweise kaum noch gespielt. Es liegt mir fern, seine beeindruckende
körperliche Leistung herunterzuspielen, aber rein schauspielerisch sind die
Anforderungen im Vergleich zu früheren DiCaprio-Filmen wie "The Wolf of
Wall Street", "Zeiten des Aufruhrs", "Aviator" oder
auch "Der große Gatsby" ein gutes Stück niedriger angesetzt, zumal selbst Glass' Rachemotiv lange nur
eine Nebenrolle spielt. Und so kommt es, daß, obwohl Iñárritu alles tut, um
Glass' Kampf gegen die Natur und die menschliche Bosheit spannend und
abwechslungsreich zu gestalten (was ein wenig an eine bodenständigere Version von Jude Laws mitunter skurriler Odyssee in "Unterwegs nach Cold Mountain" gemahnt), die übrigen Handlungsstränge sogar fast
interessanter daherkommen. Das ist auch der starken Besetzung zu verdanken, die manch eher rudimentäre Figurenzeichnung vergessen läßt. Vor allem der
ebenfalls OSCAR-nominierte Tom Hardy spielt den Antagonisten der Story überzeugend, wenngleich es sich um die wohl klischeehafteste Rolle im Film handelt. Doch auch
Domhnall Gleeson, Forrest Goodluck als Glass' (fiktiver) Halbblut-Sohn und
Duane Howard als Ree-Häuptling machen ihre Sache sehr gut. Durch das harmonische
Zusammenspiel der verschiedenen Handlungsstränge – die im Vorfeld so ausführlich
gar nicht zu erwarten waren, wurde doch eher mit einer One-Man-Show á la
Tom Hanks in "Cast Away – Verschollen" gerechnet – hält "The
Revenant" über die gesamte Laufzeit von mehr als zweieinhalb Stunden die Spannung hoch und bietet schlicht richtig gute
Kinounterhaltung. Ein unumstrittenes Meisterwerk ist Alejandro González Iñárritu
dieses Mal jedoch nicht gelungen.
Fazit: "The Revenant – Der Rückkehrer" ist
ein visuell und akustisch absolut herausragendes Schneewestern-Survival-Abenteuer, das stark
gespielt und in Szene gesetzt ist und mit etlichen erinnerungswürdigen Momenten aufwartet, es aber bei Story und Figurenzeichnung etwas zu sehr an
Tiefe missen läßt.
Wertung: 8 Punkte.
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