Regie: Robert Zemeckis, Drehbuch: John Gatins, Musik: Alan
Silvestri
Darsteller: Denzel Washington, Kelly Reilly, Don Cheadle,
Bruce Greenwood, John Goodman, Melissa Leo, Tamara Tunie, Brian Geraghty, Ravi
Kapoor, Tommy Kane, Peter Gerety, Garcelle Beauvais, Justin Martin, Adam Tomei,
James Badge Dale, Piers Morgan
Ein Mann um die 50 wird früh am Morgen vom Klingeln seines
Handys geweckt. Er liegt in einem Hotelbett, neben ihm eine splitterfasernackte
schöne Frau, die erheblich jünger ist als er (Nadine Velazquez aus der
Comedy-Serie "My Name is Earl"). Schlaftrunken gönnt sich der Mann
erst einmal einen tiefen Schluck Hochprozentiges direkt aus der Flasche, zündet
sich eine Zigarette an und zieht sich nach dem wenig erbaulichen Telefonat mit
seiner Ex-Frau auch noch eine Linie Koks in die Nase, um seine Lebensgeister
wieder zu wecken. Der Mann heißt Whip Whitaker (Denzel Washington, "Unstoppable") und ist
Pilot. Gut zwei Stunden später bewahrt er seine Linienmaschine nach einem
dramatischen technischen Defekt mit einem sensationellen Flugmanöver vor dem
Absturz und schafft eine Bruchlandung auf freiem Feld, bei der die meisten
Insassen überleben. Whip ist ein Held. Bis die Blutuntersuchung ergibt, daß er
mit 2,4 Promille geflogen ist. Sein Anwalt Hugh Lang (Don Cheadle, "The Guard") versucht,
die deshalb drohende Gefängnisstrafe abzuwenden, doch dazu muß Whip nüchtern
bleiben. Gemeinsam mit Nicole (Kelly Reilly, "Sherlock Holmes"), einer attraktiven
Heroinsüchtigen, die er nach der Notlandung im Krankenhaus kennengelernt hat,
versucht Whip, fernab der Medien auf der abgelegenen, leerstehenden Farm seines verstorbenen Vaters einen
trockenen Entzug durchzuführen ...
Kritik:
In den 1980er und 1990er Jahren war der US-Regisseur Robert
Zemeckis ein echter Star. Riesenerfolge mit "Falsches Spiel mit Roger
Rabbit" und der "Zurück in die Zukunft"-Reihe, ein OSCAR für
"Forrest Gump" sowie weitere Kritiker- und Publikums-Hits mit
"Contact", "Schatten der Wahrheit" und "Cast Away –
Verschollen" machten ihn zu einem mächtigen Mann im Filmgeschäft. Dann wollte Zemeckis die Branche revolutionieren, indem
er versuchte, fotorealistische Motion-Capture-Filme zu etablieren. Leider war
die Technik noch nicht ganz so weit, außerdem vernachlässigte Zemeckis in
seinem Streben nach visueller Perfektion etwas den Inhalt: "Der
Polarexpress", "Die Legende von Beowulf" und "Eine
Weihnachtsgeschichte" erreichten zwar viele Zuschauer, begeistern konnten sie
aber nur wenige davon – und noch weniger der professionellen Kritiker.
Umso größer war die Freude, als der mittlerweile 60-jährige
Regisseur bekanntgab, mit dem Drama "Flight" endlich wieder einen
richtigen Realfilm zu drehen. Das Resultat ist durchaus überzeugend, kann jedoch
leider nicht an Zemeckis' beste Werke anknüpfen.
"Flight" beginnt mit einer Sequenz, mit der die
meisten anderen Filme enden würden. Der spektakuläre Beinahe-Absturz und sein
lakonisch geschilderter Vorlauf im Hotelzimmer sind grandios inszeniert, rasant
geschnitten und toll gespielt – der frühe, aber unumstrittene Höhepunkt von "Flight". Und das ist das
Problem. Denn wenn eine Geschichte so stark beginnt, dann besteht einfach kein
Steigerungspotential mehr, man kann nur noch versuchen, das hohe Niveau
einigermaßen zu halten. In manchen Aspekten mag das Zemeckis und seinem
OSCAR-nominierten Drehbuch-Autor John Gatins ("Real Steel") sogar
gelungen sein, so aufregend wie in den ersten 20 Minuten ist "Flight" danach
aber eindeutig nicht mehr. Das ist natürlich kaum verwunderlich, wenn auf den
Katastrophenfilm-Anfang ein fast zweistündiges intimes Trinkerdrama folgt, das
seine Stärken in anderen Bereichen ausspielen muß; aber es ändert nichts daran,
daß Zemeckis' Film seine stärkste Phase gleich zu Beginn hat. Das Trinkerdrama,
die Charakterstudie des Alkoholikers Whip Whitaker, dem seine Sucht
zwar offensichtlich bewußt ist, der sie aber dennoch leugnet und die zahlreichen
Hilfeangebote von Freunden und Familie zuverlässig brüsk zurückweist, ist
ebenso gefühlvoll wie beklemmend in Szene gesetzt und lebt von der großen
Schauspielkunst des Denzel Washington. Allerdings sind die Geschehnisse
weitgehend vorhersehbar, ähnliches hat man in Genreklassikern wie John
Cassavetes' "Eine Frau unter Einfluß" oder Mike Figgis' "Leaving
Las Vegas" schon oft gesehen.
Am stärksten ist "Flight" dabei noch im Zuge der
Beziehung zwischen Whip und Nicole – die rothaarige Schönheit ist für Whip ein
Hoffnungsschimmer, ein echter Grund, sich darum zu bemühen, sein Leben in den
Griff zu bekommen und eine Gefängnisstrafe zu vermeiden. Die Szenen zwischen
Denzel Washington und der stark aufspielenden Kelly Reilly gehen ans Herz,
keine Frage. Das ist umso wichtiger, als Whip schlicht und ergreifend kein sehr
sympathischer Protagonist ist. Zwar stehen sein heldenhaftes Flugmanöver und
sein unbestreitbarer Charme auf der Habenseite, doch seine Arroganz und seine
Unbeherrschtheit machen es schwer, ihn zu mögen – ganz zu schweigen davon, daß
er fast schon routinemäßig betrunken geflogen ist. Dabei ist es ein interessantes
Paradoxon, daß Whip ohne besagte und zumindest zum Teil sicherlich
alkoholbedingte Arroganz und Selbstüberschätzung wahrscheinlich gar nicht in
der Lage gewesen wäre, das Flugzeug halbwegs kontrolliert zu landen, wie auch
die fruchtlosen Versuche belegen, die Situation von erfahrenen
Piloten am Flugsimulator nachstellen zu lassen. Whip konnte möglicherweise nur
aufgrund seiner Alkoholsucht viele Menschenleben retten – ist es da fair, daß er
als "Belohnung" dafür ins Gefängnis soll? Leider geht
"Flight" auf diesen Punkt nicht übermäßig ausführlich ein – gleiches gilt
für einen merkwürdigen religiösen Unterton, der durch
verschiedene, in ihrem Glauben ziemlich extrem wirkende Nebenfiguren
personifiziert wird und den Zuschauer recht ratlos zurückläßt, ob Autor Gatins
damit nun für oder gegen Religion argumentieren will (oder weder noch) und was das eigentlich mit der ganzen Angelegenheit zu tun hat.
Anstelle der Untersuchungen zur wahren Unglücksursache und der folgenden Anhörung stehen jedenfalls eindeutig und konsequent der Mensch Whip Whitaker
und seine Probleme im Mittelpunkt. Das ist eine bewußte Entscheidung der Filmemacher, die man
gut finden kann oder nicht so gut. Mir persönlich hätte es besser gefallen,
hätte "Flight" die Schwerpunkte seiner Story etwas anders verteilt,
was gerade angesichts der Länge von insgesamt knapp 140 Minuten auch problemlos hätte möglich sein sollen.
In schauspielerischer Hinsicht dominiert erwartungsgemäß
Denzel Washington, der für seine beeindruckende Darstellung des problembeladenen Piloten mit
seiner sechsten OSCAR-Nominierung belohnt wurde. Neben Kelly Reilly als Nicole
sind auch die übrigen Nebenrollen sehr prominent besetzt, bekommen aber wenig
Gelegenheit zu glänzen. John Goodman sorgt in seinen gerade mal zwei größeren
Szenen als Whips polternder Freund und Drogenlieferant Harling Mays zumindest
für gute Laune, auch Bruce Greenwood ("Barney's Version",
"Thirteen Days") hat als Vertreter der Pilotengewerkschaft, der Whip
seit Ewigkeiten kennt, ein paar gute Szenen mit Washington. Don Cheadle als
gerissener Anwalt Hugh, Melissa Leo ("The Fighter", "Frozen River") als Chefermittlerin
der Verkehrsbehörde, Tamara Tunie (TV-Serie "Law & Order: SVU") als Chef-Stewardess Margaret oder Brian Geraghty ("The Hurt Locker") als
Co-Pilot Ken bleiben dagegen eher farblos.
Fazit: "Flight" ist die intime Studie eines von Denzel Washington glaubwürdig verkörperten Trinkers,
der als Pilot zwischen Heldenmut und Verantwortungslosigkeit schwankt und dafür
die Konsequenzen tragen muß. Das ist nicht übermäßig originell erzählt und angesichts des
nicht allzu sympathischen Protagonisten sowie der überwiegend blassen
Nebenfiguren nicht immer einfach anzuschauen, aber unterm Strich zweifellos gut gemacht.
Wertung: 7 Punkte.
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