Regie: Steven Spielberg, Drehbuch: Tony Kushner, Musik: John
Williams
Darsteller: Daniel Day-Lewis, Sally Field, David Strathairn,
Tommy Lee Jones, Joseph Gordon-Levitt, James Spader, Hal Holbrook, Gloria
Reuben, Gulliver McGrath, Tim Blake Nelson, John Hawkes, Lee Pace, Peter
McRobbie, Jackie Early Haley, Jared Harris, Bruce McGill, Michael Stuhlbarg,
Walton Goggins, David Costabile, David Warshofsky, Joseph Cross, Jeremy Strong,
David Oyelowo, Lukas Haas, Dane DeHaan, Elizabeth Marvel, Wayne Duvall, Gregory
Itzin, S. Epatha Merkerson
Januar 1865: Der amerikanische Bürgerkrieg ist noch in
vollem Gange, allerdings zeichnet sich der bevorstehende Sieg der Nordstaaten
bereits deutlich ab und echte Friedensverhandlungen befinden sich im Bereich des Möglichen.
Das versetzt den gerade wiedergewählten und extrem populären Präsidenten Abraham
Lincoln (Daniel Day-Lewis, "There Will Be Blood") ein wenig in ein
Dilemma, denn er will unbedingt einen Verfassungszusatz durchfechten, der die
Sklaverei ein für allemal verbietet – das ist jedoch nur möglich, solange der
Bürgerkrieg andauert und die Südstaaten deshalb nicht abstimmen können. Soll
Lincoln also die Friedensverhandlungen verzögern und somit die Leben zahlloser
weiterer tapferer Soldaten auf beiden Seiten opfern für sein hehres Ziel, die
Abschaffung der Sklaverei? Doch selbst wenn er bereit ist, das zu tun – wird er
die dafür erforderliche Zweidrittel-Mehrheit im Abgeordnetenhaus erringen, obwohl
seine Republikaner alleine nicht über die nötigen Stimmen verfügen und die
Demokraten (jaja, so ändern sich die Zeiten) strikt gegen diesen
"unnatürlichen" Verfassungszusatz sind?
Kritik:
Mag man aus europäischer Sicht auch so manchen Aspekt der amerikanischen Demokratie mit verständnislosem Kopfschütteln bedenken, eines
steht außer Frage: Kaum jemand kann so gute, mitreißende, ja sogar
inspirierende Filme über die Vorzüge der Demokratie drehen wie Hollywood.
Bereits 1939 bewies das Frank Capra mit seinem leichtfüßigen Politfilm
"Mr. Smith geht nach Washington", in dem James Stewart als wackerer
Pfadfinderführer mit Charme und Chuzpe den Kongreß erobert und für die Rechte
der amerikanischen Jugend kämpft. Steven Spielberg steht dem nun in nichts nach,
indem er die letzten Monate im ereignisreichen Leben des US-Präsidenten Abraham Lincoln nachzeichnet und dabei
vor allem dessen unermüdlichen Kampf gegen die Sklaverei, der bekanntlich einen
positiven, von Spielberg triumphal in Szene gesetzten Ausgang fand.
Obwohl der Regisseur manchmal etwas zu sehr ins Schwärmen
gerät und vereinzelte Szenen in ihrem Pathos an pure Heldenverehrung grenzen,
hält er insgesamt doch gekonnt die Balance zwischen fesselnder, aber
faktennaher Geschichtsstunde und moralischem Lehrstück mit unverkennbaren
Parallelen zur heutigen politischen Situation in den USA (wenn auch mit vertauschten Rollen). Dabei verhehlt er
keineswegs, daß Lincoln ganz bewußt zu schmutzigen Tricks und sogar
lupenreiner Korruption griff, um seine Ziele zu erreichen – und er stellt
durchaus zur Diskussion, ob der Zweck tatsächlich alle Mittel heiligt. Lincoln
selbst darf in einem vom OSCAR-nominierten Drehbuch-Autor Tony Kushner grandios
verfaßten und von Daniel Day-Lewis mit Leidenschaft vorgetragenen Monolog die
Pros und Contras seines juristisch höchst zweifelhaften Vorgehens beleuchten
und seine Selbstzweifel offenbaren. Dadurch wird Lincoln wie beiläufig auch
vom Sockel der scheinbar unantastbaren US-Ikone heruntergeholt und vermenschlicht –
dies ehrlich gesagt sogar effektiver als durch die Szenen mit seiner nicht ganz
einfachen Familie, die diese Aufgabe eigentlich übernehmen sollen. Nur daß sie
leider (und kurioserweise) nicht an die Spannung und die Emotionalität
der politischen Auseinandersetzungen heranreichen. Lincolns beständig zwischen
Streit und Versöhnung pendelnde Beziehung zu seiner psychisch leicht angeschlagenen
Frau Molly (Sally Field, "The Amazing Spider-Man") und das eher kühle Verhältnis zu seinem ältesten Sohn
Robert (Joseph Gordon-Levitt, "The Dark Knight Rises"), der gegen den Willen der Eltern unbedingt
Soldat werden möchte, stören zwar nicht gerade, sind aber in meinen Augen das
schwächste Glied der Kette.
Was umgekehrt natürlich sehr für Kushners ausgezeichnetes
Drehbuch und Spielbergs lebendige Inszenierung der in jeder Hinsicht
dominierenden Politik-Handlungsstränge spricht, von denen man kaum einen
dermaßen hohen Unterhaltungswert erwarten würde, wie "Lincoln" ihn
bietet. Um Monotonie zu vermeiden, ist dieser Politik-Teil in verschiedene und in etwa gleichberechtigte Elemente
untergliedert. Zum einen gibt es natürlich Lincoln, der über allem steht und
gemeinsam mit seinem Außenminister Seward (David Strathairn, "Das Bourne Vermächtnis") und dem einflußreichen republikanischen Politiker Blair (Hal Holbrook, "Die Unbestechlichen")
versucht, die Dinge in seinem Sinne zu lenken, ohne allzu direkt einzugreifen.
Diese Aufgabe fällt stattdessen vorrangig dem schlitzohrigen William N. Bilbo
(James Spader, TV-Serie "Boston Legal") zu, der mit seinen Leuten einfallsreich auf
die Jagd nach möglicherweise noch "bekehrungswilligen" demokratischen
Abgeordneten geht. Für die unumstrittenen Höhepunkte sorgen jedoch die Sitzungen
des Abgeordetenhauses selbst, in denen die Republikaner und die Demokraten ihre
fähigsten Redner an den Pult schicken, um wortgewaltig für ihre jeweilige Sache
zu streiten. Ich habe keine Ahnung, wie realistisch das Gezeigte ist, fest
steht jedoch, daß es eine wahre Freude ist, diese Auseinandersetzungen als
Zuschauer zu verfolgen. Vor allem Tommy Lee Jones kann in diesen Szenen
als engagierter Verfechter der Gleichberechtigung glänzen, der sich mit seinen
demokratischen Kontrahenten (dargestellt u.a. von Lee Pace, Peter McRobbie und
Michael Stuhlbarg) verbal duelliert. Es ist wirklich erstaunlich, wie gespannt man die Szenen im Abgeordnetenhaus – untermalt von der nicht allzu
innovativen und vereinzelt etwas pathetischen, aber insgesamt doch wieder einmal sehr
gelungenen Musik von Altmeister John Williams – vor allem gegen Ende hin
verfolgt, obwohl man ja weiß, wie es ausgeht. Da kann man wohl nur sagen:
Chapeau, Mr. Kushner; Chapeau, Mr. Spielberg!
Die hochkarätigen Darsteller tragen natürlich ihren Teil bei
zu dem großen und stets anspruchsvollen Vergnügen, das "Lincoln" ist
– nicht ohne Grund wurden mit Daniel Day-Lewis, Tommy Lee Jones und Sally Field
gleich drei von ihnen mit OSCAR-Nominierungen bedacht (insgesamt gab es für "Lincoln" bemerkenswerte zwölf). Vor allem Day-Lewis'
Verkörperung des Abraham Lincoln ist erwartungsgemäß eine Wucht und brachte ihm seinen bereits dritten Academy Award ein. Spielerisch gelingt es dem Briten, zwischen würdevollem Staatsmann, liebendem Vater,
leidenschaftlichem Politiker, besorgtem Ehemann und charismatischem
Geschichtenerzähler zu wechseln und dabei stets authentisch zu wirken. Sollte
sich übrigens jemand über die in der Tat zu Beginn gewöhnungsbedürftige
deutsche Stimme Lincolns (Frank Röth) beschweren, so sei ihm oder ihr versichert: Die
gleiche Kritik mußte sich auch der in seiner Rollenvorbereitung notorisch
perfektionistische Day-Lewis von Teilen des amerikanischen Publikums anhören.
Das liegt daran, daß Lincoln in Filmen bislang fast immer mit einer tiefen,
dröhnenden Stimme versehen wurde, doch Day-Lewis hält sich an die wenigen
überlieferten Berichte über die Stimme des Präsidenten, die als eher hoch und
nasal beschrieben wird. Es klingt nunmal nicht jeder Mensch so, wie er aussieht ... Auch bei der restlichen Besetzung gibt es keinerlei
Grund zur Klage, wenngleich etliche Charaktere aufgrund der gewaltigen Anzahl
handelnder Personen leider etwas kurz kommen. James Spader sorgt beispielsweise als
Stimmenfänger Bilbo für die humorvollen Momente, der loyale, aber regelbewußte
David Strathairn gibt als Außenminister ein überzeugendes Gegengewicht zum Präsidenten
ab, Jackie Early Haley ("Watchmen") überzeugt in seinen wenigen Szenen als pragmatischer Alexander Stephens, der Verhandlungsführer der Südstaaten, und Gloria Reuben (TV-Serie "Emergency Room") fungiert als frühere Sklavin und nun Molly Lincolns Vertraute
Elizabeth gewissermaßen als moralische Instanz.
Außerhalb der USA wurde "Lincoln" übrigens ein
kurzer erklärender Text über die historischen Hintergründe vorangestellt, der
allerdings so allgemein gehalten ist, daß er ziemlich überflüssig erscheint –
wer nicht zumindest minimales Interesse an der Thematik hat, der wird sich
einen solchen Film wohl sowieso nicht anschauen. Wesentlich hilfreicher wären ein paar
einordnende Erläuterungen gegen Ende der Geschichte gewesen, denn da gibt es
speziell in Sachen Friedensverhandlungen doch einige, teils wortlos gehaltene
Szenen, die ohne nähere Kenntnis der amerikanischen Geschichte nicht ganz so einfach
zu verstehen sein dürften. Richtig problematisch ist das allerdings nicht,
da ja sowieso vor allem das Verbot der Sklaverei im Mittelpunkt des Films steht.
Fazit: "Lincoln" ist ein Historienfilm, wie
man ihn sich wünscht: anspruchsvoll und ziemlich nahe an den Fakten, dabei aber
dank eines großartigen Drehbuchs unverschämt unterhaltsam und spannend sowie in jeder Hinsicht souverän in Szene gesetzt.
Wertung: 9 Punkte.
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