Am Sonntag steht die 90. Verleihung der Academy Awards in Los Angeles ins Haus (die erneut live bei Pro 7 übertragen wird), wie jedes Jahr wage ich kurz vorher eine ausführliche Analyse und Prognose für alle Kategorien. Als Basis für meine Einschätzung der Favoritenlage dienen dabei neben meiner eigenen jahrelangen Erfahrung vor allem die bisherigen Preisverleihungen der aktuellen Awards Season seit Ende November 2017 sowie amerikanische OSCAR-Blogs wie Gurus o' Gold, Goldderby.com und Indiewire. 2017 habe ich (wegen der kollektiv vergeigten Kurzfilm-Kategorien) ganz ordentliche 14 von 24 Kategorien richtig getippt, in den Jahren zuvor erheblich bessere 16, 15 und 18; ich kann also zwar nicht die Lottozahlen vorhersagen, tippe aber keineswegs einfach so ins Blaue ...
Bester
Film:
- Call Me
by Your Name
- Dunkirk
- Get Out
- Lady Bird
- Die Verlegerin
Davon habe ich gesehen und kann daher selbst beurteilen: Alle außer "Call Me by Your Name" (startet erst morgen in Deutschland) und "Lady Bird" (startet am 19. April). Meine Kritik zu "Die Verlegerin" folgt nächste Woche.
Favoriten: Erfreulicherweise einige, daher werde ich einfach einmal die vor mir angenommenen Gewinnwahrscheinlichkeiten angeben:
Keine Chance: "Call Me by Your Name", "Die dunkelste Stunde" und "Der seidene Faden". Für alle drei war die Nominierung in der Königskategorie ein Erfolg, mehr ist nicht drin.
1 %: "Die Verlegerin". Steven Spielbergs engagierter Journalismus-Thriller galt zu Beginn der Awards Season als ein Topfavorit, schnitt dann aber bei den Preisverleihungen auf dem Weg zu den Academy Awards unerwartet schwach ab, was in mageren zwei OSCAR-Nominierungen kulminierte. Eigentlich ist der Film damit chancenlos, das eine Prozent rechne ich ihm für die winzige Möglichkeit zu, daß die Academy-Mitglieder unbedingt Donald "Fake News" Trump eine reinwürgen wollen. Wird aber nicht passieren.
5 %: "Get Out". Zu meiner großen Überraschung sehen einige Branchenexperten und OSCAR-Tipper Jordan Peeles satirischen Rassismus-Thriller als einen ernsthaften Anwärter für einen Sensationssieg. Ich persönlich halte das eigentlich für ausgeschlossen, weil der Film dafür einfach nicht gut genug ist, aber klar: Auch ein Sieg von "Get Out" würde eine klare politische Botschaft senden und außerdem (im Gegensatz zu "Die Verlegerin") noch die Bemühungen der Academy um mehr Diversität demonstrieren. Daher bessere Aussichten als für Spielbergs Film, aber einen Sieg kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen.
9 %: "Dunkirk". Zu Beginn der Saison galten "Dunkirk" und "Die Verlegerin" als die großen Favoriten und wenngleich Christopher Nolans unkonventionell inszenierter Kriegsthriller im Lauf der Awards Season nicht so sehr abgeschmiert ist wie der Spielberg-Film, wäre ein Sieg in der Königskategorie inzwischen doch eine sehr große Überraschung - speziell, nachdem er zuletzt nicht einmal beim "Heimspiel", den britischen BAFTA Awards, gewinnen konnte.
15 %: "Lady Bird". Seit Beginn der Saison hat Greta Gerwigs Coming of Age-Tragikomödie bei den Preisverleihungen hervorragend abgeschnitten und konnte sich so zwischenzeitlich sogar fast zum Topfavoriten mausern. In den letzten Wochen verlief es jedoch eher ruhig, speziell die Gildenpreise gingen überwiegend an andere Filme. Das hat auch die OSCAR-Chancen deutlich geschmälert (denn es gibt viele Überschneidungen zwischen den Gildenmitgliedern und der Academy-Zusammensetzung), zumal "Lady Bird" am wenigsten aktuell oder politisch relevant erscheint.
30 %: "Three Billboards outside Ebbing, Missouri". Auch Martin McDonaghs schwarzhumorige Kleinstadt-Groteske begann eher als Außenseiter, dem man zwar einige Siege zutraute, aber kaum in der Hauptkategorie. Dann folgten immer mehr Nominierungen und Auszeichnungen als "bester Film" und spätestens mit dem recht überraschenden BAFTA-Triumph hat sich "Three Billboards ..." weit nach vorne katapultiert. Gegen ihn spricht (neben der unerwarteten Nicht-Nominierung von Regisseur Martin McDonagh), daß er kontroverser aufgenommen wurde als seine Hauptkonkurrenten, was vor allem mit der herben, alles andere als politisch korrekten Hauptfigur zusammenhängt. Und genau deshalb glaube ich auch, daß der OSCAR an einen anderen Film gehen wird.
40 %: "Shape of Water". Die Entwicklung bei Guillermo del Toros poetisch-romantischem Erwachsenen-Märchen verlief ähnlich wie bei "Three Billboards ...": Zunächst als gesetzt vor allem in den technischen Kategorien betrachtet, dann aber durch etliche Siege Konkurrent um Konkurrent in der Favoritenliste überholt - bis irgendwann keiner mehr vor ihm stand. Genau wie "Three Billboards ...", "Dunkirk" oder "Die Verlegerin" würde auch die für Toleranz eintretende Außenseiterballade eine Botschaft senden, dennoch war ich lange der Ansicht, daß die Story insgesamt etwas zu leichtgewichtig sei für den ganz großen Triumph. Doch die Hauptpreise bei den Critics' Choice Awards sowie den Produzenten- und Regisseursgilden zeigen, daß "Shape of Water" bereit ist. Geld darauf wetten würde ich allerdings trotzdem nicht ...
Gewinnen sollte: "Dunkirk".
Gewinnen wird: "Shape of Water - Das Flüstern des Wassers".