Regie und Drehbuch: Martin McDonagh, Musik: Carter Burwell
Darsteller:
Frances McDormand, Sam Rockwell, Woody Harrelson, Peter
Dinklage, Lucas Hedges, Clarke Peters, Sandy Martin, John Hawkes, Samara Weaving, Caleb Landry Jones, Kerry
Condon, Željko Ivanek, Abbie Cornish, Amanda Warren, Darrell Britt-Gibson,
Lawrence Turner, Kathryn Newton, Brendan Sexton III, Nick Searcy
FSK: 12, Dauer: 116 Minuten.
Sieben Monate ist es her, daß die Jugendliche Angela (Kathryn
Newton, "Bad Teacher") an einer Straße am Rand der
Südstaaten-Kleinstadt Ebbing vergewaltigt und ermordet wurde. Da die örtliche Polizei
seitdem keinerlei sichtbare Fortschritte bei ihren Ermittlungen gemacht hat,
ist Angelas Mutter Mildred (Frances McDormand, "Burn After Reading") frustriert und wütend und so entschließt sie sich eines Abends spontan zu einer folgenreichen Aktion: Sie
mietet drei Plakatwände am Stadtrand an, die wegen einer geänderten
Verkehrsanbindung seit den 1990er Jahren nicht mehr benutzt wurden, und fragt
darauf in großen Lettern Sheriff Willoughby (Woody Harrelson, "Planet der Affen: Survival"), warum keine Verdächtigen ermittelt
wurden. Da Mildred gleich noch einen TV-Bericht über ihre Aktion
organisiert, sorgt sie damit für reichlich Wirbel – auch deshalb, weil fast
jeder in der Stadt (inklusive Mildred) weiß, daß der beliebte Willoughby
todkrank ist. Während er selbst ein gewisses resigniertes Verständnis für Mildreds
Aktion zeigt, ist sein etwas einfältiger, ziemlich rassistischer Protegé
Dickson (Sam Rockwell, "Ganz weit hinten") stinksauer und versucht
mit allen Mitteln, die provokante Botschaft wieder von den Plakatwänden
wegzubekommen …
Kritik:
Frances McDormand wurde im Jahr 1996 weltberühmt durch ihre
OSCAR-prämierte Rolle als hochschwangere Provinzpolizistin Marge Gunderson in
"Fargo" von Joel und Ethan Coen. Gut 20 Jahre später erhielt sie ihre
inzwischen bereits fünfte Academy Award-Nominierung für die Rolle als wütende
Mutter einer brutal ermordeten Tochter in "Three Billboards outside Ebbing,
Missouri" von Martin McDonagh. Und irgendwie fühlt es sich fast an, als würde sich
ein Kreis schließen, denn die Filme der irischen McDonagh-Brüder erinnern
seit jeher an die der Coen-Brüder: skurril, mit knochentrockenem Humor,
offensiv unbequem und politisch unkorrekt und durchsetzt mit komplex
geschriebenen, hochspannenden Figuren. Anders als die seit Dekaden
scheinbar unzertrennlichen Coens arbeiten die McDonaghs zwar stets getrennt
voneinander, doch ihr Stil hat große Ähnlichkeiten. Eine Zeitlang dachte ich,
daß Martin ("Brügge sehen … und sterben?", "7 Psychos")
etwas tiefgründigere, bittersüßere Geschichten erzählt, während John Michaels
Filme ("The Guard", "Dirty Cops") witziger und auf schräge
Art optimistischer wirken – seit John Michaels niederschmetterndem
"Am Sonntag bist du tot" läßt sich diese Einschätzung aber keinesfalls
mehr halten. Martin McDonagh zeigt sich inhaltlich konsistenter und so fügt
sich sein tragikomisches, moralisch ambivalentes, höchst aufwühlendes und zum Nachdenken
anregendes Drama "Three Billboards …" passend in sein Œuvre ein –
auch wenn "Brügge sehen … und sterben?" knapp mein
Lieblings-McDonagh-Film bleibt.
Aus eigener Erfahrung weiß ich, daß es gar nicht wenige
Menschen – darunter auch ein paar Kritiker – gibt, die einen Film nicht
wirklich genießen können, wenn es keine klare Abgrenzung zwischen Gut und Böse,
zwischen Schwarz und Weiß gibt. Denen kann ich "Three Billboards …"
nicht guten Gewissens empfehlen, denn hier gibt es eine so große Anzahl
von Grautönen, daß man den Film mit Fug und Recht auch "Fifty Shades of
Grey" hätte benennen können – wäre dieser Titel nicht bereits anderweitig
vergeben. Hat zu Beginn noch wie selbstverständlich Mildred angesichts der
Tragödie, die sie durchleiden mußte, alle Sympathie des Publikums auf ihrer
Seite, merken wir doch schnell, daß die Sache so einfach nicht ist. Weder ist
Mildred die strahlende Heldin der Geschichte noch Chief Willoughby (oder selbst der
rassistische Dickson) der Bösewicht. Mildred ist schroff, ungehobelt, ein Stück
weit selbstgerecht und ziemlich unfair. Läßt man ihr das zunächst angesichts
der Gesamtsituation noch durchgehen, müssen wir uns doch mit jeder weiteren
Enthüllung respektive Entgleisung stärker eingestehen, daß Mildred kein sehr
netter Mensch ist – und dies bereits vor der Ermordung ihrer Tochter nicht war.
Sie brüskiert den örtlichen Pfarrer, der zwar etwas bevormundend daherkommt, es aber letztlich erkennbar gut
meint; sie achtet nicht genügend auf die Gefühle ihres verständnisvollen Sohnes
Robbie (Lucas Hedges, "Manchester by the Sea"), der durch die
Billboards sogar ein Detail zum Tod seiner Schwester erfährt, das er niemals
wissen wollte; und sie attackiert in vollem Bewußtsein einen todkranken
Gesetzeshüter, ohne ihn vorher zur Rede stellen.
Hätte sie das getan, dann wüßte sie nämlich, daß Sheriff
Willoughby eigentlich alles getan hat, was möglich war – jedoch darf man
getrost bezweifeln, daß diese Auskunft Mildred genügend besänftigt hätte, um
ihre provokative Aktion abzublasen. Zumal natürlich auch Willoughby nicht
fehlerfrei ist: Wenngleich er im Fall pflichtbewußt ermittelt hat, ist es eindeutig sein Versagen, die arme Mildred sieben Monate lang nicht über
Fortschritte oder ihr Ausbleiben zu informieren. Ganz zu schweigen davon, daß
er Officer Dickson beschützt und im Dienst beläßt, obwohl die ganze Stadt weiß,
daß er einen inhaftierten Schwarzen gefoltert/mißhandelt hat und auch im Alltag
nicht an rassistischen Bemerkungen spart. Doch selbst mit ihm kann man
phasenweise mitfühlen, ist er doch ein geistig offensichtlich nicht allzu
schneller Mensch, der sich von seiner dominanten Mutter (Sandy Martin, TV-Serie "Hand of God")
manipulieren läßt, allerdings in unverbrüchlicher – bedauerlicherweise etwas
übersteigerter – Loyalität zu seinem Mentor und Beschützer Willoughby steht. Letztlich ist er Mildred ironischerweise gar nicht so unähnlich, denn beide
handeln kompromißlos, um die Menschen, die ihnen wichtig sind, zu beschützen beziehungsweise
ihnen gerecht zu werden – mit fatalen Folgen. So kommt es, daß sich die
Handlung durch eine stete Aufeinanderfolge von Aktion und Reaktion von Mildred
und Dickson entfaltet, wodurch sich alles immer noch weiter verschlimmert,
und zwar für alle Beteiligten.
[LEICHTE SPOILERWARNUNG hinsichtlich des allgemeinen Handlungsverlaufs!]
Durch die zunehmende Eskalation der Geschehnisse wirkt
McDonaghs Film – wiewohl es dank der für ihn typischen, zynisch-witzigen
Oneliner, die er vor allem Mildred in den Mund legt, doch einige Lacher
gibt – recht pessimistisch. Immerhin zeichnet er durchaus
gesellschaftskritisch das wenig verheißungsvolle, aber wohl nicht
unrealistische Bild eines rückständigen Kaffs im konservativen Mittleren Westen, in dem
Polizeigewalt, Vorurteile und Alltagsrassismus ziemlich normal sind (auch wenn
ich schwer hoffe, daß in der Realität jemand mit den Verfehlungen Officer Dicksons trotzdem nicht nur gefeuert, sondern sogar inhaftiert
würde). Doch bevor alles den Bach runtergehen kann, geschieht etwas, worauf man
kaum noch zu hoffen gewagt hatte: Sowohl Mildred als auch Dickson werden durch die
Freundlichkeit und Güte anderer von ihrem (selbst)zerstörerischen Pfad
abgelenkt. Dabei spielt vor allem Sheriff Willoughby eine große Rolle, aber
auch etliche Nebenfiguren wie der an Mildred interessierte kleinwüchsige James
(Peter Dinklage, "X-Men: Zukunft ist Vergangenheit"), der homosexuelle
Werbetafel-Vermarkter Red Welby (Caleb Landry Jones, "Barry Seal") und seine Assistentin Pamela
(Kerry Condon, "Unleashed"), der taffe neue Polizeichef Abercrombie (Clarke Peters, TV-Serie "The Wire"), der namenlos bleibende Polizei-Sergeant
des Typs "hart aber fair" (Željko Ivanek, "Argo") und sogar Penelope (Samara
Weaving, "Monster Trucks"), die entwaffnend naive 19-jährige Geliebte von Mildreds gewalttätigem
Exmann Charlie (John Hawkes, "The Sessions"). Ob das ausreicht, um
Dickson und Mildred wieder oder vielleicht zum ersten Mal auf die
richtige Spur zu bringen, das bleibt relativ offen, auch sind ihre vorherigen (Un)taten keineswegs auf einen Schlag vergeben und vergessen – doch zumindest gibt es so
etwas wie Hoffnung, womit Martin McDonagh unter all dem Zynismus seiner
zentralen Protagonisten doch eine zutiefst humanistische Botschaft verbirgt.
[SPOILERWARNUNG ENDE!]
"Three Billboards …" hält die gesamten zwei
Stunden über die Spannung mit überraschenden Wendungen hoch, da sich die von
McDonagh kreierten komplexen Charaktere immer wieder anders
verhalten als erwartet. Gleichzeitig gelingt McDonagh der Spagat zwischen
einer gerade ob der höchst ambivalenten zentralen Figuren permanenten latent
unbequemen Atmosphäre und bemerkenswert viel Humor – wobei wie immer bei
McDonagh die sich aus Carter Burwells (der auch die
"Fargo"-Musik komponierte) gefühlvollem Score und einer u.a. Townes van
Zandt, Joan Baez und ABBA umfassenden Songauswahl zusammensetzende Musik mit
hineinspielt. Da kann man noch so unruhig auf die vermeintlich unvermeidliche
nächste Eskalationsstufe warten – wenn Mildred wieder einmal einen trockenen
Spruch losläßt oder einem aufmüpfigen Teenager kurzerhand mit Schmackes
zwischen die Beine tritt, sorgt das definitiv für dringend benötigte
Auflockerung (auch wenn einem das Lachen mitunter eher im Halse stecken bleibt). Den fiesesten, aber erinnerungswürdigsten Oneliner hat
übrigens Willoughby abbekommen, als dieser sich vor Mildred dafür
verteidigt, Dickson im Dienst belassen zu haben: "Würde man alle Polizisten mit
rassistischen Tendenzen entlassen, blieben nur noch drei übrig – und die wären
Schwulenhasser!" Naturgemäß würde ein Film wie "Three Billboards
…" mit vielen unbequemen Protagonisten nur halb so gut funktionieren
ohne die passenden Schauspieler. Bereits die zwei sehr verdienten OSCARs
für McDormand und Rockwell sowie die Nominierung für Harrelson belegen, daß McDonagh die gefunden hat (wobei der Film bis in kleinste Nebenrollen glänzend besetzt ist).
Alle drei erfüllen ihre Figuren mehr als gekonnt mit Leben, sie ermöglichen es
mit ausdrucksstarker, facettenreicher Darstellung, trotz ihrer zahlreichen
Charakterfehler mit ihnen mitzufühlen und Verständnis für sie aufzubringen. Dabei
glänzen sie sowohl in lauten als auch in leisen Szenen, beispielsweise gehen
die privaten Momente des todkranken Willoughby mit seiner Frau Anne (Abbie
Cornish, "Sucker Punch") und ihren beiden Töchtern logischerweise besonders ans Herz –
aber auch Mildreds Szenen mit ihrem insgesamt leider etwas zu kurz kommenden Sohn Robbie
oder die Dicksons Gespräche mit seiner Mutter stärken gekonnt die
emotionale Bindung des Publikums zu ihnen. Daß McDonagh an ein paar Stellen etwas
dick aufträgt und zu konstruierte Drehbuchentscheidungen fällt (speziell
die Rückblende zum letzten Moment, an dem Mildred und Robbie Angela lebend
gesehen haben, ist meiner Ansicht nach etwas zu viel des Guten), verhindert die Höchstnote, ist aber alles in allem eine läßliche Sünde angesichts der sehr hohen Qualität eines
Films, über den man nach dem Abspann noch lange nachdenken wird.
Fazit: "Three Billboards outside Ebbing,
Missouri" ist eine originelle und mit knochentrockenem Humor angereicherte
Tragikomödie voller wunderbar komplexer und ambivalenter Figuren, auch wenn das
Fehlen eines wirklichen Sympathieträgers unter den Hauptfiguren manche Zuschauer
herausfordern dürfte.
Wertung: 9 Punkte.
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