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In eigener Sache: Mein neues Filmbuch

Einigen Lesern ist bestimmt aufgefallen, daß ich in der rechten Spalte meines Blogs seit längerer Zeit das Cover meines neuen Buchs präsen...

Dienstag, 6. Februar 2018

DER SEIDENE FADEN (2017)

Originaltitel: Phantom Thread
Regie und Drehbuch: Paul Thomas Anderson, Musik: Jonny Greenwood
Darsteller: Daniel Day-Lewis, Vicky Krieps, Lesley Manville, Brian Gleeson, Camilla Rutherford, Gina McKee, Harriet Sansom Harris, Silas Carson, Eric Sigmundsson, Julia Davis, Sue Clark, Lujza Richter, Phyllis McMahon, Joan Brown
Der seidene Faden
(2017) on IMDb Rotten Tomatoes: 91% (8,5); weltweites Einspielergebnis: $48,7 Mio.
FSK: 6, Dauer: 131 Minuten.

Im London der 1950er Jahre ist Reynolds Woodcock (Daniel Day-Lewis, "Lincoln") ein bei der High Society gefragter brillanter Schneider. Seine einzige wahre Liebe scheint seine Kunst zu sein, die einzige dauerhafte Weggefährtin ist seine ältere Schwester Cyril (Lesley Manville, "Mr. Turner"). Da Reynolds sehr charmant sein kann und, obwohl er nicht mehr ganz jung ist, gut aussieht, befindet er sich zwar fast immer in einer romantischen Beziehung – allerdings halten die nie lange an, da der eingefleischte Junggeselle der stets jüngeren Frauen früher oder später überdrüssig wird. Es gibt keinen Grund anzunehmen, daß das mit seiner neuesten Muse, der Kellnerin Alma (Vicky Krieps, "Zwei Leben"), anders laufen sollte. Doch Alma, die Reynolds auch tatkräftig bei der Arbeit unterstützt und mit der strengen Cyril recht gut auskommt, denkt gar nicht daran, Reynolds wieder zu verlassen …

Kritik:
Der Brite Daniel-Day Lewis zählt mit Sicherheit zu den ungewöhnlichsten Schauspielern der Kinogeschichte. Gerade einmal 20 Filme (Cameos nicht mitgezählt) hat er gedreht, doch kaum eine seiner Rollen blieb ohne Auszeichnungen und seine Quote von OSCAR-Nominierungen pro Film (6 von 20, also genau 30%; übrigens alle als Hauptdarsteller) dürfte einzigartig sein. So gesehen mußte es eigentlich niemanden wundern, als er bekannt gab, mit 60 Jahren in den Ruhestand zu gehen – Day-Lewis war immer ein betont selbstbestimmter Schauspieler, der sich seine Rollen ganz genau aussuchte; da ist es nur konsequent, daß er sich auch selbst aussucht, wann er seinen Beruf an den Nagel hängt. Ohne die vertrauensvolle Arbeitsbeziehung zu Paul Thomas Anderson, mit dem er bereits das wuchtige Meisterwerk "There Will Be Blood" realisierte, hätte er vermutlich sowieso schon vor Jahren aufgehört, schließlich sind seit seinem letzten Film ("Lincoln") sechs Jahre vergangen. So ist es nur passend, daß Day-Lewis seine Karriere mit einem Werk von Paul Thomas Anderson (vermutlich) beendet. Es ist mit Sicherheit weder Andersons bester Film noch Day-Lewis', dafür ist das 1950er Jahre-Mode-Liebesdrama bei aller emotionalen Komplexität letztlich doch ein wenig zu unspektakulär und handlungsarm. Doch es bietet Daniel Day-Lewis eine elegante, wundervoll ausgestattete Bühne für einen sehr würdigen Abschied, bei dem er ein letztes Mal seine große Wandlungsfähigkeit, Nuanciertheit und schauspielerische Intensität unter Beweis stellen kann und dafür sogar zwei annähernd gleichwertige Schauspielpartnerinnen zur Verfügung hat.

Für die Luxemburgerin Vicky Krieps, bekanntgeworden durch große deutsche Produktionen wie Detlev Bucks "Die Vermessung der Welt", dürfte ihre Leistung in "Der seidene Faden" ihren internationalen Durchbruch bedeuten (auch wenn sie durch die sehr starke Konkurrenz bei den Hauptdarstellerinnen anders als Day-Lewis und Lesley Manville ohne eine OSCAR-Nominierung blieb). In einem Film, in dem Regisseur und Autor Anderson ganz offensiv die Charaktere und ihre Darsteller ins Zentrum rückt, zeigt die Hollywood-Debütantin eine exzellente Leistung. Das ist angesichts der Tatsache, daß sie sich in fast jeder Szene nebem dem Schauspielgiganten Daniel Day-Lewis behaupten muß, mehr als bemerkenswert. Beide harmonieren wunderbar, ebenso wie die Rollen, die sie spielen – wenn auch in diesem Fall auf ziemlich schräge Art und Weise. Die Anziehung zwischen Reynolds und Alma ist dabei von ihrer ersten Begegnung an offenbar, die treffenderweise wortlos ihren Anfang nimmt, als Reynolds sie in dem Restaurant, in dem sie arbeitet, beobachtet und offensichtlich bereits (in mehrfacher Hinsicht) einschätzt. Das ist deshalb so bezeichnend, weil Anderson die gesamten zwei Stunden über Dialoge nur die zweite Geige spielen läßt. Viel wichtiger ist ihm das Verhalten der Figuren, sind Mimik und Gestik – was den Film zu einem wunderbaren Schaukasten für die zentralen Darsteller macht.

Natürlich wäre das nur halb so interessant, würde sich einfach eine mehr oder weniger normale Liaison zwischen Reynolds und der jüngeren Alma entwickeln. Doch das ist selbstverständlich nicht der Fall: Die Beziehung hat Aufs und Abs, wobei die Abs – wie bei Reynolds' vorherigen Beziehungen – immer zahlreicher werden. Obwohl Reynolds direkte Konfrontationen scheut, sorgt das für etliche intensive, immer wieder auch für die Zuschauer unangenehme Momente voller unterdrückter Aggressionen zwischen den beiden. Besonders beeindruckend ist etwa eine Sequenz, in der Alma gegen Cyrils Rat das Gewohnheitstier Reynolds mit einem privaten, selbstgekochten Abendessen überraschen will. Das geht wenig überraschend richtig in die Hose, bringt aber Vicky Krieps' stärkste Szene mit sich. Denn als Alma Reynolds mit seinem Verhalten und ihrer Frustration konfrontiert, da geschieht das nicht auf geschliffene, eloquente Art und Weise – stattdessen findet sie im Überschwang ihrer Emotionen (und wohl auch wegen ihrer mutmaßlich niedrigeren Bildung) nicht die richtigen Worte, gerät leicht ins Stottern und bezeichnet Reynolds dreimal hintereinander wenig einfallsreich als "Idiot". Gerade weil dieser Ausbruch so unbeholfen ist, wirkt er jedoch umso überzeugender, umso authentischer – weil Krieps es einfach wunderbar spielt und Day-Lewis als Reynolds entsprechend reagiert. Diese Reaktion ist subtiler, wie Reynolds zumindest im Privaten generell nur ungern Gefühle zeigt; speziell mit dem Ausdrücken positiver Emotionen tut er sich ziemlich schwer, was für seine jeweiligen Gefährtinnen natürlich nicht einfach ist. Daß Day-Lewis auch diese gewisse Stoik nuancenreich zum Ausdruck bringt, ist einmal mehr Zeugnis seines großen Könnens – aber im letzten Akt darf er dann zum großen Vergnügen aller Anhänger des Schauspielerkinos auch etwas mehr aus sich herausgehen.

Nicht leicht macht es Anderson dem Publikum, eine Bindung zu den Hauptfiguren aufzubauen, denn dafür wären Informationen und Hintergründe hilfreich. Doch die zu vermitteln ist angesichts der weitgehenden Sprachlosigkeit der Figuren nicht so einfach und liegt offensichtlich auch gar nicht in Andersons Interesse. Er fordert von den Zuschauern Aufmerksamkeit, Konzentration und Kombinationsgabe ein – wenn fast alles, was wir über Almas Zeit vor Reynolds erfahren, die Tatsache ist, daß sie als Kellnerin arbeitete, dann muß das eben genügen. Bei Reynolds gibt es durch das gleich zu Beginn vermittelte Wissen über seine Unfähigkeit oder auch seinen Unwillen zu langfristigen amourösen Beziehungen sowie durch sein enges Verhältnis zu seiner Schwester Cyril ein paar mehr Anhaltspunkte, ein offenes Buch ist der Modedesigner deshalb noch lange nicht. Besonders die Beziehung zu Cyril, die aus jeder von Reynolds' Affären mehr oder weniger eine Ménage-à-trois macht, läßt jede Menge Interpretationsspielraum. Daß Cyril jahrzehntelang die einzige Frau ist, zu der er auf Dauer eine enge Beziehung aufrechterhält, ist für Psychologen jedenfalls sicher ein gefundenes Fressen. Inwiefern das auf seine (beidseitig) zunehmend obsessive Beziehung zu Alma Einfluß hat, das muß jeder Zuschauer für sich selbst entscheiden, denn Anderson gibt keine deutlichen Hinweise, er bildet nur ab.

Dies tut er mit der gewohnten Eleganz, die durch die alles ummantelnde Modebranche noch über das gewohnte Maß gesteigert wird – Ausstattung und die OSCAR-prämierten Kostüme von Mark Bridges ("Inherent Vice") sind opulent, die ebenfalls von Anderson geführte Kamera setzt alles ins richtige Bild und Andersons Stammkomponist Jonny Greenwood überrascht mit einer ungewöhnlich zarten, feinfühligen und zurückhaltenden musikalischen Untermalung, die ausgesprochen klassisch daherkommt und dem Geschehen den passenden Rahmen verleiht. Daß es dabei gar keine nennenswerte Handlung gibt und die Nebenfiguren (bis auf Cyril) kaum eine Rolle spielen, da sich alles nur um Reynolds und Alma dreht, macht das sowieso klar an das Arthouse-Publikum gerichtete Mode-Liebesdrama nicht leichter zu konsumieren, doch wenn am Ende alle Fäden ineinanderlaufen, merkt man, wie gut durchdacht das Drehbuch ist – das auf ein ziemlich unkonventionelles, aber auf schräge Art und Weise sehr befriedigendes Ende hinausläuft, das so wohl niemand vorausgesehen hätte. Und gerade im durchaus etwas langatmig geratenen Mittelteil flicht Anderson sogar immer wieder (trockenen) Humor ein, wenn etwa das erste Date von Alma und Reynolds zu ihrer erkennbaren Irritation damit endet, daß er ihre Maße nimmt und ihren Körper sehr unverblümt kommentiert ("Du hast keine Brüste") … Angesichts dessen dürfte es übrigens keinen verwundern, daß Reynolds nicht der allergrößte Sympathieträger ist – Alma und Cyril sind es allerdings auch nicht. Alle drei haben erhebliche Charakterfehler und sind auf ihre Weise obsessiv, doch sind sie so gut gezeichnet und gespielt, daß man mit ihnen mitfühlen und ihnen selbst für ihre dümmsten Worte und Taten nicht lange böse sein kann. Nein, "Der seidene Faden" ist kein einfacher Film und für meinen Geschmack geschieht letztlich einfach etwas zu wenig darin – aber wer sich darauf einläßt, wird mit einem unglaublich kunstvollen Beziehungsdrama mit herausragenden schauspielerischen Leistungen belohnt.

Fazit: "Der seidene Faden" ist ein kunstvolles, elegisches und sehr langsam erzähltes Mode-Liebesdrama, das sich komplett auf seine drei Protagonisten konzentiert und mit exzellenten Schauspielern aufwartet, sich mit der eher skizzenhaften und dialog- wie auch aktionsarmen Handlung aber klar an ein geduldiges Arthouse-Publikum richtet.

Wertung: 7,5 Punkte.


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