Empfohlener Beitrag

In eigener Sache: Mein neues Filmbuch

Einigen Lesern ist bestimmt aufgefallen, daß ich in der rechten Spalte meines Blogs seit längerer Zeit das Cover meines neuen Buchs präsen...

Donnerstag, 12. November 2020

ONWARD – KEINE HALBEN SACHEN (2020)

Regie: Dan Scanlon, Drehbuch: Jason Headley, Keith Bunin und Dan Scanlon, Musik: Jeff und Mychael Danna
Sprecher der Originalfassung: Tom Holland, Chris Pratt, Julia Louis-Dreyfus, Octavia Spencer, Mel Rodriguez, Lena Waithe, Ali Wong, Grey Griffin, Wilmer Valderrama, Tracey Ullman, John Ratzenberger, Kyle Bornheimer
Onward: Keine halben Sachen (2020) on IMDb Rotten Tomatoes: 88% (7,2); weltweites Einspielergebnis: $141,9 Mio.
FSK: 6, Dauer: 102 Minuten.
 
Der junge Elf Ian Lightfoot (in der Originalfassung gesprochen von Tom Holland, "Spider-Man: Homecoming") wächst mit seinem älteren Bruder Barley (Chris Pratt, "Jurassic World") und ihrer Mutter Laurel (Julia Louis-Dreyfus, TV-Serie "Veep") in einer von Fabelwesen bevölkerten Fantasy-Welt auf, die aber mit dem Aufkommen der Technologie nach und nach fast sämtliche Magie verloren hat. Zu Ians 16. Geburtstag erhalten er und Barley von Laurel ein Geschenk ihres noch vor Ians Geburt verstorbenen Vaters Wilden (Kyle Bornheimer, "Marriage Story"): einen Zauberstab mitsamt eines Zaubers, mit dem man Wilden für genau einen Tag von den Toten auferstehen lassen kann! Begeistert wird der Zauberspruch ausprobiert, er funktioniert allerdings nicht so ganz – lediglich Wildens Unterkörper ist zurückgekommen! Der wichtigere Rest fehlt und da beim Zauber der Phoenix-Stein des Zauberstabs zerstört wurde, ist guter Rat teuer: Wo bekommt man innerhalb von 24 Stunden ein neues Exemplar dieses extrem raren Artefakts her? Zum Glück ist Barley begeisterter Rollenspieler und da die Rollenspiele dieser Welt auf deren weithin vergessener Realität basieren, findet er schnell einen ersten Hinweis. Gemeinsam machen sich Ian und Barley, den halben Vater im Schlepptau, auf die gefährliche Queste – und als Laurel das Verschwinden ihrer Söhne bemerkt, eilt sie sofort hinterher und findet Unterstützung in einer erfahrenen Mantikor-Dame (Octavia Spencer, "Snowpiercer") …
 
Kritik:
Das vielfach OSCAR-gekrönte Animationsstudio Pixar gehört bekanntlich seit 2006 zu Walt Disney – daß Pixar und die altehrwürdigen Walt Disney Animation Studios friedlich und dabei kommerziell lukrativ koexistieren können, hat meiner Ansicht nach zwei Hauptgründe. Erstens selbstverständlich die Qualität, die bei Pixar fast immer in hohem Maß vorhanden ist und bei Disney Animation zumindest häufig. Zweitens die deutlich unterschiedlichen inhaltlichen und auch erzählerischen Schwerpunkte. So setzt Disney Animation seit jeher auf (oft buchstäblich) märchenhafte Geschichten, wohingegen die Pixar-Storys meist in unserer Welt spielen – wenn auch teilweise in der Zukunft ("WALL*E"), mit Superhelden ("Die Unglaublichen"), lebendigen Spielzeugen ("Toy Story") oder knuffigen Monstern ("Die Monster AG") – und bemerkenswert häufig auf einen richtigen Antagonisten verzichten. Während Disney Animation eine Vielzahl denkwürdiger Bösewichte schuf – man denke nur an die böse Königin in "Dornröschen", Cruella de Vil in "101 Dalmatiner", Tiger Shir Khan in "Das Dschungelbuch", den Großwesir Dschafar in "Aladdin" oder Scar in "Der König der Löwen" –, legt Pixar sein Augenmerk meist lieber ganz auf seine Protagonisten und ihre Probleme, die in der Regel auf irgendeine Weise mit Verlust zu tun haben. "Onward – Keine halben Sachen" von Dan Scanlon ("Die Monster Uni") überquert zwar mit seinem Fantasy-Setting ein wenig die Grenze zur Disney Animation-Domäne, macht beim fehlenden Bösewicht aber keine Ausnahme. Und einmal mehr funktioniert der Ansatz: "Onward" erreicht nicht die Klasse der besten Pixar-Werke, unterhält aber mit sympathischen Hauptfiguren und einer durch Rollenspiel-Elemente angereicherten Geschichte durchgehend auf ziemlich hohem Niveau.
 
Anhand der zahlreichen nicht verwendeten Szenen läßt sich gut nachvollziehen, wie sehr und spät sich "Onward" inhaltlich gegenüber dem ursprünglichen Konzept verändert hat. Demnach wäre Barley ein ziemlicher Einfaltspinsel und Möchtegern-Rocker gewesen, wohingegen als zusätzliche Figur die Rollenspiel-Expertin Jenny die Queste maßgeblich vorangetrieben hätte. Schließlich entschied man sich jedoch dazu, Jenny zu streichen, ihre Eigenschaften großteils auf Barley zu übertragen und die Beziehung zwischen den ungleichen Brüdern ins Zentrum der Geschichte zu stellen. Ich denke, das war eine gute Wahl, denn schon von den "verlorenen" Szenen ausgehend finde ich Barley recht nervig, die neue Version ist wesentlich angenehmer – und die verschwundene weibliche Figur wird durch den B-Handlungsstrang rund um Laurel und die Mantikor-Dame (für diejenigen, die sich in Fantasy nicht so gut auskennen: ein Hybrid aus Löwe und Skorpion!) gut kompensiert. Ein wenig schade finde ich als alter Rollenspieler nur, daß der Rollenspiel-Aspekt im finalen "Onward" klar schwächer ausgeprägt ist als in der Ur-Version. Es ist aber genügend übriggeblieben, daß sich Rollenspieler (vor allem "Dungeons & Dragons"-Kenner) über zahlreiche Verweise und Anspielungen freuen können.
 
Davon unabhängig ist die Queste der Lightfoots einfach unterhaltsam, amüsant und zumeist temporeich gestaltet und profitiert von den mal bissigen, mal gefühlvollen Dialogen zwischen den Brüdern, die in der Originalfassung sehr überzeugend und lebhaft von den MCU-Stars Tom "Spider-Man" Holland und Chris "Star-Lord" Pratt gesprochen werden. Daß richtig spektakuläre Höhepunkte Mangelware sind und sich die erinnerungswürdigen Gags an einer Hand abzählen lassen, fällt angesichts dieser Stärken gar nicht so sehr ins Gewicht – 100 Minuten konstant guter Unterhaltung sind schließlich nicht zu verachten, da braucht es nicht unbedingt ein Gag-Feuerwerk. Ein bißchen schwach auf der Brust im Vergleich zu anderen Animationsfilmen ist "Onward" hinsichtlich der Nebenfiguren. Laurel und die Mantikor-Dame geben ein liebenswertes Duo ab, das gerne mehr Screentime hätte abbekommen dürfen, ansonsten bleiben aber nur Laurels recht polternd auftretender, aber gutmeinender neuer Freund Colt (Mel Rodriguez, TV-Serie "The Last Man on Earth") – ein als Polizist tätiger Zentaur – und vor allem die herrlich albernen Rocker-Feen in Erinnerung, die sich als absolute Scenestealer erweisen und in ihren wenigen Szenen für große Erheiterung sorgen. Insgesamt bleiben die Nebenfiguren aber relativ unauffällig, was sich damit erklären läßt, daß das Autoren-Trio sich auf die zentrale Brüder-Beziehung konzentriert – und das ist nicht die schlechteste Idee, denn deren Geschichte ist glaubwürdig und mit viel Herz erzählt und macht sie zu Protagonisten, mit denen man gerne Zeit verbringt. Viel Lob hat selbstredend auch die Animationsqualität verdient, doch alles andere wäre bei einem Pixar-Film sehr überraschend. Die Fantasywelt von "Onward" ist ebenso liebe- wie phantasievoll gestaltet und glänzt mit vielen netten Einfällen im Hintergrund (wie den stets denkbar unglamourös im Müll nach Nahrung stöbernden Einhörnern) und einem überzeugenden Kreaturendesign. Es ist bedauerlich, daß "Onward" in den Kinos so wenig Zuschauerinteresse wecken konnte, daß er nach "Arlo & Spot" (2015) der erst zweite kommerzielle Pixar-Mißerfolg wurde. Das ist zwar teilweise mit der Corona-Pandemie zu entschuldigen, doch kam "Onward" in vielen Ländern bereits kurz vor deren Ausbruch in die Kinos und lief da so mittelmäßig, daß es auch ohne Pandemie nicht zu einem Hit gereicht hätte. Auf eine Kino-Fortsetzung (oder ein Spin-Off á la "Minions" mit den Rocker-Feen …) braucht also niemand zu hoffen.
 
Fazit: "Onward – Keine halben Sachen" ist ein sehr charmanter Pixar-Animationsfilm, dessen Fantasywelt ebenso gut zu unterhalten weiß wie die sympathischen Charaktere und die recht geradlinige Story – auch wenn echte Höhepunkte fehlen.
 
Wertung: 7,5 Punkte.
 
 
Bei Gefallen an meinem Blog würde ich mich über die Unterstützung von "Der Kinogänger" mittels etwaiger Bestellungen über einen der amazon.de-Links in den Rezensionen oder über das amazon.de-Suchfeld in der rechten Spalte freuen, für die ich eine kleine Provision erhalte.
 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen