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In eigener Sache: Mein neues Filmbuch

Einigen Lesern ist bestimmt aufgefallen, daß ich in der rechten Spalte meines Blogs seit längerer Zeit das Cover meines neuen Buchs präsen...

Donnerstag, 9. Juli 2020

DIE BERUFUNG – IHR KAMPF FÜR GERECHTIGKEIT (2018)

Originaltitel: On the Basis of Sex
Regie: Mimi Leder, Drehbuch: Daniel Stiepleman, Musik: Mychael Danna
Darsteller: Felicity Jones, Armie Hammer, Justin Theroux, Cailee Spaeny, Sam Waterston, Jack Reynor, Kathy Bates, Stephen Root, Chris Mulkey, Gary Werntz, Ben Carlson, Francis Xavier McCarthy, Wendy Crewson, Ronald Guttman, Sharon Washington, John Ralston, Ruth Bader Ginsburg
 Die Berufung - Ihr Kampf für Gerechtigkeit
(2018) on IMDb Rotten Tomatoes: 74% (6,5); weltweites Einspielergebnis: $38,7 Mio.
FSK: 0, Dauer: 121 Minuten.

Als die altehrwürdige Harvard University in den 1950er Jahren Frauen das Jura-Studium erlaubt, zählt Ruth Bader Ginsburg (Felicity Jones, "Die Entdeckung der Unendlichkeit") zu den ersten Absolventinnen. Doch obwohl sie als Klassenbeste abschließt und zusätzlich einen Abschluß an der Columbia University erwirbt, findet sie in New York – im Gegensatz zu ihrem Ehemann, dem Steueranwalt Martin (Armie Hammer, "Lone Ranger") – keine Anstellung in einer Kanzlei. Obwohl sie unbedingt vor Gericht für das Recht kämpfen wollte, nimmt sie deshalb frustiert das Angebot einer Professur an der Rutgers University an. Die Arbeit mit engagierten Studenten der von der Bürgerrechtsbewegung geprägten 1960er Jahre erfüllt Ruth mehr, als sie erwartet hatte, trotzdem träumt sie immer noch davon, nicht nur Studenten dafür auszubilden, daß sie dereinst die Gesellschaft verändern können – nein, sie will selbst etwas verändern und speziell für mehr Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau sorgen. Das erscheint als ein hoffnungsloses Unterfangen, da die Diskriminierung der Frau seit 100 Jahren durch zahlreiche Präzedenzfälle zementiert wurde. Ironischerweise erhält Ruth ihre große Chance ausgerechnet durch einen Fall, in dem ein Mann namens Charles Moritz (Chris Mulkey, "Captain Phillips") steuerrechtlich diskriminiert wird, weil er als Unverheirateter seine kranke Mutter pflegt, das aber nicht von der Steuer absetzen darf. Gemeinsam mit ihrem Mann und dem für die Nichtregierungsorganisation ACLU tätigen Bürgerrechtsanwalt Mel Wulf (Justin Theroux, "Wanderlust") übernimmt Ruth den Fall …

Kritik:
Ruth Bader Ginsburg ist in den USA seit Jahrzehnten eine Bürgerrechts-Ikone, welche in ihrer Karriere als Anwältin und Professorin die US-Gesellschaft maßgeblich zum Besseren prägte (sofern man Gleichberechtigung gut findet) und seit 1993 Mitglied des Obersten Gerichtshofes ist – übrigens gewählt mit 96 zu 3 Stimmen, was angesichts der heutigen Polarisierung der US-Politik kaum zu glauben ist. Auch im Rest der Welt ist Ginsburg bekannt (mit ziemlicher Sicherheit die bekannteste Oberste Richterin der USA), was damit zusammenhängen dürfte, daß sie auch mit Mitte 80 und trotz mehrfacher Krebserkrankungen nicht bereit war, der Trump-Regierung nach einem gestohlenen Sitz im Obersten Gerichtshof (der Obama zustand) und einem dubios geholten (rund um den plötzlichen Rücktritt des Richters Kennedy gibt es etliche Ungereimtheiten) noch zu einem dritten "Pick" auf Lebenszeit zu verhelfen und in der Folge den Supreme Court mutmaßlich auf Dekaden hinaus erzkonservativ zu prägen. Ein Film über Ruth Bader Ginsburg war also eigentlich überfällig und tatsächlich gab es im Jahr 2018 gleich einen Doppelpack: die zweifach OSCAR-nominierte Doku "RBG" und das etwas arg konventionelle, aber gut gemachte und informative Biopic "Die Berufung". Zur Abwechslung ist das übrigens mal ein gelungener – wenn auch für sich genommen recht beliebig klingender – deutscher Titel, da er sowohl den im Zentrum stehenden Fall abdeckt (der vor dem Berufungsgericht verhandelt wird) als auch Ginsburgs persönliche Mission, für die Gleichberechtigung und ganz besonders die Frauenrechte zu kämpfen.

Ein klassisches, eine komplette Lebensgeschichte erzählende Biopic ist "Die Berufung" nicht, da sich Regisseurin Mimi Leder ("Deep Impact") und Drehbuch-Autor Daniel Stiepleman (der sein Filmdebüt feiert, aber als Ginsburgs Neffe naturgemäß einen höchst intimen Einblick in das Leben der Protagonistin hat) auf eine Zeitspanne von etwa 15 Jahren konzentrieren – von Ginsburgs Studienbeginn 1956 bis zur Entscheidung im Berufungsfall "Moritz v. Commissioner" 1972. Dabei werden Ruths Studium und ihre Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt erstaunlich kurz abgehandelt, der Löwenanteil des Films entfällt auf den Fall selbst, bei dem Ruth erstmals vor Gericht auftritt. Das ist einerseits ein bißchen schade, da wir auf diese Weise gar nicht so viel über die Person Ruth Bader Ginsburg erfahren, andererseits ermöglicht der Fokus auf ihren ersten großen Fall eine wirklich tiefgehende Betrachtung der Thematik und der Vorgehensweise des Ehepaars Ginsburg. Am besten lernen wir Ruth kennen durch ihre Familie: Armie Hammer verkörpert ihren Gatten Martin als einen gutmütigen, extrem loyalen Mann, der mit Charme und ungezwungener Freundlichkeit die Menschen für sich einnimmt, seine mit gesellschaftlichen Mißständen hadernde Frau mit positiver Einstellung und unbedingtem Rüchhalt erdet und auch ausgleichend zwischen Ruth und der 15-jährigen Tochter Jane (Cailee Spaeny, "Bad Times at the El Royale") wirkt. Im Grunde genommen sind die typischen Geschlechterrollen umgedreht, denn hier ist nicht Ruth die im Hintergrund unterstützend wirkende starke Frau ihres in der Öffentlichkeit stehenden Manns, sondern der immer ausgeglichene Martin ist die große Stütze seiner allen Widrigkeiten, Hindernissen und Vorurteilen zum Trotz nach Höherem strebenden Gattin. Armie Hammer und Felicity Jones geben dabei ein sehr glaubwürdiges Paar ab, dem man die Liebe und den unverbrüchlichen Zusammenhalt gerne abnimmt. Erhellender sind aber die Interaktionen zwischen Ruth und ihrer Tochter Jane: Während Jane mit der Strenge ihrer Mutter ebenso hadert wie mit ihrem eher theoretischen Einsatz für die Bürgerrechte, kommt Ruth nicht immer klar mit dem leidenschaftlichen Aktivismus ihrer rebellischen, von der 1968er-Bewegung geprägten Tochter. Wie in einem thematisch nicht ganz unähnlichen Biopic, Jay Roachs "Trumbo", funktioniert die nicht unkomplizierte Mutter-Tochter-Beziehung gut, um dem Menschen hinter der ikonischen Anwältin näherzukommen.

Die Gegenseite hat da weniger Glück, denn die Regierungsvertreter in dem Berufungsfall sind zwar namhaft besetzt mit Jack Reynor ("Sing Street") als ehrgeizigem leitenden Anwalt James Bozarth sowie "Law & Order"-Legende Sam Waterston als früherem Harvard Law School-Dekan und nun hochrangigen Mitglied des Justizministeriums Erwin Griswold und Stephen Root ("Get Out") als beratendem Professor Ernest Brown, bleiben allerdings reine Nebenfiguren. Immerhin sorgen sie für die (aus ihrer Sicht unfreiwillig) lustigste Szene von "Die Berufung", als sie ihre Strategie für die Verhandlung besprechen und darauf setzen, die drei Richter mit einer beinahe apokalyptisch anmutenden Vision eines zukünftigen Amerika mit Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau von einem Urteil zugunsten des Klägers abzuhalten – wobei die Argumente der heutigen politischen US-Konservativen sich bezeichnenderweise gar nicht sehr geändert haben (Trumps "MAGA"-Slogan zielt ja sehr direkt auf die 1950er Jahre ab, in denen heterosexuelle weiße Männer das ganze Sagen hatten und sich nicht groß um alle anderen kümmern mußten) … Der Fall selbst wird von Regisseurin Leder ausführlich und aus verschiedenen Blickwinkeln gezeigt, beispielsweise reagiert die bis heute einflußreiche Bürgerrechtsgruppierung ACLU zu Beginn eher ablehnend auf Ruths Bitte um Unterstützung, bis Kathy Bates ("Midnight in Paris") in einem unterhaltsamen Gastauftritt als die renommierte Frauenrechtlerin Dorothy Kenyon ein Umdenken bewirkt. Die Inszenierung fällt dabei ziemlich konventionell und überraschungsarm aus, womit es "Die Berufung" trotz gut geschriebener Dialoge schwerfällt, echte Begeisterung beim Publikum auszulösen. Jedoch hat Ginsburgs Wirken so nachhaltig die USA geprägt, daß ihre Geschichte irgendwelche Knalleffekte eigentlich gar nicht nötig hat. Insofern hätte eine etwas ausgeklügeltere, innovativere Art des Erzählens zwar sicher nicht geschadet, aber auch so erreicht Leders Film seinen Zweck: eine große US-amerikanische Persönlichkeit und ihre Arbeit angemessen zu würdigen.

Fazit: "Die Berufung – Ihr Kampf für die Gerechtigkeit" ist ein konventionelles, aber engagiertes Biopic über eine große Bürgerrechtlerin und jenen von ihr gewonnenen Gerichtsfall, der eine ganze Gesellschaft nachhaltig verändern sollte.

Wertung: Knapp 8 Punkte.


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