Regie: Yorgos Lanthimos, Drehbuch: Deborah Davis und Tony
McNamara
Darsteller: Rachel Weisz, Emma Stone, Olivia Colman,
Nicholas Hoult, James Smith, Jenny Rainsford, Mark Gatiss, Joe Alwyn
FSK: 12, Dauer: 120 Minuten.
Großbritannien im frühen 18. Jahrhundert: Die britischen
Truppen befinden sich im Krieg mit Frankreich, haben die letzte Schlacht aber
für sich entschieden. Nun stellt sich die Frage, ob man den Franzosen
sofort Friedensverhandlungen vorschlagen (wie es die Opposition verlangt) oder
zunächst noch eine weitere aufgrund der Kosten zwangsläufig mit einer
Steuererhöhung verbundene Schlacht gewinnen soll, um bessere Bedingungen
auszuhandeln. Da die kränkliche Königin Anne (Olivia Colman, "Mord im Orient Express") mit dieser
Entscheidung überfordert ist, wird sie ihr letztlich – wie fast alle wichtigen
Amtstätigkeiten – von ihrer treuen Vertrauten abgenommen, Lady Sarah Churchill
(Rachel Weisz, "Ewige Jugend"): Der Krieg geht weiter. In dieser
aufgeheizten Stimmung kommt die junge Abigail (Emma Stone, "La La Land") an den Königshof, deren einst adlige Familie tief gefallen ist. Sie
hofft, daß ihre Cousine – Lady Sarah – ihr irgendeine Arbeit gibt. Der Wunsch
wird ihr gewährt, doch Abigail hat keineswegs vor, sich auf Dauer mit niederen Tätigkeiten in der Küche abzufinden, zumal sie von ihrer gerissenen Cousine sehr viel darüber lernt,
wie man als Frau an einem von Männern dominierten Hof voller Intrigen und Affären die Oberhand behält …
Kritik:
Der griechische Filmemacher Yorgos Lanthimos hat sich
zunächst vor allem in seiner Heimat einen Namen gemacht für künstlerisch
wertvolle, dialogstarke und häufig gesellschaftskritische Filme wie
"Dogtooth" und "Alpis", die dank diverser Festivals auch international bei Cineasten und Filmschaffenden für Aufsehen gesorgt. Dem
ist wohl zu verdanken, daß sich Lanthimos im Jahr 2015 erstmals mit namhafter internationaler Besetzung an einem englischsprachigen Film versuchen durfte:
Die ebenso schräge wie originelle dystopische Satire "The Lobster"
erhielt gar eine OSCAR-Nominierung für Lanthimos' Drehbuch und etablierte ihn
endgültig in der Welt des qualitativ hochwertigen Arthouse-Films. Nachdem er
mit dem ähnlich positiv aufgenommenen surrealen Thriller "The Killing of a
Sacred Deer" (inspiriert von den Werken des altgriechischen Dramatikers
Euripides) seinen guten Ruf festigte, folgt mit dem für zehn
OSCARs nominierten satirischen Polit-Historiendrama "The Favourite"
der vorläufige Höhepunkt in Yorgos Lanthimos' Karriere. Und das begeisterte
Kritikerlob ist absolut gerechtfertigt, denn in "The Favourite"
treibt Lanthimos seine sowieso erstklassigen Schauspieler mit einem
sensationellen Drehbuch voller brillant geschriebener, spitzzüngiger Dialoge zu
Höchstleistungen und schafft es nebenbei, die Geschehnisse des 18.
Jahrhunderts subtil mit gesellschaftlichen Entwicklungen der
Gegenwart zu verknüpfen. Kurzum: "The Favourite" ist ein Meisterwerk,
dem das beachtliche Kunststück gelingt, gleichzeitig unverschämt unterhaltsam und witzig
zu sein wie auch in technischer und formaler sowie in inhaltlicher
Hinsicht höchst anspruchsvoll und intelligent.
Da ich wußte, welch bedeutende Rolle die von Drehbuch-Debütantin Deborah Davis (die diese im Kern wahre Geschichte 20 Jahre lang ausarbeitete) und ihrem australischen Schreibpartner Tony McNamara (TV-Serie "The Heart Guy") erdachten Dialoge in "The
Favourite" spielen, habe ich mich gezielt zum Besuch einer (untertitelten)
englischsprachigen Aufführung entschieden – ich kann somit nicht beurteilen, wie
gut die deutsche Synchronfassung geworden ist, aber ich mag kaum
glauben, daß man Lanthimos' einzigartige Mixtur vornehmen höfischen Gehabes
mit oft vulgärer Gossensprache und beiläufigen Grausamkeiten wirklich
angemessen ins Deutsche übertragen kann. Auf Englisch funktioniert es auf jeden Fall phantastisch und man merkt den Akteuren jederzeit ihre
Spielfreude an, wenn sie sich gegenseitig die raffiniertesten, oft um die Ecke gedachten
Gehässigkeiten um die Ohren hauen oder auch mal einen knochentrockenen Oneliner
raushauen dürfen (Beispiel gefällig: Abigail kommt am Hof an, ist nach einem Sturz
aber schlammverschmiert und von Fliegen umschwirrt – Sarahs von Rachel Weisz
mit perfekt akzentuierter Nonchalance vorgebrachter Kommentar: "Freunde
von Dir?"). Bei solchen Szenen – und das ist noch eine der harmlosesten –
kann man sich wohl denken, daß es weißgott nicht immer angenehm ist,
dabei zuzusehen, wie sich die intriganten Geschehnisse entfalten. Echte
Sympathieträger gibt es eher nicht, obgleich das zentrale weibliche Dreigestirn
durchaus seine positiven Seiten hat und man sich zumindest phasenweise mit ihnen und
ihren Bemühungen identifizieren kann. Königin Anne ist im Grunde genommen die sympathischste, da sie als naiv-unschuldige Frau gezeichnet wird, die das Herz
am rechten Fleck hat, deren Wille aber durch zahlreiche traumatische Erlebnisse ein Stück weit gebrochen ist und die sich deshalb relativ
bereitwillig lenken läßt. Abigail und Sarah werden von Beginn an
ambivalenter dargestellt, wobei Abigail aufgrund der Grausamkeiten, die sie in
den letzten Jahren erleiden mußte (zumindest nach eigener Aussage – der können
wir glauben oder nicht, Beweise dafür erhalten wir nie), anfänglich mit
Sicherheit das Mitgefühl jedes einzelnen Zuschauers hat. Das ist von Lanthimos
ungemein geschickt eingefädelt: Durch die buchstäblich mitleidheischende
Einführung verzeiht man der schönen, cleveren Abigail, der das Leben schon
in jungen Jahren so übel mitgespielt hat, einige Ränkespiele, die man anderen
nicht durchgehen lassen würde – denn wer so viel erleiden mußte wie Abigail,
dem kann man kaum übelnehmen, zu ein paar Tricks zu greifen, um das zu
erreichen, was ihr eigentlich zusteht … oder nicht?
Die Frage ist nur, wie weit dieses Mitgefühl reicht, denn
Abigail geht beim Versuch, die Gunst der Königin zu erringen, immer weiter und
stellt sich damit zunehmend gegen ihre anfängliche Mentorin Sarah.
Die wiederum, verheiratet mit dem britischen Heerführer Marlborough (Mark
Gatiss, TV-Serie "Sherlock"), ist aus heutiger Perspektive eine ziemliche Kriegstreiberin – doch Lanthimos
schildert ihre Argumente und Beweggründe so überzeugend, daß man dennoch eher ihr die Daumen drückt als Oppositionsführer Robert Harley
(Nicholas Hoult, "Mad Max: Fury Road"), der für die Rechte der
unterdrückten Bevölkerung – die zur Finanzierung des Krieges mit immer höheren Steuern belegt wird – eintritt und unbedingt einen schnellen
Friedensschluß erreichen will. Yorgos Lanthimos zwingt das Publikum, zwischen äußerem Anschein (wie dem Verhalten der handelnden Figuren) und dem, wofür sie
inhaltlich stehen, zu entscheiden – und das ist eine Aufgabe, die er einem mit
meisterhaften Manipulationstechniken so schwierig wie nur möglich macht. Wie
soll man auch zu Harley halten, wenn der ohne jeden Skrupel seine Ziele
verfolgt und mit erschreckend beiläufiger Grausamkeit seine Gegner – gerade
wenn sie weiblich sind – malträtiert. Obwohl Rachel Weisz, Emma Stone und
Olivia Colman mit Abstand das meiste Lob für "The Favourite" erhalten
haben (und alle für einen Academy Award nominiert wurden), darf man die
Leistung des in seinem Kostüm kaum wiederzuerkennenden Nicholas Hoult nicht
vergessen, der den ultimativen Widerling mit der ärgerlicherweise
humanistischen Motivation (wobei dieser Begriff hier sehr relativ zu
verwenden ist) so hassenswert verkörpert, daß es eine wahre Wucht ist!
Das trifft auf die drei Hauptdarstellerinnen natürlich mindestens genauso
stark zu. Weisz brilliert als selbstbewußte und sarkastische, jedoch gegenüber
Anne aufrichtig liebevolle Lady Sarah, die in einer Männerwelt – in der Frauen nicht einmal wählen dürfen, geschweige denn gewählt werden – zur heimlichen wahren Monarchin geworden ist und dieses Amt mit Würde und
Aufrichtigkeit erfüllt. Stone ist das perfekte Gegengewicht als die vermeintliche
junge Unschuld vom Lande, die aber aus den erlittenen Demütigungen schnell
lernt, ihren mehr als ansehnlichen Körper aggressiv als Waffe einsetzt und
keine Schmach je vergißt, die sie erleiden mußte (und das sind sehr
viele, denn in der Welt von "The Favourite" sind selbst Küchenbedienstete falsche Schlangen mit grausamer Ader). Und die vor allem aus
hochklassigen britischen TV-Krimireihen wie "Broadchurch" oder "The Night Manager" bekannte Olivia Colman glänzt als
verletzliche, zutiefst traumatisierte und permanent unter Schmerzen leidende Königin, die der großen Verantwortung, die sie trägt,
längst überdrüssig geworden ist und eigentlich einfach nur noch geliebt werden will
– in dieser Sucht nach Zuneigung aber nicht notwendigerweise zwischen wahren
und vorgespielten Gefühlen unterscheiden kann oder will. Für diese Glanzleistung gab es den OSCAR für die beste Hauptdarstellerin des Jahres.
Diese unkoventionelle Ménage à trois ist von Lanthimos
ungemein komplex und wendungsreich gestaltet, mit ständigen Aufs und Abs auf jeder Achse des Dreiecks, getrieben von Intrigen,
Leidenschaft, Verrat, Liebe und Gier. Was die politische Dimension des Films
betrifft, erinnert "The Favourite" an Armando Iannuccis "The Death of Stalin": Hier wie dort sind die Politiker ein Haufen
selbstherrlicher und selbstbezogener Intriganten, teilweise strunzdumm,
teilweise aber auch wirklich gerissen und sehr hinterhältig. Wie in
"The Death of Stalin" entwickelt sich auch in "The
Favourite" die Handlung in der zweiten Filmhälfte deutlich in eine
dramatischere, sogar tragischere Richtung. Das Timing des veränderten
Tonfalls ist gut, denn die Richtungsänderung erfolgt fast genau in dem
Moment, in dem das Geschehen allmählich etwas repetitiv zu werden droht und man
sich bereits fragt, wie das noch eine Stunde lang funktionieren soll, ohne das
Interesse des Publikums zu verlieren. Der (rabenschwarze) Humor, der sogar ein paar
Momente echter Situationskomik enthält, wird nun weniger oder zumindest weniger
wirkungsvoll, weil die Protagonisten sich zu immer extremeren,
dramatischeren Handlungsweisen hinreißen lassen. Während "The Death of
Stalin" dies jedoch durch immer größere, überspitztere Verrücktheiten erledigt, verdeutlicht "The Favourite" erheblich realitätsnäher, daß die Intrigen und Ränkespiele
eben nicht nur ein letztlich harmloses Spiel sind, sondern ganz reale,
potentiell tragische oder sogar grausame Konsequenzen nach sich führen. Das Ende
von "The Favourite" wirkt auf diese Weise zunächst vielleicht
unbefriedigend oder gar irritierend, doch wenn man genauer darüber nachdenkt,
liegt das einfach daran, daß sich Lanthimos nicht zu jenem klassischen
Hollywood-Ende hinreißen läßt, in dem das Gute triumphiert und das Böse
bekommt, was es verdient. Nein, er zeigt uns ein authentisches Ende, das
eigentlich nicht einmal ein richtiges Ende ist, aber auf den zweiten Blick
perfekt zum Film paßt. Einzig eine Szene mit Abigail unmittelbar vor
Schluß fand ich eher unpassend, da sie meines Erachtens nicht zu dem paßt, wie
Abigail bis dahin gezeigt wurde: als zwar selbstsüchtige Frau, die skrupellos
alles tut, um zu erreichen, was sie will – aber nicht zu sinnlosen
Grausamkeiten neigt. Ich verstehe, daß Lanthimos ihr Verhalten wohl als
eine "Hochmut kommt vor dem Fall"-Metapher einsetzt, aber angesichts ihrer
vorherigen Charakterisierung finde ich es nicht ganz glaubwürdig.
Bei all meinem Lob für die Schauspieler, die Dialoge und die Storyentwicklung sollen aber auch das Formale und die Technik keineswegs vergessen werden. Denn "The Favourite" beeindruckt ebenso durch den höchst effektiven Einsatz der barocken, harfenlastigen Musik; es gibt keine Neukompositionen, stattdessen sind Stücke von zeitgenössischen klassischen Komponisten wie Bach, Händel, Purcell, Schubert oder Vivaldi zu hören, jedoch auch ein paar von weniger bekannten Komponisten des 20. und 21. Jahrhunderts, was im Zusammenspiel erstaunlich gut funktioniert. Besonders kunstvoll ist außerdem die Bildkomposition, was unter anderem daran liegt, daß Lanthimos und sein Kameramann Robbie Ryan ("Slow West") bei vielen Szenen auf natürliche Beleuchtung setzen – bei diesem Setting also häufig Kerzenschein (ein Stilmittel, das bereits Stanley Kubrick bei seinem "The Favourite" generell nicht ganz unähnlichen "Barry Lyndon" verwendete). Das wirkt nicht nur realistischer als bei anderen Historienfilmen, sondern sorgt dafür, daß viele der exakt choreographierten, oft symbolträchtigen Szenen an prachtvolle mittelalterliche Gemälde gemahnen und unterstreicht somit die Stellung von "The Favourite" als nicht einfach nur irgendein Film, sondern ein wahrhaftiges Kunstwerk.
Bei all meinem Lob für die Schauspieler, die Dialoge und die Storyentwicklung sollen aber auch das Formale und die Technik keineswegs vergessen werden. Denn "The Favourite" beeindruckt ebenso durch den höchst effektiven Einsatz der barocken, harfenlastigen Musik; es gibt keine Neukompositionen, stattdessen sind Stücke von zeitgenössischen klassischen Komponisten wie Bach, Händel, Purcell, Schubert oder Vivaldi zu hören, jedoch auch ein paar von weniger bekannten Komponisten des 20. und 21. Jahrhunderts, was im Zusammenspiel erstaunlich gut funktioniert. Besonders kunstvoll ist außerdem die Bildkomposition, was unter anderem daran liegt, daß Lanthimos und sein Kameramann Robbie Ryan ("Slow West") bei vielen Szenen auf natürliche Beleuchtung setzen – bei diesem Setting also häufig Kerzenschein (ein Stilmittel, das bereits Stanley Kubrick bei seinem "The Favourite" generell nicht ganz unähnlichen "Barry Lyndon" verwendete). Das wirkt nicht nur realistischer als bei anderen Historienfilmen, sondern sorgt dafür, daß viele der exakt choreographierten, oft symbolträchtigen Szenen an prachtvolle mittelalterliche Gemälde gemahnen und unterstreicht somit die Stellung von "The Favourite" als nicht einfach nur irgendein Film, sondern ein wahrhaftiges Kunstwerk.
Fazit: "The Favourite" ist ein exzellentes, bitterböses Historiendrama, das mit scharfzüngigen Dialogen ebenso begeistert
wie mit überragenden schauspielerischen Leistungen, seiner kaum vorhersehbaren Handlung
und seiner ungemein kunstvollen Inszenierung.
Wertung: 9,5 Punkte.
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