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In eigener Sache: Mein neues Filmbuch

Einigen Lesern ist bestimmt aufgefallen, daß ich in der rechten Spalte meines Blogs seit längerer Zeit das Cover meines neuen Buchs präsen...

Mittwoch, 16. Juli 2014

APOCALYPTO (2006)

Regie: Mel Gibson, Drehbuch: Farhad Safinia und Mel Gibson, Musik: James Horner
Darsteller: Rudy Youngblood, Dalia Hernández, Jonathan Brewer, Morris Birdyellowhead, Carlos Emilio Báez, Raoul Trujillo, Mayra Serbulo
 Apocalypto
(2006) on IMDb Rotten Tomatoes: 66% (6,3); weltweites Einspielergebnis: $120,7 Mio.
FSK: 18, Dauer: 138 Minuten.

Lateinamerika, frühes 16. Jahrhundert: Der junge Jäger "Pranke des Jaguar" (Rudy Youngblood) lebt mit seiner Familie zufrieden in einem kleinen Dorf mitten im Urwald. Eines Tages werden sie von Maya-Kriegern überfallen, die viele Dorfbewohner töten und noch mehr versklaven – sie sind als künftige Menschenopfer an die blutrünstigen Maya-Götter vorgesehen! Pranke des Jaguar gelingt es gerade noch, ein sicheres Versteck für seine schwangere Frau und seinen Sohn zu finden – aus dem sich diese allerdings nicht selbst befreien können –, dann wird auch er gefangengenommen. In der fremdartigen, von einer ansteckenden Krankheit gezeichneten Maya-Stadt angekommen, gewährt das Schicksal Pranke des Jaguar unerwartet eine winzige Chance, doch noch sein Leben und das seiner Familie zu retten …

Kritik:
Seit einigen Jahren ist der frühere Superstar Mel Gibson in Hollywood beinahe so etwas wie ein Ausgestoßener, der froh sein kann, wenn einer seiner verbliebenen Branchenfreunde (wie Jodie Foster) ihm mal eine größere Rolle zuschustert. Daß er betrunken Auto gefahren ist, das allein hätte seinem Ruf zwar geschadet, ihn aber nicht ruiniert (gefühlt wird schließlich nahezu jeder zweite Schauspieler früher oder später wegen "Driving Under Influence" inhaftiert …). Daß er bei seiner Festnahme antisemitische Kommentare von sich gab, das kam dagegen überhaupt nicht gut an – zumal Gibson als katholischer Traditionalist sowieso schon arg konservativ eingestellt ist in einer grundsätzlich sehr liberalen Branche. Aus cineastischer Sicht muß man da fast schon von Glück sprechen, daß er zum Zeitpunkt dieses Eklats seine vierte Regiearbeit (nach "Der Mann ohne Gesicht", "Braveheart" und "Die Passion Christi") soeben abgedreht hatte, denn dieses Projekt war so ungewöhnlich, daß es schon für einen noch relativ unbescholtenen Gibson nicht leicht gewesen sein dürfte, genügend Geld aufzutreiben – nach seinem Sturz aus Hollywood wäre es ihm bestimmt nicht mehr geglückt. Was so ungewöhnlich an "Apocalypto" ist? Nunja, ein Film über die Maya-Kultur ist ja schon ziemlich originell, wenngleich diese Thematik durchaus nicht vollkommen neu ist für Hollywood (bekanntester Film bis dahin dürfte J. Lee Thompsons Abenteuer-Epos "Könige der Sonne" aus dem Jahr 1963 gewesen sein, mit Yul Brynner in der Hauptrolle); auf die äußerst gewagte Idee, das Ganze mit indianischen Laiendarstellern zu drehen, die die Dialoge in einem alten Maya-Dialekt vortragen (netterweise wird das Publikum mit Untertiteln versorgt), ist vor Gibson aber noch niemand gekommen. Das ist natürlich ein Fest für all jene (inklusive meiner Wenigkeit), die inmitten des von chronischer Ideenlosigkeit geplagten Hollywood-Kinos stets auf der verzweifelten Suche nach Innovativität sind – vor allem aber ist "Apocalypto" ein richtig guter Film, in dem Gibson ein weiteres Mal seine bereits im OSCAR-prämierten "Braveheart" gezeigten Qualitäten als Regisseur epischer Geschichten unter Beweis stellt.

Dabei ist die Handlung an sich eher schlicht gehalten: Es wird zunächst das primitive Leben der Eingeborenen in ihrem Dschungel-Dorf skizziert, was überzeugend wirkt und mitunter sogar erstaunlich amüsant ist. Abgelöst wird diese Idylle schon bald durch die mitleidlose Attacke der Maya-Krieger mit der folgenden Versklavung der Dorfbewohner und später der Flucht und Verfolgung von Pranke des Jaguar. Das ist eine sehr klassische, archetypische Dramaturgie, und um der Wahrheit die Ehre zu geben: Um diese Story zu verstehen, hätte man die Dialoge gar nicht unbedingt untertiteln müssen. Nein, die Stärken von "Apocalypto" liegen ohne Frage in anderen Bereichen. Beispielsweise bei den von "Der mit dem Wolf tanzt"-Kameramann Dean Semler traumhaft schön eingefangenen Panorama-Aufnahmen des Dschungels und später der Maya-Stadt mit ihren beeindruckenden Pyramiden, die das Publikum in eine fremde, exotische, lange untergangene Welt einladen; bei der atmosphärischen musikalischen Untermalung durch "Braveheart"- und "Titanic"-Komponist James Horner; beim authentischen Schauspiel der sehr engagiert agierenden Laiendarsteller (allen voran Hauptdarsteller Rudy Youngblood, aber auch Jonathan Brewer als ein weiterer Dorfbewohner namens "Von kleinem Geist", der zu Beginn des Films für etliche Lacher sorgt); bei den rasant geschnittenen und dabei alles andere als zimperlich präsentierten Action-Szenen, die in Deutschland eine sehr verdiente Erwachsenen-Altersfreigabe nach sich zogen; und auch bei den nicht gerade sehr subtil eingeflochtenen, aber umso treffenderen Anspielungen auf die heutige Gesellschaft.

Denn Mel Gibson präsentiert die Maya kurz vor ihrem Untergang als ein dekadentes Volk, das durch Achtlosigkeit, Gier und rücksichtslose Zerstörung der überlebenswichtigen natürlichen Ressourcen seinen eigenen Untergang herbeiführt – und als einziges, natürlich völlig nutzloses Gegenmittel Menschenopfer en masse kennt, um die Götter zu besänftigen. Wie es zu Beginn in einem eingeblendeten Zitat des amerikanischen Historikers und Philosophen Will Durant heißt: "Eine überragende Kultur kann nicht von außen her erobert werden, solange sie sich nicht von innen her selbst zerstört hat." Die Ankunft der Spanier war demnach eigentlich nur noch das i-Tüpfelchen. Apropos Spanier: Ich gebe offen zu, daß ich mich mit Mayas, Azteken und Co. nicht wirklich gut auskenne, insofern kann ich auch nicht beurteilen, wie historisch akkurat "Apocalypto" ist. Ich weiß, daß Historiker einiges zu bemängeln haben, so auch das finale Auftauchen eines spanischen Schiffes, das wohl nicht wirklich in die Zeitlinie des Films paßt. Aber eigentlich ist das nicht so wichtig. Natürlich ist es ein Vorteil, wenn ein Historienfilm sich weitgehend an die historischen Fakten hält. Aber die paar künstlerischen Freiheiten, die sich Gibson nimmt, funktionieren einfach was ebenso die Qualität des Films betrifft wie die gesellschaftskritische Aussage, die Gibson mit seinem Werk tätigt. Das sieht nicht jeder so, was auch daran liegt, daß der Filmemacher es oft bei Andeutungen beläßt, die verschiedene Auslegungen erlauben. Manche Kritiker unterstellen Gibson ob seiner religiösen Überzeugung beispielsweise auch, daß er mit dem Schlußbild der anlandenden spanischen Konquistadoren gewissermaßen die Erlösung der Heiden durch die christlichen Krieger verheiße – das halte ich jedoch für eine gewagte Interpretation, eine Über-Interpretation sogar, denn die Art und Weise, in der die Ankunft der Spanier gefilmt ist, läßt sie vielmehr (historisch zutreffenderweise) sehr bedrohlich erscheinen.

Bei allem Lob, das ich für "Apocalypto" übrig habe, dürfen ein paar Kritikpunkte doch nicht unerwähnt bleiben: So kommen für meinen Geschmack gerade die beeindruckenden – aber eben sehr aufwendigen und damit teuren – Szenen in der großen Maya-Stadt zu kurz, generell hätte sich Gibson noch deutlich stärker den Maya, ihrer Lebensweise und ihren Gebräuchen widmen dürfen. Auf der anderen Seite hätte es sicher nicht geschadet, wären die ausgedehnten Wanderungen durch den Dschungel manchmal ein wenig kürzer gehalten worden. Zudem geht, was Pranke des Jaguars Geschichte betrifft, mit zunehmender Fortdauer die Glaubwürdigkeit verloren, denn allzu oft kommt ihm der Zufall zu Hilfe, während er gleichzeitig beinahe zu einem unbesiegbaren Superhelden zu mutieren scheint. Eine subtilere, sorgfältigere Figurenzeichnung wäre nicht nur beim Protagonisten definitiv vorteilhaft gewesen. Doch Mel Gibson hat sich eben entschieden, andere Schwerpunkte zu setzen, und alles in allem hat diese Entscheidung gut funktioniert. Und das globale Kinopublikum hat es, etwas überraschend, honoriert – wer hätte schon im Vorfeld geglaubt, daß ein weltweit nur mit Untertiteln gezeigter, in einem antiken Maya-Dialekt gedrehter Action-Historienfilm das Dreifache seiner Produktionskosten einspielen würde?

Fazit: "Apocalypto" ist ein brutales, aber packendes und handwerklich brillant umgesetztes Abenteuer-Epos, das den Zuschauer trotz gelegentlicher Längen und einer simplen Handlung gekonnt in eine faszinierend fremde Welt entführt.

Wertung: 8 Punkte.


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