Regie: Karyn Kusama, Drehbuch: Phil Hay und Matt Manfredi,
Musik: Theodore Shapiro
Darsteller: Nicole Kidman, Toby Kebbell, Sebastian Stan,
Jade Pettyjohn, Beau Knapp, Tatiana Maslany, Scoot McNairy, Bradley Whitford,
Zach Villa, James Jordan, Doug Simpson, Shamier Anderson, Joseph Fatu
FSK: 12, Dauer: 122 Minuten.
Wenn man morgens zur Arbeit kommt und die werten Kollegen sich
hinter vorgehaltener Hand zu Kommentaren wie "Oh Gott, muß das sein"
hinreißen lassen, dann ist man vermutlich nicht unbedingt ein
Vorzeigearbeitnehmer. Detective Erin Bell (Nicole Kidman,
"Australia") ergeht es genau so, als sie (offensichtlich nicht zum
ersten Mal) verkatert an einem Tatort in Los Angeles erscheint, an dem sie eigentlich überhaupt nichts
zu suchen hat. Vor 17 Jahren war Erin eine vielversprechende
Nachwuchspolizistin, die so gut war, daß sie trotz mangelnder Erfahrung
vom FBI mit einem heiklen Auftrag betraut wurde: Gemeinsam mit ihrem Kollegen
Chris (Sebastian Stan, "I, Tonya") wurde sie in die
Gang des skrupellosen Silas (Toby Kebbell, "Planet der Affen: Revolution") eingeschleust. Die Sache ging schief, seitdem ist Erin
ziemlich stark traumatisiert und sicher nicht die angenehmste Kollegin. Doch
als sie eines Tages eine Botschaft von Silas erhält, der damals entkommen
konnte und sich seitdem bedeckt hielt, sieht Erin ihre Chance gekommen. Endlich
kann sie mit ihrem Trauma abschließen, das sie beruflich und privat so viel
gekostet hat – nein, endlich kann sie Rache nehmen! Erin pfeift auf sämtliche
Gesetze, Regeln und Vorschriften und macht sich alleine auf die Suche nach
Silas …
Kritik:
Auch wenn das "goldene Zeitalter des Fernsehens"
mit seinen zahllosen, erfreulich oft qualitativ hochkarätigen TV-Serien,
Miniserien und TV-Filmen die Problematik in den letzten Jahren doch recht
deutlich gemindert hat: Es ist noch immer nicht einfach für Schauspielerinnen,
relevant zu bleiben, sobald sie ein gewisses Alter erreichen. Für die
inzwischen 51 Jahre alte australische OSCAR-Gewinnerin Nicole Kidman scheint das nicht zu gelten,
vielmehr kann man durchaus argumentieren, daß sie sich derzeit auf einem zweiten
Höhepunkt ihrer Karriere befindet (der erste war um die Jahrtausendwende herum mit "Eyes Wide Shut", "Moulin Rouge!", "Dogville", "The Hours", "Unterwegs nach Cold Mountain", "Die Dolmetscherin"), wo sie in spektakulären Blockbustern wie
"Aquaman" ebenso gefragt ist wie
in gefeierten Crowdpleasern ("Paddington", "Lion") und
mit Preisen überhäuften TV-Serien ("Big Little Lies", "Top of
the Lake"). Doch am stärksten glänzt Kidmans Stern heutzutage in anspruchsvollen
Independent-Produktionen wie "Stoker", "Die Verführten",
"The Killing of a Sacred Deer" oder "Der verlorene Sohn".
Der Grund dafür liegt natürlich auf der Hand: Nicole Kidman ist eine grandiose
Schauspielerin. Das hat sie erst so richtig gezeigt, als sie ihre 30 wurde,
aber seitdem scheint es fast, als würde sie sogar immer noch besser. Vor
allem eine Kunst hat sie perfektioniert wie vermutlich keine andere
Schauspielerin seit Bette Davis: das Schauspielern mit ihren
Augen! So meisterhaft Kidman grundsätzlich alle Facetten der Schauspielerei in
Mimik, Gestik und Stimme beherrscht, für mich wird es immer am beeindruckendsten bleiben, wie sie in Schlüsselszenen mit nur einem Blick mehr Emotionen und
Informationen transportiert als andere mit langen und gestenreichen
Monologen. Diese Kunst kann sie auch in "Destroyer" ausspielen, einem gemächlich erzählten Thriller-Drama über eine traumatisierte Polizistin,
das einigen Zuschauern zu ereignisarm sein wird und eine im Kern
eher banale Story sehr aufwendig verpackt, aber speziell für Freunde des
anspruchsvollen Schauspielerkinos empfehlenswert ist. In erster Linie dank Nicole Kidman.
Wenn man sich im Internet die gar nicht so seltenen negativen
Bewertungen von "Destroyer" durch die "normalen" Zuschauer
ansieht, kann man schnell drei Kritikpunkte ausmachen, die fast alle teilen:
das langsame Erzähltempo, die angeblich verwirrenden
Sprünge zwischen den verschiedenen Zeitebenen und den Mangel an Action
(das hat vermutlich mal wieder mit einem irreführenden Trailer zu tun, wobei
ich mir den nicht angeschaut habe). Damit sollte klar sein, für wen der
Film von Karyn Kusama ("Girlfight") nichts ist: für Actionjunkies, Mainstream-Fans oder Zuschauer, die sich einfach nur berieseln
lassen und nicht großartig über das Gesehene nachdenken wollen. Mit anderen Worten:
"Destroyer" ist ein klassischer Arthouse-Film. Und für
Anhänger des Arthouse-Kinos dürften die genannten Kritikpunkte kein großes
Problem sein, teils sogar eher ein Vorteil. Für eine Mischung aus Thriller
und Drama ist der Actiongehalt von "Destroyer" meines Erachtens genau
angemessen – es gibt nur zwei echte Actionsequenzen, die sind
dafür aber sehr ansprechend choreographiert und in Szene gesetzt. Und Kidman
zeigt mit dem Maschinengewehr im Anschlag, daß sie sehr wohl auch als eine echte
Actionheldin wunderbar funktionieren würde. Die Zeitsprünge, die sich
größtenteils zwischen der Gegenwart und den Geschehnissen von 17 Jahren zuvor
bewegen, sind es derweil (neben Kidman), die
"Destroyer" vom Genre-Einheitsbrei abheben. Zugegeben, letztlich
dienen sie, wie erwähnt, vor allem dazu, die ziemlich simple und
weißgott nicht zum ersten Mal erzählte Rachegeschichte zu kaschieren und
komplexer wirken zu lassen, als sie ist – dies gelingt allerdings
gut. Die Zeitsprünge werden fast immer an passenden Stellen eingesetzt, sie
enthüllen nach und nach mehr nicht nur über die damaligen Geschehnisse, sondern
vor allem über Erin und die übrigen handelnden Figuren. Vor allem gibt es
einige Überraschungen, die, wenngleich meistens nicht wahnsinnig
spektakulär, doch gut aufgebaut sind und außerdem Erins tragischer Story immer
noch eine weitere Ebene hinzufügen. Über weite Strecken sind diese Überraschungen
wirklich gelungen und dabei sogar weitgehend glaubwürdig, auch wenn die ein
oder andere folgenreiche Entscheidung vielleicht nicht vollkommen durch das
unterfüttert wird, was wir über die Figuren erfahren. Daß die
Zeitsprünge verwirrend wären, kann ich keinesfalls unterschreiben, denn dank
überzeugender Arbeit der Maske – die sich anders als etliche Genrekollegen die Mühe macht, bei sämtlichen in beiden Haupt-Zeitebenen
vorkommenden Figuren die Altersunterschiede zu verdeutlichen – weiß man
eigentlich stets, in welcher Zeitebene sich die Story gerade befindet.
Zumindest immer dann, wenn der Film es einen wissen lassen will …
Der Kritikpunkt, den ich zumindest teilweise teile, ich das
bedächtige Erzähltempo. Ich habe grundsätzlich kein Problem mit Filmen, die
sich viel Zeit lassen, gerade bei Arthouse-Thrillern wie "The American" oder dem in mancherlei Hinsicht an "Destroyer" erinnernden
"A Beautiful Day" finde ich es sehr wohltuend, wenn sich die
Filmemacher in einer drückenden Atmosphäre die Zeit nehmen, die jeweilige
Hauptfigur besonders intensiv zu durchleuchten und so natürlich auch dem
Darsteller oder der Darstellerin Raum zum Glänzen geben. Das trifft ebenfalls auf
"Destroyer" zu, doch übertreibt es das Skript von Phil Hay und
Matt Manfredi (die zusammen an der Jackie Chan-Actionkomödie "The
Tuxedo", dem Fantasy-Remake "Kampf der Titanen" und den
Buddy-Movies der "Ride Along"-Reihe beteiligt waren) mitunter mit
der Langsamkeit. Vor allem die letzten 30 bis 40 Minuten sind eindeutig zu sehr
in die Länge gezogen, denn im Grunde genommen ist nach eineinhalb Stunden alles
Wichtige offenbart (oder so offensichtlich, daß das gar nicht mehr nötig ist).
Doch "Destroyer" will unbedingt alles haarklein auserzählen und
streckt deshalb ein Finale, das man letztlich in fünf Minuten
abhandeln könnte, auf etwa eine halbe Stunde. Das ist insofern zwar
nachvollziehbar, als genau jene Phase Nicole Kidman reichlich Gelegenheit gibt,
ihr Können auszuspielen, aber dermaßen in die Länge gezogen fällt es selbst ihr
schwer, das Interesse des Publikums bis zum Ende wachzuhalten – die
alles in allem gelungene, am Ende jedoch arg dick auftragende düster-treibende Musik
von Theodore Shapiro ("Nur ein kleiner Gefallen") ändert daran auch
nichts. Durch die Konzentration auf Erin kommen erwartungsgemäß die übrigen
Rollen fast alle ziemlich kurz. In den meisten Fällen ist das okay, zumal es
talentierten Schauspielern wie Sebastian Stan, Tatiana Maslany (TV-Serie
"Orphan Black", als Silas' Freundin Petra), Bradley Whitford
("Get Out", als Silas' Anwalt) oder Scoot McNairy ("Gone Girl") auch mit wenig Screentime gelingt, ihre Charaktere einigermaßen
einprägsam zu gestalten. Bedauerlich ist allerdings, daß selbst Toby Kebbell
als Bösewicht der Geschichte wenig Gelegenheit erhält, zu verdeutlich,
warum dieser charismatische und leicht irre Silas von Anfang an als großer
böser Wolf präsentiert wird. Kebbell macht das beste aus dem dünnen Material,
das ihm das Drehbuch zur Hand gibt, für einen wirklich denkwürdigen
Antagonisten reicht das aber einfach nicht aus.
Dazu kommt, daß das Drehbuch nicht mit altbekannten
Genre-Stereotypen wie Erins kaputtem Verhältnis zu ihrer frühreifen und
rebellischen Teenager-Tochter Shelby (Jade Pettyjohn, TV-Serie "School of
Rock") geizt, deren selbstgefälliger, mindestens fünf Jahre älterer Freund Jay
(Beau Knapp, "The Nice Guys") Erins Selbstbeherrschung auf eine harte Probe stellt. Dieser
Handlungsstrang ergibt inhaltlich Sinn, denn er ist ein weiteres Puzzleteil zum Verständnis, wer Erin ist, was sie vor 17 Jahren verloren hat und was damals
in ihr kaputtgegangen ist – aber sonderlich einfallsreich ist er nicht und
auch nicht allzu interessant erzählt. Bemerkenswert ist dafür, wie
kompromißlos Erin von Regisseurin Kusama als Anti-Heldin in Szene gesetzt wird
– bei männlichen Protagonisten nicht so ungewöhnlich, kommt das bei weiblichen
Hauptfiguren in dieser Konsequenz immer noch sehr selten vor. Denn Erin ist
nicht einfach nur ein Anti-Held wie Joaquin Phoenix' Joe in "A Beautiful
Day" – der auf seine ganz spezielle Weise immer noch in erster Linie für
das Gute … nein, eher: gegen das Böse kämpft –, sondern sie ist eine ihre
Umwelt wie auch das Publikum irritierende, befremdende und über weite Strecken
ziemlich unsympathische Person. Einen Film mit solch einer unbequemen
Hauptfigur auszustatten, ist mutig, weil das der Großteil des potentiellen
Publikums schlicht und ergreifend nicht sehen will (wie die Einspielergebnisse
von "Destroyer" einmal mehr belegen). Das kann auch erzählerisch mächtig in die
Hose gehen, hier funktioniert es jedoch, weil die heruntergekommene, kantige, unfreundliche,
jähzornige, ungepflegte und ständig verkaterte Erin eben mit
vollem Einsatz von Nicole Kidman verkörpert wird – und auch deshalb, weil
Erin zwischendurch ein paar Facetten offenbart, die aufzeigen, daß sie doch
ihre, wenngleich sehr gut versteckten, guten Seiten hat und einen deshalb
zumindest ein bißchen mit ihr mitfühlen lassen. Es ist zweifellos eine der
besten Leistungen in der großartigen Karriere von Nicole Kidman, für die sie
immerhin mit einer sehr verdienten Golden Globe-Nominierung belohnt wurde (für
eine OSCAR-Nominierung hatten den Film wohl schlicht zu wenig Stimmberechtigte
gesehen …).
Fazit: "Destroyer" ist ein betont bedächtig auf mehreren Zeitebenen erzähltes Arthouse-Thriller-Drama, das eine gut konstruierte,
wenn auch im Kern wenig originelle Geschichte erzählt und in erster Linie von
seiner großartigen Hauptdarstellerin Nicole Kidman lebt.
Wertung: 7,5 Punkte.
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