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In eigener Sache: Mein neues Filmbuch

Einigen Lesern ist bestimmt aufgefallen, daß ich in der rechten Spalte meines Blogs seit längerer Zeit das Cover meines neuen Buchs präsen...

Mittwoch, 20. März 2019

DESTROYER (2018)

Regie: Karyn Kusama, Drehbuch: Phil Hay und Matt Manfredi, Musik: Theodore Shapiro
Darsteller: Nicole Kidman, Toby Kebbell, Sebastian Stan, Jade Pettyjohn, Beau Knapp, Tatiana Maslany, Scoot McNairy, Bradley Whitford, Zach Villa, James Jordan, Doug Simpson, Shamier Anderson, Joseph Fatu
 Destroyer
(2018) on IMDb Rotten Tomatoes: 74% (6,7); weltweites Einspielergebnis: $5,6 Mio.
FSK: 12, Dauer: 122 Minuten.

Wenn man morgens zur Arbeit kommt und die werten Kollegen sich hinter vorgehaltener Hand zu Kommentaren wie "Oh Gott, muß das sein" hinreißen lassen, dann ist man vermutlich nicht unbedingt ein Vorzeigearbeitnehmer. Detective Erin Bell (Nicole Kidman, "Australia") ergeht es genau so, als sie (offensichtlich nicht zum ersten Mal) verkatert an einem Tatort in Los Angeles erscheint, an dem sie eigentlich überhaupt nichts zu suchen hat. Vor 17 Jahren war Erin eine vielversprechende Nachwuchspolizistin, die so gut war, daß sie trotz mangelnder Erfahrung vom FBI mit einem heiklen Auftrag betraut wurde: Gemeinsam mit ihrem Kollegen Chris (Sebastian Stan, "I, Tonya") wurde sie in die Gang des skrupellosen Silas (Toby Kebbell, "Planet der Affen: Revolution") eingeschleust. Die Sache ging schief, seitdem ist Erin ziemlich stark traumatisiert und sicher nicht die angenehmste Kollegin. Doch als sie eines Tages eine Botschaft von Silas erhält, der damals entkommen konnte und sich seitdem bedeckt hielt, sieht Erin ihre Chance gekommen. Endlich kann sie mit ihrem Trauma abschließen, das sie beruflich und privat so viel gekostet hat – nein, endlich kann sie Rache nehmen! Erin pfeift auf sämtliche Gesetze, Regeln und Vorschriften und macht sich alleine auf die Suche nach Silas …

Kritik:
Auch wenn das "goldene Zeitalter des Fernsehens" mit seinen zahllosen, erfreulich oft qualitativ hochkarätigen TV-Serien, Miniserien und TV-Filmen die Problematik in den letzten Jahren doch recht deutlich gemindert hat: Es ist noch immer nicht einfach für Schauspielerinnen, relevant zu bleiben, sobald sie ein gewisses Alter erreichen. Für die inzwischen 51 Jahre alte australische OSCAR-Gewinnerin Nicole Kidman scheint das nicht zu gelten, vielmehr kann man durchaus argumentieren, daß sie sich derzeit auf einem zweiten Höhepunkt ihrer Karriere befindet (der erste war um die Jahrtausendwende herum mit "Eyes Wide Shut", "Moulin Rouge!", "Dogville", "The Hours", "Unterwegs nach Cold Mountain", "Die Dolmetscherin"), wo sie in spektakulären Blockbustern wie "Aquaman" ebenso gefragt ist wie in gefeierten Crowdpleasern ("Paddington", "Lion") und mit Preisen überhäuften TV-Serien ("Big Little Lies", "Top of the Lake"). Doch am stärksten glänzt Kidmans Stern heutzutage in anspruchsvollen Independent-Produktionen wie "Stoker", "Die Verführten", "The Killing of a Sacred Deer" oder "Der verlorene Sohn". Der Grund dafür liegt natürlich auf der Hand: Nicole Kidman ist eine grandiose Schauspielerin. Das hat sie erst so richtig gezeigt, als sie ihre 30 wurde, aber seitdem scheint es fast, als würde sie sogar immer noch besser. Vor allem eine Kunst hat sie perfektioniert wie vermutlich keine andere Schauspielerin seit Bette Davis: das Schauspielern mit ihren Augen! So meisterhaft Kidman grundsätzlich alle Facetten der Schauspielerei in Mimik, Gestik und Stimme beherrscht, für mich wird es immer am beeindruckendsten bleiben, wie sie in Schlüsselszenen mit nur einem Blick mehr Emotionen und Informationen transportiert als andere mit langen und gestenreichen Monologen. Diese Kunst kann sie auch in "Destroyer" ausspielen, einem gemächlich erzählten Thriller-Drama über eine traumatisierte Polizistin, das einigen Zuschauern zu ereignisarm sein wird und eine im Kern eher banale Story sehr aufwendig verpackt, aber speziell für Freunde des anspruchsvollen Schauspielerkinos empfehlenswert ist. In erster Linie dank Nicole Kidman.

Wenn man sich im Internet die gar nicht so seltenen negativen Bewertungen von "Destroyer" durch die "normalen" Zuschauer ansieht, kann man schnell drei Kritikpunkte ausmachen, die fast alle teilen: das langsame Erzähltempo, die angeblich verwirrenden Sprünge zwischen den verschiedenen Zeitebenen und den Mangel an Action (das hat vermutlich mal wieder mit einem irreführenden Trailer zu tun, wobei ich mir den nicht angeschaut habe). Damit sollte klar sein, für wen der Film von Karyn Kusama ("Girlfight") nichts ist: für Actionjunkies, Mainstream-Fans oder Zuschauer, die sich einfach nur berieseln lassen und nicht großartig über das Gesehene nachdenken wollen. Mit anderen Worten: "Destroyer" ist ein klassischer Arthouse-Film. Und für Anhänger des Arthouse-Kinos dürften die genannten Kritikpunkte kein großes Problem sein, teils sogar eher ein Vorteil. Für eine Mischung aus Thriller und Drama ist der Actiongehalt von "Destroyer" meines Erachtens genau angemessen – es gibt nur zwei echte Actionsequenzen, die sind dafür aber sehr ansprechend choreographiert und in Szene gesetzt. Und Kidman zeigt mit dem Maschinengewehr im Anschlag, daß sie sehr wohl auch als eine echte Actionheldin wunderbar funktionieren würde. Die Zeitsprünge, die sich größtenteils zwischen der Gegenwart und den Geschehnissen von 17 Jahren zuvor bewegen, sind es derweil (neben Kidman), die "Destroyer" vom Genre-Einheitsbrei abheben. Zugegeben, letztlich dienen sie, wie erwähnt, vor allem dazu, die ziemlich simple und weißgott nicht zum ersten Mal erzählte Rachegeschichte zu kaschieren und komplexer wirken zu lassen, als sie ist – dies gelingt allerdings gut. Die Zeitsprünge werden fast immer an passenden Stellen eingesetzt, sie enthüllen nach und nach mehr nicht nur über die damaligen Geschehnisse, sondern vor allem über Erin und die übrigen handelnden Figuren. Vor allem gibt es einige Überraschungen, die, wenngleich meistens nicht wahnsinnig spektakulär, doch gut aufgebaut sind und außerdem Erins tragischer Story immer noch eine weitere Ebene hinzufügen. Über weite Strecken sind diese Überraschungen wirklich gelungen und dabei sogar weitgehend glaubwürdig, auch wenn die ein oder andere folgenreiche Entscheidung vielleicht nicht vollkommen durch das unterfüttert wird, was wir über die Figuren erfahren. Daß die Zeitsprünge verwirrend wären, kann ich keinesfalls unterschreiben, denn dank überzeugender Arbeit der Maske – die sich anders als etliche Genrekollegen die Mühe macht, bei sämtlichen in beiden Haupt-Zeitebenen vorkommenden Figuren die Altersunterschiede zu verdeutlichen – weiß man eigentlich stets, in welcher Zeitebene sich die Story gerade befindet. Zumindest immer dann, wenn der Film es einen wissen lassen will …

Der Kritikpunkt, den ich zumindest teilweise teile, ich das bedächtige Erzähltempo. Ich habe grundsätzlich kein Problem mit Filmen, die sich viel Zeit lassen, gerade bei Arthouse-Thrillern wie "The American" oder dem in mancherlei Hinsicht an "Destroyer" erinnernden "A Beautiful Day" finde ich es sehr wohltuend, wenn sich die Filmemacher in einer drückenden Atmosphäre die Zeit nehmen, die jeweilige Hauptfigur besonders intensiv zu durchleuchten und so natürlich auch dem Darsteller oder der Darstellerin Raum zum Glänzen geben. Das trifft ebenfalls auf "Destroyer" zu, doch übertreibt es das Skript von Phil Hay und Matt Manfredi (die zusammen an der Jackie Chan-Actionkomödie "The Tuxedo", dem Fantasy-Remake "Kampf der Titanen" und den Buddy-Movies der "Ride Along"-Reihe beteiligt waren) mitunter mit der Langsamkeit. Vor allem die letzten 30 bis 40 Minuten sind eindeutig zu sehr in die Länge gezogen, denn im Grunde genommen ist nach eineinhalb Stunden alles Wichtige offenbart (oder so offensichtlich, daß das gar nicht mehr nötig ist). Doch "Destroyer" will unbedingt alles haarklein auserzählen und streckt deshalb ein Finale, das man letztlich in fünf Minuten abhandeln könnte, auf etwa eine halbe Stunde. Das ist insofern zwar nachvollziehbar, als genau jene Phase Nicole Kidman reichlich Gelegenheit gibt, ihr Können auszuspielen, aber dermaßen in die Länge gezogen fällt es selbst ihr schwer, das Interesse des Publikums bis zum Ende wachzuhalten – die alles in allem gelungene, am Ende jedoch arg dick auftragende düster-treibende Musik von Theodore Shapiro ("Nur ein kleiner Gefallen") ändert daran auch nichts. Durch die Konzentration auf Erin kommen erwartungsgemäß die übrigen Rollen fast alle ziemlich kurz. In den meisten Fällen ist das okay, zumal es talentierten Schauspielern wie Sebastian Stan, Tatiana Maslany (TV-Serie "Orphan Black", als Silas' Freundin Petra), Bradley Whitford ("Get Out", als Silas' Anwalt) oder Scoot McNairy ("Gone Girl") auch mit wenig Screentime gelingt, ihre Charaktere einigermaßen einprägsam zu gestalten. Bedauerlich ist allerdings, daß selbst Toby Kebbell als Bösewicht der Geschichte wenig Gelegenheit erhält, zu verdeutlich, warum dieser charismatische und leicht irre Silas von Anfang an als großer böser Wolf präsentiert wird. Kebbell macht das beste aus dem dünnen Material, das ihm das Drehbuch zur Hand gibt, für einen wirklich denkwürdigen Antagonisten reicht das aber einfach nicht aus.

Dazu kommt, daß das Drehbuch nicht mit altbekannten Genre-Stereotypen wie Erins kaputtem Verhältnis zu ihrer frühreifen und rebellischen Teenager-Tochter Shelby (Jade Pettyjohn, TV-Serie "School of Rock") geizt, deren selbstgefälliger, mindestens fünf Jahre älterer Freund Jay (Beau Knapp, "The Nice Guys") Erins Selbstbeherrschung auf eine harte Probe stellt. Dieser Handlungsstrang ergibt inhaltlich Sinn, denn er ist ein weiteres Puzzleteil zum Verständnis, wer Erin ist, was sie vor 17 Jahren verloren hat und was damals in ihr kaputtgegangen ist – aber sonderlich einfallsreich ist er nicht und auch nicht allzu interessant erzählt. Bemerkenswert ist dafür, wie kompromißlos Erin von Regisseurin Kusama als Anti-Heldin in Szene gesetzt wird – bei männlichen Protagonisten nicht so ungewöhnlich, kommt das bei weiblichen Hauptfiguren in dieser Konsequenz immer noch sehr selten vor. Denn Erin ist nicht einfach nur ein Anti-Held wie Joaquin Phoenix' Joe in "A Beautiful Day" – der auf seine ganz spezielle Weise immer noch in erster Linie für das Gute … nein, eher: gegen das Böse kämpft –, sondern sie ist eine ihre Umwelt wie auch das Publikum irritierende, befremdende und über weite Strecken ziemlich unsympathische Person. Einen Film mit solch einer unbequemen Hauptfigur auszustatten, ist mutig, weil das der Großteil des potentiellen Publikums schlicht und ergreifend nicht sehen will (wie die Einspielergebnisse von "Destroyer" einmal mehr belegen). Das kann auch erzählerisch mächtig in die Hose gehen, hier funktioniert es jedoch, weil die heruntergekommene, kantige, unfreundliche, jähzornige, ungepflegte und ständig verkaterte Erin eben mit vollem Einsatz von Nicole Kidman verkörpert wird – und auch deshalb, weil Erin zwischendurch ein paar Facetten offenbart, die aufzeigen, daß sie doch ihre, wenngleich sehr gut versteckten, guten Seiten hat und einen deshalb zumindest ein bißchen mit ihr mitfühlen lassen. Es ist zweifellos eine der besten Leistungen in der großartigen Karriere von Nicole Kidman, für die sie immerhin mit einer sehr verdienten Golden Globe-Nominierung belohnt wurde (für eine OSCAR-Nominierung hatten den Film wohl schlicht zu wenig Stimmberechtigte gesehen …).

Fazit: "Destroyer" ist ein betont bedächtig auf mehreren Zeitebenen erzähltes Arthouse-Thriller-Drama, das eine gut konstruierte, wenn auch im Kern wenig originelle Geschichte erzählt und in erster Linie von seiner großartigen Hauptdarstellerin Nicole Kidman lebt.

Wertung: 7,5 Punkte.


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