Regie und Drehbuch: Gregg Araki, Musik: Robin Guthrie
Darsteller:
Shailene Woodley, Christopher Meloni, Eva Green, Thomas Jane, Shiloh Fernandez,
Gabourey Sidibe, Mark Indelicato, Angela Bassett, Dale Dickey, Sheryl Lee, Jacob
Artist
Ein amerikanischer Vorort im Jahr 1988: Das Verhältnis
der 17-jährigen Kat (Shailene Woodley) zu ihrer extrovertierten Mutter Eve (Eva
Green, "Sin City 2") war nie ganz einfach. Dennoch ist Kat natürlich anfangs schockiert, als Eve eines Tages spurlos verschwindet. Während ihr
Vater Brock (Christopher Meloni) sich fortan zwar redlich
als Alleinerziehender bemüht, aber doch die meiste Zeit über dumpf vor sich hin
brütet, scheint Kat diesen Einschnitt in ihr Leben recht schnell zu akzeptieren.
Mehr zu schaffen machen ihr typisch pubertäre Gefühlswallungen – und die
Tatsache, daß der ermittelnde Detective Scieziesciez (Thomas Jane, "The
Punisher", "Der Nebel"), zu dem sich Kat sexuell hingezogen
fühlt, ihren Vater des Mordes an Eve verdächtigt. Als Kat die Highschool
abgeschlossen hat und ans College geht, hofft sie, all die Vorstadt-Dramen endgültig hinter sich zu lassen – doch bei ihrer ersten Rückkehr in den Semesterferien kochen
die Erinnerungen in ihr wieder hoch …
Kritik:
Es ist schon erstaunlich, wie schnell die 1991 geborene
Shailene Woodley den Sprung von der Teenager-TV-Heldin ("The Secret Life
of the American Teenager") zur neben Jennifer Lawrence wohl begehrtesten
Schauspielerin ihrer Generation geschafft hat. Die Anfang 2012 mit einer verdienten Golden
Globe-Nominierung belohnte Rolle als George Clooneys rebellische Tochter in
Alexander Paynes Tragikomödie "The Descendants" reichte bereits aus,
um sie ins Blickfeld der Hollywood-Produzenten zu bringen. Gut zwei Jahre
später folgte der endgültige Durchbruch mit dem gefeierten und kommerziell
extrem erfolgreichen Doppelpack aus der "Young Adult"-Dystopie
"Divergent – Die Bestimmung" und der sensiblen Krebs-Romanze
"Das Schicksal ist ein mieser Verräter". Während Lawrence seit ihrem ersten OSCAR-Gewinn für "Silver Linings" eigentlich
nur noch in großen Prestige-Produktionen zu sehen ist (wenngleich teils durchaus unabhängig finanzierten), hat Woodley jedoch
mehrfach betont, auch weiterhin parallel kleines, unbequemes Independent-Kino zu
machen. Bleibt zu hoffen, daß sie an diesem Plan festhält, denn sowohl "The
Spectacular Now" (2013) als auch "Wie ein weißer Vogel im Schneesturm"
zeigen, wie wohl sie sich in diesem Metier abseits des Mainstreams fühlt. Und
"abseits des Mainstreams" ist eine exzellente Beschreibung der Filme
des Regisseurs Gregg Araki. Seit seinen Anfängen im Micro-Budget-Bereich Ende
der 1980er Jahre, aber ebenfalls noch nach dem Wechsel in den relativ
"normalen" Independent-Sektor mit dem Kindesmißbrauchs-Drama
"Mysterious Skin" (in dem Joseph Gordon-Levitt im Jahr 2004 eine seiner
ersten großen Rollen spielte) oder dem etwas anderen Collegefilm
"Kaboom" (2010) spaltet Araki das Publikum durch seine stilistische
und erzählerische Radikalität sowie den ungeschönten Blick auf das sexuelle Erwachen junger Menschen. "Wie ein weißer Vogel im Schneesturm" ist in
dieser Hinsicht zwar noch vergleichsweise harmlos geraten, scheint aber dennoch zu polarisieren – ich
zähle zu jenen, die sehr angetan sind.
Daß ich ein großer Freund gut gemachter Coming of Age-Filme
bin, habe ich ja schon häufig kundgetan. Arakis Adaption des gleichnamigen Romans von Laura
Kasischke bietet aber eine Spielart dieses kleinen Genres an, die mir so noch
nicht untergekommen ist: "Wie ein weißer Vogel im Schneesturm" verbindet das
zentrale Thema des Aufwachsens seiner Protagonistin mit einer sehr klassischen
Krimihandlung rund um Eves Verschwinden. Dieser bedächtig erzählte Krimiplot läuft
lange eher im Hintergrund mit, schließlich redet Kat sich selbst ein, daß das
ganze halb so wild ist, sie kam ja sowieso nie wirklich klar mit ihrer Mutter.
Wichtiger sind für sie die erste Liebe, der erste Sex, die gemeinsame Zeit mit
ihren besten Freunden Beth (Gabourey Sidibe, "Aushilfsgangster") und Phil
(Shiloh Fernandez, "Evil Dead"), aber auch die Auswahl des Colleges. Diese
Szenen eines typisch amerikanischen Vorstadt-Teenagerlebens erinnern
mitunter an ein kantiges, geerdeteres Gegenstück zum deutlich poetischer
angelegten Genrekollegen "Vielleicht lieber morgen" – inklusive offenherziger, teilweise
ordinärer Sprache und zahlreicher Sex- und Nacktszenen.
Doch je länger das Verschwinden ihrer Mutter in der
Vergangenheit liegt, desto offensichtlicher wird auch dank ihrer Besuche bei
der Psychiaterin Dr. Thaler (Angela Bassett, "Olympus Has Fallen"),
daß Kat es noch lange nicht verarbeitet hat. Immer wieder durchlebt sie
Flashbacks, Erinnerungsfetzen reißen sie zurück in die Vergangenheit – und
offenbaren dem Publikum das schwierige Verhältnis zwischen Kat und Eve. Als ich
im Programmheft des Fantasy Filmfests den schwärmerischen Vergleich von Eva
Green mit der Hollywood-Legende Joan Crawford las, fand ich ihn ziemlich
beliebig. Doch nach Ansicht des Films muß ich zugeben: Er paßt wie die Faust
aufs Auge! Greens Verkörperung der ziemlich durchgeknallten und dem
Alkoholgenuß zugeneigten Eve, die von ihrem biederen Hausfrauen-Dasein
unendlich gelangweilt ist und ihre eigene Tochter offen um deren Jugend
beneidet, erinnert (nicht nur wegen ihrer Frisur) in der Tat auf geradezu unheimliche
Art und Weise an Crawfords mit genial-exzentrischem Overacting dargestellte
Figuren in "Humoreske" oder dem bitteren Western "Johnny Guitar
– Wenn Frauen hassen" – oder auch an Elizabeth Taylor in "Wer hat vor
Virginia Woolf?". Ja, man kann sehr gut nachvollziehen, warum Kat so ihre
Schwierigkeiten mit Eve hatte, die auch keine Skrupel kannte, in der
Anwesenheit ihrer Tochter offen mit deren Freund zu flirten. Woodleys und Greens Zusammenspiel in diesen relativ wenigen Szenen ist so wunderbar anzuschauen,
daß man sich wünscht, es gäbe mehr davon.
Doch auch wenn auf diese beiden die denkwürdigsten Momente
entfallen, muß sich der Rest der Besetzung keinesfalls verstecken. Vor
allem Christopher Meloni zeigt als Kats Vater einmal mehr, daß es – entgegen
der Erwartungen vieler Beobachter – eine gute Entscheidung war, seine Hauptrolle in der
erfolgreichen TV-Serie "Law & Order: Special Victims Unit" nach
12 Jahren aufzugeben. Bereits in dem Blockbuster "Man of Steel", aber
auch in "Sin City 2" (an der Seite Eva Greens) oder dem Baseball-Film
"42" hat Meloni gezeigt, was er kann; auch in "Wie ein weißer Vogel im Schneesturm" überzeugt seine Darstellung des ambivalenten Vaters, der so sehr
um seine verschwundene Frau trauert, aber hin und wieder besorgniserregende
Wutanfälle an den Tag legt. Man kann gut verstehen, daß Kats anfängliche
Empörung ob des von dem (von Thomas Jane mit gewohnter Souveränität verkörperten)
Detective geäußerten Verdachts gegen ihren Vater nach und nach in immer
stärkere Zweifel umschlägt. Diesen Krimiplot mag man etwas
klischeehaft und zu konventionell finden, aber es gelingt Araki, den Zuschauer bis
zum Schluß im Unklaren zu lassen – und zumindest ein Element der Auflösung
dürfte kaum jemand vorhersehen können.
Doch wie gesagt: Im Zentrum von "Wie ein weißer Vogel im Schneesturm" steht eigentlich Kats Aufwachsen – und ihr dabei zuzusehen,
macht richtig Spaß. Gerade weil Kat eben kein glattgebügelter Teenager á la
Hollywood ist, sondern eine kleine Rebellin, die sich und ihre Sexualität munter ausprobiert
und dabei auch (sehenden Auges) Fehler macht, wirkt sie so authentisch.
Generell gelingt es Araki ausgezeichnet, das Lebensgefühl der 1980er
Jahre auf die Leinwand zu bringen, unterstützt von einer stimmigen Musikauswahl
mit Songs von den Pet Shop Boys, Depeche Mode oder New Order.
Die durch die vielen Zeitsprünge verschachtelte Erzählstruktur mag komplexer
wirken als sie es in Wirklichkeit ist, doch auf diese Weise bleibt die Handlung
stets im Fluß und Kats Entwicklung vom unsicheren, wütenden
Teenager hin zu einer deutlich erwachseneren jungen Frau wird umso klarer (und
damit auch die hohe Qualität von Woodleys schauspielerischer Darbietung). Zudem
schafft Araki mit seiner Kamerafrau Sandra Valde-Hansen gerade in Verbindung mit
Eva Greens Figur Eve einige wunderschöne Kinobilder, die man nicht so schnell vergißt.
Fazit: "Wie ein weißer Vogel im Schneesturm" ist eine
rauhe, aber elegant gefilmte Coming of Age-Geschichte mit Krimielementen, deren Story
zwar bei weitem nicht so komplex ist, wie es die künstlerisch verschachtelte
Erzählweise gerne suggeriert – doch die starke, von Shailene
Woodley und Eva Green angeführte Besetzung und die melancholische,
mystisch angehauchte Atmosphäre machen die Romanverfilmung zu einer richtig guten Option für Anhänger
etwas ungewöhnlicherer Stoffe.
Wertung: 8 Punkte.
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