Regie: Kilian Riedhof, Drehbuch: Marc Blöbaum, Kilian
Riedhof und Peter Hinderthür, Musik: Peter Hinderthür
Darsteller: Dieter Hallervorden, Tatja Seibt, Heike
Makatsch, Frederick Lau, Katharina Lorenz, Katrin Saß, Heinz W. Krückeberg,
Otto Mellies, Annekathrin Bürger, Mehdi Nebbou, Barbara Morawiecz, Jörg Hartmann, Maria Mägdefrau,
Reinhold Beckmann, Matthias Opdenhövel
Rotten Tomatoes: -; weltweites Einspielergebnis: $3,4 Mio.
FSK: 6, Dauer: 115 Minuten.
1956 wurde Paul Averhoff in Melbourne Olympiasieger im
Marathonlauf. Knapp 60 Jahre später ist Paul (Dieter Hallervorden, "Das
Millionenspiel") weitgehend vergessen und muß auch noch ins Altersheim ziehen. Er
selbst ist zwar geistig und im Großen und Ganzen auch körperlich noch fit,
seiner geliebten Frau Margot (Tatja Seibt, "Effi Briest") geht es
aber nach mehreren Stürzen im gemeinsamen Haus nicht mehr so gut. Dennoch
würde Paul am liebsten zuhause bleiben, doch Tochter Birgit (Heike Makatsch,
"Tatsächlich ... Liebe") überzeugt ihn davon, daß das für Margot viel
zu gefährlich wäre. Schon nach wenigen Tagen im Heim hat Paul dennoch gehörig die
Schnauze voll: Die gutmeinende Betreuerin Frau Müller (Katharina Lorenz,
"Das rote Zimmer") nervt ihn tierisch mit ihrer penetrant
pädagogischen Art, der bisherige Senioren-Platzhirsch Rudolf (Otto Mellies,
"Halt auf freier Strecke") fühlt sich vom selbstbewußten Paul
bedroht und läßt ihn das deutlich spüren, und überhaupt: Warum zum Teufel sollte er unter Frau Müllers Anleitung
Kastanienmännchen basteln? Dann doch lieber wieder mit dem Laufen anfangen. Der berühmte Berlin-Marathon
steht in wenigen Wochen an, und so beschließt Paul kurzerhand, sich wieder in
Form zu bringen und zu zeigen, was man auch mit rund 80 Jahren noch leisten
kann. Heimpersonal und -bewohner bringt Paul mit seinen anfänglich für verrückt
gehaltenen Anstrengungen kräftig durcheinander, doch schon bald zeigt sich, daß
sein Training nicht nur ihm etwas bringt, sondern auch den meisten Senioren.
Endlich haben sie ebenso wie Paul und Margot (die wie früher sein Training
plant und überwacht) wieder ein konkretes Ziel vor sich – den Berlin-Marathon,
wenn auch für sie nur als Zuschauer –, endlich können sie ihre verbliebene
Energie wieder in etwas Spannenderes als die ewig gleichen Bastelstunden oder Liederabende
stecken: Sie können Paul nach Kräften anfeuern und mit ihm mitfiebern. Aus Sicht der
Heimleiterin Rita (Katrin Sass, "Goodbye, Lenin!") ist das alles
jedoch sehr störend, denn Paul bringt den eingespielten Heimalltag außer Tritt, was angesichts der finanziellen und personellen Engpässe gar nicht in
ihrem Sinn ist ...
Kritik:
Ich muß zugeben, ich bin seit jeher ein Fan von Dieter
Hallervorden. Als ich in den 1980er Jahren aufwuchs, liefen im Fernsehen
ständig die herrlich albernen "Didi"-Komödien, in den 1990ern, als
ich für sowas zu alt wurde, konnte ich mich hervorragend mit dem Kabarettisten
Dieter Hallervorden in "Hallervorden's Spott-Light" und anderen Sendungen amüsieren. Nach der Jahrtausendwende verschwand er leider weitgehend
aus TV und Kino und konzentrierte sich mehr auf die Bühnenarbeit (so
übernahm er 2008 die Leitung des Schloßparktheaters in Berlin). Nun wagt er
endlich sein großes Kino-Comeback und ich wage die Prognose, daß ihm seine
grandiose Leistung als alter Marathonläufer seinen ersten Deutschen Filmpreis
einbringen wird.
Doch natürlich ist "Sein letztes Rennen" nicht
wirklich ein Sportfilm, sondern hat eine starke gesellschaftskritische Note.
Normalerweise sind es ja vor allem die Briten, die mit ihren melancholischen Tragikomödien wie
"Brassed Off", "Ganz oder gar nicht" oder "Song for Marion" dramatische Geschichten über die Lebensverhältnisse unterprivilegierter Menschen auf erstaunlich lebensbejahende
Weise erzählen. Regisseur Kilian Riedhof hat sich in seinem Kinodebüt (zuvor
machte er sich als TV-Regisseur vor allem mit dem vielfach preisgekrönten
Jugenddrama "Homevideo" einen Namen) diese typisch britische Art des
Erzählens erkennbar zum Vorbild genommen und zeigt, daß so etwas
tatsächlich auch in der (vollkommen zurecht) oft kritisierten deutschen Kinolandschaft
möglich ist. Er beläßt es aber nicht dabei, das britische Erfolgsrezept
zu kopieren, sondern beweist mit einem in der zweiten Filmhälfte über weite
Strecken erfreulich unvorhersehbaren Handlungsverlauf inhaltliche
Eigenständigkeit.
Lobenswert ist vor allem Riedhofs differenzierte
Betrachtungsweise des Themenkomplexes "Alter – Altenheim –
Gesellschaft". Er hätte es sich leicht machen und das Altersheim als Ort
des Schreckens präsentieren können, aber nein: Zwar ist überdeutlich, daß das bis ins Detail
durchreglementierte Leben in diesem wohl ziemlich typischen deutschen
Seniorenheim nichts für jemanden wie Paul Averhoff ist, was dann in einigen
Szenen auch etwas sehr plakativ betont wird. Aber die meisten Bewohner führen
doch ein zufriedenes Leben und werden von dem (wenngleich unterbesetzten und entsprechend gestreßten) Personal gut
behandelt. Es gibt auch keine Sadisten oder uninteressierte Pfleger, sondern
allen liegt etwas an den Bewohnern – so ist es auch passend, daß der im
Umgang recht ruppige Tobias (Frederick Lau, "Oh Boy") schließlich
sogar als erster begreift, wie wichtig für die meisten
Senioren die Abwechslung und die Lebensfreude sind, die Pauls Marathon-Bemühungen
in das Heim bringen.
Überhaupt ist Kilian Riedhof eine sehr schöne
Figurenzeichnung mit vielen durchdachten Details gelungen, die auch vor den
Nebencharakteren nicht Halt macht. Bezeichnend ist etwa, daß im privaten Zimmer
der Betreuerin Frau Müller ein Filmplakat von "Die bezaubernde Welt der
Amélie" hängt – ein ebenso simpler wie günstiger Einfall, um dem Publikum auf einen Blick klarzumachen, daß hinter dieser prinzipientreuen Frau mit der
aufgesetzten Freundlichkeit und der stets irgendwie herablassenden
Art, mit den Senioren zu sprechen, mehr steckt: ein Mensch mit Phantasie,
Kreativität und Träumen, die sie aber von Alltag und Beruf erdrücken läßt. Doch auch sie bleibt nicht völlig unberührt von der Kettenreaktion, die Paul ungewollt auslöst. Die Senioren werden von Riedhof ebenfalls sehr liebevoll
(wenngleich nicht ganz frei von Klischees) präsentiert, sind zudem
durchweg überzeugend gespielt und immer wieder für einen Lacher gut. Das gilt
vor allem für die sarkastische Frau Mordhorst (Annekathrin Bürger, "Meer
is nich"), die schon mal ihrem Sohn angetrunken ein Nazilied auf den
Anrufbeantworter singt, damit dieser sie endlich wieder im Altersheim besuchen
kommt – wenn auch vor allem deshalb, weil er erfahren will, was in dem Heim mit
seiner Mutter angestellt wurde, daß die lebenslange SPD-Wählerin plötzlich Nazi-Lieder
grölt ... Wohlgemerkt walzt Riedhof auch diese köstliche Szenenabfolge nicht
unnötig aus, sondern vertraut auf die Intelligenz der Zuschauer, die seine
Intention und die seiner Figuren selbst erkennen dürfen. Es muß nunmal nicht immer alles haarklein
ausgesprochen und erklärt werden, manchmal darf man beim Betrachten eines Films
ruhig ein wenig mitdenken.
Der Star von "Sein letztes Rennen" ist und bleibt
aber natürlich Dieter Hallervorden, dessen Darstellung Pauls als rüstiger alter
Mann mit wachem Geist und eingerostetem Körper, der vom eingefahrenen Alltag im
von Personal- und Finanzknappheit geplagten Altersheim hoffnungslos
unterfordert ist, ein wahrer Genuß ist. Natürlich bringt Hallervorden viel von
jenem trockenen Humor ein, den man von ihm vor allem aus seiner Kabarett-Zeit
kennt, aber schauspielerisch am stärksten ist er in der
herzergreifenden Interaktion mit seiner von Tatja Seibt gleichfalls hervorragend
verkörperten Ehefrau Margot. Heike Makatsch hat in den gemeinsamen Szenen mit
ihren Filmeltern einige gute Momente, insgesamt ist ihre Rolle aber
die undankbarste des Films, denn ihr eigener kleiner Handlungsstrang über
Birgits schwieriges Liebesleben ist kaum in die eigentliche Story integriert
und überhaupt ziemlich überflüssig.
Selbstverständlich ist auch bei "Sein letztes Rennen" nicht
alles Gold, was glänzt: Im letzten Akt ist Pauls Geschichte vielleicht etwas zu
gewollt bedeutungsschwer und zu manipulativ inszeniert, dies allerdings auf eine sehr
effektive und emotionale Art und Weise. Kilian Riedhof scheut dabei nicht vor Pathos zurück, was in Deutschland ja ziemlich verrufen ist und somit
vermutlich nicht jedem gefallen wird, zu diesem Film aber gut paßt. Vermutlich
ist genau dieses Pathos aber auch der Grund dafür, daß "Sein letztes Rennen"
nicht als deutscher OSCAR-Beitrag 2013 ausgewählt wurde. Was sehr schade ist,
denn gerade in den USA kommen solche Filme traditionell sehr gut an, wohingegen es das eher
spröde Thriller-Drama "Zwei Leben" schwerer haben dürfte.
Fazit: "Sein letztes Rennen" ist eine
aufwühlende Tragikomödie mit gesellschaftskritischen Elementen, die Dieter
Hallervorden die Rolle seines Lebens
beschert und dabei generell stark gespielt und inszeniert ist.
Wertung: 8 Punkte.
Wertung: 8 Punkte.
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