Regie: Park Chan-wook, Drehbuch: Wentworth Miller, Musik:
Clint Mansell
Darsteller: Mia Wasikowska, Matthew Goode, Nicole Kidman,
Jacki Weaver, Dermot Mulroney, Alden Ehrenreich, Lucas Till, Phyllis
Somerville, Judith Godréche, Ralph Brown, David Alford, Harmony Korine
India Stoker (Mia Wasikowska, "Jane Eyre",
"Alice im Wunderland") ist gerade 18 geworden, als ihr geliebter
Vater (Dermot Mulroney, "The Grey") bei einem Autounfall stirbt. Bei
der Beerdigung lernt sie ihren charmanten Onkel Charlie (Matthew Goode,
"Match Point") kennen, von dem sie gar nicht wußte, daß er existiert.
Charlie quartiert sich vorerst im Haus von India und ihrer etwas labilen Mutter
Evelyn (Nicole Kidman) ein, was dieser zunächst deutlich besser gefällt als ihrer Tochter. India ahnt bald, daß irgendetwas nicht stimmt mit diesem mysteriösen
Onkel, zumal Personen aus dem direkten Umfeld der Familie Stoker spurlos
verschwinden. Dennoch übt Charlie eine zunehmende Faszination auf India aus und
scheint sogar ihr Wesen zu beeinflussen. Zuvor in der Schule eine klassische
Außenseiterin, wird sie nun (auch sexuell) selbstbewußter und mutiger –
allerdings mit sehr zwiespältigen Folgen ...
Kritik:
Als Hauptinspirationsquellen für sein Debüt als
Drehbuch-Autor nennt "Prison Break"-Star Wentworth Miller Bram
Stokers Grusel-Klassiker "Dracula" und Alfred Hitchcocks Thriller "Im Schatten des
Zweifels" von 1943. Während ersterer eher stilistisch und atmosphärisch Pate stand, sind die inhaltlichen Parallelen zu letzterem unübersehbar –
"Stoker" ist eine deutliche Hommage an Hitchcocks persönlichen
Favoriten unter den von ihm gedrehten Filmen. Daß dies selbst Kennern von
"Im Schatten des Zweifels" nicht langweilig wird, liegt vor allem an
der makellosen Inszenierung des südkoreanischen Meisterregisseurs Park Chan-wook
("Oldboy", "Durst") in seinem ersten englischsprachigen Werk.
Daß "Stoker" nicht irgendein "normaler" Film ist, wird
bereits im Vorspann klar, in dem die Namenseinblendungen auf subtile Weise mit ihrer Umgebung interagieren – eine kleine persönliche Note, die sich knapp 100
Minuten später im Abspann spiegelt, den man nämlich von unten nach oben lesen
muß. Doch wer Parks Werk kennt, der weiß, daß er sich natürlich nicht auf solch
kleine Spielereien ohne inhaltliche Bedeutung beschränkt. Stattdessen drückt er
dieser Mischung aus Drama und Psycho-Thriller mit einem Schuß Gruselfilm
deutlich seine Note auf: Jede einzelne, von Parks Stamm-Kameramann Chung
Chung-hoon aufgenommene Einstellung ist perfekt durchkomponiert und von
erhabener Schönheit, unterlegt mit sphärischer Musik von Clint Mansell ("Black Swan"). Damit das Publikum diese Kunstfertigkeit auch angemessen
bestaunen kann, legt "Stoker" über weite Strecken ein gemächliches
Tempo vor und zelebriert einzelne Szenen geradezu, wobei besonders zwei
beeindruckende Klavierduette von India und Charlie (komponiert von Philip
Glass, "The Hours") hervorstechen. Auf die bizarren, manchmal beinahe
komödiantischen Einlagen seiner koreanischen Werke verzichtet Park hier
weitestgehend, insofern hat er sich schon ein wenig an westliche Sehgewohnheiten
angepaßt. Das mag manch einer seiner Anhänger bedauern, in "Stoker"
funktioniert seine Konzentration auf Story, Charaktere und elegische
Bildgestaltung aber einwandfrei.
Trotz eher spärlicher Dialoge können die in typischer Park-Manier allesamt recht stoischen zentralen Figuren Profil
entwickeln, woran die gute Besetzung logischerweise nicht ganz unbeteiligt ist. Vor allem die australische Hauptdarstellerin Mia Wasikowska beweist einmal mehr ihr großes Talent (wenngleich sie mit inzwischen 23 Jahren so langsam aus den Teenagerrollen herauswachsen sollte), doch auch
Matthew Goode und Nicole Kidman spielen ihre Rollen überzeugend. Die vor allem
in der zweiten Hälfte sehr wendungsreiche Story, die zahlreiche literarische
Anspielungen und Querverweise beinhaltet, ist im Vergleich zu Parks früheren, stets auf selbstverfaßten Drehbüchern basierenden Filmen relativ zahm, für
Hollywood-Verhältnisse aber erfreulich raffiniert und abgründig. Zwar kann man
gelegentlich durchaus die Logik mancher Verhaltensweisen anzweifeln, einiges
hätte man ausführlicher – oder überhaupt – erläutern können (z.B. Charlies Verhältnis zur Haushälterin der Stokers) und gegen Ende
erhöht sich das Tempo vielleicht etwas zu abrupt. Aber im Großen und Ganzen ist
Wentworth Miller mit seiner *etwas* anderen Coming of Age-Geschichte ein sehr
beachtliches und vielversprechendes Debüt gelungen.
Fazit: "Stoker" ist intelligentes
Arthouse-Kino zwischen Familiendrama, Gothic-Schauerfilm und erotisch angehauchtem Psychothriller, das vor allem mit Regisseur Parks höchst eleganter Inszenierung,
einem gewitzten (wenn auch stark von anderen Quellen aus Film und Literatur beeinflußten) Drehbuch und
der tollen Hauptdarstellerin Mia Wasikowska punktet.
Wertung: 8 Punkte.
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