Regie und Drehbuch: Lana Wachowski, Tom Tykwer und Andy
Wachowski, Musik: Reinhold Heil, Johnny Klimek und Tom Tykwer
Darsteller: Tom Hanks, Halle Berry, Jim Broadbent, Ben
Whishaw, Hugo Weaving, Doona Bae, Hugh Grant, Jim Sturgess, Keith David, Susan
Sarandon, James D'Arcy, David Gyasi, Xun Zhou, Brody Nicholas Lee, Martin
Wuttke, Robert Fyfe, Götz Otto, Zhu Zhu, Alistair Petrie, Sylvestra Le Touzel,
Katy Karrenbauer, David Mitchell

1849 freundet sich der junge amerikanische Rechtsanwalt Jim Ewing
(Jim Sturgess) auf einer Pazifikreise mit dem entlaufenen Sklaven Autua (David
Gyasi) an.
Der homosexuelle und hochtalentierte Komponist Robert
Frobisher (Ben Whishaw) verläßt im Jahr 1936 die Universität von Cambridge und
damit auch seinen Geliebten Rufus Sixsmith (James D'Arcy), um als Assisstent
des ebenso betagten wie arroganten Meisterkomponisten Vyvyan Ayrs (Jim
Broadbent) seine Berufung zu finden.
1973, San Francisco: Die mutige Reporterin Luisa Rey (Halle
Berry) kommt durch eine zufällige Begegnung einer groß angelegten Verschwörung
eines Ölkonzerns unter der Führung von Lloyd Hooks (Hugh Grant) auf die Spur.
Gegenwart, London: Der windige Verleger Timothy Cavendish
(Jim Broadbent) lebt nach einem Zufallserfolg in Saus und Braus. Als
er feststellt, daß er Schulden bei der Mafia hat, flüchtet er überstürzt aus der
Stadt und landet in einem zwielichtigen Pflegeheim.
Neo Seoul, 2144: Die Duplikantin (eine Art Klon) Sonmi-451
(Doona Bae) wird verhaftet, der Komplizenschaft bei einem Umsturzversuch angeklagt und von
einem Beamten befragt. Sie berichtet ihm, wie sie sich von ihrem sklavenartigen
Dasein als Restaurant-Bedienung befreit und mit einem kurz vor ihrer Gefangennahme
veröffentlichten flammenden Appell den Funken der Revolution in der Bevölkerung
gesät hat.
106 Winter nach dem Untergang (24. Jahrhundert): Der
Ziegenhirte Zachary (Tom Hanks) hilft der attraktiven Meronym (Halle Berry), der Botschafterin
eines technologisch weit überlegenen Volks, einen "verfluchten" Berg
auf seinem Stammesgebiet zu besteigen, auf dem sie eine alte
Kommunikationsstation aus der Zeit vor dem Untergang vermutet.
Kritik:
Als der Brite David Mitchell im Jahr 2004 seinen dritten Roman
"Cloud Atlas" (in Deutschland 2006 unter dem naheliegenden Titel
"Der Wolkenatlas" erschienen) veröffentlichte, beeindruckte er
Kritiker und Leser mit sechs kunstvoll ineinander verwobenen Erzählsträngen,
die eine Zeitspanne von rund 500 Jahren umfassen und sich durch deutliche
stilistische Unterschiede voneinander abheben. Kein Wunder, daß es für die
Verfilmung des (als Taschenbuch) fast 700 Seiten umfassenden Werks gleich
dreier renommierter Regisseure und zweier nahezu kompletter Filmteams bedurfte. Andy
und Lana Wachowski ("Matrix"-Trilogie) setzten die 1849er-Geschichte
und die beiden Zukunftsstories in Szene, während Tom Tykwer ("Lola
rennt", "Das Parfum") sozusagen für das 20. und 21. Jahrhundert
verantwortlich zeichnete. Obwohl sich die einzelnen Episoden für Kenner
relativ eindeutig den jeweiligen Regisseuren zuordnen lassen, ist das Ergebnis
der gemeinsamen, primär in den Babelsberger Filmstudios umgesetzten Bemühungen
ein höchst faszinierender Genremix, der allerdings Publikum und Rezensenten
polarisiert. Während die einen von der visionären und kraftvollen Umsetzung von
Mitchells anspruchsvollem Roman begeistert sind, bemängeln die anderen allzu
esoterisch anmutende Storyelemente und den Einsatz der Hauptdarsteller in
multiplen Rollen, die nicht alle gleich überzeugend ausfallen. Ich kann beide
Seiten verstehen.
Die Idee, viele Schauspieler in jeder der sechs Episoden
mindestens eine (in unterschiedlichem Umfang eingesetzte) Figur personifizieren zu lassen, ist
einerseits genial. Denn auf diese Weise konnte man die kostspieligen Stars ausgiebig
einsetzen, ohne das ohnehin schon enorme Budget des mit Abstand teuersten deutschen
Films aller Zeiten (die Rede ist von rund $100 Mio., dazu kommen Marketingkosten in noch einmal etwa der gleichen Höhe) übermäßig zu strapazieren. Gleichzeitig ist es ein hervorragender dramaturgischer Kniff, da diese
Mehrfachbesetzung die zahllosen subtilen Gemeinsamkeiten zwischen den Erzählsträngen und
das über allem schwebende Motiv der Reinkarnation betont. Andererseits hat man
dadurch sowohl die Schauspieler als auch vor allem die Makeup-Abteilung vor
eine Mammutaufgabe gestellt. Das Problem in beiden Fällen: Die wenigen
nicht ganz so gelungenen Resultate fallen sofort negativ ins Auge, während
(speziell beim Makeup) die viel zahlreicheren hervorragenden Arbeiten
überhaupt nicht auffallen. Da die Wachowskis und Tom Tykwer noch nicht einmal davor
zurückschrecken, ihre Akteure Geschlecht und Rasse wechseln zu lassen, ist es
geradezu zwangsläufig, daß diese keine konstant herausragende Leistung abliefern können. So
gut die Darsteller sind, selbst der zweifache OSCAR-Gewinner Tom Hanks wirkt in
einer seiner sechs Rollen (als jähzorniger Autor in der Gegenwarts-Story) zwar
witzig, aber wenig glaubwürdig. Und beim Makeup fallen vor allem die Versuche,
für die Neo Seoul-Geschichte westliche Schauspieler asiatisch aussehen zu
lassen, eher fragwürdig aus (wenngleich ich nicht ausschließen möchte,
daß der sehr künstliche wirkende Look auch die körperlichen Veränderungen der
Menschheit in den kommenden gut 100 Jahren veranschaulichen soll). Wie verdammt gut
das Makeup insgesamt dennoch ausgefallen ist, begreift man als Zuschauer
eigentlich erst, wenn "Cloud Atlas" zu Ende ist. Denn zu Beginn des
Abspanns werden neben den Namen der Darsteller nacheinander die Gesichter aller
Rollen kurz eingeblendet, die sie im Film verkörpert haben. Und ich kann im
Grunde genommen garantieren, daß diese Enthüllung bei jedem für höchstes
Erstaunen sorgen wird. Selbst dem besten Beobachter aller Zeiten wird es
kaum gelingen, wirklich alle dieser
Verkörperungen (die teilweise nicht mehr als Cameos sind) bereits während des Films zu erkennen.
Wie erwähnt ist also Reinkarnation ein zentrales Thema von
"Cloud Atlas", das allerdings stets eher im Hintergrund bleibt und
nur subtil in Erscheinung tritt. Viel offenkundiger ist das zweite zentrale
Motiv, das in jeder Episode eine wichtige Rolle spielt: die Sklaverei beziehungsweise der unstillbare Wunsch nach Freiheit. In der ersten Episode des Films wird das ganz direkt thematisiert, in der zweiten ist es
eher eine persönliche Versklavung des jungen Komponisten, der zu seiner Zeit
zudem durch seine Homosexualität zusätzlich gesellschaftlich eingeschränkt ist. Im
1973er-Erzählstrang wird die US-Gesellschaft durch einen Energiekonzern massiv bedrängt, in der Gegenwart geht es derweil um die Flucht aus einem zwielichtigen
Pflegeheim in die Freiheit. In der nahen Zukunft sind es die Duplikanten, die von den
"Reinblütigen" wie Sklaven gehalten werden und nach dem Untergang wiederum
herrscht auf einem Teil der Erde wieder das gute alte Recht des Stärkeren. Die
Botschaft ist überdeutlich: Es gab immer Menschen, die vermeintlich Schwächere
buchstäblich oder im übertragenen Sinn versklaven wollen, und es wird sie immer
geben. Ebenso wie Menschen, die sich gegen eine solche Versklavung mit allen
Mitteln wehren. Ein ewiger Kreislauf. Womit wir wieder beim Motiv der Reinkarnation wären,
das sich übrigens auch darin ausdrückt, daß die Darsteller meist im Kern
ähnliche Figuren verkörpern. Hugo Weaving spielt äußerst lustvoll die Bösen, Halle
Berry die Guten, Jim Broadbent die ambivalenten Schlitzohren.
Nachdem ich die ganze Zeit über "Episoden"
geschrieben habe, wird es höchste Zeit, diesen Begriff zu präzisieren.
Denn "Cloud Atlas" präsentiert seine Geschichten keineswegs brav
nacheinander und widmet sich den einzelnen Strängen noch nicht einmal für längere
Zeit, ehe zum nächsten gewechselt wird. Nein, die drei Regisseure haben
sich für die anspruchsvollste, aber auch eleganteste Methode entschieden: Sie
setzen sozusagen auf fliegende Wechsel. Ich glaube nicht, daß eine der
Geschichten länger als fünf Minuten am Stück erzählt wird, vielmehr sind
sogar Wechsel im Minutentakt eher Regel als Ausnahme. Daß darunter weder
Erzählfluß noch Verständlichkeit in irgendeiner Weise leiden, ist eine
beeindruckende inszenatorische Leistung – wenngleich man angesichts der
Vielzahl an Namen, Zeiten und teils nur minimalen Querverbindungen natürlich ein interessiertes Publikum mit einem hohen Aufmerksamkeitslevel voraussetzen muß. Alle sechs Episoden
haben ihren ganz eigenen Stil und halten so das Interesse wach. Die
1973er-Handlung erinnert beispielsweise unverkennbar an Klassiker der "New
Hollywood"-Ära wie "Die Unbestechlichen" oder
"Silkwood", zumal sich Halle Berry in ihrer besten Rolle im Film
als mutige Investigativ-Reporterin wie weiland Jane Fonda in "Das China
Syndrom" durch die Verschwörungsstory schlägt. Die Gegenwartshandlung
wiederum ist betont komödiantisch, weshalb das erwähnte Overacting von Tom
Hanks und der Einsatz von Hugo Weaving als an die berühmt-berüchtigte Nurse
Ratched aus Milos Formans "Einer flog über das Kuckucksnest"
erinnernde Nurse Noakes trotz fehlender Glaubwürdigkeit nicht allzu schwer ins
Gewicht fällt. Alle Episoden sind gerade wegen der Kombination aus
stilistischer Verschiedenheit und inhaltlicher Verwandtschaft interessant
und ergeben in ihrer Gesamtheit ein faszinierendes, meisterhaft
zusammengesetztes Mosaik. Oder anders formuliert: Wie das titelgebende, von
Robert Frobisher im 1936er-Erzählstrang komponierte Wolkenatlas-Sextett sind die
einzelnen Tönen oder Akkorden gleichenden Geschichten und Figuren sorgfältig
und liebevoll zu einer beeindruckenden Komposition verwoben.
Ein raffinierter Kniff ist es auch, die wiederholt
auftretenden dramaturgischen Schnittpunkte zwischen mehreren, manchmal sogar allen Zeitsträngen
als eine Art künstliche Verlängerung zu nutzen. Selbst bei einer Dauer von rund
170 Minuten können sechs einzelne Geschichten schließlich nicht allzu
umfangreich und tiefgehend ergründet werden. Doch durch diese sehr geschickt
gesetzten Schnittpunkte und den mehr oder weniger parallelen Verlauf der sechs
Episoden wirken diese länger, als sie es tatsächlich sind, da sich einzelne
Szenen, obwohl nur einmal gezeigt, sozusagen addieren, indem sie sich auf mehrere
Erzählstränge auswirken. Es ist schwierig, diesen Effekt zu beschreiben, aber
er funktioniert in "Cloud Atlas" einwandfrei. Allerdings hat er auch
seine Grenzen, weshalb nicht alle Episoden gleich "rund" wirken. Am
gelungensten fand ich 1973, 2012 und 2144, wohingegen vor allem die
1849er-Geschichte nicht so richtig ihre Wirkung entfalten kann. Wie es
überhaupt mein größter Kritikpunkt an "Cloud Atlas" ist, daß es dem
Film bei allen unbestrittenen Stärken und der großen Faszination, die von ihm
ausgeht, nicht gelingt, eine ähnliche emotionale Wucht zu entfalten wie andere
Genrefilme des Jahres 2012 (z.B. "The Dark Knight Rises",
"Looper" oder "Skyfall"). Meiner Einschätzung nach ist
"Cloud Atlas" eher ein intellektuelles Vergnügen, aber vielleicht
ändert sich dieser Eindruck bei nochmaliger Begutachtung des Films.
An den schauspielerischen Leistungen gibt es erwartungsgemäß wenig
auszusetzen. Wie angesprochen, schleichen sich zwar immer wieder mal etwas
schwächere Darstellungen ein, angesichts der multiplen Rollen machen sich die
Akteure insgesamt aber sehr gut. Hugo Weaving ("Der Hobbit") begeistert wie so oft in Schurkenrollen,
Jim Broadbent spielt vor allem als Pflegeheim-Flüchtling ungemein lustvoll auf,
die jungen Ben Whishaw ("Skyfall", "Das Parfum") und Jim
Sturgess ("Across the Universe") zeigen, daß sie zu den
talentiertesten britischen Darstellern ihrer Generation zählen und die
Südkoreanerin Doona Bae ("Sympathy for Mr. Vengeance") beeindruckt als Duplikantin mit Freiheitsdrang. Keith David
("Platoon") überzeugt vor allem in der 1973er-Storyline als an
"Shaft" erinnernder Sicherheitsfachmann, während Susan Sarandon ("Robot & Frank") und
Hugh Grant ("Tatsächlich ... Liebe") leider eher spärlich eingesetzt werden und Halle Berry und vor allem Tom Hanks über jeden Zweifel erhaben sind. Die visuellen Effekte fallen aus
Budgetgründen nicht ganz so spektakulär aus wie in einem großen
Hollywood-Blockbuster, sind handwerklich aber einwandfrei. Gleiches gilt für die
tolle stilistische Umsetzung, die Kameraarbeit von Frank Griebe und (in den Wachowski-Episoden) John Toll sowie die
atmosphärische Musik von Tykwer und seinen seit "Lola rennt"
bewährten Partnern Johnny Klimek und Reinhold Heil.
Ob sich das Wagnis "Cloud Atlas" in kommerzieller Hinsicht gelohnt hat, läßt sich übrigens noch nicht abschließend beurteilen. Einem mäßigen US-Einspielergebnis von knapp $30 Mio. stehen starke Ergebnisse in Osteuropa und Teilen Asiens (alleine über fünf Millionen Zuschauer in China) gegenüber, während der Film in Deutschland ein ordentliches Resultat von gut einer Million Kinobesuchern erzielt hat. Das reicht zwar nicht, um "Cloud Atlas" insgesamt in die schwarzen Zahlen zu hieven, mit guten Heimkinoverkäufen könnte er aber zumindest noch auf ein ausgeglichenes Ergebnis kommen. Was für ein solch riskantes und ambitioniertes Projekt schon ein Achtungserfolg wäre.
Ob sich das Wagnis "Cloud Atlas" in kommerzieller Hinsicht gelohnt hat, läßt sich übrigens noch nicht abschließend beurteilen. Einem mäßigen US-Einspielergebnis von knapp $30 Mio. stehen starke Ergebnisse in Osteuropa und Teilen Asiens (alleine über fünf Millionen Zuschauer in China) gegenüber, während der Film in Deutschland ein ordentliches Resultat von gut einer Million Kinobesuchern erzielt hat. Das reicht zwar nicht, um "Cloud Atlas" insgesamt in die schwarzen Zahlen zu hieven, mit guten Heimkinoverkäufen könnte er aber zumindest noch auf ein ausgeglichenes Ergebnis kommen. Was für ein solch riskantes und ambitioniertes Projekt schon ein Achtungserfolg wäre.
Fazit: "Cloud Atlas" ist eine mutige, handwerklich
höchst beeindruckende und in vielerlei Hinsicht experimentelle Adaption des
als nahezu unverfilmbar geltenden Romans von David Mitchell, die ihre sechs
über rund 500 Jahre verteilten und sich mit Themen wie Reinkarnation und
Freiheitsdrang befassenden Geschichten bemerkenswert nahtlos ineinander
übergehen läßt. Obwohl der multiple, geschlechter- und rassenübergreifende Einsatz
der hervorragenden Schauspieler nicht immer einwandfrei funktioniert und die
emotionale Bindung zum Publikum überschaubar bleibt, ist "Cloud
Atlas" ein Film, den man wirklich gesehen haben sollte – auch auf die
Gefahr hin, ihn nicht zu mögen.
Wertung: 8 Punkte (vorerst).
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