Eine hoffentlich einzigartig bleibende OSCAR-Saison wird am Sonntag mit der 93. Verleihung der Academy Awards ihr Ende finden - nach einem Jahr, in dem die meisten nominierten Filme in vielen Ländern der Welt pandemiebedingt gar nicht ins Kino kamen. Das drückt zweifellos auf die Stimmung und dürfte auch die Vorfreude auf die OSCAR-Verleihung bei vielen trüben, so auch bei mir - zumal ich aufgrund dieser Ausnahmesituation so wenige der nominierten Filme gesehen habe wie seit Ewigkeiten nicht mehr. Und am meisten Spaß machen die OSCARs nun einmal, wenn man die beteiligten Werke auch selbst einschätzen kann. Trotzdem gibt es natürlich auch dieses Jahr eine ausführliche OSCAR-Vorschau inklusive Gewinner-Vorhersagen von mir, wobei ich selbst gespannt bin, ob meine Unkenntnis zahlreicher nominierter Filme die Prognose-Treffsicherheit erhöhen oder senken wird (oder ohne jede Auswirkung bleibt). Meine Erfolgsbilanz der letzten Jahre: 17, 14, 19, 14, 16, 15, 18 (bei jeweils 24 Kategorien; dieses Jahr gibt es eine weniger, da die beiden Ton-Kategorien zusammengelegt wurden). Als Basis meiner Einschätzung der Favoritenlage dienen neben meiner eigenen jahrelangen Erfahrung vor allem die bisherigen
Preisverleihungen der aktuellen Awards Season sowie
US-amerikanische OSCAR-Blogs wie Gurus o' Gold, Goldderby.com
und Indiewire. Und damit legen wir direkt mit der Königskategorie los:
Bester Film:
- The Father
- Judas and the Black Messiah
- Minari
- Nomadland
- Promising Young Woman
- Sound of Metal
Davon habe ich gesehen und kann daher selbst beurteilen: Lediglich "Mank" und "The Trial of the Chicago 7".
Favorit: "Nomadland". Chloé Zhaos Indie-Aussteigerdrama dominierte die Awards Season zu Beginn, schwächelte im Mittelteil ein bißchen, meldete sich aber in der heißen Phase wieder ganz stark zurück und ist der Film, den es zu schlagen gilt. Als einziger ernstzunehmender Rivale gilt (nachdem "Mank" konsequent schwächer als erwartet abschnitt) Aaron Sorkins historisches Gerichts- und Bürgerrechtsdrama "The Trial of the Chicago 7", das glänzend zum Zeitgeist und in die gesellschaftliche und politische Lage paßt, aber vielleicht ein bißchen zu glatt für den ganz großen Triumph ausgefallen ist. Zudem wurde Sorkin zwar als Autor, aber nicht als Regisseur nominiert, was traditionell kein gutes Zeichen ist. Manche glauben zudem, daß das hochgelobte Einwanderer-Drama "Minari" eine ähnliche Überraschungsrolle wie letztes Jahr "Parasite" spielen könnte, allerdings halte ich das für unwahrscheinlich, weil der Favorit diesmal keine klassische Hollywood-Großproduktion wie "1917", "The Irishman" oder "Once Upon a Time in ... Hollywood" ist, denen manche Academy-Mitglieder den Sieg vielleicht nicht so sehr gönnten, sondern selbst ein Independent-Film. Minimale Siegchancen haben "Mank", "Promising Young Woman" und "Judas and the Black Messiah", wohingegen "Sound of Metal" und wohl auch "The Father" chancenlos sein sollten.
Gewinnen sollte: Da ich nur zwei Filme gesehen habe, kann ich das nicht wirklich beurteilen, drücke aber primär "Mank" und "Promising Young Woman" die Daumen.
Gewinnen wird: "Nomadland".
Regie:
- David Fincher, "Mank"
- Lee Isaac Chung, "Minari"
- Chloé Zhao, "Nomadland"
- Emerald Fennell, "Promising Young Woman"
- Thomas Vinterberg, "Der Rausch"
Gesehen: Nur "Mank".
Favoritin: Chloé Zhao. Es spricht eigentlich alles dafür, daß die seit langem in Nordamerika tätige Chinesin als zweite Frau (nach Kathryn Bigelow für "Tödliches Kommando") den Regie-OSCAR holt. Sie konnte fast alle wichtigen Preise auf der "Road to the OSCARs" für sich entscheiden und es sieht auch nicht danach aus, als hätte einer ihrer Mit-Nominees spätes Momentum ergattert. Keiner aus dem Quintett wäre eine totale Sensation, aber im Normalfall müßte Zhao den Goldjungen sicher haben.
Gewinnen sollte: Kann ich nicht beurteilen.
Gewinnen wird: Chloé Zhao für "Nomadland".
Hauptdarsteller:
- Sir Anthony Hopkins, "The Father"
- Gary Oldman, "Mank"
- Steven Yeun, "Minari"
- Riz Ahmed, "Sound of Metal"
Gesehen: Gary Oldman und Chadwick Boseman.
Favorit: Chadwick Boseman. Der letzten August verstorbene "Black Panther"-Star wird sehr wahrscheinlich mit einem posthumen OSCAR geehrt werden, allerdings ist die Kategorie nicht ganz so klar wie einige andere. Denn mit Anthony Hopkins gibt es einen weiteren Kandidaten, der für seine Rolle im Alzheimer-Drama "The Father" gepriesen wird und einige Preise gewann. Im Normalfall wird sich die Kategorie zwischen diesen beiden entscheiden, wenngleich die übrigen drei ebenfalls würdige Sieger wären.
Gewinnen sollte: Erneut kann ich das kaum beurteilen, aber Gary Oldman spielt in "Mank" so grandios, daß ich ihm die Daumen drücke.
Gewinnen wird: Chadwick Boseman für "Ma Rainey's Black Bottom".
Hauptdarstellerin:
- Viola Davis, "Ma Rainey's Black Bottom"
- Frances McDormand, "Nomadland"
- Vanessa Kirby, "Pieces of a Woman"
- Carey Mulligan, "Promising Young Woman"
- Andra Day, "The United States vs. Billie Holiday"
Gesehen: Nur Viola Davis.
Favoriten: Davis, Mulligan und McDormand. Eine der spannendsten Hauptkategorien ohne klare Favoritin. Lange galt Frances McDormand als ebensolche, doch im Lauf der Awards Season entspann sich ein enger Dreikampf mit leichten Vorteilen für Viola Davis und Carey Mulligan. Kirby und Day sollten keine reellen Siegaussichten haben (obwohl Day überraschend den Golden Globe gewann).
Gewinnen sollte: Rein nach Sympathien und "längst überfällig"-Gefühl: Carey Mulligan.
Gewinnen wird: Viola Davis für "Ma Rainey's Black Bottom".
Nebendarsteller:
- Daniel Kaluuya, "Judas and the Black Messiah"
- LaKeith Stanfield, "Judas and the Black Messiah"
- Leslie Odom Jr., "One Night in Miami"
- Paul Raci, "Sound of Metal"
- Sacha Baron Cohen, "The Trial of the Chicago 7"
Gesehen: Nur Sacha Baron Cohen.
Favorit: Daniel Kaluuya. Das (nicht auf den Marvel-Superheld bezogene) Black Panther-Drama "Judas and the Black Messiah" kam spät in der Awards Season auf, dafür umso mächtiger - und das betrifft vor allem Daniel Kaluuya, der zuletzt fast alle Nebendarsteller-Preise abräumte und daher klar favorisiert ist. Gefährlich werden könnten ihm wohl nur Publikumsliebling Sacha Baron Cohen und der ursprüngliche Favorit Leslie Odom Jr., wohingegen Stanfield und Raci als Gewinner eine Sensation wären.
Gewinnen sollte: Rein nach Sympathien und "längst überfällig"-Gefühl: Daniel Kaluuya.
Gewinnen wird: Daniel Kaluuya für "Judas and the Black Messiah".
Nebendarstellerin:
- Maria Bakalova, "Borat Anschluss Moviefilm"
- Olivia Colman, "The Father"
- Glenn Close, "Hillbilly Elegy"
- Amanda Seyfried, "Mank"
- Yoon Yeo-jeong, "Minari"
Gesehen: Nur Amanda Seyfried:
Favoritin: Yoon Yeo-jeong. Lange sah es so aus, als wäre diese Kategorie ähnlich umkämpft wie die Hauptdarstellerinnen, doch in der heißen Phase des OSCAR-Rennens konnte sich die Südkoreanerin Yoon bei fast allen Auszeichnungen durchsetzen und ist deshalb auch bei den Academy Awards die Topfavoritin. Einzige realistische Konkurrentin sollte die Bulgarin Maria Bakalova sein, die für ihren internationalen Durchbruch mit einer unerschrockenen Vorstellung im zweiten "Borat" viele Bewunderer gewonnen hat.
Gewinnen sollte: Da mich Amanda Seyfrieds Leistung in "Mank" sehr beeindruckt hat, drücke ich ihr die Daumen.
Gewinnen wird: Yoon Yeo-jeong für "Minari".
Animationsfilm:
- Die bunte Seite des Monds
- Wolfwalkers
Gesehen: "Onward", "Shaun das Schaf 2" und "Soul".
Favorit: "Soul" mit ziemlich weitem Abstand vor "Wolfwalkers". Pixars "Soul" und der irische "Wolfwalkers" haben klar die besten Kritiken und die meisten Auszeichnungen erhalten, da können die drei übrigen Nominees nicht ansatzweise mithalten. Ein Sieg von "Wolfwalkers" wäre trotzdem eine sehr, sehr große Überraschung, da der allseits gefeierte "Soul" schlicht unschlagbar scheint.
Gewinnen sollte: "Soul".
Gewinnen wird: "Soul".
Internationaler Film:
- "Der Rausch", Dänemark
- "Better Days", Hongkong
- "Kollektiv: Korruption tötet", Rumänien
- "The Man Who Sold His Skin", Tunesien
- "Quo Vadis, Aida?", Bosnien und Herzegowina
Gesehen: Keinen.
Favorit: "Der Rausch". Die Auslands-Kategorie überrascht gerne, aber in diesem Jahr scheint der dänische Beitrag "Der Rausch" dermaßen klar favorisiert (was ja auch die zusätzliche Nominierung für Regisseur Vinterberg zeigt), daß es schwerfällt, an einen anderen Sieger zu glauben. Am ehesten könnte das wahrscheinlich "Quo Vadis, Aida?" der früheren Berlinale-Gewinnerin Jasmila Žbanić ("Esmas Geheimnis") schaffen.
Gewinnen wird: "Der Rausch".
Dokumentarfilm:
- Der Maulwurf - Ein Detektiv im Altersheim
- Kollektiv: Korruption tötet
- Mein Lehrer, der Krake
- Sommer der Krüppelbewegung
- Time
Gesehen: Keinen.
Favoriten: "Mein Lehrer, der Krake" und "Time". Die Netflix-Doku "Mein Lehrer, der Krake" hat eine kuriose Entwicklung durchgemacht in dieser OSCAR-Saison. Zunächst als Außenseiter für eine Nominierung gehandelt, da von den Kritikern vorwiegend als inhaltlich zu leichtgewichtig befunden, gilt der Publikumsliebling inzwischen als der Film mit den besten Siegaussichten. Doch auch "Time" wäre als Gewinner keine Überraschung, mit Außenseiterchancen geht der rumänische "Sommer der Krüppelbewegung" ins Rennen.
Gewinnen wird: "Time".
Originaldrehbuch:
- Will Berson und Shaka King, "Judas and the Black Messiah"
- Lee Isaac Chung, "Minari"
- Emerald Fennell, "Promising Young Woman"
- Darius und Abraham Marder, "Sound of Metal"
- Aaron Sorkin, "The Trial of the Chicago 7"
Gesehen: Nur "The Trial of the Chicago 7".
Favoriten: "The Trial of the Chicago 7" und "Promising Young Woman". Aaron Sorkin ist bei den Drehbüchern immer ein aussichtsreicher Kandidat und hier könnte es durchaus passieren, daß er den Drehbuch-OSCAR quasi als Trostpreis erhält, während "The Trial of the Chicago 7" ansonsten leer ausgeht. Das gleiche Szenario kann aber auch und sogar wahrscheinlicher (da in weniger Nebenkategorien vertreten) auf "Promising Young Woman" zutreffen. Viele Experten scheinen "Promising Young Woman" denn inzwischen auch als wahrscheinlichsten Gewinner anzusehen. Die drei übrigen nominierten Filme dürften chancenlos sein.
Gewinnen sollte: Kann ich auch hier nicht beurteilen, aber als Fan von Aaron Sorkin würde ich mich über seinen Sieg freuen.
Gewinnen wird: Aaron Sorkin für "The Trial of the Chicago 7".
Adaptiertes Drehbuch:
- Sacha Baron Cohen, Anthony Hines,
Dan Swimer, Peter Baynham, Erica Rivinoja, Dan Mazer, Jena Friedman und
Lee Kern, "Borat Anschluss Moviefilm"
- Florian Zeller, "The Father"
- Chloé Zhao, "Nomadland"
- Kemp Powers, "One Night in Miami"
- Ramin Bahrani, "The White Tiger"
Gesehen: Keinen.
Favoriten: "Nomadland" und "The Father". Lange Zeit schien "Nomadland" der sichere Sieger zu sein, doch die Theateradaption "The Father" hat zuletzt Zähne gezeigt und gilt inzwischen als annähernd genauso aussichtsreich. Außenseiterchancen hat "Borat 2", die beiden übrigen Nominees brauchen im Normalfall keine Dankesrede vorzubereiten.
Gewinnen wird: Chloé Zhao für "Nomadland".
Das war also meine Vorschau auf und Prognose für die elf wichtigsten Kategorien der
Academy Awards. In Teil 2 geht es um die verbliebenen 12
Nebenkategorien.
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