Regie: Pete Docter, Drehbuch: Pete Docter, Mike Jones,
Kemp Powers, Musik: Trent Reznor, Atticus Ross und Jon Batiste
Sprecher der Originalfassung: Jamie Foxx, Tina Fey, Graham
Norton, Angela Bassett, Rachel House, Alice Braga, Richard Ayoade,
Questlove, Phylicia Rashad, Donnell Rawlings, Daveed Diggs, Cora Champommier, Wes Studi,
Sakina Jaffrey, June Squibb, Lanai Chapman, John Ratzenberger
FSK: 0, Dauer: 100 Minuten.
Joe Gardner (in der Originalfassung gesprochen von Jamie
Foxx, "Django Unchained") ist ein New Yorker mittleren Alters, dessen
Leben seit jeher von der Jazzmusik bestimmt wird. Trotz allen Bemühens ist ihm
allerdings niemals der Durchbruch auf der Bühne gelungen, weshalb er inzwischen als
Musiklehrer an einer Schule arbeitet. Doch ausgerechnet an jenem Tag, an dem
Joe eine Festanstellung an der Schule angeboten bekommt und er somit vor der
Entscheidung steht, sich von seinem Traum endgültig zugunsten der Realität zu
verabschieden, ruft ihn sein ehemaliger Schüler Curly ("The
Roots"-Schlagzeuger Questlove) an. Curly spielt inzwischen in der Band der
Jazzgröße Dorothea Williams (Angela Bassett, "Black Panther") und als
deren Pianist kurzfristig ausfällt, soll Joe aushelfen – die Chance seines
Lebens! Nach der geglückten Probe ist Joe jedoch so enthusiastisch, daß er
alles um sich herum vergißt und prompt auf dem Heimweg in einen offenen Gully
fällt. Joe ist zwar noch nicht ganz tot, steht aber an der Schwelle des Todes
und findet sich auf der scheinbar endlosen Treppe zum Jenseits wieder.
Doch so einfach will Joe sich seine große Chance nicht entgehen lassen, weshalb
er mit aller Kraft gegen seinen Tod ankämpft – und tatsächlich im benachbarten
"Davorseits" landet, wo ungeborene Seelen auf die Erde vorbereitet
werden. Aufgrund einer Verwechslung wird Joe zum Mentor der ungeborenen Seele
22 (Tina Fey, "Date Night") ernannt. Praktischerweise will 22 aber
gar nicht geboren werden und so tun sich die beiden zusammen, um Joe an 22s
Stelle zurück zur Erde zu schicken. Die Zeit drängt jedoch, denn der
humorlose Jenseits-Buchhalter Terry (Rachel House, "Thor 3") hat Joes
Fehlen bemerkt und will den Fehler korrigieren …
Kritik:
Wenn man eine Sache dem vielfach preisgekrönten
Animationsstudio Pixar noch nie vorwerfen konnte, ist das ein Mangel an
Ambition. So haben sie einen Film gemacht, der lange komplett ohne Dialoge
auskommt ("WALL*E") und auch einen, der die Gefühlswelt eines Kindes
aus der Perspektive der Gefühle erkundet ("Alles steht Kopf") – und
jetzt wagen sie sich mit "Soul" gar an die menschliche Seele heran,
an Vorherbestimmung und an den Sinn des Lebens! Die ganz großen philosophischen
Fragen sind es also, die "Oben"-Regisseur Pete Docter verhandelt. Das könnte mächtig in die Hose gehen, aber weil es sich um einen
Pixar-Film handelt, tut es das natürlich nicht. Man kann sicher darüber
diskutieren, wie tiefgehend Docter und seine zwei Co-Drehbuch-Autoren die
Thematik tatsächlich angehen und ob manches nicht vielleicht doch etwas
plakativ daherkommt; aber insgesamt ist "Soul" eine erfreulich runde
Sache und schafft das Kunststück, das Publikum zum Nachdenken anzuregen und es
gleichzeitig 90 Minuten lang blendend zu unterhalten. Pixar war schon immer glänzend darin, Tiefgründiges mit Humor und Spannung zu verbinden,
doch so gut wie in "Soul" ist das dem Studio meines Erachtens selten
zuvor gelungen – und ganz nebenbei gibt es mit dem in der Originalfassung von OSCAR-Gewinner Jamie Foxx gesprochenen Joe
Gardner noch die erste afroamerikanische Hauptfigur eines abendfüllenden
Pixar-Films.
Joe Gardner, den wir gleich zu Beginn kennenlernen, als die
von ihm angeleitete Schulband eine bemerkenswert dissonante Version des traditionellen Disney-Intros (wer es
nicht weiß: eine Instrumentalfassung des OSCAR-gekrönten Lieds "When You
Wish Upon a Star" aus dem Zeichentrickfilm "Pinocchio" von 1940) darbietet, ist eine sympathische Identifikationsfigur für das
Publikum. Zwar scheint er nur ein Thema zu kennen – Jazz-Musik – und kann für
seine Mitmenschen deshalb mitunter etwas langweilig bis anstrengend sein, aber
er hat sein Herz am rechten Fleck und für eine ehrgeizig verfolgte Passion muß
man sich nicht entschuldigen. Umso mehr freuen wir uns mit ihm, als er den
Gig mit der berühmten Dorothea Williams erhält – und leiden mit ihm, als er
sich wenige Stunden vor dem Auftritt an der Schwelle des Todes wiederfindet.
Die Darstellung des Jenseits mit der riesigen, von immer neuen Seelen von
frisch Verstorbenen aus der ganzen Welt bevölkerten Treppe ist sicherlich nicht
wahnsinnig originell, aber visuell überzeugend umgesetzt. Vor allem der
penible, wie eine sich ständig wandelnde geometrische Form aussehende Jenseits-Buchhalter Terry
gefällt, zumal seine Auftritte mit den stärksten Passagen der sowieso sehr
guten, OSCAR-nominierten Musik des häufig mit David Fincher
zusammenarbeitenden Nine Inch Nails-Duos Trent Reznor und Atticus Ross
unterlegt sind (für die Jazz-Passagen zeichnet Jon Batiste verantwortlich). Das
"Davorseits" (im Original einfach "Before" im Kontrast zum
"Beyond") fällt derweil abwechslungsreicher aus, was wenig
überrascht, da hier immerhin die ungeborenen Seelen von fünf Fachbearbeitern
namens Jerry (gesprochen u.a. von Alice "Queen of the South" Braga,
Richard Ayoade aus der TV-Serie "The IT Crowd" und "Der mit dem
Wolf tanzt"-Star Wes Studi) ausgebildet werden. Bei der
Zuteilung der Persönlichkeits-Eigenschaften spielt jedoch der Zufall eine
große Rolle, weshalb es auch zu verheißungsvollen Kombinationen wie dem manipulativen megalomanischen Opportunisten kommt (sinngemäßer Kommentar
von Jerry: "Das ist das Problem der Erde"). Interessant wird
es an dem einen Punkt, der nicht vom Zufall bestimmt ist, denn bevor sie zur
Erde (und damit leben) dürfen, müssen alle Seelen selbst im
"Du-Seminar" voller Ausprobiermöglichkeiten einen "Funken"
finden, welcher sie im Leben antreibt. Genau daran ist 22 bisher gescheitert und
will deshalb im Davorseits bleiben – was Joe als seine Chance ansieht, 22s
Platz auf der Erde einzunehmen.
Erfreulicherweise entwickelt sich die Story recht
unvorhersehbar, doch um eine angemessene Rezension zu schreiben, muß ich ein
klein wenig spoilern. Denn Joe gelingt zwar tatsächlich die Rückkehr auf die
Erde, doch nicht ganz so wie geplant: Er landet in einer Katze, während
22 Joes Körper in Besitz nimmt. Das führt nicht nur zu ein paar
Slapstick-Einlagen, sondern bringt vor allem Joe tiefere Einsichten. Denn aus
seiner Katzenperspektive kann und muß er nicht nur beobachten, wie 22 in
klassischer "Fish out of Water"-Manier die für ihn komplett neue Welt
staunend wahrnimmt und von für Joe selbstverständliche
Dinge als kleine Wunder wahrnimmt, sondern er bekommt auch einen Einblick
darin, wie er auf andere Menschen wirkt. So erhält Joe reichlich Stoff zum Nachdenken, während er versucht, mit der
Hilfe des Hippie-Mystikers Moonwind (der irische Komiker und TV-Host Graham
Norton) rechtzeitig vor dem Auftritt mit Dorothea Williams wieder in seinen
Körper zu kommen – wobei er nicht ahnt, daß Jenseits-Buchhalter Terry
immer noch hinter ihm her ist. Das mag so klingen, als würde es in
"Soul" auch einiges an Action geben, jedoch verzichtet der
Film weitgehend auf entsprechende Sequenzen und konzentriert sich
wohltuenderweise ganz auf die Story, die Figuren und die die gesamte Handlung
durchziehenden philosophischen Fragen. Und auf den Humor natürlich, der einige
richtig gute Lacher hervorbringt (beispielsweise erfahren Fans des
Basketball-Teams der New York Knicks aus der NBA endlich, warum ihre Mannschaft
seit Jahrzehnten erfolglos ist). Die Sprecher der Originalfassung machen
ihren Job ausgezeichnet, wobei der Fokus ganz klar auf den wunderbar
miteinander harmonierenden Jamie Foxx und Tina Fey liegt. Die visuelle
Gestaltung ist ebenso hervorragend und übertrifft in meinen Augen sogar die
der meisten Pixar-Filme – ich bin grundsätzlich einer derjenigen, die immer
noch handgemachtem Zeichentrick nachtrauern und speziell computeranimierte
Gesichter selten überzeugend finden, aber "Soul" hat einen ganz
eigenen Stil, der selbst mir wenig Raum zum Kritisieren gibt. Gekonnt ist auch
der Wechsel der Stilrichtungen zwischen der überwiegend realistisch gestalteten
Erde und dem von geometrischen Figuren geprägten Jenseits, dem eher an Gemälde
erinnernden Davorseits und dem von Picasso inspirierten Design der Seelen. Es
ist sehr schade, daß ausgerechnet einer der besten Pixar-Filme pandemiebedingt in vielen Ländern inklusive Deutschland gar nicht in die
Kinos kam, denn ein so schönes Werk sollte man wirklich auf einer möglichst
großen Leinwand genießen können. Aber wer weiß, vielleicht gibt es ja
irgendwann eine ähnlich gute Fortsetzung …
Fazit: Pixars "Soul" ist ein wunderbarer
Animationsfilm, der mit einer gefühlvollen Handlung voller großer
philosophischer Fragen zum Nachdenken anregt und mit sympathischen Figuren,
überwältigender Optik, toller Musik und warmherzigem Humor begeistert.
Wertung: 9 Punkte.
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