Regie:
David Fincher, Drehbuch: Jack Fincher, Musik: Trent Reznor und Atticus Ross
Darsteller:
Gary Oldman, Amanda Seyfried, Lily Collins, Charles Dance, Arliss Howard, Tom
Burke, Sam Troughton, Tuppence Middleton, Tom Pelphrey, Monika Gossmann, Joseph Cross, Jamie
McShane, Ferdinand Kingsley, Toby Leonard Moore, Jack Romano,
Leven Rambin, Bill Nye
Kalifornien, 1940: Herman J. Mankiewicz (Gary Oldman, "Dame,
König, As, Spion"), genannt "Mank", ist ein renommierter Drehbuch-Autor mit einem
hellwachen Geist, jedoch ist er auch alkoholkrank, spielsüchtig und hat
angesichts seiner Angewohnheit, allen schonungslos seine Meinung zu sagen,
nicht viele echte Freunde. Damit paßt er ganz gut zum Wunderkind Orson Welles
(Tom Burke, "The Invisible Woman"), welcher selbst ein
Hollywood-Außenseiter ist und Mank beauftragt, ihm innerhalb von
drei Monaten ein Drehbuch zu schreiben. Damit dies Mank trotz all seiner Probleme
gelingt, quartiert ihn der Produzent John Houseman (Sam Troughton, "Alien
vs. Predator") gemeinsam mit seiner deutschen Haushälterin Freda (Monika
Gossmann) und der jungen neuen Sekretärin Rita Alexander (Lily Collins,
"Spieglein Spieglein") in einem abgelegenen Kaff in der Mojave-Wüste
ein, wo der nach einem Autounfall bettlägerige Autor sich ganz auf
seine Arbeit konzentrieren soll. Tatsächlich findet er sich schnell in die
epische Geschichte des Medientycoons Charles Foster Kane ein, wobei
ihm seine Erinnerungen an den echten Tycoon William Randolph Hearst (Charles
Dance, "The Imitation Game") und an dessen junge Schauspieler-Geliebte
Marion Davies (Amanda Seyfried, "Les Misérables") als Inspiration
dienen, in deren Umfeld sich Mank Mitte der 1930er Jahre bewegt hatte …
Kritik:
Als um die Jahrtausendwende herum zahlreiche
Kritikerumfragen zu den besten Filmen des 20. Jahrhunderts veröffentlicht
wurden, fanden sich zwei Titel besonders häufig ganz oben wieder: Francis Ford
Coppolas "Der Pate" und Orson Welles' "Citizen Kane". In
meinen Augen ist zwar "Der Pate, Teil I" der beste Film aller Zeiten,
allerdings besteht kein Zweifel, daß auch "Citizen Kane" ein
unsterbliches, formal höchst anspruchsvolles bis visionäres Meisterwerk ist,
dessen Einfluß auf die Kinobranche wahrscheinlich sogar noch größer war
als jener des Mafia-Epos. Aus gutem Grund habe ich "Citizen
Kane" für mein erstes Filmbuch nicht nur sehr ausführlich analysiert, sondern
sogar im Titel "Von 'Citizen Kane' bis 'The Social Network': Die
Darstellung der Wirtschaft im US-amerikanischen Spielfilm" verewigt. Die
Bedeutung von Orson Welles' Film erkennt man schon daran, daß der Film in den 80
Jahren seit Erscheinen unzählige Male referenziert und parodiert wurde –
wenn auch vermutlich nicht ganz so oft wie "Der Pate". Sogar einen
zwar ziemlich konventionellen, aber durchaus sehenswerten TV-Film über die
Entstehung von Welles' Magnum Opus gibt es bereits mit dem 1999
veröffentlichten "Citizen Kane – Die Hollywood-Legende" mit Liev
Schreiber, James Cromwell, Melanie Griffith und John Malkovich (als Mankiewicz)
in den Hauptrollen. In dessen Fußstapfen tritt die ungleich aufwendigere
und ambitioniertere Netflix-Schwarzweiß-Produktion "Mank", mit der Regiestar
David Fincher ("The Social Network") ein Drehbuch seines im Jahr 2003 verstorbenen
Vaters Jack verfilmte, das der Journalist bereits in den 1990er Jahren
geschrieben hatte. Wie man es von David Fincher kaum anders gewohnt ist,
ist "Mank" ein Meisterwerk geworden, das
allerdings ob einiger erheblicher künstlerischer Freiheiten durchaus kontrovers
aufgenommen wurde.
Eine Aussage, mit der man keinerlei Kontroversen auslösen
wird, ist folgende: "Mank" ist in handwerklicher Hinsicht ein
Geniestreich! Fincher, seinem Kameramann Erik Messerschmidt (für den es der
erste Film als alleiner Kameramann ist, zuvor arbeitete er vor allem für
TV-Serien wie Finchers "Mindhunter") und der gesamten Crew ist es
gelungen, einen Film zu drehen, der so aussieht und sich sogar so anhört, als
wäre er in "Hollywoods Goldener Ära" entstanden. Gerade wenn man
sich mit den Filmen dieser Zeit auskennt, entdeckt man zahllose liebevolle
Details und Anspielungen vor allem auf Orson Welles' Werk (etwa in bestimmten,
ikonischen Kameraeinstellungen) in den gezeigten, ausnehmend edlen Bildern, die
digital aufgenommen, aber in einem zeitaufwendigen Verfahren künstlich
"gealtert" wurden. Noch beeindruckender empfinde ich jedoch
die Akustik, denn es ist wirklich wahr: "Mank" klingt wie ein Film
aus den frühen 1940er Jahren! In einer schriftlichen Kritik läßt sich das schwer beschreiben, doch die
Dialoge wie auch die gesamte Tonkulisse haben diesen ganz speziellen, leicht
knisternden Klang, den man eben nur aus alten Filmen kennt. Auch die
vergleichsweise unauffällige, sich jedoch hervorragend in das Geschehen einfügende
Musik von Trent Reznor und Atticus Ross ("Verblendung") orientiert sich subtil am
"Citizen Kane"-Score von Bernard Herrmann und wurde ausschließlich mit
Instrumenten aus den 1940er Jahren eingespielt. Ein enormer Aufwand,
der sich aber hundertprozentig gelohnt hat, denn authentischer könnte ein Film
über die 1930er und 1940er Jahre heutzutage nicht aussehen und klingen.
Auch beim Schauspiel-Ensemble und der inhaltlichen Qualität
des Drehbuches gibt es kaum Grund zum Klagen. Obwohl Gary Oldman mit zum Zeitpunkt
der Dreharbeiten 61 Jahren für die Titelrolle eigentlich viel zu alt ist –
Mankiewiczs Alter reicht von Mitte 30 in den Rückblenden bis Anfang 40 in der
Filmgegenwart des Jahres 1940 –, erweckt er die komplexe Figur äußerst
gekonnt zum Leben. Dabei gelingt es ihm, Mank trotz all seiner Laster und
Verfehlungen vom Alkoholmißbrauch bis zu der großen Arroganz glaubwürdig,
lebensecht und sogar ausreichend sympathisch darzustellen, daß man ihm seine
häufigen Fehltritte als Zuschauer gerne verzeiht. Das liegt natürlich auch
daran, daß Mank in Oldmans einfühlsamer Darstellung trotz allem das Herz
erkennbar am rechten Fleck hat und außerdem mit seinem messerscharfen, zynischen Witz einen sehr hohen Unterhaltsamkeitsgrad beweist – was (logischerweise
neben seinem unbestrittenen Talent als Drehbuch-Autor) auch die Haßliebe
zwischen ihm und den so oft von ihm verspotteten oder gar vorgeführten Film-
und Medienleuten erklären dürfte. Obwohl Manks gallige, zitatenreiche und in
atemberaubendem Tempo vorgetragenen Kommentare in erster Linie die Männer wie den
von Charles Dance mit stoischer Gelassenheit verkörperten William Randolph
Hearst oder den wieseligen Studioboß Louis B. Mayer (Arliss Howard,
"Moneyball") treffen, sind es allerdings die Frauen in dieser
Geschichte, die in ihrer Interaktion mit Mank für die spannendsten und
emotionalsten Momente sorgen. Das gilt für seine neue Sekretärin Rita (eine
Rolle, mit der Lily Collins witzigerweise eine ähnliche Zuträger-Funktion für
Gary Oldman einnimmt wie ihre Vornamens-Vetterin Lily James in "Die
dunkelste Stunde") ebenso wie für seine loyale Gattin Sara (Tuppence
Middleton, "Jupiter Ascending"), wenngleich beider Auftritte in
überschaubarem Rahmen bleiben.
Erheblich bedeutender ist Marion Davies, zu der
Mank eine Art platonische Beziehung aufbaut, die weitaus aufrichtiger wirkt als
seine sonstigen Kontakte in der Filmbranche. Dabei gelingt es Amanda Seyfried
in der vermutlich besten Leistung ihrer Karriere vortrefflich, diese
ambivalente Figur zum Leben zu erwecken, die mit dem Übergang vom Stumm- zum
Tonfilm hadert, von den meisten für viel naiver gehalten wird als sie es ist
(wie Mank scharfsinnig anmerkt) und mit dem mißgünstigen Gerede leben muß, sie
sei nur wegen seines Geldes mit dem viel älteren Hearst zusammen. Im Grunde
treffen sich mit Mankiewicz und Davies zwei verwandte Seelen, die auf ganz
eigene Art und Weise mit einer gewissen Verlorenheit und einem
Außenseiter-Status in Hollywood umzugehen versuchen und sich deshalb von Anfang
an sympathisch sind. Diese Beziehung erdet "Mank" und bietet einen willkommen wie auch nötigen Gegenpol zum Haupthandlungsstrang
über die Arbeit am Drehbuch sowie den Gouverneurs-Wahlkampf 1934 in Kalifornien, der in den
langen Rückblenden einen immer größeren Raum einnimmt. Ähnlich wie Adam McKay in
seinem Dick Cheney-Biopic "Vice" verbinden nämlich auch David und
Jack Fincher in "Mank" sehr reale Geschehnisse mit völlig fiktiven
respektive extrem spekulativen. Ein Beispiel dafür ist, daß laut "Mank"
Mankiewicz den Großteil des "Citizen Kane"-Drehbuchs verantwortet.
Wie groß der jeweilige Anteil von Mankiewicz und Welles am Skript war, werden
wir wohl niemals erfahren, heutzutage gilt es jedoch weitgehend als filmhistorischer
Konsens, daß beide viel beigetragen haben, aber Welles' Einfluß größer war –
was auch logisch wäre, da Mankiewicz erwiesenermaßen den ersten
Drehbuch-Entwurf schrieb und Orson Welles diesen überarbeitete.
Daß "Mank" sich diesbezüglich klar auf die Seite seines
Protagonisten schlägt, muß somit kritisch erwähnt werden; wesentlich
schwerwiegender ist allerdings die erfundene Verbindung von Manks Arbeit an
"Citizen Kane" mit dem angesprochenen Wahlkampf um das kalifornische
Gouverneurs-Amt im Jahr 1934. Wahr ist, daß Hearst mit seinen Zeitungen und ebenso das Filmstudio MGM, für das Mankiewicz arbeitete, sich hier äußerst
manipulativ und moralisch verwerflich zugunsten des republikanischen
Amtsinhabers Merriam und gegen den visionären demokratischen Bewerber
Upton Sinclair einmischten. Es gibt jedoch keine Hinweise darauf, daß dieser
Wahlkampf für Manks Drehbuch-Ideen eine entscheidende Rolle gespielt hätte oder
er auch nur Unterstützer Sinclairs gewesen wäre, wie es in "Mank"
impliziert wird. Diese fiktive Verbindung von Drehbuch und Wahlkampf brachte
"Mank" Vorwürfe der Geschichtsfälschung ein, jedoch finde ich,
daß die nicht ganz gerechtfertigt sind. Denn genau genommen
positioniert sich Mank nie ausdrücklich inhaltlich zu Sinclairs sozialen
Reformplänen, vielmehr scheint sein Zorn primär dem Machtmißbrauch von Hearst
und MGM-Chef Mayer zu gelten. Und das dürfte auch erklären, warum
David Fincher diesen Handlungsstrang so prominent in der Geschichte plaziert
hat – weil er die offensichtlichen Parallelen zwischen der damaligen und der
heutigen Zeit aufzeigen will, in der die US-Republikaner wiederum mit der Hilfe ausgewählter, mächtiger Medien, auf denen selbst die
lächerlichsten und offensichtlichsten Lügen so lange wiederholt werden, bis viele
Zuschauer oder -hörer sie für Tatsachen halten, ihre (in Wahrheit politisch
sehr moderaten) demokratischen Widersacher als Kommunisten verunglimpfen. Kein Zweifel: David Finchers Vorgehen funktioniert tadellos – ob man es nun
in Ordnung findet oder nicht, daß er dabei große künstlerische Freiheiten
bezüglich seiner Titelfigur für sich in Anspruch nimmt … Nicht allzu stark wirkt es sich
derweil auf die Gesamtqualität von "Mank" aus, daß Fincher keine
richtige Geschichte erzählt. Klar, die Drehbuch-Entwicklung und der Wahlkampf
sorgen für einen roten Faden, der aber letztlich ähnlich alibihaft wirkt wie er
fiktiv ist. Doch auch ohne eine klassische Story sorgt "Mank" als
hochgradig unterhaltsames Portrait einer komplexen, von vielen inneren Dämonen
geplagten Persönlichkeit ebenso für großes Kino-Feeling wie als liebevolle und
detailverliebte Hommage an Hollywoods Goldene Ära, die außerdem spannende
Einblicke in den Prozeß des Drehbuchschreibens gewährt – wenngleich
"Citizen Kane" und Orson Welles (welcher bis kurz vor Schluß fast nur
telefonisch involviert ist; wobei Tom Burke sowieso primär so klingt wie der reale Welles, während die optische Ähnlichkeit überschaubar ist) insgesamt gerne eine größere Rolle hätten spielen
dürfen.
Fazit: David Finchers "Mank" ist die handwerklich
herausragende, halb-fiktive Charakterstudie eines ambivalent gezeichneten und
von Gary Oldman exzellent verkörperten Drehbuch-Autors, kombiniert mit einer
detailversessenen Hommage an das Hollywood der 1930er Jahre.
Wertung: 9 Punkte.
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