Regie: Sam Mendes, Drehbuch: Krysty Wilson-Cairns, Sam
Mendes, Musik: Thomas Newman
Darsteller:
George MacKay, Dean-Charles Chapman, Colin Firth, Daniel Mays, Andrew Scott,
Mark Strong, Benedict Cumberbatch, Richard Madden, Pip Carter, Richard McCabe,
Nabhaan Rizwan, Claire Duburcq, Adrian Scarborough, Jos Slovick, Robert Maaser
FSK: 12, Dauer: 119 Minuten.
Als die befreundeten britischen Lance Corporals Tom Blake
(Dean-Charles Chapman, TV-Serie "Game of Thrones") und Will Schofield
(George MacKay, "Captain Fantastic") an der Westfront
im Ersten Weltkrieg in Frankreich ins Zelt von General Erinmore (Colin Firth, "A Single Man") gerufen werden, ahnen sie noch nicht, auf welches
Selbstmordkommando sie gleich geschickt werden: Um das Leben von 1600
britischen Soldaten unter der Führung von Colonel Mackenzie (Benedict Cumberbatch,
"Doctor Strange") zu retten, die kurz davor sind, in eine
ausgeklügelte deutsche Falle zu rennen, sollen sich Blake und Schofield
innerhalb knapp eines Tages quer durch das angeblich von den Deutschen
verlassene Niemandsland und mehrere wahrscheinlich von den deutschen Truppen
besetzte Orte schlagen, um Mackenzie zu warnen. Als Motivation, den Auftrag
auch tatsächlich und schnell genug durchzuführen, dient die Tatsache, daß
Blakes älterer Bruder Joseph (Richard Madden, "Rocketman") zu den 1600 gefährdeten Soldaten zählt.
Gemeinsam machen sich die Freunde auf den gefährlichen Weg und schon bald
stoßen sie auf die ersten Hindernisse …
Kritik:
Sowohl in Hollywood als auch in Europa werden noch immer in
schöner Regelmäßigkeit Filme über den Zweiten Weltkrieg gedreht – der Erste
Weltkrieg bleibt hingegen ein vergleichsweise selten besuchter
historischer Schauplatz. Eine der gelegentlichen Ausnahmen, zu denen in den
letzten Jahren Steven Spielbergs "Gefährten" zählte, liefert der
britische OSCAR-Gewinner Sam Mendes ("Skyfall") ab, dessen
Kriegsdrama "1917" ein Alleinstellungsmerkmal
innerhalb des Genres auszeichnet: Es ist (ähnlich wie "Birdman") so
geschnitten, daß der gesamte Film wie in einer einzigen, fortlaufenden
Einstellung gedreht wirkt – obwohl die längste Plansequenz in Wirklichkeit
"nur" ungefähr achteinhalb Minuten dauerte. Trotzdem ist das natürlich
nicht nur logistisch eine enorme Leistung (die man in einigen
Making of-Videos gut nachvollziehen kann). Was aber noch wichtiger ist: Die
langen Einstellungen sind nicht einfach nur ein spektakuläres Gimmick, sondern
sie ergeben auch inhaltlich absolut Sinn, weil das Publikum auf diese Weise
besser mit den beiden Protagonisten mitfühlen und -fiebern kann, deren
verzweifelte, atemlose Mission formal fast wie ein Roadmovie aufgebaut ist. Für
die logistische, technische, aber über weite Strecken auch inhaltliche
Meisterleistung gewann "1917" u.a. den Hauptpreis als bestes Drama bei den Golden Globes und die "Bester Film"-Trophäe
bei den britischen BAFTAs. Bei den OSCARs mußte man sich in den wichtigsten
Kategorien jedoch überraschend "Parasite" geschlagen geben und
sich mit drei Academy Awards in technischen Kategorien begnügen.
Damit die Vorgehensweise von "1917" funktioniert,
müssen einige Bedingungen erfüllt sein. Zu den wichtigsten zählen: Man braucht
ein Drehbuch, das die Story einerseits nachvollziehbar und glaubwürdig,
andererseits aber auch einigermaßen tempo- und aktionsreich aufbauen muß; zwei
talentierte und charismatische Hauptdarsteller, die den Film tragen
und gewissermaßen als Augen und Ohren des Publikums dienen müssen; einen
Regisseur und einen Kameramann, die der Herkulesaufgabe mit den
minutenlangen Plansequenzen gewachsen sind. Den letzten Punkt erfüllt
"1917" ohne Probleme, nicht umsonst gab es OSCARs für die
atemberaubende Kameraarbeit von Branchenlegende Roger Deakins ("Blade Runner 2049"), für den Ton
und für die Spezialeffekte, die das Publikum sehr effektiv mitten hinein in
diesen vermeintlichen "Krieg, der alle Kriege beenden soll" ziehen.
Auch die Schauspieler wurden von Regisseur Mendes gut ausgewählt. Während
Dean-Charles Chapman als lebensfroher, immer noch optimistischer Tom
sympathisch rüberkommt und die Story durch seine persönliche Verbindung mit
der Mission vorantreibt, ist es jedoch sein Kollege George MacKay (was
übrigens "Mäkai" ausgesprochen wird), der als desillusionierter, aber doch
loyaler Will besonders beeindruckt, dem man seine tiefsitzende Verzweiflung und
Hoffnungslosigkeit, aber auch den Mut der Verzweiflung jederzeit in seinem
ausdrucksstarken Gesicht und den Augen ablesen kann. MacKay ist es, der diesen
Film auf seinen gar nicht so breiten Schultern trägt und obwohl von ihm
angesichts des nicht primär auf tiefgehende Dialoge oder Charakterentwicklung setzenden Genres schauspielerisch nicht alle Facetten
seines Könnens abverlangt werden, hätte ich ihm eine OSCAR-Nominierung für
diese auch körperlich beeindruckende Leistung sehr gegönnt.
An Technik und Hauptdarstellern gibt es also kaum etwas
auszusetzen, damit bleibt als dritter kritischer Erfolgspunkt das Drehbuch – und da
gibt es ein bißchen mehr zu kritisieren. Keine Frage, Mendes – der sich
von Geschichten seines Großvaters aus dessen Einsatz im Ersten Weltkrieg
inspirieren ließ – und Koautorin Krysty Wilson-Cairns (TV-Serie "Penny Dreadful") gelingt es, den
zweistündigen Film stets spannend und aufregend zu halten. Dabei wechseln sie
im Grunde genommen sogar mehrfach das Genre, was für reichlich Abwechslung sorgt.
Die formale Struktur bringt es allerdings mit sich, daß die Figurenzeichnung oberflächlich bleibt. Durch den Roadmovie-Aspekt begegnet man keiner
Nebenfigur mehrfach, was Mendes dadurch kompensiert, daß er sie mit markanten Schauspielern wie Mark Strong ("Kingsman"), Benedict Cumberbatch oder Colin Firth
besetzt hat, die einen hohen Wiedererkennungswert haben und aus ihren
Charakteren auch ohne viel Substanz das Beste herausholen. Bei den Nebenfiguren
fällt übrigens die selbstauferlegte Limitierung durch das "Immer
vorwärts-Prinzip" am stärksten auf, denn in einigen Momenten würde man
sich durchaus einen kurzen Gegenschnitt zu bereits passierten Charakteren
wünschen, um deren Reaktionen zu sehen (etwa als Tom und Will ein Leuchtsignal
abfeuern, um die Durchquerung des Niemandslandes zu signalisieren).
Bei den beiden Protagonisten sieht es erwartungsgemäß besser aus, doch durch
die Konzentration auf ihre Mission erfahren wir auch über sie nicht wirklich
viel und sie durchlaufen nicht wirklich eine nennenswerte Entwicklung. Das
ist bei einem (Anti-)Kriegsfilm kein so großes Problem wie in den meisten
anderen Genres, aber etwas mehr wäre sicher möglich und vorteilhaft gewesen.
Auffällig ist außerdem, daß die Handlung etwas überkonstruiert wirkt und auf
einige sehr große Zufälle zurückgreift – verständlich, da ein Film, in dem zwei
Soldaten einfach durch die Gegend rennen und gelegentlich unter Beschuß
kommen, auf Dauer etwas monoton wäre. Trotzdem: In Sachen Story-Glaubwürdigkeit lassen sich gewisse Defizite schwer bestreiten, was sich auch in einigen beiläufigen
Zeitsprüngen manifestiert, die mit dem vermeintlichen Echtzeit-Ablauf der
Handlung kontrastieren. Unnötig finde ich zudem die arg negative und
unreflektierte Darstellung der Deutschen (speziell bei der Begegnung mit dem
Kampfpiloten), die zumindest ansatzweise propagandistische Züge trägt und das
ansonsten deutlich sichtbare Bemühen um eine Anti-Kriegsbotschaft ein Stück
weit untergräbt – wobei diese sowieso sehr generell gehalten ist und sich nicht wie
andere im Ersten Weltkrieg spielende Klassiker mit bestimmten Aspekten
wie unmenschlichen und unfähigen Offizieren ("Wege zum Ruhm") oder
dem sinnlosen Verheizen Jugendlicher ("Im Westen nichts Neues")
befaßt.
Das sind zugegebenermaßen ziemlich viele Kritikpunkte an
Drehbuch und Handlung, doch sie wiegen glücklicherweise weniger schwer als
man es meinen könnte. Entscheidend ist, daß die Handlung durch die Nähe zu den
beiden Hauptfiguren ungemein immersiv ist und Mendes und sein Team außerdem für
eine außergewöhnliche Atmosphäre sorgen. Das gilt besonders für den ersten Akt
von "1917", in dem die beiden Soldaten sich durch das mit Leichen und
Kratern übersäte Niemandsland schlagen. Das wurde zwar angeblich von den
Deutschen aufgegeben, doch solche Behauptungen erwiesen sich früher in
ähnlichen Situationen als falsch, weshalb sie und wir als Zuschauer
jederzeit in banger Erwartung eines unvermittelten Angriffs sind. Sam Mendes
spielt diese Unsicherheit und das Grauen des Schlachtfeldes aus wie einen
Horrorfilm, bei dem die Nerven bis zum Zerreißen gespannt sind und man auf jede
kleine Bewegung oder jedes Geräusch beinahe panisch reagiert – verstärkt wird
dieser gespenstische Eindruck noch durch die grandiose, eindringliche Musik von
Thomas Newman ("Zeiten des Aufruhrs"), welche für die Emotionen von Anspannung und Furcht bis hin zu
Erleichterung und gar Triumph einen kongenialen Ausdruck findet. Auch später kommt
es wiederholt zu unfaßbar stimmungsvollen Momenten, die man definitiv auf
der großen Leinwand genießen sollte, wenn wir beispielsweise nachts eine
sporadisch von Leuchtkugeln apokalyptisch erleuchtete Ruinenstadt durchqueren
und uns beinahe in einer Geschichte von H.P. Lovecraft wähnen. Fehlt eigentlich
nur noch, daß plötzlich tentakelbewehrte uralte Götter auftauchen, um die Welt
in den Abgrund zu reißen … Selbstredend gibt es daneben immer wieder
actionreiche Szenen, die packend inszeniert sind, und auch einige
ruhige Momente, in denen beispielsweise (fast wie bei Terrence Malicks
"Der schmale Grat") die frühlingshafte und damit absurd mit dem
Kriegsgeschehen kontrastierende Natur eine Rolle spielt. Für einen
Kriegsfilm gibt es insgesamt gar nicht so viele Kampfszenen, weshalb
die deutsche Altersfreigabe ab 12 Jahren nachvollziehbar erscheint. Trotz der
leichten Drehbuch-Schwächen bleibt festzuhalten, daß "1917" ohne
Zweifel einer der eindrucksvollsten und mitreißendsten Kriegsfilme oder
Anti-Kriegsfilme der letzten Jahre ist.
Fazit: "1917" ist ein technisch und
logistisch herausragender (Anti-)Kriegsfilm, der das Grauen des Krieges in wunderschöne,
apokalyptische Bilder kleidet und das Publikum an der Seite der sympathischen
Protagonisten hautnah mit durch die Schützengräben und die zerbombten Orte
nimmt.
Wertung: 9 Punkte.
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