Regie und Drehbuch: Aaron Sorkin, Musik: Daniel Pemberton
Darsteller: Eddie Redmayne, Sacha Baron Cohen, Joseph
Gordon-Levitt, Mark Rylance, Frank Langella, John Carroll Lynch, Yahya
Abdul-Mateen II, Jeremy Strong, Danny Flaherty, Noah Robbins, Alex Sharp, Ben
Shenkman, J.C. MacKenzie, Michael Keaton, John Doman, Caitlin FitzGerald, Alice
Kremelberg, Wayne Duvall, Alan Metoskie
Als es im Umfeld des Chicagoer Kongresses zur Wahl des Präsidentschaftskandidaten 1968 der Demokraten zu schweren Ausschreitungen
kommt, beschließt der Justizminister Ramsey Clark (Michael Keaton,
"Spotlight"), auf Anklagen gegen die Organisatoren zu verzichten. Als
aber nach der vom Republikaner Nixon gewonnenen Wahl der mit Clark in starker
gegenseitiger Abneigung verbundene neue Justizminister John N. Mitchell (John
Doman, "A Beautiful Day") ins Amt kommt, macht er diese Entscheidung
rückgängig und weist den talentierten jungen Staatsanwalt Richard Schultz
(Joseph Gordon-Levitt, "The Walk") gegen dessen Einwände an, die acht
vermeintlichen Rädelsführer u.a. wegen Verschwörung vor Gericht zu bringen. Und
so beginnt unter dem offensichtlich voreingenommenen Richter Julius Hoffman
(Frank Langella, "Robot & Frank") der aufsehenerregende Prozeß
gegen die Studentenanführer Tom Hayden (Eddie Redmayne, "Phantastische
Tierwesen") und Rennie Davis (Alex Sharp, "To the Bone"), die
Yippies (eine anarchistische Partei) Abbie Hoffman (Sacha Baron Cohen,
"Hugo Cabret") und Jerry Rubin (Jeremy Strong, "The Big
Short"), den Pazifisten Dave Dellinger (John Carroll Lynch,
"Jackie"), den Black Panther Bobby Seale (Yahya Abdul-Mateen II,
"Aquaman") und die beiden Aktivisten Lee Weiner (Noah Robbins,
"Empörung") und John Froines (Daniel Flaherty, "The Meyerowitz
Stories"). Bis auf Seale werden die Angeklagten von den erfahrenen Anwälten William
Kunstler (Mark Rylance, "Bidge of Spies") und Leonard Weinglass (Ben
Shenkman, "Blue Valentine") vertreten, die angesichts der explosiven
gesellschaftlichen Stimmung vor einer Herkulesaufgabe stehen …
Kritik:
Würde er noch leben, Richard Nixon wäre vermutlich der
größte Fan von Donald Trump. Nicht aus inhaltlichen Gründen, sondern weil Nixon
seit der höchst turbulenten vierjährigen Amtszeit Trumps nicht länger von vielen
Amerikanern als schlechtester und kriminellster US-Präsident aller Zeiten
betrachtet wird. Tatsächlich muten die Vergehen
– primär die illegale Bespitzelung des politischen Gegners – des
einer Amtsenthebung nur durch seinen Rücktritt entgangenen "Tricky
Dick" (ja, damals gab es noch mehr als eine Handvoll Republikaner, die
bereit waren, sich gegen einen kriminellen Präsidenten aus der eigenen Partei
zu stellen!) beinahe lächerlich im Vergleich zu den beinahe täglichen Verstößen
Trumps gegen zahllose Gesetze, Regeln und Traditionen. Das heißt jedoch natürlich
nicht, daß sie für die von Nixons Politik in den späten 1960er und frühen
1970er Jahren Betroffenen harmlos gewesen wären. Einer von vielen Belegen dafür
ist der Fall der "Chicago 7", der in den USA sehr bekannt ist und als Paradebeispiel für einen Justizskandal gilt – nicht nur angesichts der
auffälligen Parallelen zur US-Politik rund ein halbes Jahrhundert später ein
gefundenes Fressen für Hollywood und ganz besonders für einen so versierten und
mit Politstoffen erfahrenen Drehbuch-Autor wie Aaron Sorkin (sein "The
West Wing" gilt vielen noch immer als die beste Polit-TV-Serie aller Zeiten),
der auch gleich noch die Regie übernommen hat. Und ihm gelingt es mit dem von
Netflix produzierten Gerichtsfilm "The Trial of the Chicago 7"
bemerkenswerterweise, aufrüttelndes historisches Politkino (mit ein paar
künstlerischen Freiheiten) mit einem enormen Unterhaltsamkeitsfaktor zu
verbinden – wiewohl sein Film nicht ganz den Tiefgang und die emotionale Wirkung
der allerbesten Sorkin-Arbeiten erreicht.
"The Trial of the Chicago 7" ist aus naheliegenden
Gründen ein Ensemblefilm, was so einige Herausforderungen mit sich bringt. Denn
angesichts eines runden Dutzends wichtiger Figuren (die anfangs acht
Angeklagten, ihre beiden Anwälte, der Staatsanwalt und der Richter – Frauen kommen allerdings nur in Nebenrollen vor) fällt es in
einem zweistündigen Film naturgemäß nicht leicht, allen davon gerecht zu
werden. Sorkin versucht es trotzdem, indem er einerseits niemanden mißachtet,
andererseits aus den acht Angeklagten zwei stärker herausarbeitet als den Rest
und sie somit zu den zentralen Identifikationsfiguren für das Publikum macht.
Dabei handelt es sich um den Yippie Abbie Hoffman und den Studentenführer Tom
Hayden – zwei Männer, die zum Erreichen des gleichen Ziels sehr unterschiedliche
Mittel wählen und deshalb immer wieder
aneinandergeraten, wobei vor allem Hayden seine Antipathie gegen Hoffman nicht
sonderlich gut versteckt. Die leichten Animositäten sind nachvollziehbar, da
Hayden seinen Aktivismus sehr ernst nimmt und eine spätere Karriere als
Politiker anstrebt (die er später auch umsetzte, außerdem heiratete er
Hollywood-Star Jane Fonda!), wohingegen er die ständigen exzentrischen Aktionen
Hoffmans als kontraproduktiv ansieht und das Gefühl hat, der Yippie nehme die
ganze Sache gar nicht richtig ernst. Dieses gegensätzliche, von zwei exzellenten Schauspielern verkörperte Duo in den
Mittelpunkt zu rücken (wobei Sacha Baron Cohen als Hoffman die dankbareren Szenen hat als Redmayne als eher nüchtern auftretender Hayden), war eine kluge Entscheidung, denn wenngleich aus
Zeitgründen auch bei ihnen nicht wirklich tief in ihre Geschichten und
Persönlichkeiten eingedrungen wird, sind sie eindeutig besser ausgearbeitet als
ihre Mitstreiter. Wobei ich keineswegs behaupten will, daß diese schlecht ausgearbeitet wären.
Sorkin achtet vielmehr genau darauf, allen mindestens eine Szene zu
verschaffen (mitunter auf Kosten der historischen Genauigkeit), in denen sie inhaltlich sowie schauspielerisch glänzen können,
wobei mir vor allem der Nebenhandlungsstrang rund um den von John
Carroll Lynch gespielten Pazifisten Dave Dellinger – mit Abstand der älteste der
Angeklagten – gut gefiel. Trotzdem läßt es sich ob der großen Personenzahl kaum vermeiden, daß die Charakterisierung relativ dicht an der
Oberfläche bleibt. Sorkin versucht erkennbar, Klischees zu vermeiden, doch der
offen parteiische und ziemlich unfähige Richter Hoffman oder der (nachvollziehbarerweise)
wütende Black Panther Bobby Seale wirken dennoch relativ stereotyp – wobei ihre
Darstellung im Großen und Ganzen durchaus dem realen Geschehen während des
Prozesses entspricht, da ist Sorkin also nur bedingt ein Vorwurf zu machen.
Dramaturgisch trotzdem nicht ideal, was Sorkin aber vermutlich selbst bewußt
war – jedenfalls läßt sich so erklären, daß er sich bei Staatsanwalt Schultz
größere künstlerische Freiheiten nimmt und diesen von Joseph Gordon-Levitt
entgegen der Realität als an Sinnhaftigkeit und Gerechtigkeit seines
Falls Zweifelnden darstellen läßt und so eine allzu deutliche
Schwarzweißzeichnung bei der Figurenkonstellation verhindert. Das gilt
wohlgemerkt auf beiden Seiten, denn obgleich Sorkin erkennbar mit den Angeklagten
sympathisiert, zeigt er sie keineswegs als Helden ohne Fehl und Tadel,
sondern zeichnet sie als normale Menschen mit Stärken und Schwächen.
Ein großes Lob hat dabei die Besetzung verdient, denn
wiewohl Eddie Redmayne und Sacha Baron Cohen die Geschichte dominieren, sind
alle Figuren passend besetzt und überzeugend gespielt. Daß die Dialoge, die Sorkin ihnen in den Mund legt, wie gewohnt von erstklassiger Qualität sind,
schadet natürlich nicht. Und diese oft messerscharfen Dialoge und Oneliner
sind es auch, die den unverschämt hohen Unterhaltsamkeitsgrad von "The
Trial of the Chicago 7" sicherstellen. Vor allem die beiden Yippies legen
sich immer wieder mit bewundernswerter Schlagfertigkeit und ebenso cleveren wie
respektlosen Ideen mit dem Richter an, aber auch die beiden von Mark Rylance
und Ben Shankman sympathisch verkörperten Anwälte geben Richter Hoffman gekonnt
Paroli. Warum "The Trial of the Chicago 7" bei allen Stärken von dem
hohen Bildungswert angesichts der Proteste und des folgenden
Prozesses mit deutlichen Parallelen zur US-amerikanischen Gegenwart
des Jahres 2020 bis zu den teilweise leicht skurrilen, aber charismatischen Figuren und
ungemein amüsanten Dialogen nicht ganz den großen Eindruck früherer
Sorkin-Werke wie "The Social Network", "Steve Jobs"
(jeweils Drehbuch) oder "Molly's Game" erreicht, ist
gar nicht so leicht zu erklären. Es dürfte aber in der Tat primär daran liegen,
daß Sorkin hier nicht so tief in die Psyche seiner Protagonisten eindringt und
man deshalb trotz ihrer noblen Ziele und bei allen Ungerechtigkeiten, die ihnen
zweifellos widerfahren, nicht ganz so stark mit ihnen mitfiebert. So bleibt
"The Trial of the Chicago 7" ein handwerklich sehr gut gemachter Film, von
dem man sich zwei Stunden lang glänzend unterhalten fühlt – aber ziemlich bald
nach dem Abspann schon nicht mehr groß an ihn denkt. Das ist schade, aber es
kann ja auch nicht jeder Film ein Meisterwerk sein. Nicht mal jeder Film von
Aaron Sorkin.
Fazit: "The Trial of the Chicago 7" ist ein
ebenso rasantes wie unterhaltsames, phasenweise aufrüttelndes Bürgerrechts- und
Gerichtsdrama mit erstklassiger Besetzung, das jedoch nicht allzu sehr in
die Tiefe geht.
Wertung: 8 Punkte.
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