Regie: George C. Wolfe, Drehbuch: Ruben Santiago-Hudson,
Musik: Branford Marsalis
Darsteller: Viola Davis, Chadwick Boseman, Colman Domingo,
Glynn Turman, Michael Potts, Taylour Paige, Jeremy Shamos, Jonny Coyne, Dusan
Brown
Chicago, 1927: Die vor allem bei Afroamerikanern in den
Südstaaten enorm populäre Sängerin Gertrude "Ma" Rainey (Viola Davis,
"Glaubensfrage"), genannt "Mother of Blues", soll mit ihrer
Band einige ihrer Songs auf Schallplatte aufnehmen. Während die für ihr
divenhaftes Verhalten bekannte Ma sich zum Ärger des Plattenproduzenten
Sturdyvant (Jonny Coyne, TV-Serie "The Blacklist") deutlich
verspätet, wärmt sich ihre vierköpfige Band schon einmal auf, wobei jedoch
einige Spannungen zutage treten. Denn während die routinierten Cutler (Colman
Domingo, "Der Butler"), Toledo (Glynn Turman, "Super 8")
und Slow Drag (Michael Potts, TV-Serie "Show Me a Hero") keine Probleme
damit haben, daß alles nach Mas Willen abläuft, will der ehrgeizige junge
Trompeter Levee (Chadwick Boseman, "Black Panther") mehr. Für ihn ist
Ma Raineys Band nur eine Durchgangsstation, da er selbst Songs schreibt und von
Sturdyvant sogar schon eigene Aufnahmen vage in Aussicht gestellt bekommen hat.
Der zentrale Streitpunkt ist "Ma Rainey's Black Bottom", das
Levee zu einem schnelleren, tanzbaren Stück umgeschrieben hat – doch während
Sturdyvant diese Version bevorzugen würde, beharrt Ma auf der
bewährten ursprünglichen Variante. Doch das soll nicht die einzige Problematik
bleiben, denn nicht nur hat Levee ein Auge auf Mas schöne junge Lebensgefährtin
Dussie Mae (Taylour Paige, "White Boy Rick") geworfen – Ma besteht
außerdem darauf, daß ihr Neffe das Intro zum Song einspricht. Dummerweise stottert
Sylvester (Dusan Brown) stark …
Kritik:
Mit dem Bemühen Hollywoods um größere Diversität nicht nur
in den Rollen, sondern auch in den präsentierten Storys avancierte der
2005 verstorbene Dramatiker und zweifache Pulitzer-Preisträger August Wilson
zu einem der ersten Anlaufpunkte. Für die Verfilmung seines Stücks "Fences"
erhielt Wilson sogar eine posthume OSCAR-Nominierung, vier Jahre später folgt
mit der Netflix-Produktion "Ma Rainey's Black Bottom" eine weitere
hochgelobte Adaption, erneut mit Viola Davis in der weiblichen Hauptrolle – und koproduziert von
"Fences"-Hauptdarsteller Denzel Washington. Obwohl es sich bei Ma
Rainey um eine reale Persönlichkeit handelt – sie gilt als einer der ersten
weiblichen Blues-Stars und wurde inzwischen in die Blues Hall of Fame wie auch
in die Rock and Roll Hall of Fame aufgenommen –, ist der Film des renommierten
Theaterregisseurs George C. Wolfe (der aber mit "Das Lächeln der Sterne"
und "Das Glück an meiner Seite" auch schon im Kinobereich tätig war)
und des bislang vorrangig als Schauspieler bekannten Drehbuch-Autors Ruben
Santiago-Hudson ("Selma", TV-Staffel "Castle") kein Biopic.
Tatsächlich erfahren wir recht wenig über die Musikerin, da sich August Wilson
in "Ma Rainey's Black Bottom" wie in den meisten seiner Arbeiten primär auf dramatische Art und Weise mit der Lebenswirklichkeit der
Afroamerikaner und so natürlich auch mit dem Alltags-Rassismus auseinandersetzt, den sie erfahren (die Szene, in der der weiße Polizist nach einem harmlosen Auffahrunfall nicht glauben will, daß das teure Auto wirklich der schwarzen Ma Rainey gehört, könnte genausogut aus den USA des Jahres 2020 stammen ...).
Regisseur Wolfe hat sich nicht sonderlich angestrengt, um die Theaterwurzeln seines Films zu verbergen. Zwar gibt es ein paar kurze
Ausflüge auf die Straßen Chicagos (sowie im Prolog zu einem Konzert von Ma
Rainey), aber der größte Teil der Handlung spielt sich im Plattenstudio ab.
Auch die Dialoge sind nur bedingt realitätsnah gestaltet, dafür überzeugen die
von dem hochkarätigen Ensemble teilweise in atemberaubendem Tempo abgefeuerten Schlagabtausche
zwischen den Band-Mitgliedern – speziell Levee und Cutler – mit
messerscharfen Textzeilen und balancieren dabei haarscharf auf einem hauchdünnen
Grat zwischen freundschaftlichen Frotzeleien und passiv-aggressiven Beleidigungen.
Die Virtuosität dieser Dialoge kann man nur bewundern – auch wenn es zumindest
in der Originalfassung manchmal recht anstrengend ist, ihnen zu folgen –,
ebenso den Willen zum unvermittelten Stilbruch, wenn zum Beispiel Levee einen
tragischen, in den Südstaaten des frühen 20. Jahrhunderts jedoch leider weißgott nicht
einmaligen Einblick in seine Vergangenheit gibt, der nicht nur seinen sonst ziemlich
redseligen Bandkollegen vorübergehend die Sprache raubt. Keine Frage, es ist schwerer Stoff, mit dem "Ma Rainey's Black Bottom" sein
Publikum konfrontiert, zumal Wilson (wie schon in "Fences") uns echte
Identifikationsfiguren vorenthält. Weder der arg großspurige Levee noch die
arrogante und selbstherrliche Ma Rainey taugen zu Sympathieträgern, doch sind
sie lebensechte und ambivalente Charaktere, bei denen im Lauf der eineinhalb
Stunden nachvollziehbar erklärt wird, warum sie sich so verhalten, wie sie sich
verhalten. Angenehmer kommen der fromme Gitarrist Cutler und der
belesene Pianist Toledo daher, doch bleiben sie wie Mas leicht
überforderter (weißer) Manager Irvin (Jeremy Shamos, "Magic in the
Moonlight") eben Nebenfiguren, über die man nicht viel erfährt.
Das sieht bei Levee und Ma schon anders aus, wobei bemerkenswerterweise Levee stärker im Fokus steht und mehr spektakuläre Szenen hat als
die Blues-Legende. Hilfreich angesichts der angesprochenen Sympathiedefizite
ist die Tatsache, daß beide Hauptfiguren von großartigen Darstellern
verkörpert werden. Viola Davis glänzt vor allem in einem emotionalen Monolog,
in dem sie ihr divenhaftes Verhalten erklärt, während Chadwick Boseman als
charismatischer, dabei ebenso ambitionierter wie aufbrausender junger Mann die ganze Zeit über mit enormer,
OSCAR-würdiger Intensität beeindruckt – den jungen Mann nimmt man dem kurz nach
den Dreharbeiten im Alter von 43 Jahren verstorbenen Schauspieler übrigens
problemlos ab, er wirkt hier faszinierenderweise tatsächlich so, als wäre er
noch keine 30! Musik spielt in "Ma Rainey's Black Bottom" naturgemäß
ebenso eine bedeutende Rolle, wiewohl wir neben dem eingängigen Titelsong (der übrigens, wie alle Songs außer "Those Dogs of Mine", nicht von Davis gesungen wird, sondern von der Soul-Sängerin Maxayn Lewis)
nicht viele andere Lieder hören – das wird dadurch kompensiert, daß die Dialoge
(erneut: zumindest in der Originalfassung) einen ganz eigenen, melodischen Rhythmus
haben und von den Darstellern ganz gezielt in einem leichten sprachlichen
Singsang vorgetragen werden, durch den der Film mitunter fast wie ein
Musical wirkt. Eine gewisse Künstlichkeit ist angesichts dessen nicht zu
leugnen, zudem wirken die Figuren fast alle überzeichnet und die Handlung ist
nur Mittel zum Zweck – aber es ist nunmal die Verfilmung eines bewußt
parabelhaften Theaterstücks, da gehört das irgendwie dazu und gerät vor allem
dank der gewitzten Dialoge und der exzellenten schauspielerischen Leistungen absolut sehenswert.
Fazit: "Ma Rainey's Black Bottom" ist ein
musiklastiges, gesellschaftskritisches Kammerspiel, das auch ohne fesselnde Handlung mit geschliffenen
Dialogen und großartigen Hauptdarstellern fasziniert.
Wertung: 7,5 Punkte.
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