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In eigener Sache: Mein neues Filmbuch

Einigen Lesern ist bestimmt aufgefallen, daß ich in der rechten Spalte meines Blogs seit längerer Zeit das Cover meines neuen Buchs präsen...

Montag, 10. Februar 2020

OSCAR-Gewinner 2020

Die Gewinner der 92. Verleihung der Academy Awards in Hollywood, Los Angeles:

Bester Film: Parasite
Regie: Bong Joon-ho, "Parasite"
Darsteller: Joaquin Phoenix, "Joker"
Darstellerin: Renée Zellweger, "Judy"
Nebendarsteller: Brad Pitt, "Once Upon a Time in ... Hollywood"
Nebendarstellerin: Laura Dern, "Marriage Story"
Originaldrehbuch: Bong Joon-ho und Jin Won-han, "Parasite"
Adaptiertes Drehbuch: Taika Waititi, "Jojo Rabbit"
Animationsfilm: A Toy Story: Alles hört auf kein Kommando
Internationaler Film: "Parasite", Südkorea
Kamera: Roger Deakins, "1917"
Schnitt: Andrew Buckland und Michael McCusker, "Le Mans 66 - Gegen jede Chance"
Ausstattung: Barbara Ling und Nancy Haigh, "Once Upon a Time in ... Hollywood"
Kostüme: Jacqueline Durran, "Little Women"
Makeup und Hairstyling: Kazu Hiro, Anne Morgan und Vivian Baker, "Bombshell - Das Ende des Schweigens"
Musik: Hildur Guðnadottir, "Joker"
Filmsong: "(I'm Gonna) Love Me Again" von Elton John und Bernie Taupin, "Rocketman"
Ton: Mark Taylor und Stuart Wilson, "1917"
Tonschnitt: Donald Sylvester, "Le Mans 66 - Gegen jede Chance"
Visuelle Effekte: Guillaume Rocheron, Greg Butler und Dominic Tuohy, "1917"
Dokumentarfilm: American Factory
Kurz-Dokumentarfilm: Learning to Skateboard in a Warzone (If You're a Girl)
Animations-Kurzfilm: Hair Love
Kurzfilm: The Neighbors' Window

Die OSCARs verteilen sich damit in diesem Jahr wie folgt:
1917: 3
Joker: 2
A Toy Story - Alles hört auf kein Kommando: 1
Bombshell - Das Ende des Schweigens: 1
Jojo Rabbit: 1
Judy: 1

Kommentar und Fazit:
Es ist also tatsächlich eingetroffen, was gar nicht wenige Branchenbeobachter erwartet hatten: Die wendungsreiche südkoreanische Gesellschaftssatire "Parasite" schneidet bei der OSCAR-Verleihung nicht einfach nur gut ab, sondern triumphiert am Ende sogar in den vier wichtigsten Kategorien (abseits der Darsteller) - und wird so zum ersten nicht-englischsprachigen Gewinner der Königskategorie "Bester Film"! Das Problem, das ich damit habe: Ich gönne es "Parasite" nicht. Nicht nur, daß mir ohne groß nachzudenken locker ein Dutzend nicht-englischsprachiger Filme einfallen, die einen solchen Triumphzug viel mehr verdient gehabt hätten (von zahlreichen Kurosawa-Meisterwerken über "Hiroshima, mon amour", "Die fabelhafte Welt der Amélie", "City of God", "Pans Labyrinth" oder "Das Leben der Anderen" bis hin zum diesjährigen zweifachen Nominee "Leid und Herrlichkeit"), meiner Ansicht nach ist "Parasite" auch der klar schwächste der neun nominierten Filme in dieser Kategorie ("Jojo Rabbit" habe ich noch nicht gesehen, ich bin aber sehr zuversichtlich, daß der mir auch besser gefallen wird). Mir ist klar, daß ich damit eher eine Minderheiten-Meinung vertrete, aber wie ich schon in meiner Rezension ausführte, verstehe ich einfach nicht, was alle in "Parasite" sehen - sicher ein solider Film mit einigen sehr starken Momenten, aber für mich weit von einem Meisterwerk entfernt. Da hätte ich dem enttäuschten Favoriten "1917", "Marriage Story", "Once Upon a Time in ... Hollywood", "Joker" oder "The Irishman" den Sieg wesentlich mehr gegönnt. Immerhin: Ein bißchen versöhnt mich die Tatsache, daß der "Parasite"-Schöpfer Bong Joon-ho und sein Team sehr sympathisch und begeisterungsfähig rüberkommen.

Damit waren sie zwar nicht allein, aber es war doch auffällig, wie überraschend nüchtern viele speziell englischsprachige Gewinner auf ihren Triumph reagierten - das verhinderte zumindest eine häufige Anwendung der etwas respektlosen bis peinlichen musikalischen Abwürgung von Dankesreden (die kam nur zwei Mal zum Einsatz und bei beiden Kategorien gab es je drei Gewinner - klar, daß es da zeitlich eng wird mit den anzustrebenden 45 Sekunden ...). Ganz anders die Reaktion etlicher internationaler Gewinner, die ihre Preise erheblich emotionaler und enthusiastischer akzeptierten - neben Bong fiel mir das vor allem bei der isländischen Musik-Gewinnerin Hildur Guðnadottir auf, die übrigens als erste Frau in dieser Kategorie gewann (und das keineswegs unverdient, wenngleich ich Thomas Newman für "1917" die Daumen drückte). Ansonsten stach bei den Dankesreden neben der ausschweifenden, aber leidenschaftlichen von Renée Zellweger primär die ihres Kollegen Joaquin Phoenix aus dem Einheitsbrei heraus: Phoenix, dem man sympathischerweise deutlich anmerkte, wie unwohl er sich bei öffentlichen Auftritten fühlt, hielt sich gar nicht erst mit den üblichen Danksagungen auf, sondern hielt einen flammenden Appell für Mitgefühl und Achtsamkeit in unserer Gesellschaft - darüber werden geschätzt 40% der Amis wahrscheinlich spotten, die solche Werte für Schwächen halten, aber meinen Applaus bekommt er auf jeden Fall!

Um auf die Filme zurückzukommen: Wie so oft in den letzten Jahren wurden die Goldjungen ziemlich breit unter den nominierten Filmen verstreut. Nur "Parasite" und "1917" erhielten mehr als zwei OSCARs, dafür ging von den neun "Bester Film"-Nominees einzig "The Irishman" leer aus. Das dreieinhalbstündige Mafia-Epos muß daher zweifellos als großer Verlierer des Abends betrachtet werden, wenngleich das nicht wirklich unerwartet kam und Regisseur Scorsese dafür multiple Ehrfurchtsbezeugungen anderer Nominees und Gewinner erhielt - sowie eine Standing Ovation, als Bong Joon-ho ihn als eines seiner Idole hervorhob. Zweiter Verlierer ist trotz der zweitmeisten Academy Awards des Jahres "1917", denn das nach seinen Triumphen bei den Golden Globes und den BAFTAs als Topfavorit gehandelte Kriegsdrama mußte sich letztlich mit Siegen in drei technischen Kategorien begnügen. Umgekehrt ist logischerweise "Parasite" der große Gewinner, auch "Le Mans 66" schnitt mit zwei OSCARs in technischen Kategorien besser ab als gemeinhin erwartet. Zunehmend kurios entwickelt sich inzwischen übrigens die Regie-Kategorie: Seit 2011 gewann mit "La La Land"-Regisseur Damien Chazelle nur ein US-Amerikaner, die übrigen Trophäen gingen an einen Briten, einen Franzosen, einen Taiwanesen, drei Mexikaner und nun einen Südkoreaner. Mal sehen, wie lange diese Serie noch anhält ...

Die zum zweiten Mal in Folge moderatorfreie Show selbst gefiel mir besser als im Vorjahr. Die musikalische Eröffnung durch Janelle Monáe geriet mitreißend, es wurden alle fünf Filmsong-Nominees in voller Länge vorgetragen, generell geriet die Vorstellung der einzelnen Kategorien würdevoller als zuletzt und die Vorjahres-Siegerin Olivia Colman sorgte als Präsentatorin des Darsteller-Awards für viele Lacher. Es gab sogar gelungene Überraschungen wie Eminems gefeierten Auftritt mit seinem 2003er-OSCAR-Gewinner "Lose Yourself" (aus dem Film "8 Mile") - warum die Kamera währenddessen einmal ausgerechnet auf Martin Scorsese schnitt, der so ziemlich als einziger im Saal ruhig dasaß, bleibt wohl ein Geheimnis ... Ich persönlich plädiere trotz der klaren Steigerung - die einen gefühlvollen Vortrag des Beatles-Evergreens "Yesterday" von Shooting Star Billie Eilish als Begleitung für die "In memoriam"-Sequenz umfaßte - weiter für die Rückkehr zu einem richtigen Moderator oder auch gerne einem Moderatoren-Duo. Wie wäre es denn mit den beiden früheren Moderatoren Steve Martin und Chris Rock, die zu Beginn nachwiesen, daß sie gut miteinander harmonieren und immer noch viel Witz versprühen?

Abschließend wie immer ein Blick auf meine OSCAR-Prognose: Von meinen 24 Tips trafen 17 ins Schwarze. Das ist eine gute Bilanz, die leicht über dem Schnitt meiner letzten Vorhersagen liegt (in den letzten sechs Jahren lag ich immer zwischen 14 und 19). Hätte "1917" ähnlich abgeschnitten wie eine Woche zuvor bei den britischen BAFTAs, hätte ich gar die 20 knacken können - möglicherweise eine einmalige Chance, denn daß ich bei allen drei von den OSCAR-Tippern ob ihrer Unvorhersehbarkeit gefürchteten Kurzfilm-Kategorien richtig lag, passiert wohl so schnell nicht wieder ...

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