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In eigener Sache: Mein neues Filmbuch

Einigen Lesern ist bestimmt aufgefallen, daß ich in der rechten Spalte meines Blogs seit längerer Zeit das Cover meines neuen Buchs präsen...

Donnerstag, 26. Mai 2022

THE NORTHMAN (2022)

Regie: Robert Eggers, Drehbuch: Sjón, Robert Eggers, Musik: Sebastian Gainsborough, Robin Carolan
Darsteller: Alexander Skarsgård, Anya Taylor-Joy, Nicole Kidman, Claes Bang, Gustav Lindh, Elliott Rose, Eldar Skar, Phill Martin, Oscar Novak, Ethan Hawke, Willem Dafoe, Björk, Kate Dickie, Ralph Ineson, Hafthor Julius Björnsson, Sheila Flitton
The Northman (2022) on IMDb Rotten Tomatoes: 90% (7,7); weltweites Einspielergebnis: $69,6 Mio.
FSK: 16, Dauer: 137 Minuten.
Skandinavien, um das Jahr 900 herum: Als der Wikingerkönig Aurvandil (Ethan Hawke, "Die glorreichen Sieben") kurz nach seiner Rückkehr von einem erfolgreichen Raubzug von seinem eigenen Halbbruder Fjölnir (Claes Bang, "The Square") ermordet wird, gelingt Aurvandils zehn Jahre altem Sohn Amleth auf sich gestellt die Flucht nach Osten ins Land der Rus. Dort wird er von Wikingern gefunden und zum Berserker trainiert. Als der erwachsene Amleth (Alexander Skarsgård, "Melancholia") nach einem Überfall auf ein slawisches Dorf erfährt, daß Fjölnir sein geraubtes Königreich inzwischen wieder verloren hat und als einfacher Landesfürst auf Island nicht viel mehr als ein Schafzüchter ist, will er endlich jene Rache üben, die er nach dem Tod seines Vaters geschworen hatte und zudem seine Mutter Gudrún (Nicole Kidman, "Destroyer") retten, die Fjölnir nach seiner Mordtat zur Frau nahm. Kurzerhand verpaßt sich Amleth selbst ein Sklaven-Brandzeichen und schließt sich so getarnt einer Sklavenlieferung an Fjölnir an. In Island angekommen, bereitet er seine Rache geduldig vor und erhält wertvolle Unterstützung von der slawischen Sklavin Olga vom Birkenwald (Anya Taylor-Joy, "Vollblüter") ...

Kritik:
Der OSCAR-gekrönte "Die Braut des Prinzen"-Drehbuch-Autor William Goldman prägte bereits vor Jahrzehnten einen so kurzen wie simplen Satz, der seitdem als treffendste Beschreibung Hollywoods gilt: "Nobody Knows Anything." Das ist natürlich nicht ganz so drastisch gemeint, wie es klingt, sondern verweist primär darauf, daß man so viel Ahnung von der Kinobranche haben kann wie man will, daß man so erfahren sein kann wie man will, daß man so talentiert und intelligent sein kann wie man will – und dennoch kann man nie wirklich wissen, ob genau dieser Film mit genau diesem Regisseur und Autor und mit genau dieser Besetzung zu genau diesem Zeitpunkt der Veröffentlichung ein Hit wird oder ein Flop oder irgendetwas dazwischen. Im Grunde genommen also eine Banalität, mit der sich aber eben praktischerweise so ziemlich jeder unerwartete Hit und Flop erklären läßt und die deshalb zum geflügelten Wort in der Branche wurde. Was das alles mit "The Northman" zu tun hat? Nun, selbst mit dieser Weisheit im Hinterkopf frage ich mich wirklich, wie jemand auf die Idee kommen konnte, dem Schöpfer der ebenso guten wie nischigen Indie-Genrefilme "The Witch" und "Der Leuchtturm" eine fast dreistellige Millionensumme (die Schätzungen reichen von $60-90 Mio.) für ein archaisches und brutal-realistisches Wikinger-Epos zur Verfügung zu stellen. Und so kam es, wie es kommen mußte: Trotz starker Kritiken und positiver Publikumsreaktionen erweist sich "The Northman" als kommerzieller Flop, der in der globalen Kinoauswertung am Ende bestenfalls etwas mehr als die Produktionskosten einspielen dürfte (um unter Berücksichtigung aller Ausgabenposten als ein kommerzieller Erfolg zu gelten, ist in der Regel mindestens das Doppelte des Budgets nötig). Sollte sich "The Northman" also nicht überraschend in der Heimkinoauswertung klar in die Gewinnzone retten, dürfte es zumindest für längere Zeit das letzte Mal gewesen sein, daß Robert Eggers das Geld mit beiden Händen ausgeben durfte – aber zumindest hat er diese Gelegenheit weidlich ausgenutzt und einen Film geschaffen, der erstens definitiv auf die große Leinwand gehört und den man zweitens so kompromißlos nur noch sehr selten von Hollywood erwarten darf …

Um das gleich unmißverständlich loszuwerden: Wer von "The Northman" einen Film in der Art der populären TV-Serie "Vikings" oder alter Hollywood-Filme wie "Die Wikinger" oder "Raubzug der Wikinger" erwartet, der dürfte schwer enttäuscht werden. Vergleichen läßt sich Eggers' Film am ehesten mit Nicolas Winding Refns nihilistischem "Walhalla Rising" oder hinsichtlich der Genre-Dekonstruktion vielleicht mit "The Green Knight". Die Handlung von "The Northman" – die auf einer altdänischen Sage beruht, welche wiederum die Inspiration für Shakespeares "Hamlet" darstellte – ist eine simple Rachestory, die man so ähnlich unzählige Male gesehen hat. Nur geht es Robert Eggers nicht wirklich um diese Rachegeschichte, sie bildet lediglich den Hintergrund für ein intensives Abtauchen in die Welt der Wikinger, wie sie wirklich gewesen sein könnte: dreckig, brutal, gnadenlos, das Leben bestimmt von skrupellosen Herren und von mitleidlosen Göttern, die ihren Anhängern kaum Wahlfreiheit lassen. Ja, in erster Linie geht es in "The Northman" wohl um die Themen Schicksal und Religion, denn Amleths Weg ist von Beginn an vorgezeichnet durch Visionen und Prophezeiungen zunächst von Aurvandils Hofnarr Heimir (Willem Dafoe, "Grand Budapest Hotel"), später von einer blinden slawischen Seherin (Islands Musik-Legende Björk).

Die Welt von "The Northman" ist vollständig befreit von jeglicher Romantisierung des Wikinger-Lebens, dementsprechend gibt es keine echten Sympathieträger. Brudermörder und Usurpator Fjölnir ist natürlich der Bösewicht der Geschichte, doch Berserker Amleth ist wie einst sein Vater Aurvandil ein brutaler Schlächter, der mit seinen Stammesbrüdern noch nicht mal davor zurückschreckt, "unnütze" (also als Sklaven untaugliche) Frauen und Kinder eines eroberten slawischen Dorfes bei lebendigem Leib zu verbrennen – eine Identifikationsfigur fürs Publikum sieht wahrlich anders aus! Selbst Fjölnirs jüngster Sohn Gunnar (Elliott Rose) ist ein ziemlich sadistischer, egozentrischer Fiesling und Königin Gudrún ist eine Intrigantin, die vor gar nichts zurückzuschrecken scheint, um ihren Willen zu erhalten. Am ehesten wirkt die willensstarke Olga sympathisch, die auch als einzige Amleth in seinem Racherausch zu erreichen scheint und versucht, ihn von seinem vermeintlich vorgezeichneten blutigen Weg abzubringen. Eggers schildert das harte Wikinger-Leben auf dem kargen, vulkangesäumten Island und besonders Amleths grimmigen Rachefeldzug ungemein intensiv und mit Bildern voller archaischer Wucht. Die Aufnahmen, die Eggers' Stamm-Kameramann Jarin Blaschke zur mystischen, teilweise auf archaischen Instrumenten gespielten Musik der beiden Filmmusik-Debütanten Robin Carolan und Sebastian Gainsborough auf die Leinwand zaubert, sind ebenso düster und wild wie sie atemberaubend schön sind – die Dreharbeiten in Island haben sich definitiv gelohnt (wobei der Großteil des Films in Nordirland gedreht wurde). Eggers lag es – wie bereits bei seinem Debüt "The Witch" – generell sehr am Herzen, daß es im Film so historisch korrekt zugeht wie nur möglich, weshalb mehrere Experten zu Rate gezogen wurden. Das merkt man u.a. an den ausführlich gezeigten, wie aus einer anderen Welt wirkenden Wikinger-Ritualen, die wiederum den religiösen Schwerpunkt des Films unterstreichen.

Große Schlachten gibt es in "The Northman" nicht wirklich zu bestaunen (es sei denn, man will das Massaker der Berserker dazuzählen, mit dem wir den erwachsenen Amleth kennenlernen …), dafür aber viele kleinere Gefechte und Zweikämpfe – die allesamt wuchtig, brutal und sehr intensiv inszeniert und choreographiert sind. Ein wenig hat sich Eggers dabei mutmaßlich von anderen Filmen inspirieren lassen, beispielsweise erinnert die Szene, in der der vermeintliche Sklave Amleth auf Island sein ihm vorherbestimmtes Schwert erringt, stark an "Conan der Barbar" und der apokalyptische finale Zweikampf könnte ebenso aus "300" oder sogar "Star Wars: Episode III" stammen. Ein wenig shakespearesk wirkt "The Northman" zudem in erster Linie durch die Figur von Amleths Mutter Gudrún sowie durch die recht gestelzte Sprache. Schauspielerische Meisterleistungen werden den hochkarätigen Darstellern nicht abverlangt, aber Alexander Skarsgård gelingt es mit bewundernswerter Intensität, die grenzenlose Wut des von Rache getriebenen Berserkers zu verkörpern wie auch dessen Schicksalsergebenheit. An seiner Seite macht Anya Taylor-Joy eine gewohnt gute Figur und Nicole Kidman hat zwar nicht allzu viel zu tun, veredelt ihre wenigen Szenen aber mit ihrer enormen Schauspielkunst. Der relativ unbekannte Claes Bang – dem Nicht-Arthouse-Publikum wohl am ehesten aus Steven Moffats TV-Miniserie "Dracula" ein Begriff – gibt als Fjölnir einen optisch etwas klischeehaften, aber guten Bösewicht ab und über die Gastauftritte von Ethan Hawke, Willem Dafoe, Björk und "Game of Thrones"-Alumnus Hafthor Julius Björnsson kann man sowieso nicht meckern. Bei allem Lob will ich aber auch nicht verschweigen, daß der Einstieg in "The Northman" ziemlich sperrig geraten ist und es dem Publikum nicht ganz leicht macht, zudem nimmt die Handlung – die trotz ihrer Einbindung in die Themen Religion und Schicksal einfach sehr dünn ist – erst ab der Ankunft auf Island richtig an Fahrt auf. Wenn man sich aber auf Eggers' Anti-Mainstream-Stil einläßt, bekommt man mit "The Northman" einen faszinierenden und kompromißlosen, unnachahmlich intensiven gut zweistündigen Trip in die wenig einladende Welt der Wikinger geboten.

Fazit: "The Northman" ist ein bildgewaltiges Wikinger-Epos, das handlungstechnisch relativ schwach auf der Brust ist, dies mit archaischer Wucht und einer dichten, düster-immersiven Atmosphäre aber mehr als wettmacht.

Wertung: Knapp 8 Punkte.
 
 
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