Regie: Robert Eggers, Drehbuch: Sjón, Robert Eggers, Musik: Sebastian Gainsborough, Robin
Carolan
Darsteller:
Alexander Skarsgård, Anya
Taylor-Joy, Nicole Kidman, Claes Bang, Gustav Lindh, Elliott Rose,
Eldar Skar, Phill Martin, Oscar Novak, Ethan Hawke, Willem Dafoe,
Björk, Kate Dickie, Ralph Ineson, Hafthor Julius Björnsson, Sheila Flitton
FSK: 16, Dauer: 137
Minuten.
Skandinavien,
um das Jahr 900 herum: Als der Wikingerkönig Aurvandil (Ethan Hawke, "Die
glorreichen Sieben") kurz nach seiner Rückkehr von einem
erfolgreichen Raubzug von seinem eigenen Halbbruder Fjölnir (Claes
Bang, "The Square") ermordet wird, gelingt Aurvandils zehn Jahre altem Sohn Amleth auf sich gestellt die Flucht nach Osten ins
Land der Rus. Dort wird er von Wikingern gefunden und zum Berserker trainiert. Als der erwachsene Amleth (Alexander Skarsgård,
"Melancholia") nach einem Überfall auf ein
slawisches Dorf erfährt, daß Fjölnir sein geraubtes Königreich
inzwischen wieder verloren hat und als einfacher Landesfürst auf
Island nicht viel mehr als ein Schafzüchter ist, will er endlich
jene Rache üben, die er nach dem Tod seines Vaters geschworen hatte und zudem seine Mutter Gudrún (Nicole Kidman, "Destroyer")
retten, die Fjölnir nach seiner Mordtat zur Frau nahm. Kurzerhand
verpaßt sich Amleth selbst ein Sklaven-Brandzeichen und schließt
sich so getarnt einer Sklavenlieferung an Fjölnir an. In Island
angekommen, bereitet er seine Rache geduldig vor und erhält wertvolle Unterstützung von der slawischen Sklavin Olga vom
Birkenwald (Anya Taylor-Joy, "Vollblüter") ...
Kritik:
Der
OSCAR-gekrönte "Die Braut des Prinzen"-Drehbuch-Autor
William Goldman prägte bereits vor Jahrzehnten einen so kurzen
wie simplen Satz, der seitdem als treffendste Beschreibung Hollywoods gilt: "Nobody Knows Anything." Das ist natürlich
nicht ganz so drastisch gemeint, wie es klingt, sondern verweist primär darauf, daß man so viel Ahnung von der Kinobranche
haben kann wie man will, daß man so erfahren sein kann wie man will,
daß man so talentiert und intelligent sein kann wie man will –
und dennoch kann man nie wirklich wissen, ob genau dieser Film mit genau
diesem Regisseur und Autor und mit genau dieser Besetzung zu genau
diesem Zeitpunkt der Veröffentlichung ein Hit wird oder ein Flop
oder irgendetwas dazwischen. Im Grunde genommen also eine Banalität,
mit der sich aber eben praktischerweise so ziemlich jeder unerwartete
Hit und Flop erklären läßt und die deshalb zum geflügelten Wort in
der Branche wurde. Was das alles mit "The Northman" zu tun
hat? Nun, selbst mit dieser Weisheit im Hinterkopf frage ich mich
wirklich, wie jemand auf die Idee kommen konnte, dem Schöpfer
der ebenso guten wie nischigen Indie-Genrefilme "The Witch"
und "Der Leuchtturm" eine fast dreistellige
Millionensumme (die Schätzungen reichen von $60-90 Mio.) für ein
archaisches und brutal-realistisches Wikinger-Epos zur Verfügung zu
stellen. Und so kam es, wie es kommen mußte: Trotz starker Kritiken
und positiver Publikumsreaktionen erweist sich "The
Northman" als kommerzieller Flop, der in der globalen
Kinoauswertung am Ende bestenfalls etwas mehr als die
Produktionskosten einspielen dürfte (um unter Berücksichtigung
aller Ausgabenposten als ein kommerzieller Erfolg zu gelten, ist in der
Regel mindestens das Doppelte des Budgets nötig). Sollte sich "The
Northman" also nicht überraschend in der Heimkinoauswertung
klar in die Gewinnzone retten, dürfte es zumindest für längere
Zeit das letzte Mal gewesen sein, daß Robert Eggers das Geld mit
beiden Händen ausgeben durfte – aber zumindest hat er diese
Gelegenheit weidlich ausgenutzt und einen Film geschaffen, der
erstens definitiv auf die große Leinwand gehört und den man
zweitens so kompromißlos nur noch sehr selten von Hollywood erwarten
darf …
Um
das gleich unmißverständlich loszuwerden: Wer von "The
Northman" einen Film in der Art der populären TV-Serie
"Vikings" oder alter Hollywood-Filme wie "Die
Wikinger" oder "Raubzug der Wikinger" erwartet, der
dürfte schwer enttäuscht werden. Vergleichen läßt sich Eggers'
Film am ehesten mit Nicolas Winding Refns nihilistischem "Walhalla
Rising" oder hinsichtlich der Genre-Dekonstruktion vielleicht mit "The Green Knight". Die Handlung von "The
Northman" – die auf einer altdänischen Sage beruht,
welche wiederum die Inspiration für Shakespeares "Hamlet"
darstellte – ist eine simple Rachestory, die man so ähnlich
unzählige Male gesehen hat. Nur geht es Robert Eggers nicht
wirklich um diese Rachegeschichte, sie bildet lediglich den
Hintergrund für ein intensives Abtauchen in die Welt der Wikinger,
wie sie wirklich gewesen sein könnte: dreckig, brutal, gnadenlos,
das Leben bestimmt von skrupellosen Herren und von mitleidlosen Göttern,
die ihren Anhängern kaum Wahlfreiheit lassen. Ja, in erster Linie
geht es in "The Northman" wohl um die Themen Schicksal und Religion,
denn Amleths Weg ist von Beginn an vorgezeichnet durch Visionen
und Prophezeiungen zunächst von Aurvandils Hofnarr Heimir (Willem
Dafoe, "Grand Budapest Hotel"), später von einer blinden slawischen Seherin (Islands
Musik-Legende Björk).
Die
Welt von "The Northman" ist vollständig befreit von
jeglicher Romantisierung des Wikinger-Lebens, dementsprechend gibt es
keine echten Sympathieträger. Brudermörder und Usurpator
Fjölnir ist natürlich der Bösewicht der Geschichte, doch Berserker
Amleth ist wie einst sein Vater Aurvandil ein brutaler Schlächter,
der mit seinen Stammesbrüdern noch nicht mal davor zurückschreckt, "unnütze"
(also als Sklaven untaugliche) Frauen und Kinder eines eroberten
slawischen Dorfes bei lebendigem Leib zu verbrennen – eine
Identifikationsfigur fürs Publikum sieht wahrlich anders aus!
Selbst Fjölnirs jüngster Sohn Gunnar (Elliott Rose) ist ein
ziemlich sadistischer, egozentrischer Fiesling und Königin Gudrún ist eine
Intrigantin, die vor gar nichts zurückzuschrecken scheint, um ihren
Willen zu erhalten. Am ehesten wirkt die willensstarke Olga
sympathisch, die auch als einzige Amleth in seinem Racherausch zu
erreichen scheint und versucht, ihn von seinem vermeintlich vorgezeichneten blutigen Weg abzubringen. Eggers schildert
das harte Wikinger-Leben auf dem kargen, vulkangesäumten Island und besonders Amleths grimmigen Rachefeldzug ungemein intensiv und mit
Bildern voller archaischer Wucht. Die Aufnahmen, die Eggers'
Stamm-Kameramann Jarin Blaschke zur mystischen, teilweise auf archaischen Instrumenten gespielten Musik der beiden Filmmusik-Debütanten Robin Carolan und Sebastian Gainsborough auf die Leinwand zaubert, sind ebenso
düster und wild wie sie atemberaubend schön sind – die
Dreharbeiten in Island haben sich definitiv gelohnt (wobei
der Großteil des Films in Nordirland gedreht wurde). Eggers lag es – wie bereits bei seinem Debüt "The Witch" – generell
sehr am Herzen, daß es im Film so historisch korrekt zugeht wie nur
möglich, weshalb mehrere Experten zu Rate gezogen wurden. Das merkt
man u.a. an den ausführlich gezeigten, wie aus einer anderen Welt wirkenden
Wikinger-Ritualen, die wiederum den religiösen Schwerpunkt des Films
unterstreichen.
Große
Schlachten gibt es in "The Northman" nicht wirklich zu
bestaunen (es sei denn, man will das Massaker der Berserker
dazuzählen, mit dem wir den erwachsenen Amleth kennenlernen …),
dafür aber viele kleinere Gefechte und Zweikämpfe – die allesamt
wuchtig, brutal und sehr intensiv inszeniert und choreographiert sind. Ein
wenig hat sich Eggers dabei mutmaßlich von anderen Filmen
inspirieren lassen, beispielsweise erinnert die Szene, in der der
vermeintliche Sklave Amleth auf Island sein ihm vorherbestimmtes
Schwert erringt, stark an "Conan
der Barbar" und der apokalyptische finale Zweikampf könnte ebenso
aus "300" oder sogar "Star Wars: Episode III"
stammen. Ein wenig shakespearesk wirkt "The Northman" zudem
in erster Linie durch die Figur von Amleths Mutter Gudrún sowie durch die
recht gestelzte Sprache. Schauspielerische Meisterleistungen werden
den hochkarätigen Darstellern nicht abverlangt,
aber Alexander Skarsgård
gelingt es mit bewundernswerter Intensität, die
grenzenlose Wut des von Rache getriebenen Berserkers zu verkörpern
wie auch dessen Schicksalsergebenheit. An seiner Seite
macht Anya Taylor-Joy eine gewohnt gute Figur und Nicole Kidman hat
zwar nicht allzu viel zu tun, veredelt ihre wenigen Szenen aber mit
ihrer enormen Schauspielkunst. Der relativ unbekannte Claes Bang –
dem Nicht-Arthouse-Publikum wohl am ehesten aus Steven Moffats
TV-Miniserie "Dracula" ein Begriff – gibt als Fjölnir einen optisch
etwas klischeehaften, aber guten Bösewicht ab und über
die Gastauftritte von Ethan Hawke, Willem Dafoe, Björk und "Game
of Thrones"-Alumnus Hafthor Julius Björnsson kann man sowieso
nicht meckern. Bei allem Lob will ich aber auch nicht verschweigen,
daß der Einstieg in "The Northman" ziemlich sperrig
geraten ist und es dem Publikum nicht ganz leicht macht, zudem nimmt
die Handlung – die trotz ihrer Einbindung in die Themen Religion
und Schicksal einfach sehr dünn ist – erst ab der Ankunft auf
Island richtig an Fahrt auf. Wenn man sich aber auf Eggers'
Anti-Mainstream-Stil einläßt, bekommt man mit "The
Northman" einen faszinierenden und kompromißlosen, unnachahmlich intensiven gut zweistündigen Trip in die wenig
einladende Welt der Wikinger geboten.
Fazit:
"The Northman" ist ein bildgewaltiges Wikinger-Epos, das
handlungstechnisch relativ schwach auf der Brust ist, dies mit
archaischer Wucht und einer dichten, düster-immersiven Atmosphäre aber mehr als
wettmacht.
Wertung:
Knapp 8 Punkte.
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