Originaltitel: The Lighthouse
Regie: Robert Eggers, Drehbuch: Max und Robert Eggers,
Musik: Mark Korven
Darsteller: Robert Pattinson, Willem Dafoe, Valeriia Karaman
FSK: 16, Dauer: 109 Minuten.
Ende des 19. Jahrhunderts werden der frühere Holzfäller
Ephraim Winslow (Robert Pattinson, "Wasser für die Elefanten") und der ehemalige Seemann Tom Wake (Willem
Dafoe, "Mord im Orient Express") zur einer unbewohnten Felseninsel im Nordosten der USA übergesetzt, wo
sie bis zu ihrer Ablösung in vier Wochen den dortigen Leuchtturm in Gang halten
sollen. Da der erfahrene, aber wenig von Manieren haltende Tom ziemlich
arrogant und ruppig mit dem Neuling Ephraim umgeht und diesen alle
niederen Arbeiten erledigen läßt, während er selbst sich um das Licht kümmert,
entstehen schnell Spannungen zwischen den ungleichen Männern. Doch die
Einsamkeit der häufig sturmumtosten Gegend bringt Tom und Ephraim phasenweise
auch dazu, sich zu verbrüdern, wobei Tom viel Seemannsgarn spinnt –
zumindest ist das Ephraims Überzeugung. Dennoch fragt er sich, warum Tom so eifersüchtig
darauf aufpasst, daß Ephraim niemals in die Spitze des Leuchtturms eindringt, zumal
er von dort seltsame Geräusche hört. Und als Ephraim dann noch eine leibhaftige
Meerjungfrau (Valeriia Karaman) sieht, beginnt er zunehmend, an seinem Verstand
zu zweifeln …
Kritik:
So ziemlich jeder Mensch auf Erden hat ein Steckenpferd. Der
eine liebt es, Briefmarken zu sammeln, der nächste tanzt leidenschaftlich gern und
wieder andere begeistern sich für einen Sportverein oder für eine Sängerin. Das
Steckenpferd des US-amerikanischen Independent-Filmemachers Robert Eggers ist
offensichtlich das intensive Studium mittelalterlicher Schriften. Jedenfalls würde
das erklären, warum Eggers nach "The Witch" – dessen Story und
Dialoge in erster Linie auf historischen Prozeßakten und Gebetsbüchern basieren – auch seinen
zweiten Langfilm auf erhalten gebliebene Dokumente und Geschichten aus
vergangener Zeit begründet. Die liegt jedoch nicht gar so weit in der
Vergangenheit wie beim im 17. Jahrhundert spielenden "The Witch",
denn die Handlung von "Der Leuchtturm" spielt sich im frühen 20.
Jahrhundert ab und hat ihre Grundlage in den Erzählungen des "Moby
Dick"-Autors Herman Melville sowie in historischen Zeitschriften – aber auch
die antike Sagenwelt und die Horrorgeschichten von H.P. Lovecraft (ja, es
kommen Tentakel vor!) dienten Eggers als Inspirationsquelle, wie unschwer zu erkennen ist.
Passend zur Ära, in der "Der Leuchtturm" spielt, ist der Film in
Schwarzweiß gehalten und wurde zudem in einem schon lange nicht mehr
verwendeten, fast quadratischen Bildformat gedreht, wie man es aus der Zeit
des Stummfilms kennt (dem zollt Eggers übrigens gleich zu Beginn Hommage, als die gerade auf der Insel angekommenen Ephraim und Tom sekundenlang regungslos dem
abfahrenden Schiff hinterhersehen und dabei so aussehen wie Stummfilm-Protagonisten
in ihrer Einführungseinstellung – nur daß hier keine Texttafel folgt). Es dürfte klar sein, daß sich "Der Leuchtturm", ähnlich wie Darren Aronofskys "mother!", ganz gezielt an ein
experimentierfreudiges Arthouse-Publikum richtet, welches zudem nicht in erster
Linie Wert auf eine kohärente, einigermaßen lineare Story legt. Wer sich
davon angesprochen fühlt, der wird mit einem anstrengenden, aber ungemein
faszinierenden Filmerlebnis belohnt, über das man lange nachdenken und
diskutieren kann.
Wenn es schon keine richtige Handlung gibt, dann muß es ja
irgendetwas anderes geben, das "Der Leuchtturm" interessant macht –
und das sind neben der ungewöhnlichen Ästhetik und der unheilvollen Atmosphäre in erster Linie die beiden zentralen Charaktere. Erzählt werden die verstörenden Ereignisse von "Der Leuchtturm" aus der Perspektive des jungen
Ephraim, mit fiebriger Intensität verkörpert von Robert Pattinson, der nach einigen sehenswerten Indie-Rollen die beste Leistung
seiner vom frühen "Twilight"-Ruhm überschatteten Karriere abliefert.
Dabei kann man nicht behaupten, daß wir als Zuschauer Ephraim jemals
richtig nahekommen. Zwar erfahren wir nach und nach ein paar Hintergründe über
ihn und lernen ihn natürlich auch durch seine Worte und Taten ein wenig kennen,
doch im Grunde genommen ist seine Vergangenheit sowieso nebensächlich. Denn
hier geht es alleine darum, wie er bei seiner ersten Mission als
Leuchtturmwärter mit der Einsamkeit, der Isolation, der harten körperlichen Arbeit und
seinem exzentrischen Kollegen klarkommt – oder eben nicht. Denn der von einem nicht ganz verheilten Beinbruch geplagte Tom –
großartig: Willem Dafoe – ist nicht nur ein herrischer
Rüpel, der gar nicht daran denkt, gewisse unziemliche Körpergeräusche zu
unterdrücken, nein, er hält sich auch nicht an die Vorschriften, nach denen er und
Ephraim eigentlich in etwa gleichberechtigt sind. Stattdessen hetzt er Ephraim
herum, als wäre er sein Sklave, und treibt ihn unbarmherzig von einer Ausbesserungsarbeit an dem weißgott reparaturbedürftigen Leuchtturm zur
nächsten, ohne ein freundliches Wort für ihn übrigzuhaben. Ephraim
reagiert darauf mit einer Mischung aus grimmiger Ergebenheit und Trotz, wobei
sein Geduldsfaden im Laufe des Monats immer dünner wird – wer will es ihm verdenken?
Nur beim von Tom zubereiteten Abendessen kommt man sich etwas näher, wenngleich
Ephraim Toms Erzählungen als erfundendes Seemannsgarn abtut.
Unterhaltsam sind Toms Geschichten jedoch zweifellos und nach
und nach ist sich Tom auch nicht mehr ganz so gewiß in seiner Überzeugung, daß
das alles nichts mit der Realität zu tun hat. Dafür sorgen merkwürdige Träume
oder Visionen ebenso wie eine Meerjungfrau, die er am felsigen Strand
entdeckt, oder die verdächtigen Geräusche von der Spitze des Leuchtturms, die
er nicht betreten darf. Einen großen
Teil seiner Faszination zieht "Der Leuchtturm"
daraus, daß man als Zuschauer Ephraim auf seiner Reise in den
einsamkeitsinduzierten Wahnsinn hautnah folgt – oder ist es doch kein Wahnsinn,
sondern es gehen tatsächlich mysteriöse Dinge auf der kleinen Felseninsel vor
sich? Und was wäre schlimmer? Hat Tom doch Recht, wenn er Ephraim eindringlich
warnt, die lästigen Möwen zu verletzen, weil das Neptuns Zorn auf sich ziehe? Ist
die attraktive Meerjungfrau (sofern nicht komplett eingebildet) in Wirklichkeit
eine gefährliche Sirene? Warum will Tom Ephraim um keinen Preis zum Licht des
Leuchtturms lassen? Was ist eigentlich aus Ephraims Vorgänger als Toms Kollege
geworden? Und erinnert die denkwürdige Schlußeinstellung des Films nur mich an
die Prometheus-Sage? Solche Fragen stellt man sich unweigerlich und da sie –
soviel darf ich wohl verraten – nicht zweifelsfrei beantwortet werden, bleiben
sie einem auch nach dem Abspann im Kopf. Daß sowohl Tom als auch Ephraim immer aggressiver
und fiebriger agieren, je länger die Isolation andauert, trägt ebenso zur zunehmend
verstörenden Stimmung bei wie die schönen und unheilvollen (und OSCAR-nominierten) Bilder, in
denen Kameramann Jarin Blaschke ("Back Roads") die beengte und immer sturmumtostere Szenerie
einfängt, und die ausdrucksstarke, andeutungsweise dissonante und manchmal gar furchteinflößende Musik von Mark
Korven ("Cube"). Das ist nicht selten ziemlich anstrengend
anzuschauen, weil alles so rätselhaft und das Erzähltempo so überschaubar ist, es
eben keine richtige Handlung gibt und sich irgendwann eine gewisse
Monotonie einstellt (die ja wunderbar zur Thematik paßt); doch wenn man sich
darauf einläßt, ist es ein spannendes, faszinierendes, ästhetisch eindruckvolles und
insgesamt vielleicht sogar einzigartiges Erlebnis in der heutigen Kinolandschaft. Und
alleine für diesen Mut sollte man Robert Eggers und sein vielschichtiges Werk
mit einer Sichtung belohnen.
Fazit: "Der Leuchtturm" ist ein
kunstvolles, durchaus anstrengendes und langsam erzähltes, aber zugleich
ungemein faszinierendes Schwarzweiß-Psychodrama mit Horrorelementen, das
aufgeschlossene Zuschauer schnell in seinen Bann schlägt.
Bei Gefallen an meinem Blog würde ich mich über die Unterstützung von "Der Kinogänger" mittels etwaiger Bestellungen über einen der amazon.de-Links in den Rezensionen oder über das amazon.de-Suchfeld in der rechten Spalte freuen, für die ich eine kleine Provision erhalte.
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Wertung: 8 Punkte.
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