Originaltitel: The Manxman
Regie: Alfred Hitchcock, Drehbuch: Eliot Stannard
Darsteller: Carl Brisson, Anny Ondra, Malcolm Keen, Randle
Ayrton
Fischer Pete (Carl Brisson, "Der Weltmeister") und
Anwalt Philip (Malcolm Keen, "Der Mieter") sind trotz ihrer
unterschiedlichen Herkunft seit ihrer Kindheit beste Freunde, Brüder beinahe –
bis sie sich beide in das gleiche schöne Mädchen verlieben. Die Auserwählte heißt
Kate (Anny Ondra, "Erpressung"), ist Wirtin im Gasthaus ihres Vaters
Caesar (Randle Ayrton, "Zeichen im Sturm") und scheint Petes Gefühle
zu erwidern, der sich allerdings auch wesentlich offensiver um sie bemüht,
während der zurückhaltende Philip Kate eher im Geheimen anschmachtet. Als Pete
Caesar um die Hand seiner Tochter bittet, wird er von ihm aber kurzerhand
rausgeworfen, denn Caesar denkt nicht daran, Kate einem armen Fischer zu
überlassen. Pete entscheidet daraufhin, sein Glück in Afrika zu suchen und erst
als wohlhabender Mann zurückzukehren – Kate verspricht ihm auf sein Drängen
hin, auf seine Rückkehr zu warten und Philip (von dessen Gefühlen Pete nichts ahnt) soll
solange auf sie aufpassen. Einige Zeit später erreicht Philip und Kate eine schlimme Nachricht aus Afrika
…
Kritik:
Der britische Thriller-Spezialist Sir Alfred Hitchcock hat
von den 1940er Jahren bis hinein in die 1970er Jahre in Hollywood so
viele Meisterwerke gedreht, daß viele gar nicht wissen, daß er bereits
vor seinen berühmtesten Werken wie "Psycho", "Der unsichtbare
Dritte", "Die Vögel" oder "Das Fenster zum Hof" ungemein aktiv war. Bevor er
zu Beginn des Zweiten Weltkrieges nach Hollywood ging, drehte Hitchcock in
seiner britischen Heimat rund zwei Dutzend Filme, davon waren mehr als die
Hälfte sogar noch Stummfilme. Zugegebenermaßen gibt es Gründe dafür, daß die
weit weniger bekannt sind als seine Hollywood-Arbeiten; nicht der
unwichtigste davon ist, daß die meisten davon nicht außergewöhnlich gut sind.
Das heißt aber noch lange nicht, daß sie deshalb schlecht wären,
tatsächlich gibt es aus dieser Phase sehr sehenswerte Filme – und selbst
die schwächeren sind interessant, zumal man an ihnen schön Hitchcocks
Evolution vom Auftragsarbeiter zu einem wahren Künstler nachvollziehen kann. Dadurch, daß
er seine Projekte zu dieser Zeit noch nicht nach Belieben selbst auswählen
konnte, kommt man als Zuschauer außerdem in den Genuß, ihn auch einmal mit
ungewohnteren Genres hantieren zu sehen wie in dem Abenteuerfilm
"Riff-Piraten" (1939) oder dem hier besprochenen Liebes-Melodram
"Der Mann von der Insel Man". Hitchcock selbst äußerte sich später
eher abwertend über die Adaption eines Romans von Sir Hall Caine, die sein
letzter Stummfilm sein sollte, und in der Tat hat sie ihre Schwächen (die dem
Vernehmen nach jedoch hauptsächlich in der wenig bemerkenswerten literarischen
Vorlage begründet liegen sollen) – der typische Hitchcock-Touch ist jedoch
immer wieder phasenweise erkennbar und so gelingt es ihm, aus einer zunächst in
der Tat denkbar banal und unoriginell erscheinenden Prämisse erstaunlich viel
herauszuholen.
Dabei verschwendet Hitch zunächst keine Zeit und
etabliert gleich in den ersten fünf Minuten erstaunlich plakativ und mit
auffälligem Overacting seiner Darsteller die Handlung: Zwei höchst
unterschiedliche Männer sind beste Freunde, bis sie sich in die gleiche Frau
verlieben – klar, wie das weitergehen und enden wird. Oder doch nicht? Nein,
die Handlung verläuft doch etwas anders, als man das anfänglich vermuten würde.
Bei einem anderen jungen Regisseur würde man den erschreckenden Mangel an
Subtilität zu Beginn der Unerfahrenheit zuschreiben, doch da wir nun einmal
von Alfred Hitchcock reden, dürfte die Wahrscheinlichkeit höher sein, daß es
sich dabei um eine ganz bewußt und ziemlich raffiniert gelegte falsche Fährte
handelt. Dafür spricht auch, daß der Theatermime Malcolm Keen (spielte auch in
Hitchcocks "Der Bergadler" und "Der Mieter") als Philip und der
tschechisch-deutsche Stummfilmstar Anny Ondra ("Der
Unwiderstehliche"; später verheiratet mit Max Schmeling) im Anschluß an
diesen plakativen Auftakt wesentlich authentischer agieren – zwar aus
heutiger Sicht natürlich immer noch etwas übertrieben, aber nicht mehr als es
bei anderen Stummfilmen der Fall ist. Lediglich der Däne Carl Brisson (der
zuvor bereits in Hitchcocks "Der Weltmeister" die Hauptrolle gespielt
hatte) scheint es einfach nicht viel besser zu können, seine Schauspielerei wirkt jedenfalls
bis zum Schluß künstlich und aufgesetzt – wobei seine Rolle als dauergrinsender
Pete aber auch nicht allzu dankbar ist. Ondra gilt übrigens
als Prototyp der sprichwörtlichen "Hitchcock-Blondine", die
anschließend in so vielen seiner Werke in tragenden Rollen agieren sollte (dann
verkörpert von u.a. Grace Kelly, Doris Day, Ingrid Bergman und Tippi Hedren).
Ein wenig problematisch ist, daß sich "Der Mann von der
Insel Man" – Kuriosum am Rande: Hitchcock begann die Dreharbeiten vor Ort
auf der Isle of Man, siedelte sie dann jedoch aufs Festland nach Cornwall über,
weil ihn der auf der Insel lebende Romanautor Caine mit häufigen
Verbesserungsvorschlägen nervte – ganz auf das zentrale
Dreiecks-Liebesdrama konzentriert. Es gibt keine nennenswerte Nebenhandlung,
die für etwas Abwechslung sorgen würde – Petes Fischerei und sein Kampf für
bessere Arbeitsbedingungen wird nach dem Prolog kaum noch erwähnt, Philips
Juristerei spielt immerhin in der zweiten Hälfte eine etwas größere Rolle –, und
mit Kates grummeligem Vater Caesar auch nur eine bedeutende Nebenrolle. Einmal abgesehen
von der thematischen Monotonie wirkt es auf diese Weise nicht, als wären die
Figuren wirklich Teil der Gesellschaft, womit alles etwas arg theaterhaft
rüberkommt. Davon unbelangt scheint aber immer wieder Hitchcocks
inszenatorisches Genie durch, speziell in einigen faszinierenden
Bildkompositionen, die etwas statisch wirken mögen, aber dafür umso
kunstvoller angerichtet sind (etwa kurz vor Ende eine die buchstäbliche Sprachlosigkeit der Beteiligten illustrierende Szene in Petes Haus direkt nach der
Gerichtssequenz). Gleichzeitig funktionieren einige seiner Einfälle aber nicht
so richtig, wenn er beispielsweise ein schockierendes Geheimnis zunächst nur
den Protagonisten enthüllt, das Publikum aber ganz gezielt (mangels
Zwischentitel) für mehrere Minuten im Dunklen darüber läßt –
dumm nur, daß das Geheimnis so offensichtlich ist, daß es kaum jemanden
überraschen dürfte. Wobei fairerweise angemerkt werden sollte, daß besagtes
schockierendes Geheimnis vor 90 Jahren weit schockierender und mutmaßlich schwerer zu erahnen war als heutzutage … Nicht unerwähnt bleiben
soll auch, daß man der Geschichte schon etwas die damaligen Moralvorstellungen anmerkt; so
wirkt es beispielsweise oft, als wäre Kate die Unruhestifterin, die an allem
Schuld ist, während die Männer ehrenhaft handeln. Bei genauerer Betrachtung
wird aber klar, daß diese Dreiecksgeschichte viel einfacher und besser verlaufen
würde, würde speziell Philip Kates Mut zur Ehrlichkeit folgen – zumal sein
Bestehen auf ein vermeintlich ehrenwertes, selbstloses Verhalten für ihn eindeutig leichter ist
als für sie (er ist einfach nur einsam, sie muß hingegen mit einem Mann
zusammenleben, den sie nicht liebt). Hitchcock verzichtet in seinem Film
auf eine Bewertung der Verhaltensweisen, was ich als Indiz dafür sehe, daß ihm
die Ambivalenz speziell von Philips Verhalten sehr wohl bewußt war, er jedoch das
Urteil darüber dem Publikum überlassen wollte. Letztlich ein guter Schachzug,
da die fehlende klare Einordnung der Geschehnisse und der wohltuende Verzicht
auf eine Schwarzweißzeichnung oder auch nur einen "Bösen" in der
Geschichte dafür sorgen, daß man als Zuschauer wesentlich intensiver über
"falsch" und "richtig" und alles dazwischen nachdenkt oder
auch darüber, wie man sich selbst in einer ähnlichen Situation verhalten hätte.
Fazit: "Der Mann von der Insel Man" ist ein
inhaltlich etwas zu limitiert gestaltetes Stummfilm-Liebesdrama, das jedoch mit
einigen überraschenden Volten erfreut und phasenweise bereits Hitchcocks
inszenatorisches Genie erkennen läßt.
Wertung: 7 Punkte.
P.S.: Wikipedia und einige andere Internetquellen geben
erheblich längere Laufzeiten an (z.B. 100 Minuten bei einer britischen restaurierten
Fassung), das scheint aber nur auf ein deutlich geringeres Abspieltempo
zurückzuführen zu sein. Die hier besprochene 80-minütige deutsche Fassung gilt
jedenfalls als ungeschnitten.
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