Empfohlener Beitrag

In eigener Sache: Mein neues Filmbuch

Einigen Lesern ist bestimmt aufgefallen, daß ich in der rechten Spalte meines Blogs seit längerer Zeit das Cover meines neuen Buchs präsen...

Dienstag, 15. Januar 2019

BOHEMIAN RHAPSODY (2018)

Regie: Bryan Singer, Drehbuch: Anthony McCarten, Musik: John Ottman
Darsteller: Rami Malek, Lucy Boynton, Gwilym Lee, Ben Hardy, Joseph Mazzello, Allen Leech, Tom Hollander, Aaron McCusker, Aidan Gillen, Mike Myers, Dermot Murphy, Meneka Das, Ace Bhatti, Priya Blackburn, Dickie Beau, John Ottman, Adam Lambert
Bohemian Rhapsody (2018) on IMDb Rotten Tomatoes: 60% (6,1); weltweites Einspielergebnis: $910,8 Mio.
FSK: 6, Dauer: 135 Minuten.

London, 1970: Der auf Sansibar geborene und in Indien aufgewachsene Farrokh Bulsara (Rami Malek, TV-Serie "Mr. Robot") studiert Design, arbeitet nebenbei am Flughafen und hat eine große Leidenschaft für Musik. Besonders hat es ihm die Studentenband Smile angetan, der er eines Abends nach ihrem Auftritt in einem Pub ein paar von ihm geschriebene Songs anbietet. Zufällig hat gerade deren Leadsinger die Gruppe verlassen und als Farrokh, der sich später in Freddie Mercury umbenennt, den verbleibenden Bandmitgliedern Brian May (Gwilym Lee, TV-Serie "Inspector Barnaby"), Roger Taylor (Ben Hardy, "X-Men: Apocalypse") und John Deacon (Joseph Mazzello, "Jurassic Park") seine Gesangsfähigkeiten vorführt, wird er gleich engagiert. Sie benennen sich in Queen um, nehmen auf eigene Kosten ihr gleichnamiges Debütalbum auf und werden von dem etablierten Musikmanager John Reid (Aidan Gillen, "Am Sonntag bist du tot") bemerkt, der sie unter Vertrag nimmt. So nimmt eine unglaubliche Erfolgsgeschichte ihren Lauf, die jedoch durch die Allüren wie auch die privaten Eskapaden von Freddie immer wieder ins Stolpern gerät, der rauschende Partys mit viel Alkohol und Drogen gibt und seine heimliche Homosexualität mit zahllosen namenlosen Liebhabern auslebt …

Kritik:
Die Produktionsgeschichte von "Bohemian Rhapsody" kann man durchaus schwierig nennen: Zunächst stieg Hauptdarsteller Sacha Baron Cohen ("Borat") wegen künstlerischer Differenzen mit den produzierenden Queen-Mitgliedern Brian May und Roger Taylor (die wohl vor allem eine familienfreundlichere Ausrichtung wollten, während Cohen möglichst nah an der Realität bleiben wollte mit einem Schwerpunkt auf Mercurys AIDS-Erkrankung) aus, um durch Ben Whishaw ersetzt zu werden. Der verließ das Projekt schnell wieder, ebenso wie der geplante Regisseur Dexter Fletcher ("Eddie the Eagle"). Endlich begannen die Dreharbeiten mit dem noch relativ unbekannten Rami Malek als Freddie Mercury und unter der Leitung des mehrfachen "X-Men"-Regisseurs Bryan Singer. Der wiederum zog sich aber kurz vor Ende des Drehs angeblich aus privaten Gründen zurück (in Wirklichkeit wurde er wohl gefeuert, weil er mehrere Tage in Folge nicht am Set erschien) und wurde ersetzt durch: Dexter Fletcher (offiziell wird aus rechtlichen Gründen weiter Singer als Regisseur geführt)! Man sollte meinen, daß bei dieser Vorgeschichte wenig Aussichten auf einen qualitativen und/oder kommerziellen Erfolg bestünden – doch als "Bohemian Rhapsody" fertig wurde, eroberte der Film zwar weniger die Herzen der Kritiker, aber dafür umso überzeugender die der Zuschauer, die "Bohemian Rhapsody" unerwartet zu einem weltweiten Megahit machten. Selbst ohne Schwierigkeiten hinter den Kulissen erschien ein solcher Erfolgslauf ziemlich unrealistisch; daß ein Film über Queen in Europa gut laufen würde, okay – aber in den USA und sogar in Asien, wo er beispielsweise in Südkorea auf sagenhafte zehn Millionen Kinobesucher kam? Bedauerlicherweise muß ich mich jedoch eher auf die Seite der professionellen Kritiker schlagen und konstatieren, daß "Bohemian Rhapsody" zwar fraglos unterhaltsam ist, aber doch einiges vermissen läßt.

Normalerweise halte ich es nicht für fair, einem Film vorzuwerfen, was er nicht ist oder zeigt. In diesem Fall muß ich aber eine Ausnahme machen, denn für einen langjährigen Queen-Fan ist es schon schmerzhaft zu sehen, wie viel "Bohemian Rhapsody" willentlich wegläßt. Zwar ist es angesichts des kommerziellen Erfolges (und auch überraschend vieler Auszeichnungen bis hin zum Golden Globe für das beste Drama) schwer, gegen die Entscheidung von May und Taylor zu argumentieren, aus Freddie Mercurys weißgott nicht einfachem Leben über weite Strecken ein Feelgood-Movie zu machen – doch ich persönlich hätte lieber Sacha Baron Cohens Version gesehen. Oder idealerweise wären gleich beide realisiert worden, dann hätte sich jeder Fan und Gelegenheitszuschauer den Film aussuchen können, den er will … Realistisch ist das natürlich nicht und so müssen wir uns eben mit dem begnügen, was uns vorgesetzt wird. Und das ist eine Geschichte, die ganz bewußt den größten Teil ihrer gut zweistündigen Laufzeit lang an der Oberfläche bleibt und nur selten kurze Abstecher in etwas tiefere Gefilde wagt. Angesichts der Mitwirkung von May und Taylor hinter den Kulissen ist es erstaunlich, daß selbst diese beiden sowie Bassist John Deacon im Film viel zu kurz kommen. Sie sorgen mit flotten Sprüchen für gute Laune und hauen scheinbar aus dem Nichts und ohne jede Anstrengung ihre unzähligen Hits raus, bleiben dem Publikum insgesamt jedoch ziemlich fremd. Das liegt auch daran, daß bandinterne Konflikte zwar nicht komplett ausgespart werden, aber unrealistisch kurz und glatt abgehandelt werden. Für meinen Geschmack ist der musikalische Fokus generell zu stark auf einige Songs und ihre Entstehung eingeengt, die zudem ebenfalls unwahrscheinlich glatt wirkt – wenn mich auch freut, daß der Schwerpunkt auf den nicht ganz so berühmten früheren Songs liegt (schon deshalb, weil der Film im Jahr 1985 endet, also vor den Alben "A Kind of Magic", "The Miracle" und "A Kind of Magic" sowie dem nach Mercurys Tod veröffentlichten "Made in Heaven"). Im besten Fall destilliert der Film die Essenz der gemeinsamen Song-Entwicklung, was speziell beim wenig überraschend besonders ausführlich behandelten Titelsong ungemein unterhaltsam gelingt. Trotzdem bleibt der Eindruck, daß auch in diesem Bereich lediglich die Oberfläche angekratzt wird, zumal die Songauswahl wenig Überraschendes bietet (immerhin dient Roger Taylors "I'm in Love with My Car" als witziger Running Gag).

Mehr Mühe als bei den Nebenfiguren geben sich der Drehbuch-Autor Anthony McCarten ("Die dunkelste Stunde") und die beiden Regisseure immerhin bei Freddie Mercury selbst. Zwar wäre auch hier problemlos mehr möglich gewesen, da der Film endet, kurz nachdem Mercury die AIDS-Diagnose erhält – doch bis dahin bekommt Darsteller Rami Malek reichlich Gelegenheit, Mercurys selbstbewußte Exzentrik wie auch seine Verletzlichkeit, die sexuelle Identitätssuche und seine enorme Sehnsucht nach Liebe auszuspielen – und natürlich zu singen. Wobei das nicht ganz richtig ist, denn im Gegensatz zu anderen Musiker-Biopics, bei denen die Darsteller auch singen (Joaquin Phoenix als Johnny Cash in "Walk the Line", Kevin Spacey als Bobby Darin in "Beyond the Sea", Val Kilmer als Jim Morrison in "The Doors"), entschied man hier, Malek zum reinen Imitator zu machen – bei Mercurys unverwechselbarer Stimme sicher die richtige Entscheidung. Wenn er schon nicht selbst singen darf (oder muß), macht das Malek aber dadurch wett, daß er sich mit großer Kunstfertigkeit Freddie Mercurys Mimik und Gestik und vor allem seine überlebensgroße Bühnen-Persönlichkeit angeeignet hat, wofür er u.a. mit einem Golden Globe und dem OSCAR belohnt wurde (insgesamt gab es für den Film vier). Ein Problem gibt es allerdings: Rami Malek sieht Freddie Mercury nicht wirklich ähnlich. Er ist zu klein und zu schmal gebaut und trotz des künstlichen Oberbisses glaubt man eher, den Rolling Stones-Frontmann Mick Jagger zu sehen als Freddie Mercury. Sobald er sich den markanten Schnurrbart zulegt, wird es besser, aber die Immersion wird durch die mangelnde Ähnlichkeit durchaus gestört – zumindest außerhalb der exaltierten Bühnenauftritte. Und Freddie Mercurys Privatleben spielt eine große Rolle: Wir bekommen die schwierigen Anfänge des Studenten zu Gesicht, dessen musikalische Ambitionen vor allem von seinem konservativen Vater nur wenig wertgeschätzt werden, primär wird aber Mercurys zwischenzeitliche Auszeit von Queen Anfang 1985 während der Arbeit an seinem ersten Solo-Album in München näher beleuchtet, bei der er komplett abstürzt. Daß die Schuld an dieser Episode quasi komplett Mercurys manipulativem Assistenten Paul Prenter (Allen Leech, "The Imitation Game") in die Schuhe geschoben wird, wirkt dramaturgisch einigermaßen billig – aber wie genau es wirklich war, wissen eben nur die Beteiligten.

Mit dieser überraschend langen Episode geht ein weiteres Problem von "Bohemian Rhapsody" einher: Der Film kann sich nicht wirklich entscheiden, ob er nun ein Feelgood-Movie oder ein in die Tiefe gehendes Charakterdrama sein will. Stattdessen versucht er, beides zu kombinieren, was wenig überraschend nur bedingt funktioniert, da speziell der Drama-Teil nicht tief genug in Mercurys Leben eindringt. Dennoch gibt es auch in diesem Bereich einige sehr überzeugende Momente, vor allem Mercurys Szenen mit seiner Ehefrau Mary (Lucy Boynton, "Sing Street") wissen emotional zu berühren zu den inszenatorischen Highlights zählt etwa die überfällige Aussprache zwischen Freddie und Mary, während im Hintergrund im TV eine Aufzeichnung des legendären Rio-Konzertes läuft, bei der gerade "Love of My Life" zu hören ist. Auch die enge, trotz Streitigkeiten beinahe familiäre Bindung innerhalb der Band ist schön umgesetzt, wiewohl ich nicht weiß, inwiefern sie möglicherweise geschönt wurde. Daß die übrigen Bandmitglieder insgesamt nur wenig zu tun haben, ist übrigens schon deshalb schade, weil man sich bei ihrer Besetzung erkennbar angestrengt hat. Joseph Mazzello, Ben Hardy und Gwilym Lee spielen ihre Vorbilder überzeugend, wobei es vor allem bei Lee erstaunlich ist, wie sehr er dem echten Brian May ähnelt – zugegeben, die unverwechselbare Frisur hilft, aber auch davon abgesehen ist die Ähnlichkeit verblüffend. Ansonsten hinterlassen primär Lucy Boynton und Tom Hollander ("Mission: Impossible – Rogue Nation") Eindruck – Boynton sorgt in ihrem Zusammenspiel mit Malek für die nötige Emotionalität, während Hollander als pragmatischer Anwalt (später auch Manager) Jim "Miami" Beach etliche Lacher auf seiner Seite hat. Das gilt übrigens auch für die kleine, aber witzige Rolle des kaum wiederzuerkennenden Mike Myers ("Austin Powers") als Produzent Ray Foster. So viele Kritikpunkte ich an "Bohemian Rhapsody" habe (und dabei bin ich noch gar nicht auf den konventionellen bis einfallslosen dramaturgischen Aufbau ohne einen echten Spannungsbogen eingegangen), muß ich eines jedoch neidlos anerkennt: Die finalen 20 Minuten mit dem Live Aid-Konzert im Londoner Wembley-Stadion als Höhepunkt sind absolut grandios in Szene gesetzt und vermitteln dem Publikum endlich, welch großartige Band Queen und welch einzigartiger Entertainer Freddie Mercury war – wer in diesem Finale furioso keine Gänsehaut bekommt und am Ende keine Träne verdrücken muß, der muß extrem hartgesotten sein ...

Fazit: "Bohemian Rhapsody" ist ein Musiker-Biopic, das sich selten traut, unter die Oberfläche zu schauen und sich nicht recht zwischen Feelgood-Movie und Charakterdrama entscheiden kann – ein spielfreudiges Ensemble, die tolle Musik und ein Gänsehaut-Finale sorgen trotzdem für gute Unterhaltung.

Wertung: Gut 7 Punkte.


Bei Gefallen an meinem Blog würde ich mich über die Unterstützung von "Der Kinogänger" mittels etwaiger Bestellungen über einen der amazon.de-Links in den Rezensionen oder über das amazon.de-Suchfeld in der rechten Spalte freuen, für die ich eine kleine Provision erhalte.
 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen