Originaltitel: Calvary
Regie und Drehbuch: John Michael McDonagh, Musik: Patrick
Cassidy
Darsteller: Brendan Gleeson, Kelly Reilly, Chris O'Dowd,
Dylan Moran, David Wilmot, Isaach De Bankolé, Aiden Gillen, Marie Josée Croze,
M. Emmet Walsh, Domhnall Gleeson, Micheál Óg Lane, Pat Shortt, Gary Lydon, Orla O'Rourke,
Owen Sharpe, Killian Scott
FSK: 16, Dauer: 105 Minuten.
Father James (Brendan Gleeson, "Edge of Tomorrow") hat schon viel
Erschreckendes im Beichtstuhl zu Hören bekommen, doch das toppt alles: Ein Mann
"beichtet", daß er als Kind von einem Priester brutal sexuell
mißbraucht wurde. Leider sei dieser Mann inzwischen tot, außerdem erscheine es
ihm wenig sinnvoll, sich an einem bösen Menschen zu rächen. Für viel mehr
Aufsehen würde es doch sorgen, wenn er einen guten Priester töten würde. So einen
wie Father James. Um sich von seiner Gemeinde zu verabschieden, läßt er ihm
sieben Tage Zeit. Der gutmütige Priester ist sich nicht sicher, wie ernst
gemeint dieses "Beichte" ist, und der von ihm konsultierte Bischof
meint, daß in diesem Fall die Schweigepflicht nicht gelte. Dennoch und obwohl
er glaubt, die Identität des Mannes zu kennen, bewahrt der Priester
Stillschweigen und versucht in den kommenden Tagen, den Mitgliedern seiner
Gemeinde bei ihren Problemen zu helfen. Eine wahre Sisyphusarbeit, wie er
schnell erkennen muß. Außerdem kommt seine Tochter Fiona (Kelly Reilly,
"Flight") zu Besuch, die erst kürzlich einen Selbstmordversuch unternommen
hat. Auch hier gibt es für Father James also viel aufzuarbeiten …
Kritik:
Ehrlich gesagt war ich nach diesem Film erst einmal ratlos.
Er hat mich tief berührt, fasziniert und zum Nachdenken gebracht, aber einer
Sache war und bin ich mir nicht sicher: Was will Regisseur und Autor McDonagh
uns mit dieser Geschichte sagen? Also habe ich einige andere Rezensionen durchgesehen
und mußte feststellen: Offenbar bietet "Am Sonntag bist du tot" jede
Menge Interpretationsmöglichkeiten. Manche sehen darin primär eine
Charakterstudie, einige eine Abrechnung mit der katholischen Kirche, etliche
generell eine Gesellschaftsstudie in Krisenzeiten, wieder andere eine
subversive schwarze Komödie. Alle haben irgendwo Recht, dennoch trifft keine
dieser Beschreibungen mein Empfinden so ganz. Für mich ist "Am Sonntag
bist du tot" vor allem eines: unglaublich deprimierend. Und das Schlimmste
ist: Ich habe keine Ahnung, ob ich damit einer der wenigen bin, die den Film
wirklich verstanden haben oder einer von den vermutlich vielen, die ihn nicht
verstanden haben. Natürlich immer vorausgesetzt, daß es überhaupt etwas zu
verstehen gibt und McDonagh nicht bewußt eine für Interpretationen offene,
düstere Geschichte erzählt.
Passend zu Father James' Profession habe ich mich im
Storyverlauf immer wieder an die biblische Geschichte des von Gott hart
geprüften Hiob erinnert gefühlt (die übrigens bereits die Vorlage für den
ähnlich kryptischen Coen Brothers-Film "A Serious Man" war). Denn der
brave Protagonist dieser Erzählung wird weißgott nach Kräften geprüft – nicht
nur sein Glauben an Gott und seine Berufung, sondern generell sein Glauben an die
Menschheit. Im Unterschied zu Hiob ist es hier aber gar nicht so sehr Father
James selbst, der viel Leid erfahren muß; das geschieht zwar, noch schlimmer
scheint ihn aber das Leid der Schäfchen in seiner Gemeinde zu treffen – und die
Tatsache, daß viele davon dieses Leid gar nicht als solches erkennen beziehungsweise sie keinerlei Ehrgeiz zeigen, ein besseres Leben zu führen. Nein,
Father James ist wahrlich nicht zu beneiden. In seiner kleinen Gemeinde wimmelt
es vor Ehebrechern, Schlägern, arroganten Zynikern und
Suizidgefährdeten. Und so sehr Father James versucht, seinen Schützlingen zu
helfen: Es gelingt ihm nur in den seltensten Fällen – weil die meisten sich gar
nicht helfen lassen wollen. Weil viele die Autorität der Kirche nach den
Skandalen, die die legendäre Frömmigkeit des erzkatholischen Irland in der jüngeren Vergangenheit in ihren Grundfesten erschüttert hat (ein Thema, das auch Stephen Frears' wunderbare Tragikomödie "Philomena" behandelt), anzweifeln oder rundheraus
verneinen. So wird selbst der eigentlich von allen ob seiner Redlichkeit
respektierte Father James mehr als nur argwöhnisch betrachtet, wenn er sich freundlich
mit einem Kind unterhält, das er zufällig auf der Straße trifft.
Der gute Priester läßt sich von all dem bewundernswerterweise
nicht unterkriegen, doch als Zuschauer (zumindest als empathisch veranlagter
Zuschauer) kommt man kaum umhin, das Näherrücken seines vermutlichen Todes regelrecht
herbeizusehnen. Weil es einem wie eine Erlösung dieses gutherzigen armen
Mannes erscheint, dessen Freundlichkeit und Engagement nicht mehr in diese
rauhe, neue Welt der Krisen und Skandale zu passen scheint. Nur wenige
zärtliche Momente sorgen für ein wenig Trost, etwa James' Interaktion mit
seiner erwachsenen, aber ebenfalls problembeladenen Tochter Fiona (aus der
Zeit, bevor er Priester wurde) oder eine kurze Episode mit einer französischen
Touristin (Marie-Josée Croze, "München"), deren Mann bei einem Unfall verstarb und der
Father James tatsächlich etwas Halt und Trost vermitteln kann – und sie
erwidert diesen Dienst. Es sind wenige, dafür aber bitter notwendige Szenen
zwischen all dem Trübsinn und der alltäglichen Grausamkeit und
Selbstbezogenheit einer Welt, die aus den Fugen geraten scheint.
Ich muß an dieser Stelle einfach zwei beispielhafte Szenen
beschreiben, die im strengen Sinn Spoiler darstellen, aber meines Erachtens
nicht zu viel über die eigentliche Handlung des Films verraten. Vorsichtshalber
dennoch die Warnung: Wer keine Details wissen will, sollte diesen Abschnitt
überspringen! SPOILER ANFANG: Sehr bezeichnend ist zunächst eine Sequenz, in
der die Kirche abbrennt, als abends fast alle im örtlichen Pub versammelt sind
– die Menschen eilen sofort dorthin, doch nicht etwa, um zu helfen, sondern
lediglich um zu gaffen, als handele es sich um ein spektakuläres Feuerwerk.
Besonders schlimm fand ich die zweite Begebenheit, von der ich vermute, daß sie
viele gar nicht bewußt wahrnehmen werden. Father James findet nämlich eines
Abends seinen geliebten Hund Bruno mit durchschnittener Kehle nahe seines
Hauses. Als er am Ende seinen (möglichen) Mörder trifft, fragt er diesen
verbittert, warum er auch noch seinen Hund töten mußte. Der reagiert empört: Er
liebe Hunde und würde ihnen niemals so etwas antun. Aus diesem kurzen Dialog
resultieren zwei bittere Schlüsse: Erstens empört den Mann die Vorstellung, er
könne einem Hund etwas zuleide tun – aber offensichtlich hat er keine Probleme
damit, den Mord an einem unschuldigen Menschen zu planen. Das ist schlimm
genug. Noch schlimmer, wenngleich im Film wie so vieles nicht eigens angesprochen: Wenn der
potentielle Mörder, der dafür wenigstens noch eine ansatzweise erklärbare
Motivation gehabt hätte, den Hund nicht getötet hat (und er hat eigentlich keinen Grund zu
lügen), dann bedeutet das zwangsläufig, daß es ein anderes Gemeindemitglied oder irgendein Fremder
war; jedenfalls jemand, der keinerlei Grund für diese Tat hatte, ergo einfach nur aus Lust
am Töten gehandelt hat oder vielleicht auch mit dem Ziel, Father James
wehzutun. SPOILER ENDE Und diese traurige Erkenntnis (im Verbund mit der
Tatsache, daß Ähnliches in der Realität leider ebenfalls immer wieder vorkommt)
ist wiederum der Grund für mich, warum ich "Am Sonntag bist du tot"
nie im Leben als Komödie bezeichnen würde, noch nicht einmal als eine extrem
schwarzhumorige. Ja, es gibt etliche bitter-amüsante Szenen und Dialoge, doch
für mich ist McDonaghs Film im Kern eine emotional niederschmetternde Tragödie.
Dafür, daß die Geschichte trotz ihrer Schwermütigkeit
funktioniert (wenn man ignoriert, daß man nach dem Abspann möglicherweise Suizidgedanken hegt), sorgt vor allem Hauptdarsteller Brendan
Gleeson. Der irische Hüne zählt seit "Braveheart" zu meinen
Lieblings-Schauspielern, in den McDonagh-Brüdern hat er zwei Filmemacher gefunden,
die dem in Hollywood meist in Nebenrollen verwendeten Akteur Glanzrollen wie
die in "Brügge sehen … und sterben?" oder "The Guard" auf
den Leib schreiben. In "Am Sonntag bist du tot" kann er sogar noch
mehr glänzen, da Father James so eindeutig im Zentrum des Geschehens steht und
die zahlreichen ausführlichen Nahaufnahmen seines Gesichts ihm reichlich
Gelegenheit geben, seine Wut, seinen Schmerz und seine Verzweiflung über die
geballte Ignoranz seiner Gemeindemitglieder wie auch seines von ihm als bloßen
Buchhalter betrachteten "Kollegen" Father Leary (David Wilmot,
"The Guard") zum Ausdruck zu bringen; aber eben auch immer wieder
kurze Momente der Freude, der Hoffnung, sogar des Friedens. Auch seine Interaktion mit
den nicht übermäßig bekannten, aber sorgfältig ausgewählten Nebendarstellern (Chris O'Dowd aus "Brautalarm", Isaach De Bankolé aus "Ghost Dog", Aiden Gillen aus "Game of Thrones", M. Emmet Walsh aus "Blade Runner", Dylan Moran aus der britischen Comedy-Serie "Black Books", Brendans Sohn Domhnall Gleeson aus "Alles eine Frage der Zeit")
sorgt wiederholt für schauspielerische Highlights, unterstützt
selbstverständlich durch die intelligenten, oft tiefschürfenden, manchmal
sogar brillanten Dialoge von John Michael McDonagh. Obwohl der Film also
definitiv sehr gut gemacht und auch strukturell gekonnt aufgebaut ist (wenngleich
Father James' Abklappern der einzelnen Gemeindemitglieder mitunter doch etwas
Anekdotenhaftes an sich hat), kann ich ihn partout nicht richtig einordnen. Wie geschrieben:
Ich war nach dem Abspann ziemlich ratlos – und ich bin es eine Woche später noch immer. Auch weiß ich nicht, wem genau ich diese cineastische Erzählung anempfehlen sollte (am
ehesten überzeugten Arthouse-Besuchern mit ausgeprägtem Hang zu inhaltlich
anspruchsvollen, zum Nachdenken anregenden Werken), doch eines weiß ich genau: "Am
Sonntag bist du tot" bleibt lange im Gedächtnis und ist die Antithese zu einem Wohlfühl-Film …
Fazit: "Am Sonntag bist du tot" ist die
bittere, von rabenschwarzem Humor durchwobene Geschichte eines (von
Brendan Gleeson ungemein sensibel und authentisch verkörperten) wirklich guten
Priesters und vor allem guten Menschen, der an der ganz alltäglichen Mißgunst,
Selbstbezogenheit und Achtlosigkeit seiner von der Wirtschaftskrise gebeutelten
Gemeinde zu zerbrechen droht.
Wertung: Keine Ahnung. Wirklich nicht. Vielleicht nach einer Zweitsichtung.
Der obigen Bewertung kann ich nur ganz und gar zustimmen:
AntwortenLöschenDer Film ließ mich ratlos und zutiefst verstört zurück. Ich hätte mir einen anderen hoffnungsvolleren Schluss gewünscht.
Man identifiziert sich ja meist mit der Hauptfigur und deshalb empfand ich den Schluss als Vergewaltigung der eigenen Psyche:
Zutiefst deprimierend, hoffnungslos.
Schön zu sehen, daß es nicht nur mir so ging - wobei der Schluß ja absolut konsequent ist. Insofern hätte ich mich eher schon vorher über ein paar mehr Hoffnungsschimmer gefreut, die dann vielleicht in einen nicht ganz so niederschmetternden Schluß gemündet wären. Aber dann wäre es vermutlich kein so einzigartiges Filmerlebnis geworden ...
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