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In eigener Sache: Mein neues Filmbuch

Einigen Lesern ist bestimmt aufgefallen, daß ich in der rechten Spalte meines Blogs seit längerer Zeit das Cover meines neuen Buchs präsen...

Freitag, 5. Juni 2015

Klassiker-Rezension: EIN BESONDERER TAG (1977)

Originaltitel: Una giornata particolare
Regie: Ettore Scola, Drehbuch: Ruggero Maccari und Ettore Scola, Musik: Armando Trovaioli
Darsteller: Sophia Loren, Marcello Mastroianni, Françoise Berd, John Vernon, Patrizia Basso, Alessandra Mussolini
 Una giornata particolare
(1977) on IMDb Rotten Tomatoes: 100% (8,3); FSK: 6, Dauer: 104 Minuten.
8. Mai 1938: Es ist ein besonderer Tag für Rom und ganz Italien, denn der bewunderte Führer des wiedererstarkten Deutschen Reichs, Adolf Hitler, ist auf Staatsbesuch beim König und bei seinem italienischen Pendant, dem faschistischen Premierminister Benito Mussolini. Zu Hitlers Ehren wird eine gigantische Militärparade abgehalten, an der so gut wie alle Römer aktiv oder als Zuschauer teilnehmen wollen. So kommt es, daß in einem Hochhaus nur drei Menschen zurückbleiben: Antonietta (Sophia Loren, "... und dennoch leben sie"), einfache Hausfrau und sechsfache Mutter, Gabriele (Marcello Mastroianni, "Diebe haben's schwer"), ein gebildeter, unverheirateter Hörfunkmoderator, um dessen kürzliche Entlassung sich wilde Gerüchte ranken und die tratschende Hausmeisterin (Françoise Berd). Obwohl Antonietta und Gabriele im gleichen Appartmentkomplex wohnen und sich gegenseitig in die Fenster sehen können, sind sie sich nie begegnet. Dank Antoniettas entflogenem Beo machen sie nun Bekanntschaft, und trotz ihres so unterschiedlichen Hintergrunds, der speziell bei Antonietta eine gewisse Skepsis bedingt, faszinieren sie sich gegenseitig. Gemeinsam verbringen sie den Tag, diskutieren über Politik und Liebe und enthüllen schließlich gar intime Geheimnisse, während im Hintergrund stets die patriotische Live-Übertragung von der Parade im Radio läuft …

Kritik:
Eine der vornehmsten Aufgaben gesellschaftlich interessierter Filmemacher ist es seit jeher, dunkle historische Epochen nicht dem Vergessen oder gar der Verklärung anheimfallen zu lassen. Die Italiener haben sich in dieser Hinsicht stets besonders aktiv gezeigt, denn die großen Regisseure des Italienischen Neorealismus – Federico Fellini, Vittorio de Sica, Roberto Rossellini – haben nach dem Zweiten Weltkrieg beharrlich ihre Finger in die vom Faschismus verursachten Wunden der Gesellschaft gelegt; wenn auch unglücklicherweise nicht mit dem gewünschten Erfolg, wie nicht nur die politische Entwicklung Italiens in den letzten Jahrzehnten belegt. Ettore Scola wird allgemein nicht zu den Neorealisten gezählt, doch sein wunderbares Kammerspiel "Ein besonderer Tag" macht sich um die Erinnerung an die Widerlichkeiten des Faschismus selbst vor Kriegsbeginn sehr verdient.

Dabei stellt Hitlers Staatsbesuch selbstredend nur den Hintergrund dar für die sich zunächst behutsam, dann (dank des Tratsches der Hausmeisterin) immer dramatischer entwickelnden Beziehung zwischen Antonietta und Gabriele, die von zwei wahren Ikonen der italienischen Filmwelt äußerst intensiv und authentisch verkörpert werden (Mastroianni erhielt sogar eine OSCAR-Nominierung). Sie ist wie ihre gesamte Familie eine glühende Mussolini-Verehrerin, hat gar ein Sammelalbum mit Zeitungsausschnitten angelegt und aus Knöpfen ein Porträt des "Duce" gefertigt! Er sieht sich das interessiert an und kommentiert es mit leichtem Sarkasmus, doch das subversive Subjekt, als das ihn die Hausmeisterin diskreditiert, merkt man ihm nicht an. Tatsächlich ist viel Wahres dran an seiner Aussage, daß eigentlich nicht er gegen den Faschismus sei, sondern der Faschismus gegen ihn  denn er versuchte wirklich alles, um den Anschein eines braven Faschisten und Parteigängers vorzugaukeln. Daß das nicht seiner wahren Überzeugung entsprach, steht jedoch natürlich außer Frage. Und so kommt es, daß Gabriele gar nicht so viel tun und sagen muß, bis sich bereits erste Risse in Antoniettas Überzeugungen auftun, die verdeutlichen, daß auch sie – vermutlich unterbewußt – stets eher geschauspielert hat, um ihr als trost- und lieblos empfundenes Leben zu überspielen.

Der gesamte Film besteht aus den zwei zentralen Motiven Politik und Liebe, die gleichermaßen zu fesseln wissen. Obwohl er unverheiratet ist – und dafür übrigens eine Extra-Steuer zahlen muß! – und sie sechs Kinder hat, sind in Wirklichkeit doch beide einsam. Und obwohl sie ungebildet ist und sich von ihrem Mann herumkommandieren läßt, während er ein belesener Intellektueller ist, sind sie sich letztlich auch in ihren politischen Ansichten nicht so fern. Was die betrifft, kommt es übrigens wiederholt zu wunderbar schwarzhumorigen Dialogen, die die humanistische und zutiefst antifaschistische Intention Scolas überdeutlich hervorheben. So meint Antonietta beispielsweise, nachdem sie von der Hausmeisterin über Gabriele "informiert" wurde, ein gebildeter Mann wie er könne gar kein Antifaschist sein! Worauf die Hausmeisterin antwortet, das habe nichts zu sagen … sie kenne einen notorischen Dieb, der nun stramm patriotischer und damit vorbildhafter Zugführer in der Armee wäre. Bei solchen Szenen weiß man als Zuschauer mitunter nicht, ob man lachen oder weinen soll – schließlich waren solche Überzeugungen damals ja in der Tat und weißgott nicht nur in Italien weitverbreitet und haben den Zweiten Weltkrieg erst ermöglicht. Ettore Scola hält genau deshalb allen Italienern den Spiegel vor und erinnert sie an ihre Mitschuld und die ihrer Eltern und Großeltern. Und das tut er so geschickt und nachdrücklich, daß man meinen möchte, wer Filme wie "Ein besonderer Tag" gesehen hat, der könne doch gar nicht anders als Faschismus, Nationalismus und die ganzen anderen unschönen -ismen zu verurteilen. Daß das in der Realität nicht der Fall ist, zeigt ein Kuriosum am Rande des Films: Eine von Antoniettas Töchtern wird von Alessandra Mussolini gespielt, der damals 17-jährigen Enkelin des Duce (und Nichte Sophia Lorens) – ebenjener Alessandra Mussolini, die als Erwachsene ein hohes Tier in der neofaschistischen Partei MSI wurde und heute als Mitglied der Berlusconi-Partei Forza Italia im Europäischen Parlament sitzt …

Doch das ist ja nicht Ettore Scolas Schuld, er hat mit "Ein besonderer Tag" jedenfalls alles versucht und ganz nebenbei auch noch ein formal beeindruckendes Werk geschaffen, das trotz der engen Begrenzungen der an einem Tag in einem Gebäude spielenden Handlung ungeheuer cineastisch wirkt – was neben Scolas Inszenierung und dem intelligenten Drehbuch natürlich auch und ganz besonders dem wunderbaren Spiel der (wie so oft) bestens harmonierenden Sophia Loren und Marcello Mastroianni zu verdanken ist wobei man in Lorens Fall durchaus hervorheben darf, wie uneitel die sonst so glamouröse Diva die emotional verbrauchte und desillusionierte Hausfrau gibt.

Fazit: "Ein besonderer Tag" ist ein besonderer Film – ein intimes und melancholisches, aber zutiefst humanistisches, dabei sehr dialogstarkes und hervorragend gespieltes Porträt zweier grundverschiedener Menschen am Vorabend des Zweiten Weltkrieges, die im Laufe eines zusammen verbrachten Tages erkennen, daß sie doch mehr gemeinsam haben als gedacht.

Wertung: 9 Punkte.

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