Der japanische Regisseur und Drehbuch-Autor Nagisa Ôshima ist tot. Der in Kyoto geborene Ôshima galt als führender Vertreter der "japanischen Nouvelle Vague" (analog zu französischen Vertretern wie Jean-Luc Godard oder Claude Chabrol), die vor allem in den 1960er Jahren die von den Filmstudios dominierte, in ihren Augen viel zu konservative Kinolandschaft thematisch und stilistisch revolutionierte. Ôshima machte sich schnell mit mutigen, gesellschaftskritischen Werken wie den beiden Jugenddramen "Grausame Geschichten der Jugend" und "Das Grab der Sonne" (beide 1960) oder der Hinrichtungsfarce "Tod durch Erhängen" (1968) einen Namen. Schon früh in seiner Karriere war er in einen medialen Aufruhr verwickelt, als sein ebenfalls 1960 veröffentlichter und von Desillusion geprägter Politfilm "Nacht und Nebel über Japan" nur drei Tage nach dem Kinostart vom Studio wieder aus den Lichtspielhäusern genommen wurde, nachdem ein bekannter japanischer Politiker einem Mordanschlag zum Opfer gefallen war. Ôshima war mit dieser Reaktion, die für ihn politischer Zensur gleichkam, alles andere als einverstanden und schrieb und drehte weiterhin kontroverse Filme.
So ist es kaum verwunderlich, daß er erst durch einen handfesten Skandal außerhalb seiner Heimat richtig bekannt wurde. Das mit realem Geschlechtsverkehr aufwartende Erotikdrama "Im Reich der Sinne" sollte 1976 seine Premiere im Rahmen der Berlinale erleben, wurde jedoch kurz zuvor von der Staatsanwaltschaft als Pornographie beschlagnahmt! Dies resultierte in einer langwierigen juristischen Auseinandersetzung, die schließlich zwei Jahre später vom Bundesgerichtshof final entschieden wurde – im Sinne des Filmemachers. Kurioserweise kam "Im Reich der Sinne" dann mit dem Prädikat "besonders wertvoll" der Filmbewertungsstelle ungeschnitten in die deutschen Kinos. In den meisten anderen Ländern inklusive Japan hatte Ôshima weniger Glück, doch nicht zuletzt dank dieser weltweiten Kontroversen gilt das Werk über sexuelle Obsessionen bis hin zu blutigen Kastrationsszenen bis heute als Kultfilm.
Der zweite Film, mit dem Ôshima auch im Westen Aufmerksamkeit erregte, war 1983 das differenzierte Kriegsgefangenendrama "Furyo – Merry Christmas, Mr. Lawrence", in dem der Regisseur den Musiker David Bowie in der Hauptrolle eines stolzen britischen Soldaten besetzte, der sich mit dem von Ryûichi Sakamoto (ebenfalls hauptberuflicher Musiker und sogar OSCAR-Gewinner für seine Filmmusik zu Bertoluccis "Der letzte Kaiser") verkörperten Leiter des Lagers ein Psychoduell liefert. In einer Nebenrolle als Feldwebel ist übrigens der spätere Kinostar Takeshi Kitano ("Battle Royale", "Brother") zu sehen. Mit diesem in der Hauptrolle verwirklichte Nagisa Ôshima 1999 nach einem überstandenen Schlaganfall vom Rollstuhl aus mit dem elegischen Samurai-Drama "Tabu", das sich mit Homosexualität unter Samurai befaßt, seinen letzten Film.
Am 15. Januar starb Nagisa Ôshima nach langer Krankheit im Alter von 80 Jahren in Tokio an einer Lungeninfektion. R.I.P.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen