Regie und Drehbuch: Ben Lewin, Musik: Marco Beltrami
Darsteller: John Hawkes, Helen Hunt, William H. Macy, Moon
Bloodgood, Adam Arkin, Annika Marks, W. Earl Brown, Robin Weigert, Rhea
Perlman, Rusty Schwimmer, Blake Lindsley, Ming Lo, Jennifer Kumiyama
Mark O'Brien (John Hawkes, "Winter's Bone") ist in
seiner Kindheit an Polio erkrankt und seitdem größtenteils an eine
"eiserne Lunge" gefesselt, die ihm das Atmen ermöglicht. Nur wenige
Stunden pro Tag kann er diese Konstruktion verlassen, was er unter anderem dazu
nutzt, seinen Universitätsabschluß zu machen und als Schriftsteller Geld zu
verdienen – sehr passend, schließlich ist sein Kopf das einzige Körperteil, das vollständig funktioniert und das er auch
eigenständig bewegen kann. Zwar ist Mark nicht im eigentlichen Sinne gelähmt,
denn er kann sehr wohl am ganzen Körper etwas empfinden; doch kann er sich
nicht selbst bewegen, da seine Muskeln viel zu schwach sind. Als er von seiner
Verlegerin das Angebot bekommt, einen Artikel über Sex bei Körperbehinderten zu
verfassen, wächst in Mark angesichts der Interviews, die er mit Betroffenen führt, die sehr freizügig von ihren sexuellen Erfahrungen
berichten, die Sehnsucht, selbst zum ersten Mal in seinem 38 Jahre andauernden
Leben die körperliche Liebe zu erfahren. Nach einer Ermutigung durch den
freundlichen Pfarrer Brendan (William H. Macy, "Fargo"), der den
gläubigen Mark überzeugt, daß in diesem Fall Gott sicher nichts gegen vorehelichen
Geschlechtsverkehr hätte, wendet er sich an die Sexualtherapeutin Cheryl (Helen
Hunt, "Besser geht's nicht"), die ihre Patienten als
"Ersatzpartnerin" in die Welt der körperlichen Liebe einführt ...
Kritik:
Mark O'Brien existierte wirklich, 1990 veröffentlichte er im
US-Magazin "The Sun" den Artikel "On Seeing a Sex
Surrogate", in dem er seine Erfahrungen mit der Sexualtherapeutin
schildert. Dem in Polen geborenen und in Australien aufgewachsenen
Drehbuch-Autor und Regisseur Ben Lewin diente dieser Artikel (den man übrigens
kostenlos online lesen kann) 13 Jahre nach O'Briens Tod als Vorlage für seine
einfühlsame Tragikomödie "The Sessions".
Die Art, in der Lewin in seinem unabhängig produzierten Film
Marks Erlebnisse schildert, ist zuallererst von tiefer Empathie und
Warmherzigkeit geprägt. Vor allem die erste Hälfte des gut 90 Minuten langen
"The Sessions" ist ungemein unterhaltsam geraten, denn Marks
zögerliche Annäherung an die Thematik und seine herrlich unverkrampften
Gespräche mit dem tapferen Pater Brendan sprühen vor feinem Humor, ohne sich je
über die Figuren lustig zu machen oder sie nicht ernstzunehmen. Auch die
ersten, von kleineren Rückschlägen gezeichneten Treffen mit der Therapeutin
Cheryl, die Mark erst einmal geduldig seine Schüchternheit und seine
Selbstzweifel austreiben muß, sind zugleich ernst- und humorvoll inszeniert.
Die Chemie zwischen den beiden ausgezeichneten Darstellern John Hawkes und
Helen Hunt ist vorzüglich, Lewins unprätentiöse und gerade im Vergleich zu den
üblichen Hochglanz-Sexszenen, die man aus Hollywood gewöhnt ist,
betont realistische Inszenierung erfrischend. Hier werden eben nicht zwei begehrte Sexsymbole buchstäblich im besten
Licht gezeigt, sondern ein körperlich beeinträchtigter Mann von eher
mittelmäßigem Aussehen und eine knapp 50-jährige Frau, der man – ohne
uncharmant klingen zu wollen – ihr Alter durchaus ansieht.
Unglücklicherweise kann die zweite Filmhälfte da qualitativ
nicht mehr ganz mithalten. Man merkt irgendwann, daß die grundsätzliche Story
doch etwas dünn ist, um einen ganzen Film zu tragen, und so baut Lewin einige
arg klischeehafte Elemente ein, die in O'Briens Artikel nicht vorkommen –
beispielsweise Cheryls eifersüchtigen Ehemann (Adam Arkin, "A Serious
Man"). Das funktioniert nicht so richtig, außerdem beginnen selbst die
"Sitzungen" von Mark und Cheryl sich irgendwann etwas in die Länge zu ziehen. Auch
ist der gesamte Film seltsam konfliktscheu. Offensichtlich ging es Ben Lewin
fast ausschließlich um das Kernthema "Behinderung und Sexualität",
dennoch wirkt es etwas irritierend, daß die sonstigen Probleme, die mit Marks
fataler Krankheit einhergehen, kaum berührt werden. Er begegnet noch nicht
einmal Personen, die ein echtes Problem mit seinem Zustand haben, was in der
Realität körperlich behinderter Personen leider anders aussehen dürfte.
Stattdessen sind fast alle Figuren des Films herzensgut oder schlimmstenfalls
etwas ruppig und minimal unsensibel. Das soll nicht heißen, daß die
Nebenfiguren schlecht gezeichnet oder überflüssig wären, ganz im Gegenteil
gelingt es Lewin sogar, einige von ihnen in nette, kleine
Nebenhandlungsstränge zu verwickeln. Das Problem ist nur: Ob Pater Brendan,
Pfleger Rod (W. Earl Brown), Pflegerin Vera (Moon Bloodgood, "Terminator: Die Erlösung") oder Marks große
Liebe Amanda (Annika Marks), sie alle sind dermaßen sympathisch, daß es in dieser Häufung fast schon
wieder unglaubwürdig ist. So zynisch das auch klingen mag ...
Schauspielerisch tragen erwartungsgemäß vor allem John
Hawkes und Helen Hunt den Film, die beide mit einer Golden
Globe-Nominierung belohnt wurden, Hunt sogar mit ihrer zweiten
OSCAR-Nominierung. Wobei es allerdings etwas ungerecht ist, daß Hawkes von der Academy
übergangen wurde, denn so gut Hunt ihre durchaus mutige, da sehr freizügige
Rolle auch verkörpert, Hawkes' darstellerische Leistung ist sogar noch besser. Die
Nebendarsteller wurden ebenfalls sehr gut gecastet, wobei vor allem William H.
Macy als bodenständiger Pfarrer glänzen kann.
Fazit: "The Sessions – Wenn Worte berühren"
ist eine einfühlsame und sehr optimistische Tragikomödie, die ein schwieriges
Thema unverkrampft und mit zwei starken Hauptdarstellern in Szene setzt, dabei aber etwas konfliktscheu wirkt und sich im Verlauf der zweiten Hälfte ein wenig zu sehr in Klischees
verfängt.
Wertung: 7 Punkte.
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