Regie: Peter Webber, Drehbuch: Thomas Harris, Musik: Ilan
Eshkeri und Shigeru Umebayashi
Darsteller: Gaspard Ulliel, Gong Li, Rhys Ifans, Kevin
McKidd, Dominic West, Aaran Thomas, Charles Maquignon, Goran Kostic, Richard Brake,
Ivan Marevich, Stephen Martin Walters
Litauen, Winter 1944: Die adlige Familie Lecter flieht vor
den anrückenden Nazi-Truppen in eine einsam gelegene Waldhütte. Doch die Erwachsenen fallen
einem Fliegerangriff zum Opfer und nur der 8-jährige Hannibal und seine kleine
Schwester Mischa überleben. Wenig später flüchten sich sechs litauische
Marodeure zu der Hütte und nehmen die Kinder quasi als Geiseln für den Fall,
daß sie von feindlichen Truppen entdeckt werden. Doch als sich alle einem grausamen Hungertod nähern, fällen die Marodeure eine folgenschwere Entscheidung. Als Erwachsener kennt Hannibal Lecter (Gaspard Ulliel, "Mathilde
– Eine große Liebe") nur ein Ziel: Rache ...
Kritik:
Es gibt gute Gründe zu argumentieren, daß man Jonathan
Demmes fünffach OSCAR-gekrönte Verfilmung des Thomas Harris-Bestsellers
"Das Schweigen der Lämmer" aus dem Jahr 1991 hätte für sich allein
stehen lassen sollen (abgesehen davon, daß es nach dem unterschätzten
"Blutmond" mit William Peterson und Brian Cox bereits die zweite Adaption von Harris' Lecter-Romanen war): Die direkte Fortsetzung
"Hannibal" (2001) von Sir Ridley Scott war zwar an den Kinokassen ein
Hit, mußte aber qualitativ in die Kategorie "Enttäuschung" eingeordnet
werden. Das nur ein Jahr später folgende Prequel "Roter Drache"
von Brett Ratner (eine Neuverfilmung von "Blutmond") geriet zwar
deutlich besser, reichte aber ebenfalls nicht an "Das Schweigen der
Lämmer" heran und blieb auch kommerziell hinter den Erwartungen zurück.
Als für 2007 ein weiteres, noch weiter zurückreichendes Prequel namens "Hannibal Rising" angekündigt
wurde, das die Anfänge des berühmten Serienmörders mit kannibalistischen
Neigungen beleuchten sollte, war die Skepsis groß. Der britische Regisseur
Peter Webber konnte zwar mit dem eleganten Arthouse-Film "Das Mädchen mit dem
Perlenohrring" mit Scarlett Johansson einen Kritikererfolg vorweisen, schien für einen blutigen Horror-Thriller aber eine eher seltsame Wahl. Zudem sollte "Hannibal
Rising" der erste Lecter-Film seit "Das Schweigen der Lämmer" werden, in
dem aus Altersgründen nicht Sir Anthony Hopkins jene Rolle übernehmen
würde, die ihn zum Weltstar gemacht hat. Stattdessen wurde der außerhalb seiner
Heimat weitgehend unbekannte Franzose Gaspard Ulliel ausgewählt. Hoffen ließ wiederum, daß
der Romanautor Thomas Harris höchstselbst seine literarische Vorlage in
ein Drehbuch umarbeitete. Resultat der Mühen: Der bis dato zweifellos schwächste Film über
Hannibal Lecter.
Zwar ist "Hannibal Rising" nicht
der totale Reinfall, zu dem ihn viele Kritiker geschrieben haben, sondern taugt durchaus
als einigermaßen solide Thrillerkost. Dramaturgisch, schauspielerisch und
inszenatorisch ist er aber ohne Zweifel mindestens eine Klasse schlechter als
selbst die schwächeren seiner Vorgänger. Unter einem eigenständigen Titel und mit
einem Protagonisten anderen Namens wären die Kritiken dennoch sicherlich weit
weniger vernichtend ausgefallen.
Der Beginn in Litauen während des Zweiten Weltkrieges ist
durchaus beklemmend inszeniert, wenngleich die in der Erinnerung des
erwachsenen Hannibal stark verblassten, aber für seine Entwicklung so entscheidenden Geschehnisse bedauernswert
unelegant auf die Leinwand transportiert wurden. Sobald sich der Fokus auf den
erwachsenen Hannibal nach Frankreich verlagert, wo er Medizin studiert und bei
seiner schönen Tante Lady Murasaki (die chinesische Schauspiellegende Gong Li
spielt hier wie bereits in Rob Marshalls Bestseller-Verfilmung "Die Geisha" eine gebürtige Japanerin – angesichts der anhaltenden Animositäten
zwischen China und Japan noch immer eine durchaus mutige Rollenwahl) wohnt, entwickelt sich "Hannibal Rising" jedoch
arg konventionell. Hannibals Rachetaten sind zwar ziemlich blutig in Szene gesetzt, perfide
erdacht und spannend anzuschauen, allerdings bleibt die Figurenzeichnung
enttäuschenderweise fast völlig auf der Strecke. Hannibals Entwicklung zum
Serienmörder ist zwar an sich psychologisch halbwegs nachvollziehbar (Rache für
ein unfassbares Verbrechen ist immer ein starkes Motiv), wird innerhalb der Handlung
aber wenig stimmig präsentiert. Das liegt zum einen am Drehbuch,
das diesen jungen, traumatisierten Mann unerklärlich distanziert schildert und für das Publikum niemals richtig greifbar macht. Aber auch die schauspielerische Leistung von Gaspard Ulliel, der zwar hin und wieder starke
Momente hat, der ikonischen Rolle alles in allem aber nicht gerecht werden kann, trägt eine Mitschuld.
Wenig hilfreich ist zudem, daß sich – womit wir wieder bei den
Drehbuch-Schwächen wären – Hannibal bei seinen Morden wiederholt sehr
dilettantisch anstellt und nur durch glückliche Zufälle erfolgreich ist. Auch
das Potential des von Dominic West ("300", "Centurion")
gespielten Polizeiinspektors Popil, der Hannibal trotz gewisser Sympathien dicht auf
der Spur ist, weiß Regisseur Webber nicht auszunutzen. Anstatt Popil zu einer
charismatischen, ambivalenten Figur zwischen Hannibal auf der einen und den
Kriegsverbrechern auf der anderen Seite auszubauen, kommt der Polizist kaum über eine
Rolle als Stichwortgeber im Hintergrund hinaus. Ahnliches gilt übrigens für
Lady Murasaki, auch wenn sie etwas mehr Raum bekommt.
Zu allem Überfluß funktionieren auch die Antagonisten nicht
einwandfrei. Zwar gibt der Waliser Rhys Ifans ("The Amazing Spider-Man", "Fast verheiratet") einen überzeugend diabolischen
Oberbösewicht ab (diabolischer als Hannibal selbst, was eigentlich schon alles über dessen mangelnde Ausgestaltung aussagt) und Kevin McKidd ("Dog Soldiers", TV-Serie "Rom")
überzeugt als reumütiger Familienvater, der sich nach dem Krieg eine
gutbürgerliche Existenz aufgebaut hat. Doch bleiben auch diese Charaktere zu
klischeehaft und oberflächlich. Und selbst die größte Stärke von Regisseur Webbers "Das Mädchen mit dem Perlenohrring", die stilvolle visuelle Ausgestaltung, kommt in "Hannibal Rising" nur phasenweise zur Geltung.
Fazit: "Hannibal Rising" ist ein in jeder Hinsicht
mittelmäßiger Thriller mit Horrorelementen, der seinem großen Namen niemals
gerecht wird, aber auch nicht so schlecht ist wie sein Ruf.
Wertung: 5,5 Punkte.
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