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In eigener Sache: Mein neues Filmbuch

Einigen Lesern ist bestimmt aufgefallen, daß ich in der rechten Spalte meines Blogs seit längerer Zeit das Cover meines neuen Buchs präsen...

Donnerstag, 16. Mai 2019

Klassiker-Rezension: DIE BOUNTY (1984)

Regie: Roger Donaldson, Drehbuch: Robert Bolt, Musik: Vangelis
Darsteller: Sir Anthony Hopkins, Mel Gibson, Liam Neeson, Daniel Day-Lewis, Bernard Hill, Philip Davis, Tevaite Vernette, Philip Martin Brown, Wi Kuki Kaa, Edward Fox, Sir Laurence Olivier
 Die Bounty
(1984) on IMDb Rotten Tomatoes: 78% (6,3); weltweites Einspielergebnis: $18,3 Mio.
FSK: 12, Dauer: 131 Minuten.

1789 bricht der britische Dreimaster "Bounty" unter dem Kommando des erfahrenen Lieutenant William Bligh (Anthony Hopkins, "Der Löwe im Winter") in Richtung Tahiti auf, wo er Ableger des Brotfruchtbaums aufnehmen und nach Jamaika weitertransportieren soll. Doch die Hinfahrt dauert wesentlich länger als geplant, weil die von der Admiralität angeordnete, aber ungemein schwierige Umrundung des berüchtigten Kap Hoorn an der Spitze Südamerikas scheitert und die "Bounty" schließlich die deutlich längere Alternativroute nehmen muß. Das sorgt ebenso wenig für gute Laune an Bord wie Blighs herrisches Verhalten. Umso angenehmer ist es für die Crew, daß der Aufenthalt in Tahiti als Konsequenz der Verspätung fünf statt der angepeilten zwei Monate beträgt, da die Brotfruchtbaum-Stecklinge erst dann gezogen werden können. Die Besatzung genießt das angenehme Leben im paradiesischen Tahiti, dessen König Tynah (Wi Kuki Kaa) sie sehr freundlich aufnimmt – ebenso wie die vielen, sehr luftig gekleideten jungen Frauen. So nimmt bei einigen Seeleuten und sogar beim Ersten Offizier Fletcher Christian (Mel Gibson, "The Expendables 3") – der sich in die Königstochter Mauatua (Tevaite Vernette in ihrem einzigen Filmauftritt) verliebt hat – der Wunsch überhand, zu desertieren und für immer in Tahiti zu bleiben …

Kritik:
Die historische Meuterei auf der "Bounty" wurde bereits vielfach in literarischer (darunter als Kurzgeschichte von Jules Verne) wie auch in cineastischer Form aufgearbeitet. Im Filmbereich sind speziell drei aufwendig produzierte und hochkarätig besetzte Produktionen von Interesse: Frank Lloyds "Meuterei auf der Bounty" (1935) mit Clarke Gable und Charles Laughton, Lewis Milestones "Meuterei auf der Bounty" (1962) mit Marlon Brando und Trevor Howard und "Die Bounty". Obwohl die drei Werke das gleiche, ziemlich gut dokumentierte historische Ereignis schildern, setzen sie unterschiedliche Schwerpunkte und unterscheiden sich auch hinsichtlich der historischen Genauigkeit – es lohnt sich also durchaus, alle drei Filme anzusehen, zumal man durch die zeitlichen Abstände ganz gut die (speziell technische) Entwicklung Hollywoods nachvollziehen kann. Meiner Ansicht nach ist Lloyds Film der mit Abstand beste, obwohl (oder gerade weil) er sich die meisten Freiheiten nimmt und ein packendes Psychoduell mit ziemlich eindeutiger Schwarzweißmalerei inszeniert – das funktioniert ausgezeichnet, da das Drehbuch mit clever geschriebenen und temporeichen Dialogduellen glänzt, die von zwei der besten und charismatischsten Schauspieler ihrer Ära packend ausgespielt werden. Milestones (gefloppte) Version der Geschichte ist nahezu gegenteilig aufgebaut, sie fokussiert sich stärker auf die Eingeborenen und das Leben auf Tahiti – das war Hauptdarsteller Brando ein großes Anliegen, der nach den Dreharbeiten gar ein Insel-Atoll nahe Tahiti pachtete und mit seiner polynesischen Filmpartnerin zwei Kinder bekam. Roger Donaldsons ("Thirteen Days") "Die Bounty" wiederum ordnet sich irgendwo zwischen den beiden Extremen ein, jedoch deutlich näher beim Brando- als beim Gable-Film. Während bereits Milestones Variante sich recht eng an die historischen Überlieferungen hielt (aber Bligh als einen recht klassischen Antagonisten verwendete), setzt Donaldson betont auf eine differenzierte Darstellung der Geschehnisse und der Figuren – so ist hier weder Christian der noble Held noch Bligh der verachtenswerte Bösewicht. Das ist ein sehr interessanter, in mancher Hinsicht lobenswerter Ansatz, der allerdings dramaturgisch ein paar Probleme mit sich bringt und deshalb auch nicht bis zum Schluß durchgehalten wird. In meiner persönlichen Rangliste liegt die 1935er-"Bounty", wie angesprochen, klar vorne, "Die Bounty" reiht sich knapp vor dem Brando-Film ein. Diese Einschätzung stand bislang aber unter einem Vorbehalt, denn von "Die Bounty" erschien in Deutschland lediglich eine um etwa 20 Minuten gekürzte Version. Erst 2019 wird erstmals der ungeschnittene Film fürs Heimkino veröffentlicht, was mir den Anlaß für eine neue Sichtung und die vorliegende Rezension gab.
Enttäuschenderweise wird "Die Bounty" durch die Verlängerung nicht wirklich besser. Zwar sind auf der einen Seite die zusätzlichen Szenen mit einigen Nebenfiguren willkommen, weil das Ensemble abseits von Bligh und (bereits mit ein paar Abstrichen) Christian in der deutschen Kinofassung arg vernachlässigt wird. Andererseits ist schon da das Erzähltempo überschaubar und durch die zusätzlichen, inhaltlich unspektakulären 20 Minuten wird es noch etwas stärker ausgebremst. Vor- und Nachteile halten sich die Waage, letztlich ist es wohl folgendermaßen: Wer den Film mag, freut sich über die längere Originalfassung; wer ihn nicht mag, den werden die 20 zusätzlichen Minuten eher nerven. Abgesehen von der prächtigen Optik und der gewohnt sphärischen Musik von Vangelis ("Blade Runner") ist die größte Stärke von "Die Bounty" ganz eindeutig Sir Anthony Hopkins. Er – der sich später übrigens enttäuscht über den fertigen Film äußerste – verkörpert Lieutenant Blight so, wie es nach Ansicht von Experten am ehesten der historischen Realität entsprechen dürfte: Als strengen, ehrgeizigen Kapitän, der die Mission mit der "Bounty" als seine große (und angesichts seines Alters vielleicht letzte) Chance sieht, Karriere in der britischen Königlichen Marine zu machen. Mit seinem recht kleinlich wirkenden Verhalten taugt er nicht unbedingt zum Sympathieträger, doch ist er weit von einem Bösewicht entfernt. Regisseur Donaldson, dem zweifach OSCAR-prämierten Drehbuch-Autor Robert Bolt ("Lawrence von Arabien") und Hopkins gelingt es in der frühen Phase des Films überzeugend, Bligh als ambivalente Figur mit Stärken und Schwächen zu etablieren.
Leider werden darob die übrigen Charaktere ziemlich vernachlässigt. Glücklicherweise sind die größeren Nebenrollen mit auch heute noch bekannten Namen besetzt, denn andernfalls fiele es – gerade im Vergleich zur in dieser Hinsicht viel konsequenteren 1935er-Version – schwer, sie überhaupt auseinanderzuhalten. Zweifellos ist speziell Daniel Day-Lewis ("Der seidene Faden") als leicht sadistisch veranlagter eigentlicher Erster Offizier Fryer unterfordert, aber auch Liam Neeson ("The Grey") als rüpelhafter Churchill, Bernard Hill ("Titanic") als Offizier Cole oder Phil Davis (TV-Serie "Poldark") als Matrose Young haben letztlich nicht allzu viel zu tun und können folglich nur wenig eigenes Profil entwickeln. Das ist bedauerlich, jedoch, da sie Nebenfiguren sind, verkraftbar. Schwerer wiegt, daß selbst Fletcher Christian von dieser Vernachlässigung betroffen ist. Nur zu Beginn, als die anfängliche Freundschaft zwischen ihm und Bligh gezeigt wird, hat er ein paar prägende Szenen, fortan bleibt er größtenteils für sich respektive auf Tahiti an der Seite der Prinzessin Mauatua – auf diese Weise ist es schwer nachzuvollziehen, warum letztlich die Mehrheit der Besatzung ihn bei der Meuterei unterstützt. Mel Gibson bleibt in der Rolle zudem vergleichsweise blaß – das ist sicherlich auch dem Drehbuch geschuldet, das ihm wenig Gelegenheit zum Glänzen gibt, aber im Vergleich zu seinen legendären Vorgängern Clark Gable und Marlon Brando fehlt es dem damals noch recht unerfahrenen Australier auch einfach ein wenig an Charisma und Überzeugungskraft. Im letzten Drittel wird das erheblich besser, mit Anthony Hopkins' Schauspielkunst kann er aber trotzdem nicht mithalten.
Sogar Hopkins kann aber nicht verhindern, daß Blighs Entwicklung in diesem letzten Filmdrittel zunehmend an Glaubwürdigkeit verliert. Selbst wenn man auf nicht direkt angesprochene, aber sicher mögliche Erklärungsansätze wie die angestaute Frustration ob des (zumindest zum Teil selbstverschuldeten) durchwachsenen Verlaufs der Mission und des ungeplant langen Wartens und Nichtstuns zurückgreift, bleibt es ein Rätsel, warum der bis dahin weitgehend disziplinierte und vernünftige Bligh die Situation auf der Rückfahrt dermaßen eskalieren läßt. Wie genau der Schuldanteil Blighs und Christians an der Meuterei verteilt ist, bleibt letztlich der Interpretation des Zuschauers überlassen wobei die Rahmenhandlung zeigt, wie die Admiralität entschied. Leider wird übrigens auch diese Rahmenhandlung (in der die britische Schauspiellegende Sir Laurence Olivier als Admiral Hood auftritt) arg stiefmütterlich behandelt: Wird sie anfangs noch genutzt, um die Ereignisse und Blighs Handlungsweise zu hinterfragen, gerät sie alsbald aus den Augen, sodaß man letzten Endes ebenso gut darauf hätte verzichten können. Dafür ist die Darstellung der Einheimischen und des überheblichen, ausbeuterischen Umgangs der Briten mit ihnen (speziell Bligh läßt seine – für die damalige Zeit wohl normale – rassistische Haltung immer wieder durchblicken) Regisseur Roger Donaldson ebenso überzeugend gelungen wie die entbehrungsreiche, in den anderen Verfilmungen deutlich kürzer abgehandelte Irrfahrt der von den Meuterern auf einem Floß mit wenig Vorräten ausgesetzten Seeleute um Bligh. Es bleibt also dabei: "Die Bounty" ist ein Film mit vielen Aufs und Abs.

Fazit: "Die Bounty" ist ein aufwendig produzierter und ausgestatteter Abenteuerfilm, der sich mit einer angenehm differenzierten, realitätsnahen Darstellung der historischen Geschehnisse von früheren Verfilmungen abhebt, es dafür aber an Tempo, Spannung und gut ausgearbeiteten Figuren mangeln läßt.

Wertung: 6,5 Punkte.


"Die Bounty" erscheint am 17. Mai 2019 von capelight pictures zum ersten Mal in Deutschland ungeschnitten auf DVD sowie als 2-Disc Limited Edition mitsamt Blu-ray im Mediabook mit umfangreichem Bonusmaterial. Eine Rezensionsmöglichkeit wurde mir freundlicherweise von capelight pictures zur Verfügung gestellt.



Screenshots: © capelight pictures

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