Am Freitag hat die britische Theater- und Kinoszene einen ihrer Größten verloren: Albert Finney (der nur deshalb kein "Sir" ist, weil er die Ehrung zwei Mal ablehnte) verstarb im Alter von 82 Jahren in London.
Eigentlich wollte ihm einen "normalen" Nachruf widmen, wie ich das in den vergangenen Jahren bei vielen seiner Kolleginnen und Kollegen tat. Doch ein kurzer Blick auf seine Filmographie reichte aus, um mich eines Besseren zu belehren: Finneys Karriere war so lang und großartig, daß man ganze Bücher über ihn schreiben könnte. Folglich wähle ich diesmal einen anderen Ansatz und stelle drei ältere und heutzutage nicht mehr ganz so bekannte Filme des Mimen in den Mittelpunkt, die ich jedem anempfehlen kann: "Die Duellisten" (1977), "Wolfen" (1981) und "Miller's Crossing" (1990). Als Finney eine kleine Rolle im Spielfilm-Debüt von Sir Ridley Scott annahm, war er bereits ein Star dies- und (als Folge seiner Darstellung von Agatha Christies Meisterdetektiv Hercule Poirot in Sidney Lumets stargespicktem "Mord im Orient-Express" drei Jahre zuvor) jenseits des Atlantiks. Es spricht also für sein Gespür für gute Stoffe, daß er sich auf das Projekt eines unerfahrenen jungen Regisseurs nach einer Kurzgeschichte von Joseph Conrad ("Herz der Finsternis") einließ. Und er sollte Recht behalten: "Die Duellisten" ist ein beeindruckendes und unkonventionelles Historiendrama über zwei Offiziere (Harvey Keitel und Keith Carradine) in Napoleons Armee im beginnenden 19. Jahrhundert, die aus eher nichtigem Anlaß heraus eine über viele Jahre hinweg erbittert und mittels diverser Duelle geführte Rivalität entwickeln. Obwohl kein nennenswerter kommerzieller Erfolg, begründete der offensichtlich von Stanley Kubricks zwei Jahre zuvor veröffentlichtem Meisterwerk "Barry Lyndon" inspirierte "Die Duellisten" mit seinem unbedingten Stilwillen und dem Mut zur erzählerischen Langsamkeit Scotts großartige Karriere. Albert Finney spielt als Polizeiminister Fouché zwar nur eine kleine, wenngleich wichtige Nebenrolle, dominiert seine Szenen allerdings mit jener beeindruckenden Ausstrahlung, die ihn selbst kurze Auftritte scheinbar mühelos unvergeßlich gestalten ließ.
Vier Jahre später durfte Albert Finney wesentlich mehr von seinem Können zeigen, denn in dem Horrorthriller "Wolfen" von Michael Wadleigh verkörpert er die Hauptrolle des New Yorker Polizisten Wilson. Zwar floppte "Wolfen" in den Kinos und erhielt auch keine überragenden Kritiken, trotzdem ist er völlig verdient zu einem Geheimtip unter Genrefans geworden. Das hat inhaltliche wie auch technische Gründe: So ist der Protagonist für Horrorfilme ungewöhnlich, denn Finney spielt einen früheren Polizei-Captain, der eigentlich bereits im Ruhestand ist, aber zu Hilfe gerufen wird, als eine bizarre Mordserie mit einem sehr prominenten jüngsten Opfer die Stadt erschüttert. Gemeinsam mit einer Kriminalpsychologin (Diane Venora) ermittelt Wilson und stößt schließlich auf eine indianische Legende über Gestaltwandler, die sich u.a. in Wölfe verwandeln können. Im Vergleich zu anderen Horrorfilmen setzt "Wolfen" mehr auf Handlung mit sogar einigen philosophischen Ansätzen als auf Schockmomente, was Finney viel Raum zum Glänzen in einer für ihn ungewöhnlichen Rolle gibt. Der oben erwähnte technische Grund für die filmhistorischen Verdienste von "Wolfen" ist übrigens, daß einige intensive Szenen (ähnlich wie einige Jahre später bei "Predator") mittels einer Art Wärmebildkamera aus der Perspektive der mordlustigen Kreatur gefilmt sind.
Im dritten Film, den ich empfehlen möchte, spielt Albert Finney wieder "nur" eine Nebenrolle, jedoch eine große und ziemlich denkwürdige, die zu seinen besten und populärsten Leistungen zählt: Im schwarzhumorigen Noir-Gangsterfilm "Miller's Crossing", dem meiner Ansicht nach zweitbesten Film von Joel und Ethan Coen (nach dem obligatorischen "The Big Lebowski"), glänzt Finney als irischstämmiger Gangsterboß Leo O'Bannon, der heimlische Herrscher einer Kleinstadt zur Zeit der Prohibition im frühen 20. Jahrhundert. Leos Stellung scheint unantastbar, doch als er seine Handlungen zunehmend von der Sorge um seine Geliebte Verna (Marcia Gay Harden) bestimmen läßt und so einige gefährliche Männer verärgert, ziehen dunkle Wolken über der Stadt auf - dabei weiß Leo noch nicht einmal, daß seine rechte Hand Tom Reagan (Gabriel Byrne) ebenfalls eine Affäre mit Verna hat ... Die Hauptrolle in "Miller's Crossing" spielt Gabriel Byrne und der macht seine Sache ohne Zweifel ganz ausgezeichnet. Als Scenestealer entpuppt sich allerdings Albert Finney - wer seine fulminante Badass-Performance rund um den Mordanschlag auf Leo (begleitet von dem ikonischen irischen Volkslied "Danny Boy") einmal gesehen hat, der wird sie nicht wieder vergessen! Ursprünglich hätte die Rolle übrigens Trey Wilson spielen sollen - der verstarb aber zwei Tage vor Beginn der Dreharbeiten und so sprang Finney ein (der noch eine zweite Rolle spielt: In einer Szene ist er im Hintergrund als ältere Dame zu sehen!).
Natürlich hat Albert Finney in so vielen Klassikern mitgespielt, daß ich problemlos drei andere Werke hätte aussuchen können (z.B. einen meiner Lieblingsfilme, Tim Burtons "Big Fish", oder Sidney Lumets letzten Film "Tödliche Entscheidung"). Finney wurde für fünf OSCARs nominiert (besuchte aber kein einziges Mal die Zeremonie), nämlich 1964 für seinen großen Durchbruch in der Titelrolle von Tony Richardsons historischer Abenteuerkomödie "Tom Jones", 1975 für "Mord im Orient-Express", 1984 für seinen verwirrten alternden Shakespeare-Schauspieler "Sir" in Peter Yates' "Ein ungleiches Paar", 1985 für die Rolle eines depressiven, alkoholsüchtigen britischen Konsuls in John Hustons "Unter dem Vulkan" und schließlich 2001 (zum einzigen Mal als Nebendarsteller) für Steven Soderberghs "Erin Brockovich", in dem er den gutmütigen und bewundernswert geduldigen Chef der von Julia Roberts verkörperten Anwaltsgehilfin gibt. Außerdem gewann er drei Golden Globes: 1964 für "Tom Jones" (bester Newcomer), 1970 für die Titelrolle in "Scrooge" und 2002 für die Darstellung des britischen Kriegs-Premierministers Winston Churchill im TV-Film "The Gathering Storm". Seine Karriere beschloß Albert Finney bereits 2012 (wobei das damals niemand wußte) passenderweise mit einem echten Highlight: In Sam Mendes' "Skyfall" - dem besten James Bond-Film der letzten Jahrzehnte - trat er im letzten Akt als väterlicher Freund von James Bond auf.
Am 8. Februar 2019 starb Albert Finney im Alter von 82 Jahren nach kurzer Krankheit in einem Londoner Krankenhaus. R.I.P.
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