Originaltitel: Spider-Man: Into the Spider-Verse
Regie: Bob Persichetti, Peter Ramsey und Rodney Rothman,
Drehbuch: Phil Lord und Rodney Rothman, Musik: Daniel Pemberton
Sprecher der Originalversion: Shameik Moore, Jake Johnson,
Hailee Steinfeld, Nicolas Cage, Chris Pine, Kimiko Glenn, John Mulaney, Liev
Schreiber, Kathryn Hahn, Mahershala Ali, Brian Tyree Henry, Lauren Vélez, Lily
Tomlin, Zoë Kravitz, Lake Bell, Oscar Isaac, Stan Lee
Sprecher der Synchronfassung: Marco Eßer, Jaron
Löwenberg, Leonie Dubuc, Martin Keßler, Roman Wolko, Rubina Nath, Daniel
Zillmann, Erik "Gronkh" Range, Christin Marquitan, Bernd Egger, Matti
Klemm, Carolina Vera-Squella, Cornelia Meinhardt, Alice Bauer, Gundi Eberhard,
Björn Schalla, Thomas Kästner
FSK: 6, Dauer: 117 Minuten.
Teenager Miles Morales ist genervt: An der öffentlichen
Schule in seinem Viertel hatte er jede Menge Freunde und war überall beliebt,
trotzdem muß er auf Drängen seines Vaters – eines New Yorker Polizisten – auf
eine private Eliteschule wechseln, auf welcher er keineswegs nur wegen seiner
gemischtrassigen Herkunft (sein Vater ist Afroamerikaner, seine Mutter eine
Latina) wie ein Fremdkörper wirkt. Einziger Lichtblick ist die hübsche Wanda,
die wie Miles neu an der Schule ist. Die neue Schule ist aber Miles' kleinstes Problem, als der leidenschaftliche Graffiti-Künstler in
einem abgesperrten U-Bahn-Schacht von einer radioaktiven Spinne gebissen wird.
Miles kann es kaum glauben, aber er entwickelt sich fortan zu einem zweiten
Spider-Man! Während Miles versucht, seine neuen Kräfte irgendwie in den
Griff zu kriegen, trifft er auf den "echten" Spider-Man, der
sich gerade im Kampf gegen den Kingpin, den Grünen Kobold und die skrupellose
Wissenschaftlerin Doc Ock befindet – dummerweise gelingt es ihm dieses Mal
nicht, den Plan der Bösen zu vereiteln, weshalb sich ein Dimensionstor öffnet. Nur Miles kann es wieder schließen, bevor Schlimmeres
passiert – zu seiner Überraschung erhält er allerdings höchst tatkräftige Unterstützung,
denn das Portal hat einige Spider-Man-Pendants aus anderen Dimensionen herübergezogen, etwa Spider-Gwen, Spider-Man Noir (im Original gesprochen von Nicolas
Cage) und das Cartoon-Schwein Spider-Ham …
Kritik:
Eigentlich ist es ja naheliegend, Comics in animierter Form
zu adaptieren, da man letztlich nur so einige Comic-Besonderheiten auf das
bewegte Bild übertragen kann. Und tatsächlich gibt es seit Jahrzehnten viele animierte Superhelden-Geschichten auf Grundlage der Marvel- und DC-Helden
– allerdings größtenteils als TV-Serien (meist an Kinder und Jugendliche
gerichtet) oder als direkt fürs Heimkino gemachte Veröffentlichungen.
Letztere sprechen gerade bei DC – das seit 2013 sogar ein eigenes DC Animated
Movie Universe mit Batman, Superman, Constantine und der Justice
League geschaffen hat – mit einer vergleichsweise wenig zimperlichen, eng an
die Comic-Vorlagen angelehnten Machart immerhin einen Teil der Zielgruppe an,
der von den teuren, entsprechend an möglichst viele potentielle
Zuschauersegmente gerichteten Hollywood-Realfilm-Blockbustern weniger
angesprochen wird. In den Lichtspielhäusern aber sind animierte Comicadaptionen aus den
USA nur sehr selten zu finden, was vermutlich auch daran liegt, daß Hollywood (und besonders Disney) über Jahrzehnte hinweg dafür gesorgt hat, daß
Zeichentrick- und Animationsfilme vom Publikum vorwiegend als (wenngleich oft
hochwertiger) Kinderkram angesehen wird. Nachdem der zwischenzeitliche
Siegeszug der Studio Ghibli-Meisterwerke á la "Chihiros Reise
ins Zauberland" bereits für eine leichte Bewußtseinsänderung sorgte,
könnte Sony mit seinem ersten animierten Spider-Man-Film weiter dafür sorgen,
daß erwachsenere US-Animationsfilme die Kinos erobern. Zugegeben, auch
"Spider-Man: A New Universe" ist für junge Zuschauer
sehr geeignet, aber gleichzeitig beweist er, daß sich animierte Superhelden-Filme
hinsichtlich Qualität und Komplexität nicht vor ihren Realfilm-Vettern
verstecken müssen. Als Belohnung gab es dafür den Animationsfilm-OSCAR.
Daß Sony sich an "A New Universe" mutmaßlich vor
allem deshalb heranwagte, weil man die Lizenzrechte an Realfilm-Spinnenmann-Abenteuern für gutes Geld an Disney – das Spidey via "Spider-Man: Homecoming" erfolgreich ins Marvel Cinematic Universe integriert hat – verlieh, schmälert die
Verdienste des japanisch-amerikanischen Studios nicht. Schließlich hätten sie sich
auch ganz auf ihre Bemühungen konzentrieren können, ein Filmuniversum rund um
Spider-Man-Antagonisten und -Nebenfiguren zu etablieren, was mit
"Venom" zum Auftakt zumindest kommerziell hervorragend glückte.
Stattdessen haben sie zusätzlich "The LEGO Movie"-Autor Phil Lord und
seinen "22 Jump Street"-Co-Autor Rodney Rothman beauftragt, ein
animiertes Abenteuer zu kreieren, das in einem alternativen (unserem jedoch sehr ähnlichen) Universum spielt
und in dem mit Miles Morales ein Peter Parker-Nachfolger aus den Comics
im Zentrum steht. Und das funktioniert sehr gut. Speziell als
Nicht-Comic-Leser ist Miles eine erfrischende Abwechslung, da man aus dem Kino bekanntlich lediglich Peter Parker als Spider-Man kennt. Miles unterscheidet sich
charakterlich zwar gar nicht so sehr von Peter, einige entscheidende
Abweichungen gibt es aber – so ist Miles kein schüchterner Nerd,
sondern ein selbstbewußter und beliebter Teenager. Nunja, zumindest in seiner
alten Schule, in der neuen (die allerdings nur zu Beginn eine Rolle spielt) hat
auch er einen Außenseiter-Status inne. Theoretisch kann man natürlich auch aus
seinem gemischtrassigen Hintergrund viel herausholen, dafür wird man aber auf die Fortsetzungen warten müssen, hier wird er nur am Rande und größtenteils
implizit thematisiert. Das ist sicher eine gute Entscheidung, schließlich
muß man angesichts eines knappen halben Dutzends an Alternativ-Spideys einem ziemlich
großen Ensemble an Figuren gerecht werden. Das gelingt zumindest bei Peter B.
Parker, einer etwas abgehalfterten Spidey-Version mit Liebeskummer, die zu
Miles' widerwilligem Mentor avanciert, und bei Spider-Gwen. Spider-Man Noir,
Spider-Ham und die von japanischen Animes inspirierte Peni Parker bleiben
Randfiguren, die vorwiegend als Gaglieferanten fungieren (und ihren Job
einwandfrei erledigen).
Ebenso nicht viel mehr als Stichwortlieferanten bleiben die Antagonisten,
von denen der Grüne Kobold sowieso nur einen Gastauftritt hat. Bleiben
der Kingpin und Doc Ock (sowie der weniger bekannte Prowler, Kingpins Mann fürs
Grobe), wobei letztere eher wie ein typischer Klischee-Bösewicht wirkt,
wohingegen Gangsterboß Kingpin erfreulich ambivalent daherkommt. Dennoch
spielen die Bösen hier nur eine untergeordnete Rolle als Katalysator der
Dimensionsverwirrung, die klar im Mittelpunkt steht. Und das ist eine mehr als
nachvollziehbare Entscheidung, ist das Spiel mit den unterschiedlichen Realitäten
und Identitäten doch weit unverbrauchter als der x-te Kampf gegen einen größenwahnsinnigen
Oberschurken mit Welteroberungs-Phantasien. Lord und Rothman – der gemeinsam
mit dem Animationsexperten Bob Persichetti (war an Disneys
"Hercules" und "Mulan" sowie an "Shrek 2" und
"Der kleine Prinz" beteiligt) und Peter Ramsey (verantwortete den
unterhaltsamen "Die Hüter des Lichts" aus dem Jahr 2012) auch die
Regie übernahm – setzen die Thematik äußerst gewitzt, wenn auch nicht mit
übermäßig viel Tiefgang um und kombinieren sie mit Miles' archetypischer
"Heldenfahrt", seinem Weg vom unbedarften Teenager zum
verantwortungsbewußten und selbstlosen Superhelden. Gewürzt wird dies mit
zahlreichen Anspielungen, wobei wenig überraschend vor allem die Abweichungen zwischen
den einzelnen Dimensionen für Spannung sorgen – etwa was das Schicksal des
jeweiligen Peter Parker betrifft oder das prägende Schlüsselereignis der
Spideys. Wer aufmerksam ist, wird zudem auch im Hintergrund immer
wieder nette Gags entdecken (etwa ein Poster für einen Film mit Seth Rogen, der
in unserer Realität – noch? – nicht gedreht wurde), was die Liebe zum Detail
belegt. Insgesamt überwiegt bei der Story der Humor, doch auch die emotionaleren
Momente kommen keineswegs zu kurz; da hat man eine gute Balance gefunden. Im Finale verfällt man leider in altbekannte Superhelden-Muster und setzt für
meinen Geschmack zu sehr auf Action- und Kampfsequenzen, doch sind diese
kurzweilig genug choreographiert, um das Interesse hochzuhalten.
Ausgesprochen gut gefallen hat mir der Animationsstil, der einerseits sehr realistisch wirkt, andererseits aber auch der Comicherkunft
sichtlich verbunden bleibt – was sich unter anderem daran zeigt, daß erstmals in
einem Spider-Man-Kinofilm die "Spinnensinne" illustriert werden
(die in den Realfilmen zwangsläufig reine Behauptung des Protagonisten
blieben). Die Spideys aus anderen Dimensionen unterscheiden sich natürlich
gemäß ihrer (Comic-)Herkunft deutlich, fügen sich aber trotzdem harmonisch in
das für sie fremde Universum ein. Was die Leistungen der Sprecher betrifft, hatte ich nicht die Möglichkeit, mir die Originalfassung mit
Hochkarätern wie Chris Pine (als Peter Parker aus Miles' Dimension), Mahershala
Ali (Miles' Onkel Aaron), Hailee Steinfeld (Spider-Woman), Nicolas Cage, Liev
Schreiber (Kingpin) oder Jake Johnson (Peter B. Parker) anzusehen, aber
glücklicherweise kann sich die deutsche Synchronfassung hören lassen. Zwar wurden
außer bei Cage (und mit Abstrichen Ali, der zumindest schon
zuvor mehrfach von Matti Klemm gesprochen wurde) nicht die gewohnten deutschen
Stimmen der bekannten Originalsprecher verwendet, aber wenigstens sind es mit
ganz wenigen Ausnahmen allesamt professionelle Sprecher – was bedeutet, daß man ein paar Cameo-Aha-Momente der Originalfassung (z.B. Oscar Isaac, der nach dem Abspann seinen Auftritt hat) zwangsläufig verpaßt, es aber insgesamt doch mit einer hochwertigen
Synchronisation zu tun bekommt. Die einzige Figur, bei der ich mir während des
Films dachte, daß ich den Sprecher nicht so ganz passend finde, nicht bedrohlich
genug, ist Kingpin – weshalb ich beim Studieren des Abspanns wenig
überrascht war, daß der nicht von einem Profi-Sprecher vertont wurde, sondern
von dem populären YouTuber "Gronkh". Doch wenngleich einem bei genauem
Hinhören auffällt, daß er nicht ganz die Qualität seiner Sprecher-Kollegen hat,
macht auch er einen ordentlichen Job – daß er nicht an sein US-Pendant Liev
Schreiber heranreicht (oder an Vincent D'Onofrio, der den Kingpin in der
Netflix-Serie "Daredevil" kongenial verkörperte), kann derweil kaum überraschen. Alles in allem ist "Spider-Man: A New
Universe" ein Experiment, das definitiv gelungen ist, und einfach ein
extrem unterhaltsamer und amüsanter Film. Nicht wenige halten ihn gar für
den bisher besten "Spider-Man"-Film, gerade bei Kennern der Comics scheint
diese Sichtweise zu dominieren – für mich als jemanden, der nur als Kind ein
paar Mal in die Comics reingeschaut hat, bleibt Sam Raimis "Spider-Man
2" unerreicht, aber danach reiht sich "A New Universe"
ein. In den USA wurde Sonys geglückter Neustart mit einem exzellenten
Einspielergebnis belohnt, der Rest der Welt muß sich offenbar erst an animierte
Superhelden-Kinofilme gewöhnen. Eine Fortsetzung ist trotzdem bereits in
Entwicklung, zudem will Sony einige Spin-Offs entwickeln (z.B. ist ein
"Spider-Woman"-Film und eine "Spider-Ham"-Serie im
Gespräch).
Fazit: "Spider-Man: A New Universe" zeigt,
daß Superhelden auch in animierter Form im Kino wunderbar funktionieren –
zumindest wenn sie so clever und humorvoll geschrieben und dabei so schwungvoll
umgesetzt sind und so viel Spaß machen wie dieser Film.
Wertung: Knapp 8,5 Punkte.
Bei Gefallen an meinem Blog würde ich mich über die Unterstützung von "Der Kinogänger" mittels etwaiger Bestellungen über einen der amazon.de-Links in den Rezensionen oder über das amazon.de-Suchfeld in der rechten Spalte freuen, für die ich eine kleine Provision erhalte.
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